Begriffsbestimmung von Yamiin
Linguistisch bezeichnet der Begriff Yamiin “die rechte Hand”. Im übertragenen Sinne bedeutet er “die Macht bzw. die Kraft”. Eine derartige Bedeutung findet sich auch im Quraan:
وَلَوۡ تَقَوَّلَ عَلَيۡنَا بَعۡضَ ٱلۡأَقَاوِيلِ ٤٤ لَأَخَذۡنَا مِنۡهُ بِٱلۡيَمِينِ ٤٥
Hätte er in Unserem Namen etwas Erdichtetes erdichtet, (45) gewiss hätten Wir ihm seine Rechte weggenommen, (arabisch: bil-yamiin). 1
Die Araber zu damaliger Zeit bezeichneten den Eid als Yamiin, weil sie beim Ablegen des Schwures die rechte Hand des Gegenübers hielten.
Fachspezifisch bezeichnet Yamiin “eine mit Bedacht ausgeführte Bekräftigung einer gemachten Aussage oder eines zu beabsichtigten Vorhabens unter Anrufung Allaahs mit dessen Namen (Asmaa’ أسماء) oder Eigenschaften (Sifaat صفات)”.
Ein unbedachter Yamiin (Al-laghuu اللغو) ist irrelevant und wird nicht verantwortet.
لَا يُؤَاخِذُكُمُ ٱللَّهُ بِٱللَّغۡوِ فِيٓ أَيۡمَٰنِكُمۡ
Allaah belangt euch nicht für Unbedachtes in euren Eiden. 2
Ein Eid ist nur dann bindend, wenn die Person zum Zeitpunkt der Eidaussage geschlechtsreif und zurechnungsfähig war, und der Eid mit Bedacht ausgesprochen und unter Anrufung Allaahs mit einem Seiner Namen oder mit einer Seiner Eigenschaften abgelegt wurde. Erfolgt der Eid nicht unter Anrufung Allaahs, so ist er nicht gültig. Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:
مَنْ كَانَ حَالِفَاً فَلْيَحلِفْ بِاللهِ أو لِيَصْمُت.
Wer schwören will, soll mit dem Namen Allaahs schwören oder schweigen. (B, M)
Wenn eine Person einen Eid leistet, so hat sie ihr Vorhaben unter allen Umständen auszuführen. Führt sie das Vorhaben nicht aus, dann ist die Person zur Kaffaarah (wie vorher erwähnt) verpflichtet. Auch dann sollte der Grund für die Nicht-Einhaltung des Eides etwas Gutes darstellen. Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:
مَنْ حَلَفَ عَلَى يَمِينٍ، فَرَأَى غَيَرهَا خَيرَاً مِنْهَا، فَليَأتِهَا، وَليُكَفِّر عَنْ يَمِينِهِ.
Wer einen Eid leistete und danach etwas anderes als besser feststellt, dann soll er das Bessere vollziehen und eine Kaffaarah für seinen Eid vollbringen. (M)
Ein Schwur zur Bekräftigung einer Unwahrheit wird als Meineid oder Al-yamiinul-ghamuus اليمين الغموس bezeichnet, weil er den Meineidigen “in Sündhaftigkeit taucht”. Dafür ist auch mit einer Strafe Allaahs im Jenseits zu rechnen.
Begriffsbestimmung von An-nadhr
Linguistisch bezeichnet An-nadhr “ein Versprechen oder eine Vorhersage, die optimistisch oder pessimistisch sein kann”.
Fachspezifisch hingegen bezeichnet An-nadhr “das Ablegen eines Eides oder Gelübdes, eine gottgefällige Handlung auszuführen, welche keine Muss-Handlung (Waadschib) darstellt, und die mit oder ohne einer Bedingung verknüpft sein kann”.
Der Unterschied zum Eid (Yamiin) besteht darin, dass An-nadhr eine gottgefällige Handlung darstellt. Beispielsweise gelobt ein Muslim, drei Tage freiwillig zu fasten, wenn er eine bevorstehende Prüfung mit Erfolg bestehen sollte. Ereignet sich die Bedingung “die Prüfung mit Erfolg bestanden”, dann stellt dieses rituelle Fasten ein gottgefälliges Werk dar.
Ein Gelübde ist verbindlich, wenn die Person
– muslimisch, geschlechtsreif und zurechnungsfähig ist, und
– sich freiwillig zu dieser gottgefälligen Handlung verpflichtet.
Das Gelübde muss eine Sunnah-Handlung bestimmen. Eine Handlung, die in der Scharii’ah als Kann-Handlung (Mubaah) gilt, zieht keine Konsequenzen nach sich, ebenso wenig die Handlungen, deren Ausführung eine individuelle Waadschib- bzw. Haraam-Handlung sind.
Eine Person kann auch eine kollektive Waadschib-Handlung (Fardu-kifaayah) wie z. B. das Medizinstudium zur individuellen Pflicht (Fardu-‘ain) erklären, wenn sie das entsprechende Gelübde dazu fasst.
Es gibt drei Gelübde-Formen:
- Man legt ein Gelübde im Zorn und während einer Auseinandersetzung ab: Man gelobt z. B., nie mehr mit einer Person zu sprechen, andernfalls will man drei Monate fasten. Dieses Gelübde wird als “Nadhrul-ladschadsch: Gelübde im Streit” genannt und einem Eid gleichgesetzt. So kann man sich der darin enthaltenen Verpflichtung durch eine Kaffaarah wie beim Eidbruch entziehen.
- Man legt ein Gelübde ab, eine Verpflichtung zu erfüllen, die von einer Bedingung abhängig gemacht wird, wie im Beispiel mit der Prüfung.
- Man legt ein Gelübde ab, das weder in Zorn erfolgte, noch mit einer Bedingung verknüpft ist.
Bei der zweiten und dritten Gelübde-Form kann man sich der Verpflichtung nicht durch eine Kaffaarah entziehen. Das Gelübde bleibt für die gelobende Person eine Pflicht, die bei Nicht-Erfüllung verantwortet werden wird.
Exkurs:
Gelten Bestrafungen für Verfehlungen im Diesseits als Kaffaarah dafür?
Für bestimmte Vergehen sind in der Scharii’ah Strafen vorgesehen. Wird eine Person schon im Diesseits zur Rechenschaft gezogen und für ihre Verfehlungen bestraft, so gilt dies für sie als Kaffaarah, d. h. Tilgung der Verfehlung. Sie wird für diese Tat dann nicht mehr im Jenseits belangt. Als Beleg dafür gilt u. a. die Aussage des Gesandten, die von ‘Ubaadah Bnus–saamit überliefert wurde, er sagte:
كُنَّا عِنْدَ النَّبِيِّ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ فِي مَجْلِسٍ فَقَالَ بَايِعُونِي عَلَى أَنْ لَا تُشْرِكُوا بِاللَّهِ شَيْئًا وَلَا تَسْرِقُوا وَلَا تَزْنُوا وَقَرَأَ هَذِهِ الْآيَةَ كُلَّهَا فَمَنْ وَفَى مِنْكُمْ فَأَجْرُهُ عَلَى اللَّهِ وَمَنْ أَصَابَ مِنْ ذَلِكَ شَيْئًا فَعُوقِبَ بِهِ فَهُوَ كَفَّارَتُهُ وَمَنْ أَصَابَ مِنْ ذَلِكَ شَيْئًا فَسَتَرَهُ اللَّهُ عَلَيْهِ إِنْ شَاءَ غَفَرَ لَهُ وَإِنْ شَاءَ عَذَّبَهُ.
“Wir waren beim Propheten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) in einer Sitzung, dann sagte er: “Gebt mir den Treueid darauf, dass ihr Allaah keinerlei Partner beigesellt, nicht stehlt und keine Unzucht begeht! – dann rezitierte er diese komplette Aayah 3 – wer von euch sich daran hält, dessen Lohn obliegt Allaah. Wer davon etwas verletzt und dafür bestraft wurde, so ist diese (Strafe) eine Kaffaarah für ihn. Und wer davon etwas verletzt, aber Allaah es für ihn zudeckte, (dann unterliegt es Allaah), wenn Er will, vergibt Er ihm, und wenn Er will, bestraft Er ihn.” (B, M)
Notes:
- Quraan (69:44-45) ↩
- Quraan (5:89) ↩
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يَٰٓأَيُّهَا ٱلنَّبِيُّ إِذَا جَآءَكَ ٱلۡمُؤۡمِنَٰتُ يُبَايِعۡنَكَ عَلَىٰٓ أَن لَّا يُشۡرِكۡنَ بِٱللَّهِ شَيۡٔٗا وَلَا يَسۡرِقۡنَ وَلَا يَزۡنِينَ وَلَا يَقۡتُلۡنَ أَوۡلَٰدَهُنَّ وَلَا يَأۡتِينَ بِبُهۡتَٰنٖ يَفۡتَرِينَهُۥ بَيۡنَ أَيۡدِيهِنَّ وَأَرۡجُلِهِنَّ وَلَا يَعۡصِينَكَ فِي مَعۡرُوفٖ فَبَايِعۡهُنَّ وَٱسۡتَغۡفِرۡ لَهُنَّ ٱللَّهَۚ إِنَّ ٱللَّهَ غَفُورٞ رَّحِيمٞ ١٢ يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُواْ لَا تَتَوَلَّوۡاْ قَوۡمًا غَضِبَ ٱللَّهُ عَلَيۡهِمۡ قَدۡ يَئِسُواْ مِنَ ٱلۡأٓخِرَةِ كَمَا يَئِسَ ٱلۡكُفَّارُ مِنۡ أَصۡحَٰبِ ٱلۡقُبُورِ ١٣
Prophet! Wenn die iimaan-bekennenden Frauen zu dir kommen, um dir das Treuewort[1] zu geben, dass sie weder Allaah etwas beigesellen, noch stehlen, noch Unzucht begehen, noch ihre Kinder töten, noch außereheliche Kinder ihren Ehemännern zuschreiben, noch sich dir im Billigen widersetzen, dann nimm von ihnen das Treuewort entgegen und bitte Allaah für sie um Vergebung. Allaah ist gewiss allvergebend, allgnädig. (13) Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Nehmt euch nicht Leute zum Intimus, über die Allaah erzürnt ist. Bereits verzweifeln sie am Jenseits, wie die Leugner an den Gräberbewohnern verzweifeln. ↩