Die wichtigsten Ziele kann man wie folgt zusammenfassen:
- Bedeckung der ‘Aurah
Die Scharii’ah definiert für beide Geschlechter verschieden umfangreiche ‘Aurah-Bereiche, die in der Öffentlichkeit bedeckt werden müssen. Dieser Unterschied lässt sich damit erklären, dass die Frau naturgemäß über mehr körperliche Reize verfügt als der Mann und deshalb mehr zu bedecken hat. Bekanntlich wird in allen Kulturen nonverbale Kommunikation benutzt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Hierzu gehört vor allem das beabsichtigte
Verändern des Aussehens durch Kleidung, Schmuck, Frisur oder Make-up. Frauen aller Kulturkreise setzen gezielt sowohl Körpersprache (Blick, Mimik, Gestik und Gang) als auch Kleidung ein, um ihre körperlichen Reize und ihre Schönheit zur Schau zu stellen. Im Gegensatz dazu beobachtet man weltweit, dass Männer ihren Körper in Gesellschaft eher bedecken und meist nicht mehr als Hände und Gesicht entblößen. So ist es im Westen gesellschaftlich akzeptiert und gewünscht, dass Frauen bei wichtigen gesellschaftlichen Anlässen tief dekolletierte, kurze, durchscheinende und körperbetonte Kleidung tragen. Bei Männern sieht die Etikette das genaue Gegenteil vor. Männer dürfen sich für wichtige gesellschaftliche Anlässe nicht entblößen, sondern müssen sich bekleiden und bedecken. Je höher die gesellschaftliche Position, desto mehr an Kleidung ist Pflicht für den Mann. So findet man im Hochsommer Manager, Beamte und Angestellte mit Anzug, geschlossenem Hemd und Krawatte gekleidet, während Frauen mit kurzem Rock, trägerlosem Top und bauchfrei durchaus als korrekt gekleidet gelten. So kann man feststellen, dass in den westlichen Gesellschaften der Mann traditionsgemäß viel mehr bedeckt, als die im Islam vorgeschriebenen ‘Aurah-Bereiche, während westliche Frauen oft die ‘Aurah-Grenzen der Männer noch unterschreiten. Der Islam berücksichtigt diese unterschiedlichen Neigungen zum Bedecken bzw. Entblößen und empfiehlt den Frauen die komplette Bedeckung aller Reize und lässt den Männern hier mehr Spielraum, den sie in der Regel weder im Osten noch im Westen nutzen. - Unterscheidung
Die muslimische Frau soll durch ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit als Muslimah erkennbar sein. Mit der islamischen Kleidung drückt sie ihr positives Selbstverständnis und ihr Selbstwertgefühl als Frau aus. Sie lässt sich nicht auf ihren Körper reduzieren und profiliert sich nicht durch ihre Reize, sondern durch ihren Charakter und ihre Fähigkeiten. Im Fokus des öffentlichen Interesses soll nicht ihre Figur stehen, sondern ihr Mensch-Sein und ihre geistigen Eigenschaften. - Befreiung vom Körperkult
Das Einhalten der islamischen Bekleidungsgebote entlastet und befreit den Menschen vom Körperkult.
Da Frauen dazu tendieren, eher weniger an Kleidung anzulegen, um ihre körperlichen Reize zu zeigen, nutzen die Modemacher diese weibliche “Schwäche” und zwingen die Frauen in immer gewagtere Kreationen, was dazu führt, dass Frauen, deren Körperformen nicht dem Schönheitsideal der Modeindustrie entsprechen, oft große psychische Probleme bekommen. Die Folge sind Essstörungen und ein Boom der Schönheitschirurgie.
Die Bedeckung der Reize entzieht diesem Trend den Boden und lässt keinen Körperkult entstehen. Mit dieser Befreiung von Modezwängen und Schönheitsidealen findet der Mensch Zeit und Muse, sich auf das Wesentliche seines Daseins zu konzentrieren. Es eröffnet sich Raum für die Entfaltung des Geistes und die Stärkung des Charakters und damit seiner Seele. Diese sind das Eigentliche, was den Menschen ausmacht und was von ihm weiterlebt, wenn sein Körper verwest und vergeht. Deshalb sollte der Pflege dieser Dinge absolute Priorität eingeräumt werden. - Langsame Umerziehung durch stufenweise Einführung
Ebenso wie viele andere Scharii’ah-Gebote wurde auch das Kleidungsgebot stufenweise eingeführt. So wurden die Suren, die dieses Thema behandeln, in einem bestimmten Zeitraum und in einer bestimmten Reihenfolge hinabgesandt. Wenn man also berücksichtigt, dass Suratun-nuur (Nr. 24) nach Suratul-ahzaab (Nr. 33) hinabgesandt wurde ergibt sich, dass die Einführung des Bekleidungsgebots mit folgenden Schritten erfolgte:
- Regelung des Umgangs der Ehefrauen des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) mit fremden Männern innerhalb der Privaträume des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) und in der Öffentlichkeit durch das
Hidschaab-Gebot. - Allgemeine Regelung des Umgangs der muslimischen Frauen einschließlich der Ehefrauen des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) in der Öffentlichkeit, um das Problem der sexuellen Belästigung durch unmoralische Männer möglichst einzudämmen durch das Dschilbaab-Gebot.
- Detaillierte Regelung des Umgangs der muslimischen Frauen einschließlich der Ehefrauen des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) in der Öffentlichkeit, auch dann wenn keine sexuelle Belästigung zu befürchten ist, durch das Chimaar-Gebot.
- Begrenzung der Sexualität auf die ehelichen Privaträume
Die Scharii’ah legt sowohl bei Männern als auch bei Frauen nicht nur großen Wert auf Kleidung, sondern auch auf bewusste und unbewusste Kommunikation in der Körpersprache (z. B. Blick, Mimik, Gestik, Gang,) und verbietet alles, was zur Provozierung sexueller Begierde in der Öffentlichkeit führen könnte.
Exkurs
Nonverbale Kommunikation
Als nonverbale Kommunikation, die Verständigung ohne Worte, wird in der Wissenschaft jener Teil der zwischenmenschlichen Kommunikation bezeichnet, der nichtsprachlich erfolgt und deren Signale in allen Kulturen (bis auf wenige Ausnahmen) gleich sind.
Eine nonverbale Kommunikation ist jedes nichtsprachliche Verhalten, das Auskunft über innere Zustände des Gegenübers gibt und liegt dann vor, wenn der Empfänger der Kommunikation Schlüsse aus dem Verhalten des anderen ziehen kann. Eine kommunikative Absicht des Senders ist hierfür nicht erforderlich. Träger der Botschaft sind nicht nur willentlich kontrollierbare Äußerungen wie Gestik, Mimik, Augenkontakt oder das Lachen, vielmehr kann jedwedes Verhalten als nonverbale Kommunikation gelten. Auch die averbalen Anteile des Sprechens, wie Stimmfärbung, Tonhöhe, Stimmlage und Sprechverhalten können wesentliche nonverbale Botschaften über einen Menschen übermitteln. Die Fähigkeit der Decodierung derartiger Signale hat sich, ebenso wie die unbewusste nonverbale Aussendung solcher körpersprachlichen Signale in allen Zeiten und allen Kulturen etabliert.
Es wird unterschieden zwischen teilbewussten Körpersignalen und bewusster nonverbaler Kommunikation. Beispiele für unbewusste Signale sind das Erröten als Kommunikation von Verlegenheit oder schlechtem Gewissen. Ein Beispiel für bewusste Signale ist die Gestaltung des Erscheinungsbildes eines Individuums mittels Kleidung und passender Accessoires.
Als Teil der gesellschaftlichen Sprache ist der bewusste Einsatz von Gesten, Mimik und Körperstellungen Bestandteil jeder menschlichen Kultur. In unterschiedlichen Gebieten der Erde haben ähnlich ausgeführte Gesten zwar eine andere Bedeutung, doch die meisten Körpersignale sind kulturunabhängig.
So findet sich das “Schönmachen” durch gezielte Verwendung von Duft- und Farbstoffen (Parfum, Make-up, usw.), sowie sorgfältig ausgewählter Kleidung in allen Kulturkreisen.
Unbestreitbar stellen Kleidung und andere Maßnahmen der Körpergestaltung (wie Schmuck, Frisur, Barttracht, Tattoos, Kopfbedeckungen etc.) als Elemente der Körpersprache einen großen Bereich der bewussten nonverbalen Kommunikation dar. Die Kleidung fungiert somit als ein Zeichensystem. Sie dient in gesellschaftlicher Umgebung als Ausdruck “gepflegter” und somit attraktiver Erscheinung. Die deutschen Sprichworte “Kleider machen Leute” oder das Märchen “Des Kaisers neue Kleider” oder die Geschichte des “Hauptmann von Köpenick” stehen exemplarisch für die Bedeutung, die dem Wert und der Funktion menschlicher Kleidung als gezielte Ausdruckselemente nonverbaler Kommunikation beigemessen wird.
Um diese nonverbale Kommunikation zwischen den Geschlechtern nicht in den Haraam-Bereich abgleiten zu lassen, hat der Islam die aufgeführten Gebote zu allen hier aufgelisteten bewussten Signalen erlassen und selbst die räumliche Beziehung der Kommunikationspartner zueinander als besonderen Aspekt der Körpersprache geregelt.