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Safawiden (1501-1732): Die Schii’ah als Staatsreligion


Die Mongoleninvasion hatte verheerende Auswirkungen auch auf das Islamverständnis. Sicher gab es Aberglaube, Verehrung angeblicher Wundertäter, Pilgerzüge zu obskuren Gräbern, Vertrauen auf Amulette schon vorher. Durch eine gebildete Schicht von Gelehrten konnten solche Phänomene jedoch soweit in Zaum gehalten werden, dass sie nicht das Islamverständnis insgesamt betrafen. Mit der Zerstörung der Bildungsinstitutionen, dem Rückgang der städtischen Zivilisation und der Ausbreitung der nomadischen Lebensweise nahm dieser Volksislam jedoch überhand. Viele der Sufi-Orden lösten sich in dieser Zeit von hochgeistigen Ansprüchen und entwickelten sich zu volksnahen Bewegungen, die mit der Zunahme wirtschaftlicher Macht (durch Spenden und Stiftungen) immer mehr den Charakter von militärisch-politischen Organisationen entwickelten.

Das augenfälligste Beispiel hierfür ist der Orden der Safawiyyah. Zurückgehend auf den 1334 gestorbenen Schaich Safiyud-diin von Ardebil (Nordiran; zwischen Täbriz und dem Kaspischen Meer), bildete dieser Orden einen Anziehungspunkt und ein Refugium für die Turkmenenstämme Aserbaidschans. In der Frühzeit war der Orden eindeutig sunnitisch, entwickelte aber über die nächsten Generationen immer stärker schiitische Züge. Der Einfluss des Ordens strahlte bis zu den Turkmenen-Stämmen Ostanatoliens, was später die großen Kriege zwischen dem Iran und dem Osmanischen Reich im 16. Jahrhundert auslösen sollte.

Praxis und Islamverständnis der Turkmenen-Stämme waren in dieser Zeit selbstverständlich höchst rudimentär. Ein Grund ist, dass die Islamisierung sich oft von der Spitze ausgehend auf ganze Stämme erstreckt hatte. Wenn das Stammesoberhaupt (ob ehrlich oder opportunistisch sei dahingestellt) es für passend hielt, eine neue Religion anzunehmen, folgte ihm darin der ganze Stamm, ohne dass man von einer gewissenhaften und von Überzeugung genährten Übernahme der neu erkannten Wahrheiten ausgehen muss. Je umfassender und schneller ein solcher kollektiver Islam-Übertritt erfolgte, desto weniger konnte auf eine Tiefe des Bekenntnisses eingegangen werden. Da die neuen Muslime ohne systematische Unterweisung blieben und ohnehin im Stammesverband weiterlebten, kam es in solchen Konstellationen häufig vor, dass Vorislamisches und Islamisches eine stabile Synthese eingingen und diese synkretistische Religion über Generationen weitertradiert wurde. Eine Vertiefung des Islamverständnisses kam normalerweise erst dort vor, wo sich Nomaden in kleineren Verbänden niederließen und nun im Umfeld von Städten einen Kulturwandel durchliefen. Wo es jedoch nicht zu einer solchen Sesshaftwerdung kam, ist es zu erwarten, dass grundlegende islamische Pflichten, wie das rituelle Gebet, rituelle Waschungen oder gar Erb- und Familienrecht unbekannt blieben. Dies gilt für das Nomadenmilieu teilweise bis heute.

Vor diesem Hintergrund braucht es nicht zu verwundern, dass im real gelebten iranischen Volksislam des 13. bis 15. Jh. die Unterschiede zwischen sunnitischem und schiitischem Islam synkretistisch verwoben wurden und einer ständigen Fluktuation unterlagen. Religiöse Führer benutzten die Mahdi-Erwartung, die behauptete Abstammung aus der Prophetenfamilie (Ahlul-bait) – Ideen aus der Zwölfer-Schii’ah -, vermischt mit halbmagischen Vorstellungen der Übertragung von Segenskraft über eine Abfolge angeblicher spiritueller Führer (aus dem Sufismus), um die orientier-ungslosen Massen zu kontrollieren.

Als Erklärung dafür, dass sich die Turkmenen so enthusiastisch dem immer militärischer auftretenden Safawiden-Orden zuwandten, wird die Bemühung der osmanischen Herrscher herangezogen, im Osten Anatoliens die bis dahin de facto unabhängigen Stämme in ihr Herrschaftssystem einzugliedern. Praktisch bedeutete dies: Steuern bezahlen und der regulären Armee Soldaten zu stellen, wogegen sich Widerstand regte. Seit dem Ordensführer Haydar (gest. 1488) wird die schiitische Ausrichtung immer deutlicher.

Aufgrund eines angeblichen Traumes, in dem er ‘Aliy (radial-laahu ‘anh) gesehen haben will, führte er als Erkennungszeichen eine rote Kopfbedeckung mit 12 Ausstülpungen ein. Diese wurden als Symbole für die 12 Imaame der Schii’ah gedeutet. Die Anhänger erhalten nun ihren Namen Kizilbasch (Kızılbaş, “Rotköpfe”), was bis heute eine Bezeichnung für die anatolischen Aleviten geblieben ist.

200 Jahre nach ihrer Gründung war die Transformation des Safawiden-Ordens abgeschlossen. Mit dem jugendlichen Anführer Ismaa’iil (1487-1524) eroberte der Orden, gestützt auf straff organisierte Turkmenen-Verbände, Täbriz und gründet einen Staat – seit langem wieder das erste stabile Staatswesen auf iranischem Boden. Schaah Ismaa’iil war zu diesem Zeitpunkt nur 14 Jahre alt und musste mit gewaltigem Charisma auf seine Anhänger gewirkt haben. Seine eigenen Anschauungen waren eindeutig heterodox mit extrem-schiitischen Neigungen, wie sie in den sog. Ghulat-Sekten der Schii’ah über Jahrhunderte kultiviert worden waren und auch aus der Sicht eines heutigen 12er Schiiten eindeutig die Grenzen der islamischen ‘Aqiidah überschreiten. Seine Gedankenwelt kann aus seinem turkmenisch-aserbaidschanisch verfassten Diwaan, der vom heutigen Türkei-Türkisch ausgehend in weiten Teilen verständlich ist, erschlossen werden.

Diese Form von schwärmerischer Religiosität und das überbordende Selbstbewusstsein des jungen Ismaa’iil hatten zusammengewirkt, um eine neue Staatsgründung zu initiieren. Hingegen schien es nicht möglich, auf dieser Form von unorganisiertem Charisma einen funktionierenden Staat dauerhaft am Leben zu erhalten. Es braucht daher nicht zu verwundern, dass Schaah Ismaa’iil einmal an der Macht sich bemühte, ein geregeltes religiöses Leben zu organisieren, das berechenbar war und ihm die nötige gesellschaftliche Stabilität garantieren konnte. Der sunnitische Islam kam für ihn nicht in Frage, um sein Projekt eines eigenständigen Iran verwirklichen zu können.

Er wählte die Zwölfer-Schii’ah, auch wenn seine eigenen religiösen Anschauungen von dieser völlig abwichen – soweit man dies aufgrund seiner eigenen Werke beurteilen kann. Bis dahin war die Zwölfer-Schii’ah im Iran stets eine Minderheit gewesen: Seit alters her war sie beheimatet vor allem in Qum, durch das Grabmal von Ma’sumah, der Schwester des 6. Imaam, Dsch’far Assaadiq, ein wichtiger schiitischer Wallfahrtsort und u.a. in Rey (heute Vorort von Teheran). Um die nötige religiöse Infrastruktur aufzubauen, lud der Safawiden-Staat daher zwölferschiitische Gelehrte aus den Nachbarländern ins Land: Aus Bahrain, dem Südirak und dem südlichen Libanon. Dementsprechend nahm die volkstümliche Form von Kizilbasch-Schii’ah ab und die sufischen Wurzeln der Bewegung gerieten in Vergessenheit. 1

Gleichzeitig wurden sunnitische Gelehrte verfolgt, getötet, vertrieben, ihre Lehranstalten geschlossen, Bücher vernichtet und die Verfluchung der drei ersten Nachfolger des Propheten öffentlich durchgesetzt, um bei der sunnitischen Bevölkerung das Bekenntnis zur Zwölfer-Schii’ah zu erzwingen. Dieser Prozess zog sich bis zum Ende der Safawiden-Zeit (1722) hin. Seit diesem Zeitpunkt beschränkt sich das Sunnitentum lediglich auf Minderheiten in den geographischen Randzonen:

  • Westen/Nordwesten: Die kurdische Bevölkerung in den Grenzgebieten zur Türkei und zum Irak ist überwiegend schafiitisch (Schaafi’iyyah). Schiitische Minderheiten unter ihnen existieren im Iran; die Ahl-e Haqq um Kermanschaah (Iran) und Lorestan gehören einer extremen Ghulat-Strömung an, welche ‘Aliy (radial-laahu ‘anh) als göttlich verehrt. Insgesamt machen die Kurden ca. 7% aus. Die mit den Kurden verwandten Luren um Khorramabad im Westiran sind schiitisch.
  • Südosten: Die Belutschen an der pakistanischen Grenze sind Hanafiten.
  • Nordosten: Die Turkmenen an der Grenze zur Republik Turkmenistan sind ebenfalls Hanafiten.
  • Süden: An der Küste des Persischen Golfs findet sich in der Gegend um Bandar Abbas eine persischsprachige sunnitische Minderheit.

Die zahlenmäßig bedeutenderen Ethnien im Iran sind schiitisch:

  • Mit 50-60 % die eigentlichen Perser,
  • An zweiter Stelle die turksprachigen Aserbaidschaner um Täbriz, Zandschan und Ardebil, dem eigentlichen Herkunftsgebiet der Safawiden. Insgesamt ca. 20-25%. Da es sich bei Aserbaidschan um eine wirtschaftlich und kulturell wichtige Region handelt, ist der Einfluss der Aserbaidschaner seit jeher eher überdurchschnittlich; wichtige religiöse und politische Autoritäten des Landes sind Aseris. Durch die starke gesellschaftliche Integration der Aserbaidschaner sind separatistische Neigungen eher gering. 2
  • Die arabische Bevölkerung in Chuzestan ist schiitisch, ebenso wie eine Reihe von kleineren Turkvölkern und Nomadenstämmen im Landesinneren.

Konflikt Safawiden – Osmanen

Besonders stark war die Sogwirkung der safawidischen Bewegung auf die Turkmenen-Stämme Ostanatoliens in den Krisenzeiten des 15. Jhs. Der Einfluss reichte bis nach Erzincan. Um diese Gebiete entflammten auch die Kriege zwischen Osmanen und safawidischem Iran, die im 16. Jh. ihren Höhepunkt fanden.

In der Schlacht von Tschaldiran (Grenzgebiet Ostanatolien/Iran) wurde 1514 das iranische Heer durch Sultaan Selim I. (reg. 1512-20) vernichtend geschlagen. Mesopotamien fiel endgültig an das Osmanische Reich; diese konnten jedoch ihrerseits das kurzzeitig eroberte Aserbaidschan nicht halten.

An den nordöstlichen Grenzen des Reiches kam es zu wiederholten Kämpfen mit den Usbeken, welche zeitweise Chorasan (Churaasaan) besetzt hielten. In den folgenden Jahren konnte sich zwar das Safawiden-Reich durch eine verspätete Militärreform und den Einsatz moderner Waffen von seinen Niederlagen erholen und den Zusammenbruch verhindern, zu einer nennenswerten Expansion kam es jedoch nie wieder. Der Konflikt mit dem Osmanischen Reich brachte zwei wichtige Resultate: Die Konsolidierung der a) geistig-kulturellen und b) der geographischen Grenzen.

Auf der einen Seite kam es zur Verhärtung der konfessionellen Unterschiede. Je mehr das Safawiden-Reich die Zwölfer-Schii’ah zur Staatsreligion ausbaute, desto mehr besann sich das Osmanische Reich auf das Sunnitische und schwang sich zum Hüter des sunnitischen Islams auf. Bewegungen, die sich um eine Annäherung der beiden Richtungen bemühten, wie es im 18. Jahrhundert geschah, gerieten mit dieser Frontstellung und den damit verbundenen Interessen in Konflikt.

Als zweites Resultat etablierte sich eine stabile geographische Grenze, welche im Frieden von Qasr-e Schirin 1639 festgelegt wurde. Diese hat sich bis heute kaum verändert und gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen der Iran seine politische Identität herausbildete.

Aleviten als volkstümliche Schii’ah

Mit den Siegen der Osmanen über die Safawiden kam es zu Massakern an den Anhängern Schaah Ismaa’iils, den turkmenischen Kizilbasch. Andere wurden vertrieben und verstreuten sich in Anatolien. Vor allem isolierte Gegenden wie das Taurus-Gebirge wurden gewählt, jedoch finden sich große Gemeinschaften bis in die Westtürkei. Auf diese Weise wurde der Grundstein für die Ausformung dessen gelegt, was als anatolisches Alevitentum heute eher eine eigenständige Religion als eine schiitische Gruppierung darstellt. Während diejenigen der Kizilbasch, welche im Herrschaftsgebiet der Safawiden verblieben waren, ohne größere Konflikte von der unorganisierten Volksfrömmigkeit der Frühzeit in die nunmehr offizielle Lehre der Zwölfer-Schii’ah hineinwuchsen, blieb dieser Weg den auf anatolischem Boden verbliebenen Kizilbasch versperrt: Von der Weiterentwicklung ihrer Stammesgenossen waren sie abgeschnitten. Geblieben sind die Erfahrungen an die (aus ihrer eigenen Sicht natürlich völlig schuldlos erlittenen) Verfolgungen durch die siegreichen osmanischen Sultaane. Wo sie in ihrer neuen Umgebung mit Sunniten zusammenkamen, stießen sie auf Vorurteile und Stigmatisierung. Dies verstärkte den Hang zur selbstgewählten Isolation. In Rückzugsgebieten entstand daher eine Religion, die maßgeblich das Anderssein kultiviert: Da Sunniten als Verfechter von äußeren Regeln und rituellen Gebeten gesehen werden, grenzte man sich bewusst ab, indem man die eigene Religiosität in die Innerlichkeit übertrug. Die sunnitische Umgebung reagierte entsprechend mit weiterer Abschottung, die oft in regelrechten Rassismus mündete. Durch den Vorwurf, Aleviten betrieben in ihren religiösen Zusammenkünften den Ritus des “Kerzenverlöschens” (mum söndürme), also ungeregelte geschlechtliche Beziehungen zwischen allen Beteiligten, wurde der religiös Andersartige entmenschlicht.

Das heutige Alevitentum ist ein komplexes Phänomen, welches ethnische und religiöse Dimensionen umfasst und in einem raschen Wandel begriffen ist. Das Alevitentum 3 in einer genauen katechismusartigen Auflistung zu erfassen, ist nicht möglich und zielt an seinem eigensten Wesen vorbei. Zielführender scheint es zu sein, bestimmte Charakteristika und Tendenzen zu beschreiben:

  • Teilweise ist das Alevitentum eine Ethnie, eine volksähnliche Gemeinschaft, die durch die gemeinsame Erinnerung an – tatsächliches oder fiktives – geschichtliches Leid zusammengehalten wird. Mit der Säkularisierung der Türkei fühlte sich daher ein großer Teil der städtischen Aleviten ab den 60er Jahren von linken bis linksextremen Ideologien angesprochen. Das Selbstbild, aus den “unterdrückten und marginalisierten Volksmassen” zu stammen, mag zu dieser Rezeption beigetragen haben. Zur gleichen Zeit wandten sich viele Menschen sunnitischer Herkunft autoritären, nationalistischen und gar rechtsextremen Gruppen zu. Die alte Frontstellung Sunniten vs. Aleviten wurde durch das Rechts-Links-Schema der modernen säkularisierten Ideologien ersetzt. In den 70er Jahren führte dies zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen und dem Militärputsch von 1980.
  • Andererseits enthält das Alevitentum Gedanken mit sufischem Hintergrund; vor allem aus solchen Richtungen, welche die inneren Erfahrungen (Gottesliebe, Erkenntnis …) über das Festhalten an der Scharii’ah, als göttlich gegebenes Normensystem, stellen oder die Scharii’ah sogar insgesamt als “überholt” und “aufgehoben” (!) darstellen wollen. Daher gibt es auch die Tradition, das Alevitentum in Zusammenhang mit dem schiitischen Orden der Bektaschis zu sehen, welcher solche Neigungen systematisiert hatte. Erstaunlicherweise genoss dieser städtische Orden im Osmanischen Reich fast durchweg eine gewisse Anerkennung – wenn auch nicht von den Gelehrten. Pragmatisch hatte der Osmanische Staat die Erziehung der Elitetruppe des Janitscharen-Korps (bis zur ihrer Zerschlagung 1826) in die Verantwortung der Bektaschis gelegt. Daher wird von manchen Gruppen mittlerweile selber als Eigenbezeichnung der Doppelbegriff “Aleviten-Bektaschiten” verwendet.
  • In gewisser Weise stellt das Alevitentum eine volkstümlich verfremdete Form der Schii’ah dar. Besonders zeigt sich dies an der religiösen Übersteigerung der politischen Konflikte der Frühzeit (‘Aliy vs. Mu’aawiyah, Ermordung Husains in Karbala) und deren Übertragung auf die eigene Geschichte (Schaah Ismaa’iil als Heilsbringer vs. die osmanischen Sultaane). Die Lehre jedoch, welche von den für alle Muslime vorbildlichen Imaamen der Prophetenfamilie verkündet wurde, scheint sie inhaltlich kaum zu interessieren. Damit werden Personen von ihrer eigentlichen Vorbildlichkeit in quasi-göttliche Personen und Symbole ohne jeglichen Realitätsbezug transformiert.
  • Gleichzeitig enthält das anatolische Alevitentum Anklänge an vorislamisches Glaubensgut (Naturverehrung, “Heilige Plätze”) und stellt sich selber gerne als “türkische” Alternative zur “volksfremden arabischen Gelehrsamkeit” da. Die Osmanen erscheinen vor allem in der modernen alevitischen Deutung als Verräter am eigenen Volk, weil sie die arabisch-persische Kultur fraglos übernommen hätten. Im modernen nationalistischen Diskurs der Türkei erweisen sich solche Argumente als gesellschaftlich äußerst wirksame Methode, den scharii’ah-zentrierten Islam als etwas Volksfremdes stigmatisieren zu können.

Untergang der Safawiden

Das Ende der Safawiden-Dynastie brachte eine Invasion der Afghanen 1722. Es kam jedoch nicht zu einer dauerhaften Besetzung des Landes. Nader Schaah (reg. 1736-47), aus dem Turkmenen-Stamm der Afschar, einte das Land unter einer neuen Führung. Das Zentrum verlagerte sich von Isfahan (in der Blütezeit die Hauptstadt der Safawiden) in das nordöstliche Chorasan. In seiner Zeit spielte sich ein interessanter Versuch ab, den Konflikt zwischen Schii’ah und Ahlus-sunnah beizulegen. Nader Schaah schlug vor, die Schii’ah als fünfte Fiqh-Schule (“Dscha’fariyyah” in Anlehnung an den 6. Imaam Dscha’far Assaadiq) gleichberechtigt neben die vier sunnitischen Schulen treten zu lassen. Damit wäre die Schii’ah auf ihre Dimension als Fiqh-Schule reduziert worden und die prinzipielle Einheit der Ummah wieder in erreichbare Nähe gerückt. Das eigentliche Trennende hätte damit in den Hintergrund treten können. Denn dies zeigt sich insbesondere in der Auffassung über die Frühgeschichte des Islam, vor allem die Behauptung, die Sahaabah hätten wider besseren Wissens ‘Aliy (radial-laahu ‘anh) von dem ihm göttlich gewährten Recht auf die Chilaafah ausgeschlossen.

Dieser Versöhnungsversuch stieß jedoch auf Widerstand der zwölfer-schiitischen Gelehrten im eigenen Land (und wurde auch auf osmanischer Seite nur misstrauisch beäugt) und mag maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Nader Schaah 1747 schließlich gestürzt und ermordet wurde. Nach zahlreichen Wirren und dem Zerfall in Kleinstaaten, gelang es in der Folge zum ersten Mal seit 700 Jahren einer iranisch-stämmigen Dynastie, den nomadischen Zand aus dem südlichen Schiraz, die Herrschaft zu erringen. Diese Epoche dauerte jedoch nicht lange (1751-94) und beschränkte sich nur auf Teile des Landes (vor allem die Provinz Fars um Schiraz).

Notes:

  1. In den kommenden Jahrhunderten wurden Sufi-Orden als unwillkommene Konkurrenten zum schiit­ischen Gelehrtenstand auch verdrängt. Durch den bei ihnen oft behaupteten direkten Zugang zur relig­iösen Wahrheit (Extase, Dhikr-Sitzungen, Inspiration des Schaichs) stellen sie das Monopol der Schii’ah-Gelehrten, welche sich als kollektive Vertreter des Verborgenen Imaam ansahen, in Frage.
  2. Aserbaidschaner leben auch in der sich nördlich an den Iran anschließenden Republik Aserbaidschan, einer ehemaligen Sowjetrepublik. Dort machen Schiiten schätzungsweise über 80% aus, eine Minder-heit sind Sunniten. Hauptstadt ist Baku. Da dieses Gebiet seit dem 19. Jh. unter russischer Herrschaft steht, kam es hier zum Kontakt mit europäischem Gedankengut, noch bevor sich dieses auf die islamische Welt ausbreitete. In Aserbaidschan (sowie unter den um Kasan lebenden Tataren) kam es zu den ersten nationalistischen und pantürkischen Bewegungen, teilweise unter Ablehnung des Islams teilweise mit der Forderung, den Islam an die nationalen Gegebenheiten anzupassen. Dies und die folgende Zeit der kommunistischen Umerziehung haben in Aserbaidschan ein starkes antiiranisches Nationalgefühl hervorgebracht. Die Unterschiede zwischen Schiiten und Sunniten werden dement­sprechend stark nivelliert.
  3. Mit Aleviten/Kizilbasch sind die turksprachlichen oder kurdischen Aleviten Anatoliens gemeint. Den gleichen Namen (meist in der arab. Schreibung „Alawiten“) trägt auch die Gruppe der syrischen Nusairier, welche ebenfalls in der Südtürkei (Iskenderun, Antakya, Mersin) unter der dort arabisch-stämmigen Bevölkerung verbreitet ist. Sie stammt jedoch aus einem völlig anderen geistesgeschicht­lichen Hintergrund und ist wesentlich älter. Auch in der Türkei werden beide unter dem Namen „Alevi“ häufig verwechselt – selbst von den Anhängern dieser Gruppe! Da vor allem die Nusairier eine Geheimreligion darstellen, deren Lehren in den Dörfern nur Eingeweihten ab einem bestimmten Alter weitergegeben werden, ist die Unkenntnis über die eigenen Anschauungen der Normalfall – noch verstärkt durch Säkularisierung und Auswanderung in die Großstädte, wo es praktisch keine Möglich­keiten der Auseinandersetzung mit dem eigenen Erbe gibt.