.
.

.

Die Rituelle Reinigung bzw. Reinheit (at-tahaarah الطهارة)


Zu Fiqhul-‘ibaadaat gehören alle Fiqh-Normen, die das rituelle Gebet, das rituelle Fasten, die Zakaah, die Haddsch-Riten und ihre Modalitäten betreffen.

Bevor mit der Abhandlung des ersten Themenkomplexes “das rituelle Gebet” begonnen wird, wird zunächst eine wichtige Voraussetzung für die Verrichtung des rituellen Gebets – “die Tahaarah” besprochen. In diesem Kapitel werden folgende Themen behandelt:

– Das Wasser

– Die rituell unreinen Substanzen (an-nadschaasah النجاسة)

– Verhaltensregeln bei der Verrichtung der Notdurft

– Zustände, welche die rituelle Reinigung verhindern bzw. aufheben

Die Menstruation (al-haiالحيض), der Wochenfluss (an-nifaas النفاس) und Al-dschanaabah (الجنابة)

– Die rituelle Ganzkörperwaschung (al-ghusl الغسل)

– Die rituelle Gebetswaschung (al-wuduu’الوضوء)

– Die rituelle Benetzung (al-mas-المسح)

– Das rituelle Überstreichen mit Erde (at-tayammum التيمم)

– Allgemeine Verhaltensregeln

Definition der Tahaarah

Unter Tahaarah versteht man linguistisch sowohl die “Sauberkeit” als auch die “Reinigung von Schmutz oder Fehlern (Läuterung)”.

Fachspezifisch bezeichnet Tahaarah sowohl

  • die Behebung der rituellen Unreinheit (Nadschaasah) von Bekleidung, Körper und Ort, als auch
  • eine rituelle Handlung, die auf vorgegebene Art und Weise ausgeführt werden muss, um den rituellen Zustand wiederherzustellen, mit dem man rituelle Handlungen vollziehen kann und darf.

Damit hat die Tahaarah zwei Dimensionen: eine Materielle und eine Geistige.

Die “materielle” Tahaarah wird im Allgemeinen mit Wasser hergestellt.

Das Wasser

Wasser, das für die rituellen Waschungen benutzt werden darf, muss folgende Eigenschaften gleichzeitig besitzen:

–     es muss rituell rein (taahirطَاهِر) sein.

Bemerkung zu taahir: Gegenstände und Personen, die mit diesem Wasser in Berührung kommen, bleiben rituell rein. Rituelle unreine Gegenstände können damit nicht immer rituell gereinigt werden.

–     es muss rituell reinigend (mutah-hir مُطَهِّر) sein.

Bemerkung zu mutah-hir: Rituell unreine Gegenstände und Personen können damit rituell gereinigt werden.

Der Fachbegriff für Wasser, das die Eigenschaften “rituell rein und reinigend” besitzt, lautet “tahuur طَهُور“.

Basierend auf diesen beiden Eigenschaften unterscheidet man drei rituelle Reinheitsstufen von Wasser:

  • Rituell rein und reinigend (tahuur طهور)
  • Rituell rein und nicht reinigend (taahir طاهر)
  • Rituell unrein (nadschisنجس)

    Rituell reines und reinigendes Wasser (tahuur)

  • Das natürliche Wasser
    Darunter fallen Regen-, Quell-, Fluss-, See- und Meerwasser, Hagel und geschmolzener Schnee.

Regel:
tahuur ist alles Wasser, was vom Himmel fällt und aus dem Boden entspringt.

وَأَنزَلۡنَا مِنَ ٱلسَّمَآءِ مَآءٗ طَهُورٗا

wa anzalna minas-samaa-i maa-an tahuura

“Und Wir ließen vom Himmel tahuur-Wasser fallen.” 1

Der Gesandte Muhammad (sallal-lahu ‘alaihi wa sallam) sagte über das Meerwasser:

هُوَ الطَّهُورُ مَاؤُهُ الْحِلُّ مَيْتَتُهُ.

“Es (das Meer) ist das, dessen Wasser tahuur ist, und dessen Ver­endetes (tote Meerestiere) halaal ist.” (A, T, I, N, H)

  • Wasser, das kleine Mengen reiner wasserunlöslicher Substanzen enthält, die weder Farbe noch Geschmack noch Geruch verändern.
  • Wasser, das kleine Mengen unreiner wasserunlöslicher Substanzen enthält, die weder Farbe, Geschmack noch Geruch verändern. Nach Imaam Abu-haniifah ist dieses Wasser nur rituell rein. Imaam Asch-schaafi’iy betrachtet es als tahuur, wenn die Wassermenge zwei qullah قلة, d. h. mindestens 204 Liter beträgt.
  • Reste von Trinkwasser
    Darunter versteht man Wasserreste von tahuur-Wasser, die in Trink­gefäßen übrig bleiben, nachdem Menschen, Katzen und Tiere, deren Fleisch verzehrt werden darf, daraus getrunken haben – natürlich nur solange die Wassereigenschaften dadurch nicht verändert wurden. Die Sahaabah Ibnu-’umar und Abu-hurairah (radial-laahu ’anhuma) und Imaam Abu-haniifah werteten Trinkwasserreste von Katzen als taahir aber makruuh.

    Auch Trinkwasserreste von Raubtieren, Raubvögeln, Eseln und Maul­tieren bleiben nach den Schaafi’iten und Maalikiten tahuur, während Imaam Abu-haniifah dieser Meinung nur hinsichtlich der Raubvögel teilt. Er wertete die Trinkwasserreste von Raubtieren als rituell unrein. Wasserreste von Eseln und Maultieren stufte er als zweifelhaft ein. Man darf sie seiner Meinung nach nur beim Fehlen von unzweifel­haftem tahuur-Wasser verwenden.

    Rituell reines und nicht reinigendes Wasser (taahir)

  • Das benutzte Wasser

    Darunter versteht man das Wasser, welches nach der Gebetswaschung oder der Ganzkörperwaschung vom Körper abtropft und bei diesem Vorgang mit nichts in Berührung kommt, das als rituell unrein gilt (siehe Kapitel “die rituell unreinen Substanzen”).

    Dieses benutzte abgetropfte Wasser ist nach Meinung der meisten Gelehrten nicht mehr reinigend, d. h. es darf nicht mehr für eine rituelle Waschung verwendet werden. Es ist jedoch immer noch rein, weil es durch nichts rituell verunreinigt wurde. Aus diesem Grund werden Körperteile und Kleidungsstücke, die mit benutztem Wasser in Berührung kommen, als rituell rein angesehen und müssen nicht zusätzlich rituell gereinigt werden. Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte seinem Gefährten Abu-hurairah (radial-laahu ‘anhu):

إِنَّ الْمُؤْمِنَ لَا يَنْجُسُ.

“Der Iimaan-Bekennende wird niemals rituell unrein.” (B, M)

  • Wasser, das kleine Mengen reiner wasserlöslicher Substanzen enthält, die Farbe, Geschmack oder Geruch verändern.

    Imaam Maalik und Imaam Asch-schaafi’iy werten dieses Wasser als nur rituell rein (taahir), während Imaam Abu-haniifah es sogar als rituell rein und reinigend (tahuur) wertet.

    Rituell unreines Wasser (nadschis)

  • Wasser, das rituell unreine Substanzen enthält, die Farbe, Geschmack oder Geruch verändern.
  • Trinkwasser von Hunden und Schweinen, das in den Trinkgefäßen übrig bleibt (nach Imaam Maalik ist dieses Trinkwasser tahuur und darf bei der rituellen Reinigung verwendet werden).
  • Trinkwasserreste von Raubtieren nach den Hanafiten und Hanbaliten.
  • Trinkwasserreste von Eseln oder Maultieren nach den Hanbaliten.
  • Reste von Trinkwasser eines Menschen, nachdem er Alkohol getrunken hat.

    Die rituell unreinen Substanzen und Tiere (an-nadschaasah, النجاسة)

    Definition der Nadschaasah

  • Der Fachbegriff “Nadschaasah” beschreibt linguistisch “den Schmutz” und fachspezifisch: die rituell unreinen Substanzen bzw. Tiere, die Personen und Gegenstände durch direkte Berührung rituell verunreinigen.

    Zur Wiederherstellung der rituellen Reinheit ist es erforderlich, die Nadschaasah von dem Körper, der Kleidung sowie von anderen Gegenständen vollständig zu entfernen und sich anschließend mit Tahuur-Wasser zu reinigen.

    Wenn eine trockene Nadschaasah einen trockenen rituell reinen Gegenstand berührt, dann behält jede Seite ihren Zustand, d. h. der rituell reine Gegenstand bleibt rituell rein und die Nadschasah bleibt rituell unrein.

    Die rituell unreinen Substanzen bzw. Tiere

  • Urin und Exkremente von Menschen und Tieren

Nach Imaam Ahmad und Imaam Maalik zählen Urin und Exkremente von Tieren, deren Fleisch verzehrt werden darf, nicht zu den rituell unreinen Substanzen.

Imaam Asch-schaafi’iy bezeichnet den Urin des noch nicht entwöhnten Jungen unter zwei Jahren als leichte Nadschaasah.

  • Vorflüssigkeit (madhi, مذي)

Darunter versteht man die Flüssigkeit, die der Mann bzw. die Frau (Vaginalsekret) beim geschlechtlichen Vorspiel oder bei bloßer Vorstellung des Geschlechtsakts ausscheidet; sie ist klebrig und durchsichtig.

Auf die Frage nach dem richtigen Verhalten bei madhi sagte der Gesandte Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) einem Mann:

تَوَضَّأْ وَاغْسِلْ ذَكَرَكَ.

“Wasche dein Glied und vollziehe die rituelle Gebetswaschung.” (B, M)

Imaam Abu-haniifah und Imaam Maalik stufen ebenfalls die menschliche Samenflüssigkeit als nadschis ein.

  • Nachtropfen (wadi, ودي)
    Darunter versteht man eine weiße Flüssigkeit, die in bestimmten Krankheitsfällen nach dem Urinieren ausgeschieden wird.
  • Größere Blutflecken (das vergossene Blut)
    Kleinere Blutflecke (z. B. nach Mückenstichen) zählen nicht dazu. Auch das Blut, das nach einer scharii’ah-konformen Schlachtung im Fleisch bleibt, ist nicht nadschis.
  • Schweine und Hunde
    Nach Imaam Asch-schaafi’iy stellen Schweine und Hunde im Gegensatz zu allen anderen Tieren eine schwere Nadschaasah (nadschaasah mughal-ladhah نجاسة مغلظة) dar, die nur durch siebenmalige Waschung mit Wasser rituell gereinigt werden, wobei eine Waschung davon mit Erde gemischt werden muss.
    Nach Imaam Abu-haniifah stellen Schweine und nur der Hundespeichel eine Nadschaasah dar.
    Imaam Maalik betrachtet lebende Schweine und Hunde als nicht nadschis. Allaah (ta’aala) hat im Quraan die Jagdbeute des Jagdhundes für den Verzehr erlaubt.

يَسۡ‍َٔلُونَكَ مَاذَآ أُحِلَّ لَهُمۡۖ قُلۡ أُحِلَّ لَكُمُ ٱلطَّيِّبَٰتُ وَمَا عَلَّمۡتُم مِّنَ ٱلۡجَوَارِحِ مُكَلِّبِينَ تُعَلِّمُونَهُنَّ مِمَّا عَلَّمَكُمُ ٱللَّهُۖ فَكُلُواْ مِمَّآ أَمۡسَكۡنَ عَلَيۡكُمۡ وَٱذۡكُرُواْ ٱسۡمَ ٱللَّهِ عَلَيۡهِۖ وَٱتَّقُواْ ٱللَّهَۚ إِنَّ ٱللَّهَ سَرِيعُ ٱلۡحِسَابِ

“Sie fragen dich, was für sie (an Speisen) erlaubt sei. Sag: ‚Für erlaubt wurden euch erklärt die guten Speisen 2 und (das Halten) von dem, was ihr an trainierten Jagdtieren abgerichtet habt. Ihr lehrt sie von dem, was Allaah euch gelehrt hat. So esst von dem, was sie für euch fangen, und sprecht Allaahs Namen über ihnen 3 aus. Erweist euch ehrfürchtig 4 Allaah gegenüber! Gewiss, Allaah ist schnell im Abrechnen.” 5

Die meisten Gelehrten betrachten die Schweinehaut auch nach der Gerbung als nadschis.

  • Alle Teile verstorbener bzw. verendeter Tiere sowie die abgeschnittenen Teile 6 von lebenden Tieren

    Menschliche Leichen, tote Heuschrecken und verendete Fische und Tiere, welche keinen Blutkreislauf haben, gelten nicht als nadschis. Auch geschächtete Halaal-Tiere 7 sind rituell rein.

    Gegerbte Häute aller verendeten Tiere sind nicht mehr nadschis. Imaam Asch-schafi’iy schließt davon die Häute von Schweinen und Hunden aus und nach Imaam Maalik sind nur die gegerbten Häute von Tieren rituell rein, die als tote Tiere nicht als nadschis gelten.

  • Erbrochenes und Eiter
  • Alkoholische Getränke
    Nach den meisten Gelehrten sind diese Getränke rituell unrein.

يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُوٓاْ إِنَّمَا ٱلۡخَمۡرُ وَٱلۡمَيۡسِرُ وَٱلۡأَنصَابُ وَٱلۡأَزۡلَٰمُ رِجۡسٞ مِّنۡ عَمَلِ ٱلشَّيۡطَٰنِ فَٱجۡتَنِبُوهُ لَعَلَّكُمۡ تُفۡلِحُونَ

“Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Das Berauschende 8, das Glücksspiel, die Opfersteine und Los-Pfeile 9 sind doch nur Unreinheiten aus dem Werke des Satans, so meidet sie, damit ihr erfolgreich werdet!” 10

Imaam Abu-haniifah stuft nur den Wein als eine schwere Nadschaasah (nadschaasah mughal-ladhah نجاسة مغلظة) ein.

Nichtflüssige Betäubungsmittel wie Haschisch sind nach Imaam Asch-schaafi’iy nicht nadschis, obwohl sie verboten sind.

Wenn alkoholische Getränke sich auf natürlichem Weg zu Essig umwandeln, sind sie nicht mehr nadschis und gelten als rituell rein.

Imaam Asch-schaafi’iy wertet solchen Essig, der erst durch Verarbeitung durch Menschen entstanden ist, weiterhin als nadschis.

  • Nicht wenige Gelehrte werten Tiere, die sich von rituell unreinen Substanzen und Exkrementen ernähren, als nadschis. Diese dürfen nicht geritten, ihr Fleisch darf nicht gegessen und ihre Milch nicht getrunken werden.
  • Knochen, Zähne, Haare, Elfenbein, etc. von Tieren, deren Fleisch nicht verzehrt werden darf, sind nadschis, wenn sie von diesen Tieren abgetrennt werden, unabhängig davon ob diese Tiere leben oder bereits verendet sind.
  • Der Rauch einer verbrannten Nadschaasah ist nadschis.

Notes:

  1. Quraan (25:48)
  2. Ursprünglich: „Attaiyibaat“. Es sind Speisen, die für den normalen Geschmack genießbar sind und weder durch den Quraan, noch durch die Sunnah, noch durch Idschma` (Konsens), noch durch Qiyaas (Analogieschluss) als haraam eingestuft werden.
  3. Damit ist entweder gemeint, dass man Allaahs Namen vor dem Losschicken der Jagdtiere spricht, oder dass man Allaahs Namen über der Jagdbeute vor ihrem Tod spricht.
  4. Ursprünglich: „taqwa-gemäß“.
  5. Quraan (5:4)
  6. Gemeint sind essbare Teile und nicht die Haare, Wolle, Nägel, Hörner, Haut nach der Gerbung, etc.
  7. Tiere, deren Fleischverzehr verboten ist, bleiben auch nach einer Scharii’ah-konformen Schlachtung nadschis.
  8. Ursprünglich: „chamr“, abgeleitet von chamara: bedecken; Wein; auch jedes Rauschmittel.
  9. Ursprünglich: „Al-azlaam“. Es ist Plural von Al-zalaam: ein Pfeil, mit dem die Araber vor dem Islam ihr Los zogen.
  10. Quraan (5:90)