.
.

.

Beginn der Kreuzzüge


Die Geisteshaltung in Europa, aus der die Kreuzzüge entstanden, war eine Mischung aus kampfbereiter Aufbruchstimmung und geistiger Endzeiterwartung. Diese Sicht wurde durch immerwährende Kriege und Verwüstungen angeheizt und führte schließlich in Kirchenkreisen der römisch-katholischen Kirche zu der Überzeugung, Kriege sollten – wenn schon kein “Gottesfriede” möglich sei – so doch zum Nutzen der lateinischen Christenheit umgeleitet werden. Diese allgemeine Haltung wurde Programm durch den Aufruf des Papstes Urban II. (488/1095) in Clermont: die heiligen Stätten des Orients (d. h. Jerusalem und die Orte des Neuen Testaments) sollten “befreit werden” von muslimischer Herrschaft, und die christliche Pilgerfahrt nach Palästina sollte durch stetige militärische Präsenz auf Dauer sichergestellt werden. Dazu sollte ein Kriegszug unter Leitung eines päpstlichen Legaten und der Führung von Königen und Fürsten dorthin geführt werden. Allerdings waren unter den Teilnehmern des ersten Kreuzzugs noch keine Könige oder Angehörige des europäischen Hochadels, sondern nur Angehörige des mittleren und mittellosen Adels, vornehmlich Südfrankreichs.

Die hervorstechendsten Merkmale dieser “Bewaffneten Pilgerfahrt”, wie der erste Kreuzzug seinerzeit von christlicher Seite verstanden wurde, waren:

  • Der vollkommene Sündenerlaß der aufrichtigen Teilnehmer. Dadurch wurde ein besonderes Sendungsbewusstsein erzeugt.
  • Das angebliche Recht – ja die Pflicht -, die “Heiden” (also die Muslime) zu ver-nichten, um so das Land in Besitz nehmen zu können.
  • Eine ausgefeilte Propaganda, um der muslimischen Gegnerseite Ausschreitungen und Gräueltaten anzudichten und so die Kampfbereitschaft der christlichen Kämpfer sicherzustellen (sehr verbreitet waren Zeichnungen, auf denen zu sehen ist, wie muslimische Kämpfer ihre Notdurft auf dem Grabe des Jesus verrichteten!).

Von der päpstlichen Partei wurde die Tatsache bewusst nicht miteinbezogen, dass eigentlich – vor der muslimischen Eroberung Syriens – der byzantinische Kaiser rechtmäßiger Lehns- und Besitzherr war und nach damaligem Verständnis auch später wieder sein müsste. Da aber die Westkirche zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Ostkirchen gebrochen hatte, wurde so von Papst Urban II. (488/1095) die Gelegenheit gesehen, die betreffenden Ländereien bewusst dem Einfluss der Ost-kirchen und ihrer weltlichen Vertreter zu entziehen. Auch waren sich die Menschen des westlichen Abendlandes über die Welt und ihre Völker jenseits des zentralen Frankenreiches, der deutschen Fürstentümer, der britischen Inseln und der italischen Grenzlande völlig im Unklaren.
Der erste Kreuzzug (492/1099) bestand aus zwei Bewegungen: dem Zug der Volksmassen, durch nicht-authorisierte Wanderprediger aufgestachelt, und die Heere unter Leitung von Königen und Kirche. Der Kreuzzug war ein offizielles Unter-nehmen der west-christlichen Welt zur Eroberung der nicht-westchristlichen Welt.
Während die Volkskreuzzüge in Anatolien von turkmenischen Kämpfern aufgerieben wurden, gelang dem offiziellen Heerzug die Einnahme Edessas, Antiochias und Jerusalems, in allen Städten mit gewaltigen Massakern und bewusster Aus-rottung aller Einwohner verbunden – auch der orientalischen Christen, die eben aufgrund von Bart-, Haartracht und Kleidung in den Augen der Kreuzfahrer nicht (westlich-) christlich aussahen.
Tatsächlich konnten die Kreuzfahrerheere auch nur in die palästinensisch-syrische Region eindringen, weil eine Situation völliger Zerrissenheit und Anarchie ihnen ein Vorwärtskommen erlaubte: ein schmaler Küstenstreifen von Tripolis bis Ägypten hin war von mittelstarken Kräften der Fatimiden besetzt; Anatolien jenseits Nordsyriens wurde von meist noch nomadisch lebenden Turkmenenfürsten durchkämmt, aber nicht wirklich beherrscht; Nordsyrien war zerspalten in die Nachfolgerfürstenreiche der ehemaligen Großseldschuken, die sich einander bekriegten. Der Osten des Abbasidenreiches hatte wiederum eigene Teildynastien ohne Bezug zur syrischen Region. Niemand dachte auf muslimischer Seite über einen Angriff wie den des ersten Kreuzzuges nach, da man nur mit den Byzantinern rechnete, mit welchen man de facto Waffenstillstände geschlossen hatte.