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Das muslimische Zentralasien


Mit Zentralasien wird eine geographische Region bezeichnet, die grob betrachtet im Süden vom Iran/Afghanistan und im Westen vom Kaspischen Meer begrenzt wird, während sie sich im Osten bis ins heutige Sinkiang (Westchina) erstreckt.

Dieser geographische Großraum kam zu unterschiedlichsten Zeiten mit der islamischen Kultur in Berührung. Vom südlich gelegenen Iran aus gelangte der Islam bereits in der Zeit der Umayyaden in die städtischen Zentren. Diese waren damals eher persischsprachig geprägt, während die Turkvölker nördlich davon in den Steppengebieten einer nomadischen Lebensweise nachgingen. Die nördlicheren Gebiete (Kasachstan) nahmen den Islam erst in den letzten Jahrhunderten an, nachdem der Süden bereits eine 1000-jährige islamische Geschichte hinter sich hatte.

Durch das spätere Vorherrschen der Turkvölker erhielt die Region den Namen “Turkestan”. In der arabischen Geschichtsschreibung wird zumindest der Süden dieses Gebiets als “ma waraa-an-nahr” bezeichnet: “Das, was jenseits des Flusses (gemeint ist der Oxus/Amudarja) liegt”. Die europäische Entsprechung hierzu ist daher “Transoxanien”.

Oberflächlich wird Zentralasien gerne als Heimat der Turkvölker bezeichnet. Dies wird dadurch verstärkt, dass die Oghusen und Seldschuken aus den dortigen Steppengebieten kamen. Die eigentliche Heimat der Turkvölker liegt, soweit man die Herkunft einer Ethnie überhaupt eindeutig bestimmen kann, weiter in Sibirien: am Altai-Gebirge, im Grenzgebiet von Kasachstan, der Mongolei, China und Sibirien.

Die Region Zentralasien umfasst heute folgende Staaten

  1. Tadschikistan:
    Im Gegensatz zu den anderen vier folgenden turksprachigen Staaten, ist die Mehrheit der Tadschiken persischer Abstammung und spricht eine mit dem Persischen fast identische Sprache. Die Tadschiken verwenden jedoch seit der Sowjet-Zeit die kyrillischen Buchstaben. Sie sind in ihrer Mehrheit sunnitisch und praktizieren die islamischen Bestimmungen nach der hanafitischen Fiqh-Schule. Heute hat Tadschikistan ca. acht Millionen Einwohner.
  2. Usbekistan:
    Usbekistan ist das bedeutendste turksprachliche Land Zentralasiens mit ca. 30 Millionen Einwohnern (darunter 2/3 Usbeken und zahlreiche Minderheiten). Dort liegen auch die wichtigen und geschichtsträchtigen islamischen Zentren Buchara, Samarkand, Taschkent und Chiwa.
  3. Turkmenistan:
    Es liegt am Kaspischen Meer, nördlich des Iran mit 6,7 Millionen Einwohnern. Früher hieß das Gebiet Chorasan (Churaasaan) mit der Stadt Merw als wichtigste Stadt. 1894 wurde Turkmenistan vom Russischen Reich eingenommen.
  4. Kasachstan:
    Mit 17 Millionen Einwohnern ist es nach Usbekistan die bevölkerungsreichste Republik. Kasachen sind jedoch nur 65% und Russen (vor allem im Norden) 22%. Die nördlichen kasachischen Steppen kamen erst im 18. Jh. mit dem Islam in Berührung. Da sich im 19. Jh. bereits die russische Kolonialisierung von Sibirien aus dort verbreitet, blieb eine tiefere Durchdringung mit islamischer Kultur aus. Die antireligiösen Maßnahmen der Sowjetunion konnten daher viel leichter wirken.
  5. Kirgisistan:
    Dort leben heute über 5,5 Millionen Menschen (mit 65% Kirgisen und 12,5% Russen). Das Kirgisische ist mit dem Kasachischen sehr nah verwandt.

Die sowjetische Nationalitätenpolitik (1917-1990) gewährte den verschiedenen Ethnien vordergründig großzügig nationale und kulturelle (weniger religiöse) Rechte. Gleichzeitig aber zielte man in den turksprachlichen Gebieten darauf ab, künstliche sprachliche Grenzen aus dem vorhandenen Dialektkontinuum herauszuarbeiten. Damit sollten pantürkistischen (panturanistischen) Ideologien, die sich seit dem Ende des 19. Jhs. dort verbreitet hatten und auf die Errichtung eines eigenständigen turksprachlichen Großreiches (möglicherweise in Verbindung mit der Türkei und den Turkvölkern Chinas und Sibiriens) hinarbeiteten, der Nährboden entzogen werden.

Die bis zur Kolonialisierung durch das Zarenreich (unter den Gebildeten) verbreitete Literatursprache des Tschagataischen (dem Vorläufer des heutigen Usbekischen) war schon im 19. Jh. zurückgedrängt worden; Stammesunterschiede wurden überbetont, damit sich aus diesen eine Reihe von kleineren, möglichst voneinander abgrenzbaren, Turksprachen und Ethnien herausbildet. Andererseits wurden die Grenzen der Sowjetrepubliken auch so gezogen, dass sich große Minderheiten der Nachbarethnien auf jeweils fremdem Boden wiederfanden.

Eine weitere wichtige Region, die gewöhnlich zum islamischen Zentralasien ge-zählt wird, ist die Autonome Provinz Sinkiang im Westen Chinas.

Die Uiguren sprechen eine dem Usbekischen äußerst nahestehende Turksprache. Seit den 80er Jahren schreibt man diese Sprache wieder mit dem arabischen Alphabet, allerdings mit einer Reihe von Sonderzeichen und völlig neuen orthographischen Regeln.

In Sinkiang kommt es wegen der von Peking geförderten starken Einwanderung von Chinesen zu einer immer spürbarer werdenden Verdrängung der Uiguren, die in vielen Städten bereits zur Minderheit geworden sind. Insgesamt hatte Sinkiang 2002 fast 20 Mio. Einwohner, weniger die Hälfte jedoch sind mittlerweile Uiguren. Mit den anderen turksprachigen Minderheiten (Kirgisen, Kasachen u. a.) ergibt sich gerade noch eine knappe Mehrheit Muslime.