Die Tradenten-Kritiker beschränkten sich bei der Überprüfung der Person des Tradenten gezielt auf die Aspekte, die mit der Tradierung zusammenhängen. Um nicht in Ghiibah (üble Nachrede) zu verfallen, konzentrierten sie sich auf die Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit des Tradenten (‘Adaalah عدالة) und seiner Fähigkeit zur Hadiith-Aufnahme und Hadiith-Wiedergabe (hifdh حفظ und dabt ضبط ). Dabei berücksichtigten sie folgende islam-konforme Regeln:
- Höchstmögliche Objektivität
Die Tradenten-Kritiker versuchten möglichst sowohl die guten als auch die schlechten Seiten der Tradenten zu erwähnen. Muhammad Bnu-siiriin sagte dazu: “Du tust deinem Bruder Unrecht, wenn du seine negativen Seiten erwähnst und seine positiven verschweigst” 1. Imaam Adh-dhahabiy hat das Werk von Imaam Ibnul-dschauziy “ad-du’afaa, die Schwachen Tradenten” deshalb kritisiert, weil er Al-dscharh in Bezug auf die von ihm erwähnten Tradenten dort aufführte, aber die Aussagen zu ihrer ‘Adaalah ignorierte.
Die Tradenten-Kritiker haben sich bemüht, auch wenn sie selbst betroffen waren, die gleichen Maßstäbe bei sich anzulegen. Von Schu’bah Bnul-hadsch-dschaadsch wurde z. B. überliefert, dass er einen Hadiith tradierte, der im Widerspruch zu einem Hadiith stand, der von Sufyaan Ath-thauriy tradiert wurde. Als er darauf aufmerksam gemacht wurde, sagte er: “Lasst meinen Hadiith, denn Sufyaan verfügt über ein noch besseres Erinnerungsvermögen als ich”.
- Höchstmögliche Differenzierung
Die Tradenten-Kritiker haben versucht, präzise zu klären und festzustellen, ob die beanstandete Mangelhaftigkeit bzw. Schwäche bei den Tradenten mit ihrer Religiösität, ihrem schwachen Erinnerungsvermögen oder mit ihrer Nachlässigkeit bei der Hadiith-Aufnahme bzw. Hadiith-Wiedergabe zusammenhing.
- Verwendung adäquater wahrer Kritikbezeichnungen
Die Tradenten-Kritiker haben bei ihrer Beurteilung und Beschreibung der Tradenten adäquate und meist schonende Bezeichnungen verwendet, um diese Tradenten nicht persönlich zu kränken. Viele durch At-tadschriih geschwächte Tradenten wurden z. B. mit der Bewertung “lam yakun mustaqiimal-lisaan لم يكن مستقيم اللسان: er verfügte über keine geradlinige Zunge” versehen, um sie nicht mit dem harten Begriff “Lügner” bezeichnen zu müssen.
Als Imaam Asch-schaafi’iy (150/767 – 204/819) seinen Schüler den späteren großen Imaam Al-muzaniy (175/791 – 264/878) hörte, als er eine Person als Lügner bezeichnet hat, sagte er ihm: “Abu-ibraahiim! Bekleide deine Laute mit schönen Worten, sage nicht Lügner, sondern du sollst sagen: sein Hadiith ist nichts”.
Mit den Bezeichnungen “wad–daa’ وضاع: Erdichter bzw. Hinzufügender” oder “kadh-dhaab كذاب: Lügner” wurden ausschließlich Tradenten versehen, bei denen nachweisbar festgestellt wurde, dass sie Hadiithe erfunden oder bewusst verfälscht haben.
- Allgemeine Ta’diil-Bezeichnung aber detaillierte Tadschriih-Bezeichnung
Bei At-ta’diil haben die Tradenten-Kritiker allgemeine Bezeichnungen ohne Details verwendet, da die Belege für die ‘Adaalah zahlreich sind, doch bei At-tadschriih haben sie ihre Beurteilung begründet und dafür möglichst nur eine Begründung angeführt, um die betroffenen Tradenten nicht unnötig zu verletzen. Sie verwendeten z. B. Aussagen wie “Unachtsamkeit, Demenz, mangelhafte Hadiith-Aufnahme, etc.”.
Imaam As-sachaawiy sagte dazu: “At-tadschriih darf nicht mit zwei Argumenten erfolgen, wenn es mit einem Argument erfolgen kann. Denn Al-‘izz Bnu-‘abdis-salaam erwähnte in seinen Regeln: “Der Zeuge darf (gegen den Angeklagten) keine zwei Verfehlungen vorbringen, wenn eine der beiden (zur Verurteilung) ausreicht. Denn die Beschuldigung ist nur in der Not erlaubt und die Verhältnismäßigkeit zwischen den beiden muss gewahrt bleiben.” 2