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Die Kapmalaien Südafrikas


Ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Ausbreitung des Islams in Afrika stellen die Kapmalaien Südafrikas dar. Dies aufgrund ihrer Herkunft, ihres Beharrungsvermögens bei der Bewahrung des Islams, einer vom Islam geprägten Kultur und der spezifischen kapmalaiischen Sprache und Literatur.

Geschichte

Die Anfänge der kapmalaiischen Muslime Südafrikas führen in die niederländische Kolonialzeit des 12. Jhs./17. Jhs. zurück. Die Niederländer hatten damals vor allem die Küsten des malaiischen Archipels (heutiges Indonesien, Malaysia, Singapur) mit Handelsniederlassungen und Kolonien durchdrungen. Die Niederschlagung der muslimischen Befreiungskämpfe führte dabei immer wieder zur Exilierung von Aufständischen. So wurde 1079/1668 der malaiische Schaich Abdur-rahmaan Matebe Schaah wegen Widerstand gegen die Okkupation seiner Heimat durch die Niederländische Ostindien-Gesellschaft aus Sumatra nach Kapstadt verbannt. Die Hoffnung war, dass sich die Verbannten in dieser für sie völlig fremden Welt, wo sich ebenfalls die niederländische Kolonialmacht (Buren) festgesetzt hatte, leichter kontrollieren lassen. Zwar war damit den politischen Aktivitäten des Schaichs ein Ende gesetzt, er bemühte sich jedoch, unter den dortigen Sklaven, die u. a. malaiischer Herkunft waren, den Islam zu predigen und zu verbreiten.

1181/1767 wurde ein weiterer Widerständler, Prinz ‘Abdul-laah Qadi Abu-salaam aus Tadore, an das Kap der Guten Hoffnung verbannt. Unter den widrigen Umständen des Exils, isoliert vom Rest der Ummah, wo es keine islamischen Institutionen, Gelehrte oder Literatur gab, schrieb er den Quraan aus dem Gedächtnis auf. Dieses Exemplar ist in Kapstadt bis heute bewahrt. Prinz ‘Abdul-laah wurde Leiter der muslimischen Gemeinde.

1214/1799 wurde um Erlaubnis für den Bau einer Moschee angesucht. Mittlerweile war die explizite religiöse Unterdrückung der Muslime nicht mehr unbedingt ein Kennzeichen der Kolonialmächte, weshalb diesem Wunsch stattgegeben wurde. Es kam zu einem Zuwachs der Gemeinschaft und der spezifischen Ethnogenese der Kapmalaien: Entgegen des vordergründigen Gehalts dieser Bezeichnung gehen diese nämlich nicht ausschließlich auf Malaien zurück, sondern auch auf andere Ethnien Südostasiens, aber auch auf bengalische Sklaven und Angehörige der Khoi-San-Völker (früher verächtlich Hottentotten und Buschmänner genannt) – die ursprünglichen Einwohner des südlichen Afrikas.

Im 13. Jh./19. Jh. entstand aus Mischehen dieser versprengten Individuen eine neue ethnische Gruppe, die sich auch äußerlich von den anderen Ethnien Asiens, aber auch deutlich von Malaien/Indonesiern unterscheidet. Um 1840 stellten diese mit ca. 6400 immerhin ein Drittel der Bevölkerung Kapstadts. Auch die malaiische Sprache verschwand in dieser Zeit. Da mit der Abschaffung der Sklaverei 1838 der Zustrom von Malaien aufhörte, geriet die Erinnerung an die ehemalige Heimat immer mehr in Vergessenheit. Damit kam es zur Übernahme des lokalen holländischen Dialekts der (christlichen) Kolonialmacht. Diese Sprachform wurde eine Zeitlang als Kapholländisch bezeichnet und galt als eine abweichende Form der in den Niederlanden verbreiteten Standardsprache. Mit der Zeit wuchs aber das Bewusstsein für deren Eigenständigkeit, bis sich Anfang des 20. Jhs. die Sprache auch offiziell vom Niederländischen löste und mit einer eigenen Grammatik und Vokabular ausgestattet zum heutigen “Afrikaans” wurde.

Afrikaans als islamisierte Sprache

Das für die Muslime Interessante dabei ist, dass am Anfang dieses sprachlichen Ablösungsprozesses und der Entwicklung des Lokaldialekts zu einer normierten modernen Schriftsprache die Beteiligung der muslimischen Kapmalaien maßgeblich ist. Weil diese sich nicht mit der herrschenden holländischen Sprachnorm identifizieren konnten, die als fremd und “zu europäisch” empfunden wurde und weil gleichzeitig das Malaiische nicht mehr zum Zusammenhalt der Gemeindemitglieder ausreichte, bediente man sich spontan und ungeplant des lokalen Dialekts: Ein Holländisch, angereichert mit Wörtern aus verschiedenen (auch afrikanischen) Sprachen und natürlich durchsetzt mit Begriffen aus der islamischen Tradition. Wie überall, wo der Islam kulturprägend in eine neue Umgebung eingeführt wurde, begannen auch dort die Muslime, auf völlig natürliche Weise, wichtige arabische Begriffe in ihre Alltagssprache zu integrieren. Weil sie dem lateinischen Alphabet der umgebenden christlichen Kultur zu wenig ausgesetzt waren, diente das in der Quraan-Schule gelernte arabische Alphabet zur schriftlichen Fixierung der ersten kapholländischen Texte.

Die heutigen kapmalaiischen Muslime Afrikas können zu Recht darauf verweisen, dass am Anfang der modernen Afrikaans-Sprache, die jahrzehntelang von der weißen Regierung gefördert und auch im Zuge der rassistischen Apartheid-Politik nationalistisch forciert wurde, eigentlich eine bescheidene Gemeinschaft von Muslimen im kapmalaiischen Viertel von Kapstadt steht: der erste Text dieser Sprache wurde von einem Muslim und in arabischer Schrift verfasst!

Von diesen ersten “arabischen Afrikaans-Texten”, die zwischen 1856 und 1957 verfasst wurden, existieren noch 74. Das Manuskript des ersten Textes, “Hidaayatul-islam” von 1261/1845, ist leider verloren. Das älteste noch existierende Manuskript stammt aus dem Jahre 1285/1868.

Einen Aufschwung erhielt die Gemeinschaft durch eine Initiative der Osmanischen Regierung, die im Zuge eines beginnenden Panislamismus und um den Bestrebungen der Kolonialmächte entgegenzuwirken, die Kontaktaufnahme mit entfernten muslimischen Gemeinschaften suchte. In diesem Zusammenhang erwachte auch das Interesse an den Muslimen am Kap der Guten Hoffnung – einem Gebiet, das bis dahin kaum eine Rolle im Bewusstsein der Muslime im Orient gespielt hatte. Der osmanische Sultaan ‘Abdul-‘aziiz (reg. 1861-78) schickte 1862 einen kurdischen Gelehrten namens Abu-bakr Efendi nach Kapstadt. Dieser gründete die “Moslem Theological School”, verbreitete theologische Werke in arabischer Sprache und besonders innovativ: Er verfasste zur religiösen Unterweisung ein Fiqh-Buch auf Kap-holländisch “Uiteensetting van die Godsdiens” (“Erklärung des Gottesdienstes) – in arabischen Buchstaben, das 1877 in Istanbul gedruckt wurde. Offensichtlich gab es in Südafrika zur damaligen Zeit keine dafür geeignete Druckerpresse, was wiederum den enormen Aufwand sichtbar macht, den die Muslime zur Bewahrung ihres Diin unternehmen mussten.

Die Tatsache, dass er sein Fiqh-Buch nach der hanafitischen Schule verfasste, die Kapmalaien aber bedingt durch ihre südostasiatische Herkunft schaafiitisch waren, führte damals offensichtlich zu einigen Verstimmungen – in einer Zeit, als die Unterschiede in den Ibaadaat-Handlungen oft unverhältnismäßig überbewertet wurden. Die Muslime Südafrikas wandten sich daraufhin sogar an die Al-azhar, um entsprechende klärende Fatwa einzuholen.

Im Folgenden ein Auszug, der dem Leser aufgrund der Zugehörigkeit des Niederländischen zur germanischen Sprachfamilie leicht verständlich sein dürfte. Interessant ist die völlig natürliche islamische Formung dieser Sprache durch allen Muslime bekannte Begriffe, wie kitab (kitaab), Rizq, ahirat (aachirah), dunya daliil, rasulullah (rasuulul-laah), ilms (‘ilm), Iman (iimaan). Etwas auffälliger ist, dass sich aus dem Malaiischen das Wort “agama” für Diin gehalten hat.

Kapmalaisch

Iek bagent diesie kitab met Allah (ta’ala) sain naam. Allah (ta’ala) es rizq giefar ien dunya fer al wat liefandag ies. Allah (ta’ala) es beriengar ien die gannat ien dag ahirat fer al die miesie an djinns wat oewhap iman gadoet het. Al die dank an parais es rieg fer Allah (ta’ala) alien. Allah (ta’ala) het gagief fer oewhans islam sain agama. Islam sain agama oek waas gawies fantefoewhar Ibrahim sain agama… An Allah (ta’ala) het gamaak die Qur’an an rasulullah sain hadit fer seker dalil fer oewhans… An Allah (ta’ala) het galaat oewhans wiet die riegtie wieg fan die ilms an gahelp fer oewhans oewham ta lier ander miesie oewhap die riegtie manierie.

Im Folgenden noch ein weiteres Beispiel mit arabischen Buchstaben aus einer zwei-sprachigen Quraan-Ausgabe von 1880. Um bestimmte, nicht im Arabischen vorkommende Laute des Kap-Holländischen wiedergeben zu können, übernahm man weitgehend die spezielle Jawi-Schrift der Malaien, die einige passende Buchstaben enthält: so das Ba mit drei Punkten für “P” (ursprünglich für das Persische entwickelt), ein Fa mit drei Punkten für “w” (auch im Kurdischen verbreitet) und ein ‘Ain mit drei Punkten für den Laut “ng”. Einfallsreich und spezifisch für das Kapmalaiische war jedoch die Kombination von Fathah (für “a”, über dem Buchstaben) + Kasrah (für “i” unter dem Buchstaben), um zusammen ein “e” darzustellen und die Kombination von Fathah + Dammah für ein “o”.

ان دي كُوْنِڠْ سْكَپْ اس بِيْدِيْ هُوْكَ الله تعالا ان ڨَارْلِكْ اللـه تعالَا اِسْ بَاس فِـَرْ اَلْدِيْ اِتْسْ

“En die konungskap is by die hoege Allah ta`ālā en waarlik Allah ta`ālā is baas vir al die iets.”

Im Laufe des 20. Jhs. verschwand mit der zunehmenden Integration und der Ausbreitung des staatlichen Schulsystems diese Literaturtradition. 1957 erschien das letzte Werk dieser Art. Die Kapmalaien gingen zum lateinischen Alphabet über.

Kapmalaien heute

Heute ist diese Ethnie mit ca. 200.000 Angehörigen eine kleine Minderheit in Südafrika. Durch das weiterhin überwiegend von ihnen bewohnte Malaien-Viertel in Kapstadt mit seinen farbenfrohen Häusern und Moscheen und der architektonischen Verbindung aus niederländischer Bauweise mit orientalischen Einflüssen besitzen die Kapmalaien jedoch einen von Touristen regelmäßig aufgesuchten Ort, der als wichtiger Bestandteil der wechselhaften südafrikanischen Geschichte, immer mehr auch offizielle Anerkennung genießt.

Indische Muslime

Im 19. Jh. kam durch die britische Kolonialherrschaft, die sich gegen den Widerstand der holländischen Buren dort festsetzte, auch ein beträchtlicher Anteil an Muslimen aus Indien (bzw. dem heutigen Pakistan, Bangladesch) nach Südafrika. Sie ließen sich vor allem in Durban an der Ostküste nieder, so dass es durch die unterschiedliche geographische Verteilung nicht zu einem Zusammenwachsen mit den Kapmalaien kam. Die Geschichte der indischstämmigen Muslime, die heute den Hauptteil der südafrikanischen Muslime (2001 insgesamt 650.000) stellen, lief eher parallel zu der der Kapmalaien.

Apartheid

Das 20. Jh. war in Südafrika durch die dunkle Epoche der offiziell in der Verfassung verankerten Apartheid/Rassentrennung und der Alleinherrschaft der holländisch-stämmigen Buren gegen den Widerstand der schwarzen Bevölkerungsmehrheit geprägt. Die spezifische Form des calvinistischen Protestantismus, den die ersten Einwanderer im 17.Jh. aus Holland mitgebracht hatten, war maßgeblich an der Zementierung des Unrechts beteiligt. So lehrte die Niederländisch-Reformierte Kirche offiziell bis zum Ende der weißen Alleinherrschaft den Glauben, dass eine getrennte Entwicklung der Rassen gottgewollt sei und Mischehen zwischen Weiß und Schwarz ein Verbrechen gegen die göttliche Schöpfungsordnung darstellten.

Im Widerstand gegen diese Fehlinterpretation der Bibel, die außerhalb Südafrikas nur auf Entrüstung aller maßgeblichen christlichen Theologen und Kirchen stieß, solidarisierten sich auch teilweise muslimische Gelehrte mit der (nicht-muslimischen) schwarzen Bevölkerungsmehrheit, um den islamischen Anspruch auf Überwindung der Rassenschranken glaubhaft zu machen. Diesen Einsatz gegen die Apartheid bezahlten manche muslimische Gelehrte (Imaam Abullah Haron, erm. 1960) mit dem Leben.

Trotzdem bleibt kritisch anzumerken, dass sich nicht alle Kapmalaien und indischen Muslime auf die Seite des Rechts gestellt hatten. Da sie im geschickt eingerichteten Unterdrückungssystem der Apartheid nicht auf eine Stufe mit den Schwarzen gestellt wurden, denen es zweifellos rechtlich und wirtschaftlich am schlechtesten ging, sondern einen eigenen Platz innerhalb der Gruppe der “Coloureds” (“Misch-linge”) – und damit unterhalb der Weißen – zugewiesen bekamen, war die Versuchung groß, auf Widerstand zu verzichten und sich statt dessen um Anpassung, Stillhalten und wirtschaftlichen Aufstieg zu bemühen. Die schwarze Anti-Apartheid-Bewegung hegte daher häufig große Vorurteile gegen die indischen (hinduistischen aber auch muslimischen) Ladenbesitzer, die sich ihre Behaglichkeit und ihren bescheidenen Wohlstand durch Stillschweigen erkauften. Um dieses Vorurteil abzuarbeiten, müssen sich die Muslime, seit der Einführung des Mehrparteiensystems und der Machtübernahme der schwarzen Befreiungsbewegung (ANC) 1994, verstärkt bemühen. Diesem Fehlverhalten mag es zu verschulden sein, dass sich der Islam in den schwarzen Townships nach langen Jahren des Desinteresses erst seit wenigen Jahren überhaupt spürbar verbreitet.

Dem vorbildlichen Verhalten mancher mutiger islamischer Gelehrten aber ist es zu verdanken, dass insgesamt die Akzeptanz des Islams in der Mehrheitsbevölkerung des heutigen Südafrika nicht durchgehend negativ zu sein scheint. In den auf die Apartheid folgenden Regierungen waren z.B. die Kapmalaien überproportional vertreten. Auch einige Minister muslimischer Herkunft gibt es, was bei einem Gesamtanteil von ca. 2% Muslimen (jedoch 10% in Kapstadt) erstaunlich ist. Durch die Herkunft der Kapmalaien, die ein unbestreitbarer Teil der Landesgeschichte sind, und dadurch, dass die dort später eingetroffenen indischen Muslime sich kaum als “Fremde” oder “Migranten” fühlten, ist ein hohes Bildungsniveau unter den Muslimen Südafrikas zu konstatieren. Dies, und die Tatsache, dass Englisch und Afrikaans als die beiden wichtigsten Sprachen des Landes auch von den Muslimen weitgehend als Muttersprache beherrscht werden, erklärt den verhältnismäßig starken öffentlichen Einfluss der Muslime auf Kultur, Politik und Wirtschaft.

Die Geschichte der Kapmalaien ist für die Muslime in Europa lehrreich und beispielhaft, nicht zuletzt aus folgenden Gründen:

  • Das unbeirrte Festhalten am Islam von Exilanten unter widrigsten Umständen, um den Diin zu bewahren;
  • Der vorurteilslose Umgang mit fremden Kulturen am Beispiel des Gelehrten Abu Bakr, der sich in einem fremden Umfeld bemüht, den Islam zeitgemäß und den Umständen entsprechend darzustellen;
  • Die Produktion von islamischer Literatur auf einer europäischen Sprache aufbauend unter Formung der Sprache mit quraanischen Begriffen;
  • Der Widerstand gegen Unrecht – ungeachtet der Religionszugehörigkeit – der sich positiv ausgezahlt hat;
  • Das negative Image, das durch Kollaboration mit Unrechtssystemen entsteht, und seine Auswirkungen auf die Zukunft der gesamten Gemeinschaft hat.

Literatur

• Kähler, Hans: Die Kultur der Kapmalaien in der Republik Südafrika. In: Kultur des Islams. Handbuch der Kulturgeschichte. Abt. 2. Frankfurt a.M. 1971. S. 439-60.
• Hans Kähler: Studien über die Kultur, Sprache … der Kapmalaien
• Mia Brandel: The religious Duties…
• Im Internet verfügbar:
Stell, Gerald: From Kitaab-Hollandsch to Kitaab-Afrikaans: The evolution of a non-white literary variety at the Cape (1856-1940). Stellenbosch Papers in Linguistics, Vol. 37, 2007, 89-127.
Bangstand, Sindre: Global Flows, Local Appropriation, Facets of Secularisation and Re-Islamization among Contemporary Cape Muslims. Leiden ???
Haron, Muhammed: The Making, Preservation and Study of South African Ajami Mss and Texts. Sudanic Africa, 12, 2001, 1-14.