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Kaffaarah für Schwangerschaftsabbruch und Abtreibung


Schwangerschaftsabbruch aus Sicht der Scharii’ah

Der Schutz menschlichen Lebens und das Verbot des Tötens erstrecken sich sowohl auf lebende Menschen als auch auf beseelte Embryos bzw. Föten. Ebenfalls herrscht Konsens unter allen Fiqh-Gelehrten über die Schutzwürdigkeit des Embryos bzw. Föten vor dessen Beseelung. So ist die Tötung bereits im Stadium der Mudghah, dem Stadium der Ausbildung einzelner Körperteile, verboten. Als Beleg dafür gilt die Praxis des Propheten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam). Er verurteilte eine Frau, die eine Schwangere mit einem Stein bewarf und diese mit ihrem ungeborenen Kind tötete, zur Zahlung einer Entschädigung, auch für den getöteten Embryo (Dschaniin). Diese finanzielle Entschädigung heißt Ghurrah غرة und entspricht 1/20 einer Diyyah 1 einer erwachsenen Person.

Zulässigkeit einer Abtreibung in den Fiqh-Schulen

إنَّ أحدكُمْ يُجمَعُ خلقُهُ في بطنِ أمِّهِ في أربعينَ يوماً، ثُمَّ يكُونُ علقةً مثلَ ذلكَ، ثُمَّ يكونُ مضغةً مثلَ ذلكَ، ثُمَّ يُرسلُ إليهِ الملكَ، فينفُخُ فيهِ الرَّوح.

Das, mit dem ein jeder von euch erschaffen wird, wird im Leibe seiner Mutter in vierzig Tagen zusammengefügt, dann wird er ‘Alaqah (etwas, das sich anklammert) ebenso, dann wird er Mudghah (etwas Gekautes) ebenso, dann wird zu ihm der Engel gesandt, der ihm Ar-ruuh (die Seele) einhaucht. (B, T, N, AH)

Die Mehrheit der früheren Fiqh-Gelehrten haben diesen Hadiith damals so interpretiert, dass der Embryo vor der Beseelung drei Stadien durchläuft: 40 Tage im Stadium der Nutfah, 40 Tage im Stadium der ‘Alaqah und 40 Tage im Stadium der Mudghah.

  • Die Hanafiten, Schaafi’iten und Hanbaliten erklären deshalb die Abtreibung nach dem 120. Tag für verboten. Eine Abtreibung vor Vollendung des 40. Tages nach der Empfängnis betrachten sie grundsätzlich als erlaubt (mubaah), da in diesem Stadium laut ihrer (auf dem damaligen Erkenntnisstand beruhenden) Interpretation dieses einen Hadiith die Ausbildung der einzelnen Körperteile noch nicht erfolgt.
    Die Abtreibung im Zeitraum zwischen dem 40. und 120. Tag, dem Stadium der Ausbildung einzelner Körperteile, wird unterschiedlich beurteilt. Die Hanbaliten lassen diese zu, während die anderen Fiqh-Schulen eher zu einem Verbot tendieren.
  • Die Maalikiten verbieten die Abtreibung ab Beginn der Befruchtung.

Dabei gilt in allen Fällen zu berücksichtigen, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur dann zulässig ist, wenn die Empfängnis aus einer scharii’ah-konformen Ehe (Sahiih-Ehe) hervorgegangen ist, beide Ehepartner dem Eingriff zustimmen und zwei kompetente Ärzte bestätigen, dass die Frau mit dem Eingriff keine Schäden davon trägt.

Interpretation der Scharii’ah-Belege mit Hilfe der Embryologie

Außer dem o. g. Hadiith thematisieren auch mehrere Aayaat und andere Hadiithe die Phasen der Embryonalentwicklung, wie z. B.:

ٱلَّذِيٓ أَحۡسَنَ كُلَّ شَيۡءٍ خَلَقَهُۥۖ وَبَدَأَ خَلۡقَ ٱلۡإِنسَٰنِ مِن طِينٖ ٧ ثُمَّ جَعَلَ نَسۡلَهُۥ مِن سُلَٰلَةٖ مِّن مَّآءٖ مَّهِينٖ ٨

Er ist Derjenige, Der alles gut machte, was Er erschuf, und Der die Erschaffung des Menschen mit Lehm begann. (8) Danach brachte Er seine Nachkommenschaft aus einem Auszug einer geringgeschätzten Flüssigkeit hervor. 2

فَلۡيَنظُرِ ٱلۡإِنسَٰنُ مِمَّ خُلِقَ ٥ خُلِقَ مِن مَّآءٖ دَافِقٖ ٦ يَخۡرُجُ مِنۢ بَيۡنِ ٱلصُّلۡبِ وَٱلتَّرَآئِبِ ٧

Der Mensch soll schauen, woraus er erschaffen wurde. (6) Er wurde aus ergossener Flüssigkeit erschaffen, (7) die zwischen Rückgrat und Rippen herauskommt. 3

إِنَّا خَلَقۡنَا ٱلۡإِنسَٰنَ مِن نُّطۡفَةٍ أَمۡشَاجٖ نَّبۡتَلِيهِ فَجَعَلۡنَٰهُ سَمِيعَۢا بَصِيرًا ٢

Wir erschufen den Menschen aus vermischter Nutfah (minimaler Menge Flüssigkeit), um ihn zu prüfen, dann machten Wir ihn hörend, sehend. 4

يَٰٓأَيُّهَا ٱلنَّاسُ إِن كُنتُمۡ فِي رَيۡبٖ مِّنَ ٱلۡبَعۡثِ فَإِنَّا خَلَقۡنَٰكُم مِّن تُرَابٖ ثُمَّ مِن نُّطۡفَةٖ ثُمَّ مِنۡ عَلَقَةٖ ثُمَّ مِن مُّضۡغَةٖ مُّخَلَّقَةٖ وَغَيۡرِ مُخَلَّقَةٖ لِّنُبَيِّنَ لَكُمۡۚ

Ihr Menschen! Solltet ihr im Zweifel über die Auferweckung sein, so erschufen Wir euch aus Erde, dann aus Nutfah, dann aus ‘Alaqah, dann aus proportionierter und unproportionierter Mudghah, damit Wir es euch erläutern. 5

ثُمَّ خَلَقۡنَا ٱلنُّطۡفَةَ عَلَقَةٗ فَخَلَقۡنَا ٱلۡعَلَقَةَ مُضۡغَةٗ فَخَلَقۡنَا ٱلۡمُضۡغَةَ عِظَٰمٗا فَكَسَوۡنَا ٱلۡعِظَٰمَ لَحۡمٗا ثُمَّ أَنشَأۡنَٰهُ خَلۡقًا ءَاخَرَۚ

Dann machten Wir die Mudghah zu Knochen, dann bedeckten Wir die Knochen mit Fleisch, dann ließen Wir ihn als eine andere Schöpfung entstehen. 6

Diese und weitere Aayaat beschreiben in klarer eindeutiger Weise, dass Allaah (ta’aala) die Erschaffung des Menschen aus Erde beginnen ließ. Danach bestimmte Er, dass der Mensch sich in Phasen weiterentwickelt. Diese Phasen sind: Die vermischte Nutfah 7 aus dem Sperma des Ehemannes und der Eizelle der Ehefrau, die ‘Alaqah 8, die Mudghah 9, die Erschaffung der Knochen, die Überziehung der Knochen mit dem Fleisch (den Muskeln) und zuletzt die Entwicklung der eigenen Gestalt als vollkommener Mensch.

Zu dem Zeitraum, in welchem diese im Quraan beschriebenen Phasen stattfinden, gibt es außer dem obigen Hadiith noch weitere Hadiithe, die etwas klarer sind und mehr ins Detail gehen:

إِنَّ أَحَدَكُمْ يُجْمَعُ خَلْقُهُ فِي بَطْنِ أُمِّهِ أَرْبَعِينَ يَوْمًا ثُمَّ يَكُونُ فِي ذَلِكَ عَلَقَةً‏ مِثْلَ ذَلِكَ ثُمَّ يَكُونُ فِي ذَلِكَ ‏مُضْغَةً مِثْلَ ذَلِكَ ثُمَّ يُرْسَلُ الْمَلَكُ فَيَنْفُخُ فِيهِ الرُّوحَ.

Das, mit dem ein jeder von euch erschaffen wird, wird im Leibe seiner Mutter in 40 Tagen zusammengefügt, in denen wird er genauso zu ‘Alaqah, und darin wird er ebenso zu Mudghah. Dann wird zu ihm der Engel gesandt, der ihm Ar-ruuh (die Seele) einhaucht. (M)

In diesem Hadiith liegt der Unterschied zum vorherigen Hadiith in der Zeitbestimmung durch den Ausdruck فِي ذَلِكَ “in denen”, damit liegen die Phasen der ‘Alaqah und der Mudghah innerhalb der ersten 40 Tage.

إذَا مَرَّ بِالنُّطْفَةِ ثِنْتَانِ وَأَرْبَعُونَ لَيْلَةً بَعَثَ اللَّهُ إِلَيْهَا مَلَكًا فَصَوَّرَهَا وَخَلَقَ سَمْعَهَا وَبَصَرَهَا وَجِلْدَهَا وَلَحْمَهَا وَعِظَامَهَا ثُمَّ قَالَ يَا رَبِّ أَذَكَرٌ أَمْ أُنْثَى فَيَقْضِي رَبُّكَ مَا شَاءَ وَيَكْتُبُ الْمَلَكُ ثُمَّ يَقُولُ يَا رَبِّ أَجَلُهُ فَيَقُولُ رَبُّكَ مَا شَاءَ وَيَكْتُبُ الْمَلَكُ ثُمَّ يَقُولُ يَا رَبِّ رِزْقُهُ فَيَقْضِي رَبُّكَ مَا شَاءَ وَيَكْتُبُ الْمَلَكُ ثُمَّ يَخْرُجُ الْمَلَكُ بِالصَّحِيفَةِ فِي يَدِهِ فَلَا يَزِيدُ عَلَى مَا أُمِرَ وَلَا يَنْقُصُ.

Wenn nach der Nutfah 42 Nächte vergangen sind, schickt Allaah zu ihr einen Engel, der ihr die Gestalt gibt und ihr Gehör, ihr Sehen, ihre Haut, ihr Fleisch und ihre Knochen bildet. Dann fragt er: “Herr! Männlich oder weiblich?” Dann bestimmt dein Herr, was Er will, und der Engel schreibt es nieder. Dann fragt er: “Herr! Seine Lebenszeit?” Dann sagt dein Herr, was Er will, und der Engel schreibt es nieder. Dann fragt er: “Herr! Das ihm Zugeteilte (Rizq)?” Dann bestimmt dein Herr, was Er will, und der Engel schreibt es nieder. Dann geht der Engel mit dem Blatt in seiner Hand heraus, ohne dass er etwas von dem vermehrt oder vermindert, was ihm geboten wurde. (M)

Dieser Hadiith bestätigt unmissverständlich die Aussage des vorherigen Hadiith, dass die Stadien Nutfah‚ ‘Alaqah und Mudghah innerhalb von 40 bzw. 42 Tagen stattfinden. Zu dieser Schlussfolgerung kamen selbst damals schon einige Gelehrte wie z. B. der schaafi’iitische Imaam Ibnul-zamalkaani 10.

Dieses Verständnis deckt sich mit den modernen wissenschaftlich nachgewiesenen Erkenntnissen der Embryologie 11, die Folgendes belegen:

 

Fazit:

Aufgrund fehlender technischer Möglichkeiten zur Beobachtung der Embryonalentwicklung für ein adäquates Verständnis der Hadiithe haben sich die früheren Fiqh-Gelehrten nur auf die ihnen damals mögliche theoretische Interpretation der Sunnah-Texte verlassen. Die Mehrheit von ihnen vertrat deshalb eine Ansicht, welche die moderne Wissen-schaft verwirft.
So darf heute nur eine Ansicht vertreten werden, die sich mit den bewiesenen wissenschaftlichen Kenntnissen deckt und muss zudem berücksichtigen, dass das Stadium der Mudghah mit dem 40. Tag endet.
Nach den Quraan- und Sunnah-Texten beginnt die Beseelung ab dem 40. Tag. Deshalb kann die Abtreibung ab diesem Tag, wie nach den Maalikiten bereits früher schon festgelegt, nur als Haraam- also als Darf-Nicht-Handlung eingestuft werden.
In der Regel wird eine Schwangerschaft erst aufgrund des Ausbleibens der Periode, ca. 3 bis 4 Wochen nach der Befruchtung festgestellt und somit kann die Frage nach einer Abtreibung erst nach dieser Frist aufkommen. Zu diesem Zeitpunkt (ab der 4. Woche) ist die Entwicklung des Embryos jedoch schon weit fortgeschritten (s. Tabelle oben). Am 21. Tag nach der Befruchtung beginnt das Herz des Embryos zu schlagen und er befindet sich bereits im Stadium der Mudghah, in der seine menschliche Gestalt eindeutig erkennbar wird. Er ist nun ein Mensch und somit schutzwürdig und darf weder getötet noch abgetrieben werden. Dieses Tötungsverbot gilt unabhängig davon, ob seine Beseelung direkt nach dem 40. Tag beginnt oder sich erst später ereignet.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist immer dann zulässig, wenn bei Aus-tragung des Kindes medizinisch begründete Gefahr für das Leben der Mutter besteht. Dann gilt Schutz des bestehenden Lebens vor dem Schutz des werdenden Lebens.

Bedingungen zur Zahlung der Ghurrah

Die Zahlung einer Ghurrah wird festgesetzt, wenn eine Abtreibung künstlich bzw. von außen herbeigeführt wird, unabhängig vom Geschlecht des Kindes und unabhängig davon, ob der Embryo bzw. Fötus lebend oder tot von seiner Mutter entfernt wird, wenn folgende Umstände für das Vergehen vorliegen:

  • Die Abtreibung muss mit Mitteln erfolgen, die erfahrungsgemäß die Trennung des Embryos bzw. Föten von seiner Mutter herbeiführen. Dabei ist es unwesentlich, ob die Abtreibung durch die Mutter oder eine andere Person herbeigeführt wurde.
    Die Abtreibung kann nach einer Gewalttat, nach Anwendung von dafür geeigneten Medikamenten und als Reaktion auf eine emotionale Stress-situation erfolgen. ‘Umar Bnul-chattaab (radial-laahu ‘anh) bestellte in seiner Amtszeit als Chaliifah eine Frau zu sich. Diese Frau empfand große Angst vor dem Gespräch und erlitt danach eine Fehlgeburt. ‘Umars Berater stellten kein Vergehen von seiner Seite fest. Doch ‘Aliy (radial-laahu ‘anh) bemerkte, dass die Frau sehr große Angst vor ‘Umar bekam und deshalb die Fehlgeburt erlitten hat. ‘Umar erkannte diese Feststellung von ‘Aliy an und entrichtete die Ghurrah.
  • Die Trennung des Embryos bzw. Fötus von der Mutter muss unmittelbar durch die dafür geeignete Handlung verursacht sein. Heutzutage kann durch ärztliche Untersuchungen festgestellt werden, ob der Schwangerschaftsabbruch durch eine Gewalttat oder als Folge eines Abtreibungsversuches erfolgte. Der Tatbestand einer Abtreibung kann jedoch nur dann anerkannt werden, wenn Eindeutigkeit über die Existenz einer Schwangerschaft oder die Tötung eines Embryos bzw. Föten durch den Täter/die Täterin besteht.
  • Für den Tatbestand einer Abtreibung muss das Kind tot aus dem Mutterleib entfernt werden. Wenn das Kind nach der Trennung noch lebt und erst außerhalb des Mutterleibes verstirbt, muss keine Ghurrah entrichtet werden. Kann aber rechtsmedizinisch festgestellt werden, dass das Kind an den Folgen eines Abtreibungsversuches verstorben ist, dann muss die Ghurrah aufgrund dieses Vergehens geleistet werden.
    Als unwesentlich gilt außerdem bei allen Fiqh-Schulen, mit Ausnahme der hanafiitischen Schule, ob die Abtreibung von einer lebenden oder toten Mutter erfolgte. In beiden Fällen steht die Verantwortung des Täters fest. Die hanafiitische Lehrmeinung vertritt die Auffassung, dass eine Verantwortung des Täters/der Täterin für das Vergehen nur in dem Fall vorliegt, wenn der Embryo bzw. Fötus sich von einer noch leben-den Mutter trennt. Wenn er hingegen nach dem Tod der Mutter abgeht, dann bewerten sie ihren Tod als seine Todesursache, weil er Teil ihres Körpers ist.
  • Das Abgetriebene muss als menschliche Gestalt erkennbar sein.
    Hierbei müssen zwei kompetente Ärzte bestätigen, dass ein Teil des Abgetriebenen als menschliches Wesen erkennbar war. Das bedeutet, dass das Abgetriebene mindestens das Stadium der Mudghah durch-laufen hat.
    Bei einer noch unreiferen Existenzstufe, in der die Gestalt des menschlichen Wesens nicht erkennbar ist, steht die Verantwortung des Täters nicht fest. Diese Lehrmeinung vertreten alle mit Ausnahme von Imaam Maalik. Für ihn ergibt sich die Verantwortung des Täters bei der Entfernung dessen, was als Leibesfrucht erkannt wird, gleichgültig, ob es die volle menschliche Gestalt angenommen hat, ob es ein Blutklumpen, ein Embryo oder ein Fötus gewesen ist.
  • Mindestens ein Elternteil des Abgetriebenen muss Muslim sein.

Zahlungspflichtige der Ghurrah

Die Zahlung einer Ghurrah ist fällig, unabhängig davon, ob die Abtreibung beabsichtigt war oder nicht. Dabei ist es auch unwesentlich, ob der Schwangerschaftsabbruch von Seiten der Mutter oder durch eine andere fremde Person erfolgte.
Der Gegenwert der Ghurrah ist aus dem Vermögen der männlichen Verwandtschaft (al-‘aaqilah العاقلة) des Täters/ der Täterin, wie bei der Tötung ohne Vorsatz, zu entrichten.
Gemäß der prophetischen Praxis werden sie alle für dieses Vergehen haftbar gemacht, da hier eine volle Absicht des Täters/der Täterin nicht sicher vorausgesetzt werden kann.
Nur die Hanbaliten differenzieren in dieser Frage und legen die Absicht für das Vergehen für die Zahlung der Ghurrah zugrunde. Erfolgte die Abtreibung aus einem Irrtum oder Fehler heraus, obliegt der männlichen Verwandtschaft die Zahlung der Ghurrah, wurde die Abtreibung absichtlich herbeigeführt, haftet der Täter/die Täterin persönlich.
Die Maalikiten verpflichten nur den Täter/die Täterin zur Zahlung der Ghurrah unabhängig von der Absicht.

Anspruch auf die Ghurrah

Die Ghurrah zählt zum Eigentum und zur Erbmasse des Embryos bzw. Föten. Dementsprechend wird er durch seine erbberechtigten Hinterbliebenen beerbt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Täter/die Täterin gemäß den Erbschaftsregeln erbunwürdig ist.
Wenn z. B. der Embryo bzw. der Fötus seine Mutter als Täterin hinterlässt, dann wird sie von der Erbschaft nach allen Fiqh-Schulen total präkludiert.

Die Kaffaarah bei Abtreibung

Die Verpflichtung zur Leistung einer Kaffaarah wird grundsätzlich als Sühne für ein Fehlverhalten bzw. Vergehen vor dem Schöpfer bewertet. Manche Vergehen müssen nur gegenüber der Gesellschaft, manche nur gegenüber dem Schöpfer und manche müssen, wie im Falle der Abtreib-ung, sowohl gegenüber der Gesellschaft, als auch gegenüber dem Schöpfer gesühnt werden.
Die Zahlung der Ghurrah tilgt nur die Schuld des Täters/der Täterin gegenüber der Gesellschaft. Die Schuld gegenüber Allaah (ta’aala) bleibt davon unberührt. Sie muss weiterhin gesühnt werden, da ein Menschenleben vernichtet wurde.
Die Kaffaarah für Abtreibung bzw. für die Tötung eines Embryos bzw. Föten entspricht der Kaffaarah bei Mord oder Totschlag. In der heutigen Zeit also in Form des ununterbrochenen zweimonatigen rituellen Fastens und nur bei Unvermögen die Speisung von 60 Armen.
Diese Kaffaarah wird dem Täter/der Täterin neben der Zahlung einer Ghurrah nach den Schaafi’iten und Hanbaliten zusätzlich auferlegt.
Nach der Hanafiitischen Schule wird der Täter/die Täterin nur dann zur Kaffaarah verpflichtet, wenn der Embryo bzw. Fötus lebend abgetrieben wurde und an den Folgen des Eingriffes verstirbt. In dem Fall, dass der Embryo bzw. Fötus tot abgetrieben wird, stuft sie die zu leistende Kaffaarah als eine Soll- also Sunnah-Handlung ein.
Die Maalikiten empfehlen die Kaffaarah, aber schreiben sie nicht vor.

 

Notes:

  1. Materielle Ersatzleistung für Verletzung oder Tötung. Sie entspricht laut den Hadiithen für die Tötung ohne Vorsatz dem Wert von 100 Kamelen, ca. 100.000 €.
  2. Quraan (32:7-8)
  3. Quraan (86:5-7)
  4. Quraan (76:2)
  5. Quraan (22:5)
  6. Quraan (23:14)
  7. Nutfah wird verwendet für das Sperma und auch für die Eizelle. Als der Gesandte (sallal-laahu ’alaihi wa sallam) gefragt wurde, ob der Embryo aus der weiblichen oder aus der männlichen Flüssigkeit erschaffen wird, sagte er: „‏ ‏نُطْفَةِ ‏ ‏الْمَرْأَة مِنْ ‏ ‏نُطْفَةِ ‏ ‏الرَّجُلِ وَمِنْ ِ مِنْ كُلٍّ يُخْلَقُ, von beiden, er wird aus der Nutfah des Mannes und der Nutfah der Frau erschaffen.“ (AH)
  8. ’Alaqah علقة ist abgeleitet aus ’alaqa علق und bedeutet „das sich Anklammernde bzw. Ein­nistende, das Blut, der Blutklumpen und das intensiv Rote“, auch „ein blutsaugender Wurm“.
  9. Mudghah ist eine kleine gekaute Fleisch­masse.
  10. Imaam Muhammad Bnu-’aliy Bnul-zamalkaani (667/1269 – 727/1327).
  11. Siehe dazu Dr. ’Abdul-dschawaad As-saawiالصاوي , „die Embryonalphasen und die Beseelung“, http://www.nooran.org/O/8/8(1).pdf