Bedeutung und Definition
Unter der “‘Aurah” eines Menschen versteht man linguistisch “der Mangel, das Schamhafte”. Fachspezifisch definiert sie die Scharii’ah als “die Körperteile, die bedeckt werden müssen bzw. nicht angeschaut werden dürfen”.
Diese Definition beinhaltet sowohl die Definition der ‘Aurah im rituellen Gebet (Salaah) als auch allgemein.
Allaah (ta’aala) hat die Kleidung als eine Gabe bezeichnet, mit der Er den Menschen ausgezeichnet hat.
يَٰبَنِيٓ ءَادَمَ قَدۡ أَنزَلۡنَا عَلَيۡكُمۡ لِبَاسٗا يُوَٰرِي سَوۡءَٰتِكُمۡ وَرِيشٗاۖ وَلِبَاسُ ٱلتَّقۡوَىٰ ذَٰلِكَ خَيۡرٞۚ ذَٰلِكَ مِنۡ ءَايَٰتِ ٱللَّهِ لَعَلَّهُمۡ يَذَّكَّرُونَ ٢٦
“Kinder Aadams! Bereits haben Wir euch Kleidung hinabgesandt, die eure Schamteile bedeckt, auch schmückende Kleidung. Doch die Kleidung der Ehrfurcht 1 ist besser. Dies ist von Allaahs Zeichen 2, damit ihr euch entsinnt.” 3
Bahz Bnu-hakiim Bnu-hizaam بهز بن حكيم بن حزام (radial-laahu ‘anh) überlieferte, dass sein Großvater den Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) fragte:
يَا نَبِيَّ اللَّهِ عَوْرَاتُنَا مَا نَأْتِي مِنْهَا وَمَا نَذَرُ قَالَ احْفَظْ عَوْرَتَكَ إِلَّا مِنْ زَوْجَتِكَ أَوْ مَا مَلَكَتْ يَمِينُكَ قُلْتُ يَا رَسُولَ اللَّهِ إِذَا كَانَ الْقَوْمُ بَعْضُهُمْ فِي بَعْضٍ قَالَ إِنْ اسْتَطَعْتَ أَنْ لَا يَرَاهَا أَحَدٌ فَلَا يَرَاهَا قَالَ قُلْتُ يَا نَبِيَّ اللَّهِ إِذَا كَانَ أَحَدُنَا خَالِيًا قَالَ فَاللَّهُ أَحَقُّ أَنْ يُسْتَحْيَا مِنْهُ مِنْ النَّاسِ.
“Gesandter Allaahs! Unsere ‘Aurah, wie sollen wir damit umgehen?” Er sagte: “Bedecke deine ‘Aurah außer vor deiner Ehefrau und vor deinen Leibeigenen.” Ich sagte: “Gesandter Allaahs! Wie sollen sich die Menschen verhalten, wenn sie untereinander sind?” Er sagte: “Wenn du es (bewerkstelligen) kannst, dass niemand sie sieht, dann lass niemanden sie sehen.” Ich sagte: “Prophet Allaahs! Und wenn der eine von uns alleine ist?” Er sagte: “Dann hat Allaah mehr Anrecht darauf, dass die Menschen sich vor IHM schämen.” (T, AH, A, I)
Aus diesem Hadiith kann man entnehmen,, dass die ‘Aurah vor Fremden bedeckt werden muss und mit der Scham vor Allaah (ta’aala) und vor den Menschen verbunden werden soll.
Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sah einen Mann, der öffentlich nackt badete, dann sagte er:
إِنَّ اللَّهَ عَزَّ وَجَلَّ حَيِيٌّ سِتِّيرٌ يُحِبُّ الْحَيَاءَ وَالسَّتْرَ فَإِذَا اغْتَسَلَ أَحَدُكُمْ فَلْيَسْتَتِرْ.
“Allaah, Der Erhabene und Majestätische, ist fern von jeglicher Schamlosigkeit und bedeckt die Mängel. Er liebt die Schamhaftigkeit und die Bedeckung des Mangelhaften. Wenn jemand von euch sich wäscht, dann soll er es hinter einem Sichtschutz tun.” (N, A, AH)
Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte diesbezüglich auch:
لَا يَنْظُرُ الرَّجُلُ إِلَى عَوْرَةِ الرَّجُلِ وَلَا الْمَرْأَةُ إِلَى عَوْرَةِ الْمَرْأَةِ وَلَا يُفْضِي الرَّجُلُ إِلَى الرَّجُلِ فِي ثَوْبٍ وَاحِدٍ وَلَا تُفْضِي الْمَرْأَةُ إِلَى الْمَرْأَةِ فِي الثَّوْبِ الْوَاحِدِ.
“Ein Mann darf sich die ‘Aurah eines anderen Mannes nicht anschauen, auch eine Frau darf sich die ‘Aurah einer anderen Frau nicht anschauen. Ein Mann darf nicht mit einem anderen Mann (unbekleidet) unter einer Decke liegen, ebenso darf eine Frau nicht mit einer anderen Frau (unbekleidet) unter einer Decke liegen.” (M, T, AH)
إِنَّهَا سَتُفْتَحُ لَكُمْ أَرْضُ الْعَجَمِ وَسَتَجِدُونَ فِيهَا بُيُوتًا يُقَالُ لَهَا الْحَمَّامَاتُ فَلَا يَدْخُلَنَّهَا الرِّجَالُ إِلَّا بِالْأُزُرِ وَامْنَعُوهَا النِّسَاءَ إِلَّا مَرِيضَةً أَوْ نُفَسَاءَ
“Das Land der Nicht-Araber wird sich euch öffnen und ihr werdet dort Häuser finden, die Bäder genannt werden, so dürfen die Männer sie nur mit Hüfttuch betreten. Lasst die Frauen nicht hineingehen, es sei denn eine Kranke oder eine Wöchnerin.” (A)
Um die ‘Aurah zu schützen, hat der Islam verschiedene Gebote vorgesehen:
- Bedeckung der ‘Aurah mit Kleidern und das Verbot ihrer Betrachtung
- Pflicht zum Bitten um Erlaubnis vor dem Betreten fremder Wohnstätten
- Gebote zum Verhalten auf öffentlichen Plätzen und Straßen
Die ‘Aurah-Bereiche nach den Fiqh-Schulen
Die ‘Aurah ist geschlechts- und alterspezifisch.
Man unterscheidet zwischen der “‘Aurah mughal-ladhah العورة المغلظة” und der “‘Aurah muchaf-fafah العورة المخففة“.
Unter ‘Aurah mughal-ladhah versteht man die Körperteile, deren Entblößung im rituellen Gebet dieses auf jeden Fall annulliert.
Alle anderen Körperteile außer dem Gesicht, den Händen und den Füßen (für die Fiqh-Schulen, die Füße nicht zur ‘Aurah zählen) gehören zur ‘Aurah muchaf-fafah.
Die unten aufgelisteten ‘Aurah-Bereiche geben die absoluten Grenzen dessen an, was bedeckt werden muss, was jedoch nicht bedeutet, dass man die Nicht-‘Aurah-Bereiche in der Öffentlichkeit unbedeckt lassen darf und soll. Was und vor allem wieviel von den Nicht-‘Aurah-Körperteilen öffentlich gezeigt wird, hängt von den jeweiligen Sitten und Gebräuchen ab.
Die ‘Aurah nach der hanafiitischen Fiqh-Schule
- Beim Mann umfasst die ‘Aurah den Bereich vom Nabel bis zum Knie, wobei der Nabel im Gegensatz zum Knie nicht Teil der ‘Aurah ist.
- Bei der Frau umfasst die ‘Aurah den gesamten Körper außer Gesicht und Händen. Manche Gelehrten zählen innerhalb des rituellen Gebets auch die Füße zur ‘Aurah, und andere zählen die Füße nur außerhalb des rituellen Gebets dazu.
- Kinder unter vier Jahren haben keine ‘Aurah. Zwischen sieben und zehn Jahren umfasst ihre ‘Aurah nur die Genitalteile und den After. Ab zehn Jahren haben sie die gleiche ‘Aurah wie Erwachsene.
- Zur ‘Aurah mughal-ladhah zählen die Genitalteile und der After mit den benachbarten Bereichen. Alle anderen Körperteile gehören zur ‘Aurah muchaf-fafah.
- Das Entblößen eines Viertels eines ‘Aurah-Teils, sei es mughal-ladhah oder muchaf-fafah, im rituellen Gebet für die Zeit der Vollendung eines unerlässlichen Pflichtteils (Rukn), annulliert dieses Gebet.
- Mahaarim 4 dürfen von der Frau alles sehen, außer dem Bereich zwischen Nabel und Knie und dem Bauch und dem Teil vom Rücken, der dem Bauch gegenüberliegt. Damit wird der Frau das Stillen in Anwesenheit von Mahaarim erleichtert. Üblicherweise zeigt sie aber nur das, was sie Zuhause nicht bedeckt, wie Gesicht, Haare, Hals, Arme, etc.
Die ‘Aurah nach der schafi’iitischen Fiqh-Schule
- Beim Mann umfasst die ‘Aurah den Bereich vom Nabel bis zum Knie, wobei weder Nabel noch Knie Teil der ‘Aurah sind.
- Bei der Frau umfasst die ‘Aurah den gesamten Körper außer Gesicht und Händen.
- Kinder haben unabhängig von ihrem Alter die gleiche ‘Aurah wie Erwachsene.
- Vor Fremden müssen Männer und Frauen den gesamten Körper (auch Gesicht und Hände) bedecken, um Fitna vorzubeugen.
- Ein Entblößen der ‘Aurah im rituellen Gebet durch den Wind lässt das Gebet gültig bleiben, wenn man sie schnell wieder bedeckt.
- Die ‘Aurah der Frau vor ihren Mahaarim umfasst die Bereiche der ‘Aurah des Mannes.
Die ‘Aurah nach der maalikiitischen Fiqh-Schule
- Beim Mann umfasst die ‘Aurah mughal-ladhah nur die Genitalteile und den After. So zählt z. B. der Oberschenkel nicht mehr zur ‘Aurah (nicht nach allen Maalikiten). Die ‘Aurah muchaf-fafah des Mannes umfasst alle anderen Körperteile zwischen Nabel und Knie.
- Bei der Frau umfasst die ‘Aurah mughal-ladhah den gesamten Körper außer der Brust und dem gegenüberliegenden Teil des Rückens, dem Kopf, den Beinen und den Armen. Sollte jedoch irgendeines dieser Teile (nämlich Brust, Kopf, Beine, etc.) im rituellen Gebet entblößt werden, dann muss dieses Gebet wiederholt werden, wenn die Betende sich noch in der so genannten Daruuri-Zeit 5 (الوقت الضروري) befindet. Die ‘Aurah muchaf-fafah für die Frau umfasst alle anderen Körperteile mit Ausnahme von Gesicht und Händen.
- Die ‘Aurah der Frau vor ihren Mahaarim umfasst den gesamten Körper außer Kopf, Hals, Füße und Hände.
- Für Knaben unter acht Jahren gibt es keine ‘Aurah außerhalb des rituellen Gebets. Im rituellen Gebet umfasst sie ab sieben Jahren die Genitalteile, den After und die Oberschenkel. Von neun bis 12 Jahren darf man diesen Bereich nicht mehr berühren. Ab 13 Jahren haben sie die gleiche ‘Aurah wie der Mann.
- Mädchen bis zwei Jahren haben keine ‘Aurah. Von zwei bis vier Jahren haben sie keine ‘Aurah, was den Blick angeht, doch Männer dürfen ihre ‘Aurah mughal-ladhah nicht berühren. Ab fünf Jahren darf ihre ‘Aurah mughal-ladhah von Männern weder angeschaut, noch berührt werden.
Die ‘Aurah nach der Hanbaliitischen Fiqh-Schule
- Beim Mann umfasst die ‘Aurah den Bereich vom Nabel bis zum Knie, wobei weder Nabel noch Knie Teil der ‘Aurah sind.
- Bei der Frau umfasst die ‘Aurah den gesamten Körper außer Gesicht und Händen. Außerhalb des rituellen Gebets ist der gesamte Körper der Frau ohne Ausnahme ‘Aurah. Nach der gängigen Meinung muss die Frau im rituellen Gebet alles außer dem Gesicht bedecken; nach manchen Meinungen muss sie Hände und Füße nicht bedecken, es sei denn, ein Nicht-Mahram ist anwesend. Wenn etwas anderes vom Körper als Gesicht, Hände und Füße im rituellen Gebet sichtbar wird, wird es ungültig, da die ‘Aurah nicht bedeckt wurde und damit ein unerlässlicher Pflichtteil (Rukn) des Gebet verletzt wurde.
- Es gibt drei Meinungen bezüglich dessen, was ein Mahram von der Frau sehen darf: er darf nur ihr Gesicht sehen; er darf nur ihr Gesicht und ihre Hände sehen; er darf den Kopf, die Beine und das sehen, was üblicherweise entblößt wird.
- Knaben unter vier Jahren haben keine ‘Aurah. Zwischen sieben und zehn Jahren umfasst ihre ‘Aurah nur die Genitalteile und den After. Ab zehn Jahren haben sie die gleiche ‘Aurah wie Erwachsene.
- Mädchen bis zur ersten Menstruation haben eine ‘Aurah vom Nabel bis zum Knie.
Notes:
- Ursprünglich: „Taqwa“, siehe Glossar. ↩
- Ursprünglich: „Aayaat“. Aayaat sind Plural von Aayah, siehe Glossar. ↩
- Quraan (7:26) ↩
- Singular Mahram: Mann, mit dem die Frau für immer keine Ehe eingehen darf, wie Vater, Bruder, etc. ↩
- Diese Zeit dauert: für das rituelle Mittags- und Nachmittagsgebet bis kurz vor Sonnenuntergang, für das rituelle Abend- und Nachtgebet bis zum Beginn der Zeit des rituellen Morgengebets und für das Morgengebet bis zum Sonnenaufgang. ↩