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’Illah des Riba-Verbots


In der Beantwortung der Frage nach der ‘Illah, die ursächlich dem Riba-Verbot zugrunde liegt, bzw. nach dem rational nachvollziehbaren Grund zur Einstufung der Riba-Güter in diese Scharii’ah-Kategorie, vertreten die Fiqh-Gelehrten verschiedene Meinungen. Sie teilen die sieben Riba-Güter (Gold, Silber, Weizen, Gerste, Datteln, Salz und Rosinen) nach ihrer Verwendung in zwei Gruppen ein: Gold und Silber bilden die Gruppe der Zahlungsmittel und die anderen die der Nahrungsmittel.

Die ‘Illah nach den Hanafiten

Ribal-fadl, der Differenzialzins liegt vor, wenn bei den auszutauschenden Sachen folgende zwei Charakteristika vorliegen:

a) al-qadr القدر, das Messen, d. h. die Sachen werden nach Maßeinheiten entweder nach einem Gewichtsmaß (wazn وزن) oder nach einem Hohlmaß (kail كيل) verkauft. Sachen, die nach Stückzahl oder nach Metermaß oder ähnlichem verkauft werden, gehören nicht dazu.

b) al-dschins , sie gehören der gleichen Gattung an.
So verfügen die vier in den Hadiithen erwähnten Nahrungsmittel (Salz, Weizen, Gerste, Datteln) beim Differenzialzins über beide Charakteristika: sie werden nach einem Hohlmaß verkauft und gehören gleicher Gattung an. Gleiches gilt für Gold und Silber.

Die gewogenen bzw. gemessenen Güter wie Gold, Zucker, etc. werden “amwaal mithliyyah أموال مثلية, ersetzbare Vermögenswerte” genannt, während die anderen Vermögenswerte, die stückweise verkauft werden, wie Häuser, Tiere, Perlen, etc. “amwaal qiimiyyah أموال قيمية, wertbezogene Vermögenswerte” heißen.
Den Einschränkungen des Differenzialzinses unterliegen nur die “ersetzbaren Vermögenswerte” über 1350g (dies entspricht ½ Saa’), wenn sie gegeneinander ausgetauscht werden, nicht jedoch die “wertbezogenen Vermögenswerte”.

Sind beide o. g. Charakteristika, das Messen und die Gattungsgleichheit, nicht vorhanden, so gibt es keine Einschränkungen bezüglich des Austausches untereinander. Wenn jedoch ein Charakteristikum von beiden vorliegt, dann gelten die Einschränkungen des Stundungszinses.

Die Hanafiten belegen ihre Bestimmung der beiden o. g. Charakteristika als ‘Illah für das Riba-Verbot damit, dass die Äquivalenz (tasaawi تساوي) bzw. Analogie (mumaathalah مماثلة) für die Gültigkeit des Kaufvertrags notwendig sind, und dass das Riba-Verbot auf dem Vorhandensein von einem Aufschlag ohne Gegenleistung beruht.
Die Äquivalenz bzw. Analogie zweier Sachen muss sowohl hinsichtlich des Ebenbildes (suurah صورة) als auch hinsichtlich des Inhaltes (ma’na معنى) erfüllt sein. So bestätigt das Wiegen bzw. das Messen mit einem Hohlmaß die Äquivalenz bzw. Analogie hinsichtlich des Ebenbildes und die Zugehörigkeit zur gleichen Gattung bestätigt die Äquivalenz bzw. Analogie hinsichtlich des Inhaltes.

Mehrere Aayaat und Hadiithe verpflichten die Muslime dazu, beim Wiegen bzw. beim Messen mit einem Hohlmaß gerecht zu sein. Sie bestätigen damit dieses Charakteristikum beim Austausch der Güter.

أَوۡفُواْ ٱلۡكَيۡلَ وَلَا تَكُونُواْ مِنَ ٱلۡمُخۡسِرِينَ ١٨١ وَزِنُواْ بِٱلۡقِسۡطَاسِ ٱلۡمُسۡتَقِيمِ ١٨٢ وَلَا تَبۡخَسُواْ ٱلنَّاسَ أَشۡيَآءَهُمۡ وَلَا تَعۡثَوۡاْ فِي ٱلۡأَرۡضِ مُفۡسِدِينَ ١٨٣

Gebt volles Maß und seid nicht von den Verminderern! Wägt mit der richtigen Waage! Vermindert den Wert der Sachen anderer Menschen nicht und übertreibt nicht auf der Erde als Verderber! 1

وَيَٰقَوۡمِ أَوۡفُواْ ٱلۡمِكۡيَالَ وَٱلۡمِيزَانَ بِٱلۡقِسۡطِۖ وَلَا تَبۡخَسُواْ ٱلنَّاسَ أَشۡيَآءَهُمۡ وَلَا تَعۡثَوۡاْ فِي ٱلۡأَرۡضِ مُفۡسِدِينَ ٨٥

Meine Leute! Vervollständigt das Maß und das Wiegen in gerechter Weise, vermindert den Menschen nicht den Wert ihrer Güter, und übertreibt nicht auf der Erde als solche, die Verderben anrichten! 2

وَيۡلٞ لِّلۡمُطَفِّفِينَ ١ ٱلَّذِينَ إِذَا ٱكۡتَالُواْ عَلَى ٱلنَّاسِ يَسۡتَوۡفُونَ ٢ وَإِذَا كَالُوهُمۡ أَو وَّزَنُوهُمۡ يُخۡسِرُونَ ٣

Niedergang sei den Betrügern beim Abmessen! Es sind solche, die, wenn sie sich von den Menschen zumessen lassen, etwas über das Maß hinaus nehmen, und wenn sie ihnen zumessen (kaaluuhum)
oder abwiegen (wazanuuhum), etwas vermindern. 3

عَنْ أَبِي سَعِيدٍ الْخُدْرِيِّ وَأَبِي هُرَيْرَةَ رَضِيَ اللَّهُ عَنْهُمَا‏ أَنَّ رَسُولَ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ اسْتَعْمَلَ رَجُلًا عَلَى خَيْبَرَ فَجَاءَهُمْ بِتَمْرٍ جَنِيبٍ فَقَالَ أَكُلُّ تَمْرِ خَيْبَرَ هَكَذَا فَقَالَ إِنَّا لَنَأْخُذُ الصَّاعَ مِنْ هَذَا بِالصَّاعَيْنِ وَالصَّاعَيْنِ بِالثَّلَاثَةِ فَقَالَ لَا تَفْعَلْ بِعْ الْجَمْعَ بِالدَّرَاهِمِ ثُمَّ ابْتَعْ بِالدَّرَاهِمِ جَنِيبًا.

Über Abu-sa’iid Al-chudriy und Abu-hurairah (radial-laahu ‘anhuma) wurde tradiert, dass der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) einen Mann zum Verwalter von Chaibar ernannte. Eines Tages kam er (nach Al-madiinah) und brachte Dschaniib-Datteln (besonders gute Datteln-Sorte). Daraufhin fragte ihn der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam): “Sind alle Datteln in Chaibar wie diese?” Er sagte: “Nein! Wir tauschen ein Saa’ (ca. vier Handvoll) dieser Datteln gegen zwei und drei Saa’ unserer Früchte!” Er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte: “Nein, tue es nicht! Verkaufe die Datteln gegen Dirhams, dann kaufe mit den Dirhams die Dschaniib-Datteln.” (B, M, N, AH, Maalik)

Die ‘Illah nach den Maalikiten

Die ‘Illah bei Gold und Silber besteht nach Ansicht der Maalikiten in deren Eigenschaft als Zahlungsmittel und Wertmesser.
Bei der ‘Illah der Nahrungsmittel unterscheiden die Maalikiten zwischen Ribal-fadl und Riban-nasii-a.

Die ‘Illah für das Verbot von Ribal-fadl bei den Nahrungsmitteln besteht aus zwei Charakteristika:

a.) Die Eigenschaft als Grundnahrung (iqtiyaat اقتيات),
b.) Die Möglichkeit der Speicherung (al-id-dichaar الادخار),

Die ‘Illah für das Verbot von Riban-nasii-a bei Nahrungsmitteln besteht nur in ihrer Eigenschaft als Nahrungsmittel.

Die Maalikiten belegen ihre Meinung zur ‘Illah des Riba-Verbots rational: da die ‘Illah rational nachvollziehbar ist und darin liegt, die Menschen vor Betrug, sowie ihre Vermögenswerte zu schützen, muss dieser Schutz bei den Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Gerste, Reis, Mais, Datteln, Eier, Öl, Linsen, etc. erkennbar erfolgen.

Die ‘Illah nach den Schaafi’iten

Die ‘Illah bei Gold und Silber besteht nach Ansicht der Schaafi’iten in deren Eigenschaft als Zahlungsmittel und Wertmesser.

Die ‘Illah für das Verbot bei den Nahrungsmitteln liegt ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Speise bzw. Nahrungsmittel.
Damit gelten alle Sachen, die gegessen und getrunken werden, als Riba-Güter, unabhängig davon:

  • ob es sich um eine Speise, Obst irgendwelcher Art oder ein Heilmittel handelt,
  • ob die Nahrungsmittel mit Hohlmaß oder Gewicht abgemessen werden können oder nicht und
  • ob sie gespeichert werden können oder nicht.

Die Schaafi’iten leiten ihre ‘Illah aus dem allgemein ausformulierten Hadiith “الطعام بالطعام مثلاً بمثل, die Nahrungsmittel sind gegen Nahrungsmittel gleiches Maß gegen gleiches Maß auszutauschen” ab.

Die ‘Illah nach den Hanbaliten

Innerhalb der hanbalitischen Fiqh-Schule gibt es in Bezug auf die ‘Illah des Riba-Verbotes drei Auffassungen:

1. Die bekannteste Auffassung entspricht der Ansicht der Hanafiten mit der Ausnahme, dass es ihrer Meinung nach keine Untergrenze gibt, ab der Riba zustande kommt, so darf man z. B. nicht eine Dattel gegen zwei Datteln tauschen.

2. Die zweite Auffassung entspricht der Ansicht der Schaafi’iten.

3. Die letzte Auffassung besagt, dass die ‘Illah für das Riba-Verbot bei den Nahrungsmitteln zwei Charakteristika hat:

  • die Eigenschaft als Speise und
  • das Messen (in Hohlmaß oder Gewicht).

So kommt keine Riba-Handlung zustande bei allen Nahrungsmitteln, die stückweise verkauft werden.

Diese Meinung wird mit folgendem Hadiith-Mursal belegt:

عَنْ سَعِيدِ بْنِ الْمُسَيِّبِ، أَنَّ رَسُولَ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ قَالَ: لا رِبًا إِلا فِي ذَهَبٍ أَوْ فِضَّةٍ، أَوْ مِمَّا يُكَالُ، أَوْ يُوزَنُ، وَيُؤْكَلُ وَيَشْرَبُ.

Über Sa’iid Bnul-musaiyyib wurde tradiert, dass der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte: “Es kommt keine Riba-Handlung zustande, es sei denn bei dem Gold, dem Silber, allen Sachen, die gemessen oder gewogen werden, und allen Sachen, die gegessen und getrunken werden. (Al-baihaqiy)

Bemerkung:

Die Fiqh-Gelehrten der Dhaahiriten wie der Gelehrte Ibnu-hazm 4 schränken die Riba-Handlungen auf die sechs Sachen ein, die in den Hadiithen namentlich erwähnt wurden, da diese Fiqh-Gelehrten den Analogieschluss zurückweisen und nicht verwenden. Ihrer Meinung nach bleiben alle anderen Sachen, die nicht zu den Riba-Gütern gehören, frei von Einschränkungen von Ribal-fadl und Riban-nasii-a.

Notes:

  1. Quraan (26:181-183)
  2. Quraan (11:85)
  3. Quraan (83:1-3)
  4. Siehe dazu Al-muhalla, Ibnu-hazm.