.
.

.

Kadscharen bzw. Qadscharen (1779-1925)


Nach erneuten Thronwirren übernahm wieder eine turkstämmige Herrscherfamilie, die Kadscharen, die Macht. Sie führten das Land durch die schwierige Zeit des Kolonialismus. Die Großmächte, allen voran das benachbarte Russland und Großbritannien, stritten verstärkt um Einfluss im Iran. Jedoch gehörte der Iran (u. a. neben Türkei, Afghanistan, Jemen) zu den wenigen Gebieten der islamischen Welt, die einer direkten Kolonialherrschaft der europäischen Mächte entgingen.

Zum wiederholten Mal wechselte auch die Hauptstadt: Das damals unbedeutende Städtchen Teheran, in Nachbarschaft des ursprünglich weitaus berühmteren Rey 1, wurde zur Hauptstadt. Innenpolitisch ist die Lage Irans im 19. Jh. von den gleichen Konflikten gekennzeichnet wie das Osmanische Reich: Sind Reformen nötig? Wenn ja, in welchen Bereichen? Reicht es die Armee zu modernisieren oder braucht es tiefergehendere gesellschaftliche Umwälzungen, um das eigene Land auch wirtschaftlich autark zu machen? Wie hat sich die Rolle der Gelehrten zu gestalten?

Die zunehmende Verwestlichung der Oberschicht, die Bereitschaft zu bedenkenloser Verschleuderung der Bodenschätze durch Konzessionsvergabe an die Westmächte und die wachsende Verschuldung gingen auch an der schiitischen Gelehrsamkeit nicht spurlos vorüber. Innerhalb der 12er-schiitischen Gelehrtenschicht gab es seit der Frühzeit unterschiedliche Haltungen zum Thema Politik. Die meiste Zeit war die sog. quietistische Richtung vorherrschend, die davon ausging, dass seit der Abwesenheit des 12. Imaam (Beginn der “Großen Verborgenheit” 941), eine gerechte Herrschaft gar nicht möglich und auch gar nicht anzustreben sei. Vollständige Gerechtigkeit könne erst mit der Rückkehr des Imaam als Mahdi verwirklicht werden. Bis dahin hätten sich die Gelehrten von allzu engen Bindungen an die Machthaber zu hüten und nur die korrekte Lehre weiterzugeben. Viele Gelehrte gingen auch davon aus, dass in der Zeit des “Wartens” zentrale Bestandteile des Islams, wie das Freitagsgebet, gar keine Pflicht seien.

Ende des 19. Jhs. zeigten sich erste Anzeichen eines zunehmenden politischen Aktivismus unter den Gelehrten. Der deutlichste Beleg hierfür ist die Fatwa des Mirza Hasan Schirazi gegen das Tabakrauchen. Auslöser war, dass die Regierung einem britischen Konsortium das Monopol über Tabak-Produktion und Vertrieb im Iran gewährt hatte.

In der Fatwa von 1891 wurde zur Erreichung eines vollständigen Tabakboykotts das Rauchen verboten. Der Boykott wurde so gewissenhaft befolgt, dass die Konzession zurückgenommen werden musste. In der Rückschau ist dies das erste Anzeichen einer erfolgreichen Mobilisierung der Massen durch die Führung der Gelehrten, wie es in den 70er/80er Jahren des 20. Jhs. seinen Höhepunkt in der Islamischen Revolution fand.

Auch in der Verfassungsbewegung von 1906 spielten die Gelehrten schon eine Rolle, jedoch noch nicht mit dem Anspruch der alleinigen Führung. Es kam zur ersten Wahl eines Parlaments und zur Verabschiedung einer Verfassung; der Iran entwickelte sich kurz in Richtung einer konstitutionellen Monarchie. Kurzzeitig, denn die Wirtschaftskrise konnte nicht gelöst werden und es kam zu massiven Einmischungsversuchen seitens Großbritanniens und Russlands, das nordiranische Gebiete besetzte und dabei war, auf Teheran zu marschieren. Im 1. Weltkrieg konnte der Iran seine Neutralität kaum aufrechterhalten. Es kam fast zum Zusammenbruch der Zentralregierung. Trotz des Rückzugs der russischen Truppen (bedingt durch die kommunistische Oktoberrevolution) schaffte es auch Großbritannien nicht, nach dem 1. Weltkrieg Iran in ein Protektorat zu verwandeln. Um einem möglichen kommunistischen Einfluss im Iran zuvorzukommen, änderte Großbritannien seine Politik und favorisierte in der Nachkriegszeit eine starke iranische Zentralregierung.

Notes:

  1. Mittelpersisch „Rhages“. Gelehrte, die aus Rey stammten, erhielten den Beinamen Ar-raazi. Zu den bekanntesten gehört der Verfasser des At-tafsiirul-kabiir, Fachrud-diin Ar-raazi (gest. 1209) und der Arzt und Philosoph Abu-bakr Bnu-zakariya Ar-raazi (gest. 925).