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Einführung


Zum besseren Verständnis des vorliegenden Werkes ist die ausführliche Darstellung einiger für ‘Aqiidah wesentlicher islamischer Fachbegriffe mit Belegen aus dem Quraan und der Sunnah dem eigentlichen Hauptteil vorangestellt.

Ich erachte diesen tiefgehenden Exkurs in die Sprachwissenschaft und in die Terminologie als sehr wichtig, um einem bedenklichen Phänomen vorzubeugen, das in den meisten deutschsprachigen Veröffentlichungen zu beobachten ist, die den Islam, den Quraan und die Sunnah betreffen, und das große negative Auswirkungen auf deren Darstellung und Verständnis im deutschen Sprachraum hat. Dieses Phänomen äußert sich in der vollständigen Ignoranz der islamischen Terminologie und in der Tendenz, bei der Übersetzung bestimmter islamischer Fachbegriffe ins Deutsche, diese Termini auf einen bzw. zwei deutsche Begriffe zu reduzieren, die meist auch noch christlich besetzt sind. Die derart kreierten Begriffe werden dann pauschal in sämtlichen Texten als scheinbar “normierte Standardübersetzung” verwendet und sorgen für Missverständnisse und Widersprüche, die vermeidbar wären, hätte man die wissenschaftlichen Mindeststandards der Terminologie berücksichtigt.

Nicht wenige dieser Begriffe werden auch in der Disziplin ‘Aqiidah “normiert”, einem Bereich, in dem man bei der Verwendung von Fach-begriffen besonders achtsam und auf Islam-Konformität bedacht sein sollte. Beispiele für derartige Begriffe 1 sind:

  • diin wird allgemein als “Religion” oder “Glaube” übersetzt.
  • islam wird allgemein wiedergegeben als “Frieden machen, die Religion Muhammads” oder “die Unterwerfung unter den Willen Allaahs”, wobei diese Unterwerfung bei den westlich sozialisierten Lesern negativ besetzt ist.
  • kufr bzw. kaafir wird allgemein als “Unglaube” bzw. “Ungläubige/r” oder im differenzierten Fall als “Glaubensverweigerung” bzw. “Glaubensverweigerer” übersetzt.
  • iimaan heißt “Glaube”.
  • muwaalaah bzw. waliy wird allgemein als “Freundschaft bzw. Freund” oder im differenzierten Fall als “Vertrauensverhältnis bzw. Vertrauter bzw. Schutzfreund” wiedergegeben.

 

Die stereotype und meist undifferenzierte Verwendung dieser “normierten Standardübersetzung” für komplexe arabische Fachbegriffe ist wissenschaftlich nicht tragbar und führt

  • zur Missachtung der immanenten Vielfalt an Interpretations- und Deutungsmöglichkeiten der arabischen Sprache und zur Ignoranz der immanenten Dimension des jeweiligen Wortumfeldes,
  • zur Ignoranz der islamischen Terminologie und damit zum Mangel an Wissenschaftlichkeit und Sachlichkeit,
  • zur mangelnden Berücksichtigung der unterschiedlichen Besetzung der Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch und
  • zur Vernachlässigung des jeweiligen quraanischen Kontextes.

 

Diese Vorgehensweise verursacht einen Negativtrend, der gravierende negative Auswirkungen hat, z. B.:

  • die Entstehung fehlerhafter und irreführender Übersetzungen und unrichtiger, wissenschaftlich nicht zutreffender Definitionen und Verständnisse, die darauf basieren,
  • Fehlinterpretationen und Erzeugung von Zerrbildern und entstellten Vorstellungen über den Islam und seine Inhalte,
  • Absinken des Niveaus der deutschsprachigen Veröffentlichungen über den Islam, die weder fundamentalen islamologischen noch sprachwissenschaftlichen Kriterien gerecht werden.

Um diesem Trend nachhaltig entgegenzuwirken, muss etwas unternommen werden. Hierfür ist zunächst umfassende Selbstkritik nötig, gefolgt von der Erkenntnis der Auswirkungen dieser mangelhaften Auseinandersetzung mit dem islamologischen Selbstverständnis auf das Bild des Islam, des Quraan, der Sunnah und der islamischen Gemeinschaft im deutschsprachigen Raum. Erst wenn diese Fehlentwicklung als solche wahrgenommen wird, kann die Diskussion darüber beginnen, wie man dieser unwissenschaftlichen Oberflächlichkeit gegensteuern kann.
Mein Ansatz zur Lösung dieses Problems, das ich seit mehr als 15 Jahren ins Bewusstsein der Muslime zu rücken versuche, besteht darin, die wesentlichen islamischen Fachbegriffe umfassend zu definieren und dann als Fremdwörter ins Deutsche zu übernehmen. Somit wird gewährleistet, dass die immanente Dimension dieser Fachbegriffe und die Vielfalt ihrer Bedeutung auch für die nicht arabophonen Sprachgruppen zumindest im Ansatz erkennbar werden.

Um dem nicht arabischsprachigen Leser eine Hilfe zu bieten, das richtige semantische Verständnis der hier verwendeten Fachbegriffe zu entwickeln, werden wichtige ‘Aqiidah-Termini wie

  • diin,
  • islaam, muslim,
  • iimaan, mu’min,
  • kufr, kaafir,
  • schirk, muschrik,
  • muwaalaah, waliy und
  • ‘aqiidah

im Folgenden sprachwissenschaftlich und auf der Basis von Quraan und Sunnah definiert. Im eigentlichen Hauptteil werden dann diese vorab definierten Termini als feststehende Fachbegriffe in Form von Fremdworten benutzt. Andere, hier nicht definierte islamische Fachbegriffe werden im jeweiligen Kapitel definiert und ebenfalls bei Bedarf als Fremdwörter eingeführt. Mit diesem Ansatz möchte ich

  • eine möglichst genaue Begriffsbestimmung der islamischen Fachbegriffe bzw.
  • eine möglichst anschauliche Erklärung der Begriffsinhalte islamischer Fachbegriffe mit den relevanten Bedeutungsnuancen und Deutungs- bzw. Interpretationsmöglichkeiten vornehmen und damit einen neuen sicher noch verbesserungsfähigen Weg beschreiten.

 

Bei der Begriffsbestimmung der zu behandelnden Fachbegriffe wird folgendes Schema angewendet:

– Linguistische Erläuterung ihrer Bedeutung und ihres Wortumfelds und

– Erläuterung ihrer fachspezifischen Definition

1. Linguistische Bedeutung und Wortumfeld

Für die sprachwissenschaftliche Erläuterung werden die Bedeutung und das Wortumfeld dieser Begriffe aus dem Lexikon der arabischen Sprache “lisaanul-‘arab لسان العرب” von Imaam “Ibnu-mandhuur 2 ابن منظور” angeführt. Dies dient dazu, die unterschiedliche Besetzung der behandelten Begriffe im arabischen Sprachgebrauch zu verdeutlichen.

Zusätzlich wird die komplexe mehrschichtige Dimension der jeweiligen Fachbegriffe an einigen Beispielen von Wörtern des jeweiligen Wortumfeldes mit der gleichen Wortwurzel und deren grammatikalischen Ableitungen aufgezeigt. Dadurch werden die unterschiedlichen Bedeutungsnuancen im quraanischen Kontext verständlicher gemacht.

2. Fachspezifische Definition

Diese Rubrik dient dazu, die Unterschiede zu den jeweiligen “deutschen Fachbegriffen” aufzuzeigen, und zwar

a) in Bezug auf Allaah (ta’aala)

Bei einigen Fachbegriffen wird der Bezug zu Allaah (ta’aala) separat zum allgemeinen islamischen Bezug aufgeführt, weil dies wesentlich für das Verständnis ist.

b) im islamischen fachspezifischen Kontext

Für die islamologische Definition wird bei einigen Fachbegriffen nochmals zwischen der allgemeinen Wortbedeutung und der im edlen Quraan verwendeten spezifischen Bedeutung differenziert.

Aus dem Buch “nuzhatul-a’yunin-nawaadhir fi ‘ilmil-wudschuuhi wan-nadhaair, نزهة الأعين النواظر في علم الوجوه والنظائر, Ausflug der nachdenklichen Augen in die Wissenschaft der Arten und sinnverwandter Wörter” von Imaam Ibnul-dschauziy 3 wird die Kategorisierung der Fachbegriffe übernommen, um ihre spezielle Bedeutung im Quraan- und Sunnah-Kontext sowie ihre Verwendungs- und Bedeutungsvielfalt zu erläutern. Diese Kategorisierung basiert auf einer Zusammenfassung der Literatur namhafter Islamologen zu diesem Thema mit Belegstellen aus dem edlen Quraan.

Bemerkung:

Die Begriffe “Islamwissenschaftler, Islamwissenschaft” und deren Ableitungen vermeide ich meist bewusst,

  • um mich von der westlich geprägten “Islamwissenschaft” zu distanzieren, deren eigentliches Beschäftigungsfeld bekanntermaßen nicht der Islam der Muslime ist, sondern vor allem orientalische Philologie und ein eigenkreiertes Islamzerrbild, und
  • um keine Analogie mit den im Westen unter diesem Wort bekannten Pseudo-Experten für den Islam zu suggerieren.

 

Ich ziehe folgende Begriffe vor Islamologie, Islamologe/Islamologen.

Islamologen sind Muslime, die sich wissenschaftlich mit dem Islam und seinen Wissenschaften befassen. Auch als Synonym für die islamischen Gelehrten.

Islamologie umfasst die wissenschaftlichen Disziplinen des Islam wie ‘Uluumul-quraan, ‘Uluumul-hadiith, Usuulul-fiqh, Fiqh, etc.


Notes:

  1. Beispiele hierfür finden sich auch in den verbreiteten „Quraan-Übersetzungen“.
  2. Imaam Muhammad Bnu-makram Bnu-mandhuur (630/1233 – 711/1311), verfasste handschrift­lich mehr als 500 Schriften über die verschiedenen Diziplinen der arabischen Sprache.
  3. Imaam Abdur-rahmaan Bnu-’aliy Al-dschauziy aus Bagdad (510/1116 – 597/1201), verfasste hand­schriftlich ca. 300 Schriften in den Fächern der Quraan-Wissenschaft, Hadiith-Wissenschaft, Geschichte und arabische Sprache.