I) al-haqiiqah الحقيقة: Der sprachlich wörtliche Ausdruck
A) Begriffsbestimmung von al-haqiiqah
al-haqiiqah bedeutet linguistisch im wörtlichen Sinne “al-mutaabaqah المطابقة: die Übereinstimmung, die Wahrheit, die Wirklichkeit und Tatsache”.
Fachspezifisch ist al-haqiiqah der sprachliche Ausdruck (Wort bzw. Satz), der genau so verwendet wird, wie er sich ursprünglich im sprachlichen Gebrauch herausgebildet hat bzw. wie er definiert wurde.
Diese Definition beinhaltet alle drei haqiiqah-Typen.
B) Typen von al-haqiiqah
Die haqiiqah wird gewöhnlich in drei Typen eingeteilt:
- al-haqiiqatul-lughawiyyah الحقيقة اللغوية: Der ursprünglich wörtliche Ausdruck
Darunter versteht man die Ausdrücke (Wörter/Sätze), die gemäß ihrer ursprünglichen sprachlichen Bedeutung verwendet werden.
Beispiele:
– Verwendung der Wörter “as–saif الصيف für den Sommer und asch-schitaa´ الشتاء für den Winter;
– Verwendung des Wortes ad-daabbah الدابة für alle Lebewesen, die auf der Erde gehen, u. a. Menschen und Tiere. - al-haqiiqatul-‘urfiyyah الحقيقة العرفية: Der umgangssprachlich wörtliche Ausdruck
Diese Kategorie wird wiederum in zwei eingeteilt:
– al-haqiiqatul-‘urfiyyatul-‘aammah الحقيقة العرفية العامة: Der umgangssprachlich wörtliche allgemeingültige Ausdruck
Darunter versteht man einen Ausdruck, dessen ursprüngliche wörtliche Bedeutung aufgrund der häufigen Verwendung durch die Allgemeinheit vernachlässigt und von einer neuen Bedeutung überlagert und nur noch so verwendet wird.
Diese Überlagerung der Bedeutung ereignet sich auf zwei Ebenen:
a.) Durch Bedeutungsverengung:
Ein Polysem wird bei der Verwendung auf eine (bzw. wenige) seiner möglichen ursprünglichen Bedeutungen reduziert und von der Allgemeinheit nur noch mit dieser verengten Bedeutung verwendet.
Beispiel:
ad-daabbah الدابة ist ein Polysem, das alle Lebewesen umfasst, die auf der Erde gehen, u. a. Menschen und Tiere. Durch Bedeutungsverengung wurde dieses Wort von der Allgemeinheit nur noch als Bezeichnung für die Huftiere gebraucht, so dass dieses Wort heute nur mit dieser verengten Bedeutung verwendet wird.
b.) Durch Verwendung des Ausdrucks im übertragenen SinneEin Ausdruck wird im übertragenen Sinne so verwendet, dass er danach von der Allgemeinheit nur noch metaphorisch gebraucht wird.
Beispiele: - Verwendung des Ausdrucks “Wein ist haraam/verboten”: Dieser Ausdruck wird im übertragenen Sinne verstanden, da der Wein an sich eine Flüssigkeit ist, die schon existiert. So bezieht sich das Scharii’ah-Haraam-Gebot logischerweise nicht auf den Wein als Flüssigkeit, sondern auf seinen Konsum. Dieser Ausdruck müsste im wörtlichen Sinne heißen “das Trinken bzw. der Konsum von Wein ist haraam”.
- Verwendung des Begriffs “adh–dha’iinah الظعينة” für die Ehefrau: adh–dha’iinah bedeutet ursprünglich sprachlich das Reitkamel mit einer Sänfte.
- Verwendung des Wortes al-ghaait الغائط für die Exkremente: al-ghaait bedeutet ursprünglich sprachlich “der tiefe Ort bzw. die Senke”.
– al-haqiiqatul-‘urfiyyatul-chaassah الحقيقة العرفية الخاصة: Der fachspezifische Ausdruck bzw. der Terminus technicus bzw. der Fachausdruck
Darunter versteht man alle Definitionen in einer wissenschaftlichen Disziplin.
Beispiel: Die fachspezifischen Definitionen und Fachausdrücke in den Disziplinen der Usuulul-fiqh, Fiqh, Mathematik, Physik, Quraan- und Hadiith-Wissenschaft, etc.
- al-haqiiqatusch-schar’iyyah الحقيقة الشرعية: Der wörtliche Scharii’ah-Ausdruck
Darunter fallen alle Ausdrücke, die durch die Scharii’ah mit neuen Inhalten gefüllt wurden und somit neue Bedeutungen erhalten haben.
Beispiele:
– Benennung des Engels Dschibriil (‘alaihis-salaam) als ar-ruuhul-amiin الروح الأمين und ruuhul-qudus روح القدس
وَإِنَّهُۥ لَتَنزِيلُ رَبِّ ٱلۡعَٰلَمِينَ ١٩٢ نَزَلَ بِهِ ٱلرُّوحُ ٱلۡأَمِينُ ١٩٣ عَلَىٰ قَلۡبِكَ لِتَكُونَ مِنَ ٱلۡمُنذِرِينَ ١٩٤ بِلِسَانٍ عَرَبِيّٖ مُّبِينٖ ١٩٥
Er (der Quraan) ist zweifelsohne eine Hinabsendung Des Herrn der Schöpfung! (193) Mit ihm kam ar-ruuhul-amiin (Dschibriil 1) herunter, (194) in dein Inneres hinein – damit du einer der Warner wirst – (195) in einer erläuternden arabischen Sprache. 2
Diese haqiiqah schar’iyyah (Dschibriil als ar-ruuhul-amiin) wird in fast allen Übersetzungen der Bedeutungen des Quraan ignoriert und mit dem ursprünglich jedoch hier nicht angebrachten sprachlichen Begriff “Geist” wiedergegeben. 3
وَإِذَا بَدَّلۡنَآ ءَايَةٗ مَّكَانَ ءَايَةٖ وَٱللَّهُ أَعۡلَمُ بِمَا يُنَزِّلُ قَالُوٓاْ إِنَّمَآ أَنتَ مُفۡتَرِۢۚ بَلۡ أَكۡثَرُهُمۡ لَا يَعۡلَمُونَ ١٠١ قُلۡ نَزَّلَهُۥ رُوحُ ٱلۡقُدُسِ مِن رَّبِّكَ بِٱلۡحَقِّ لِيُثَبِّتَ ٱلَّذِينَ ءَامَنُواْ وَهُدٗى وَبُشۡرَىٰ لِلۡمُسۡلِمِينَ ١٠٢
Wenn Wir ein Wort anstelle eines anderen Wortes austauschen – und Allaah weiß besser, was Er hinabsendet – sagen sie: “Du bist doch nur ein Erdichter!” Nein, sondern die meisten von ihnen wissen es nicht. (102) Sag: ‚Nach und nach hinabgesandt hat ihn Dschibriil 4 von deinem Herrn wahrheitsgemäß, damit Er diejenigen festigt, die den Iimaan verinnerlichten, und als Rechtleitung und als frohe Botschaft für die Muslime.” 5
Auch die haqiiqah schar’iyyah (Dschibriil als ruuhul-qudus) wird in fast allen Übersetzungen nicht beachtet und zudem mit dem terminologisch bereits besetzten christlichen Begriff “Heiliger Geist” wiedergegeben, obwohl die Bezeichnung ruuhul-qudus in allen Tafsiir-Werken ohne Ausnahme mit Dschibriil (‘alaihis-salaam) erklärt wird.
Die Wiedergabe des Ausdrucks ruuhul-qudus als “Heiliger Geist” führt unweigerlich zu gravierenden Missverständnissen, auch unter den nicht arabischkundigen Muslimen, verletzt die Regeln einer qualifizierten seriösen Übersetzung, und verfälscht die eigentliche quraanische Bedeutung in eklatanter Weise. 6
– as–salaah الصلاة: as–salaah bedeutet ursprünglich wörtlich “ad-du’aa´ الدعاء: das Bittgebet”. Die Scharii’ah definiert jedoch darunter “eine bestimmte Handlung, die mit “al-laahu-akbar” beginnt und mit “as-salaamu
‘alaikum” endet, also das islamische rituelle Gebet und nicht das gewöhnliche Bittgebet.
– az-zakaah الزكاة: az-zakaah bedeutet ursprünglich wörtlich “an-namaa´ النماء: Zuwachs bzw. at-tathiir التطهير: die Reinigung”. Die Scharii’ah definierte darunter “ein bestimmtes Vermögen, das aus einem bestimmten Vermögen entrichtet wird”.
Man bemerkt, dass as–salaah und az-zakaah vor dem Islam bekannt waren und von der Allgemeinheit auch verwendet wurden, jedoch nicht mit den Bedeutungen, die durch die Scharii’ah nach dem Islam neu belegt wurden. Deshalb stuft die Mehrheit der Usuul-Gelehrten diese spezifischen Scharii’ah-Ausdrücke als sprachliche Metaphern ein, die sich durch die Verwendung der Scharii’ah zu wörtlichen Scharii’ah-Ausdrücken (haqiiqah schar’iyyah) entwickelten.
II) al-madschaaz المجاز: Der sprachlich metaphorische Ausdruck
A) Begriffsbestimmung von al-madschaaz
al-madschaaz bedeutet linguistisch im wörtlichen Sinne “der Gang, den man geht; bzw. der Pass”. Das Verb dschaaza جاز bedeutet “etwas überqueren bzw. passieren”.
Fachspezifisch ist al-madschaaz der Ausdruck (Wort bzw. Satz), der aufgrund einer gegenseitigen Relation (‘alaaqah علاقة) nicht so verwendet wird, wie er sich ursprünglich im sprachlichen Gebrauch herausgebildet hat bzw. wie er definiert wurde.
B) Einteilung von al-madschaaz
al-madschaaz umfasst wie al-haqiiqah ebenfalls drei Typen:
- Die sprachliche Metapher (al-madschaazul-lughawiy المجاز اللغوي)
Darunter versteht man jeden Ausdruck, der in der Sprache aufgrund einer gegenseitigen Relation (‘alaaqah علاقة) nicht so verwendet wird, wie er sich ursprünglich im sprachlichen Gebrauch herausgebildet hat.
Beispiele:
– yadd يد bedeutet im wörtlichen Sinne bezogen auf den Menschen Hand oder Arm und im übertragenen Sinn “Macht bzw. Gabe bzw. Gefallen”.
– Verwendung des Wortes “al-habl الحبل” für das von Allaah (ta’aala) Gebotene als das Gelöbnis Allaah (ta’aala) gegenüber und für den Quraan: Die Araber verwenden den Begriff al-habl für al-‘qad العقد (wörtlich: das Verknoten der Vertrag).
Sie stellen eine Ähnlichkeitsbeziehung (taschbiih تشبيه) zwischen dem Verknoten zweier Seile und der Verbindung zweier Vertragspartner her, so drücken sie mit dem Begriff al-habl den Vertrag al-‘qad aus.
وَٱعۡتَصِمُواْ بِحَبۡلِ ٱللَّهِ جَمِيعٗا وَلَا تَفَرَّقُواْۚ
waعtasimu bihablil-laahi dschamiiعan wala tafar-raqu
Haltet fest an dem von Allaah Gebotenen – allesamt, und zersplittert euch nicht! 7 8
– “tab-bat yadaah تبت يداه” bedeutet ursprünglich wörtlich “seine Hände haben verloren bzw. Vernichtung sei seinen Händen”. Dieser Ausdruck wird hier jedoch als al-madschaaz verwendet, um Vernichtung für den Menschen und für seine Handlungen insgesamt auszudrücken 9 und nicht nur für seine Hände. Allaah (ta’aala) sagte im Quraan:
تَبَّتۡ يَدَآ أَبِي لَهَبٖ وَتَبَّ ١
tab-bat yadaa abi lahabin watabb
Vernichtung sei Abu-lahab, Vernichtung sei ihm! 10
- Die Scharii’ah-Metapher (al-madschaazusch-schar’iy المجاز الشرعي)
Darunter versteht man jeden wörtlichen Scharii’ah-Ausdruck, der in der Scharii’ah so verwendet wird, um eine andere Bedeutung als die dort Verwendete auszudrücken, selbst dann sollte diese andere Bedeutung die ursprünglich wörtliche Bedeutung dieses Ausdrucks sein.
Beispiel:
as–salaah in der Scharii’ah ist “eine bestimmte Handlung, die mit “al-laahu-akbar” beginnt und mit “as-salaamu ‘alaikum” endet, d. h. das rituelle Gebet. Wenn as–salaah nun in der Scharii’ah in seiner ursprünglich wörtlichen Bedeutung, als “ad-du’aa´ الدعاء: das Bittgebet” verwendet würde, dann stellt es dort eine Scharii’ah-Metapher dar.
- Die umgangssprachliche Metapher (al-madschaazul-‘urfiy المجاز العرفي)
Diese Metapher wird in al-madschaazul-‘urfiyul-‘aam المجاز العرفي العام und al-madschaazul-‘urfiyul-chaas المجاز العرفي الخاص eingeteilt.
Unter al-madschaazul-‘urfiyul-‘aam versteht man jeden umgangssprachlich wörtlichen allgemeingültigen Ausdruck, der in der Umgangssprache so verwendet wird, um eine andere Bedeutung als die für ihn dort Verwendete auszudrücken, selbst dann sollte diese andere Bedeutung die ursprünglich wörtliche Bedeutung dieses Ausdrucks darstellen.
Unter al-madschaazul-‘urfiyul-chaas versteht man jeden Fachausdruck, der in einer Fachwissenschaft verwendet wird, um dadurch eine andere Bedeutung als die dort für diesen Fachausdruck Verwendete auszudrücken, selbst dann sollte diese andere Bedeutung die ursprünglich wörtliche Bedeutung dieses Fachausdrucks darstellen.
Beispiele:
– Verwendung des Begriffs ad-daabah in der Umgangssprache in der ursprünglich sprachlichen Bedeutung als Bezeichnung für jedes Lebewesen, das auf der Erde geht, sei es Mensch oder Tier.
– Verwendung des Begriffs as–salaah in der Scharii’ah nicht in der Bedeutung des rituellen Gebets, sondern in der ursprünglich sprachlichen Bedeutung des Bittgebets.
al-madschaaz wird dazu eingeteilt in:
- Wort-Metapher: Man bezeichnet beispielsweise einen faulen Menschen als Esel oder einen Tapferen als Löwen. Im Quraan wurde z. B. in vielen Aayaat das Gesicht als Ausdruck für das ganze Wesen bzw. für den gesamten Körper verwendet.
- Satz-Metapher: “Berlin gewann die Abstimmung als Hauptstadt” bedeutet, dass diejenigen gewonnen haben, die Berlin als Hauptstadt haben wollten, denn die Stadt Berlin selbst mit ihren Häusern und Straßen kann weder gewinnen noch verlieren.
C) Verwendung von al-haqiiqah und al-madschaaz
Folgende Regeln müssen bei der Verwendung von al-haqiiqah und al-madschaaz berücksichtigt werden:
- Die sprachlichen Ausdrücke werden in der Regel gemäß ihrer haqiiqah-Bedeutung verstanden, wenn es keinen Beleg gibt, um diese nach der madschaaz-Bedeutung zu verstehen. Dabei berücksichtigt man das Umfeld und den Kontext. Man fasst diesen Aspekt mit der Regel: “maßgeblich in der Sprache ist die haqiiqah-Bedeutung” zusammen.
Beispiel:
وَلَا تَجۡعَلۡ يَدَكَ مَغۡلُولَةً إِلَىٰ عُنُقِكَ وَلَا تَبۡسُطۡهَا كُلَّ ٱلۡبَسۡطِ فَتَقۡعُدَ مَلُومٗا مَّحۡسُورًا ٢٩
Halte deine Hand nicht (aus Geiz verschlossen, als wäre sie) an deinem Hals gebunden, und strecke sie nicht (verschwenderisch) total aus, sonst wirst du zu einem, dem Vorwürfe gemacht werden, und zu einem Selbstankläger. 11
Da diese Aayah keine wörtliche Scharii’ah-Bedeutung beinhaltet, sollte sie nach der ursprünglich sprachlichen Bedeutung verstanden werden, doch durch die Indizien ist klar, dass in dieser Aayah die ursprünglich sprachliche Bedeutung nicht gewollt ist, da sie im Kontext des Verbotes von Verschwendung steht, und deshalb muss sie nach der sprachlich metaphorischen Bedeutung verstanden werden. 12
Im Scharii’ah-Bereich wird zuerst die wörtliche Scharii’ah-Bedeutung verstanden. Sollte dies nicht möglich sein, dann sucht man nach der umgangssprachlich wörtlichen Bedeutung. Sollte dies nicht möglich sein, dann geht man zu der ursprünglich sprachlichen Bedeutung über. Alle Bedeutungen außer der wörtlichen Scharii’ah-Bedeutung stellen eine Scharii’ah-Metapher dar.
- Sollten sich die haqiiqah– und madschaaz-Bedeutung widersprechen, dann werden die Ausdrücke nach der Mehrheit der Gelehrten nach ihrer haqiiqah-Bedeutung verstanden, da diese die Regel darstellt. Die Gelehrten der hanafitischen Schule verstehen sie nach der weit verbreiteten metaphorischen Bedeutung.
لَا يُؤَاخِذُكُمُ ٱللَّهُ بِٱللَّغۡوِ فِيٓ أَيۡمَٰنِكُمۡ وَلَٰكِن يُؤَاخِذُكُم بِمَا عَقَّدتُّمُ ٱلۡأَيۡمَٰنَۖ فَكَفَّٰرَتُهُۥٓ إِطۡعَامُ عَشَرَةِ مَسَٰكِينَ مِنۡ أَوۡسَطِ مَا تُطۡعِمُونَ أَهۡلِيكُمۡ أَوۡ كِسۡوَتُهُمۡ أَوۡ تَحۡرِيرُ رَقَبَةٖۖ فَمَن لَّمۡ يَجِدۡ فَصِيَامُ ثَلَٰثَةِ أَيَّامٖۚ ذَٰلِكَ كَفَّٰرَةُ أَيۡمَٰنِكُمۡ إِذَا حَلَفۡتُمۡۚ وَٱحۡفَظُوٓاْ أَيۡمَٰنَكُمۡۚ كَذَٰلِكَ يُبَيِّنُ ٱللَّهُ لَكُمۡ ءَايَٰتِهِۦ لَعَلَّكُمۡ تَشۡكُرُونَ ٨٩
Allaah belangt euch nicht für Unbedachtes in euren Eiden. Doch Er belangt euch für Eide, die ihr mit Bedacht geschworen habt (und nicht einhaltet). Die Wiedergutmachung dafür ist die Speisung von zehn Bedürftigen in jenem Maß, wie ihr die Eurigen im Durchschnitt speist, ihre Bekleidung oder die Befreiung eines Unfreien. Wer es aber nicht leisten kann, hat drei Tage zu fasten. Dies ist die Wieder-gutmachung1 für eure Eide, wenn ihr sie geschworen habt (und nicht einhaltet). Beachtet eure Eide! 13
Die haqiiqah-Bedeutung für “zehn Bedürftige” ist, dass man 10 verschiedene Bedürftige speist. Diese ursprünglich sprachliche Bedeutung ist klar und wird auch verwendet. Dazu gibt es aber auch eine andere metaphorische Bedeutung, nämlich dass man einen Bedürftigen 10-mal speist. Die Mehrheit der Gelehrten verlangt die Anwendung der ursprünglich sprachlichen Bedeutung, während die Hanafiten erlauben, dass man einen Bedürftigen 10-mal speist.
- Wenn die madschaaz-Bedeutung die verbreitete und meistverwendete Bedeutung ist, dann werden die Ausdrücke je nach Lehrmeinung entweder nach ihrer haqiiqah– oder nach ihrer madschaaz-Bedeutung verstanden oder gleich behandelt.
Beispiel:
“at–talaaq الطلاق” bedeutet ursprünglich sprachlich “die Entfesselung”, dabei spielt es keine Rolle, ob diese Entfesselung aus der Ehe oder aus etwas anderem erfolgt. Die Umgangssprache schränkte jedoch die Bedeutung von at–talaaq auf die Entlassung aus der Ehe ein. Danach bedeutet at–talaaq i. A. “die Ehescheidung”.
- Möglichkeit der gleichzeitigen Verwendung eines Ausdrucks sowohl in seiner haqiiqah– als auch in seiner madschaaz-Bedeutung
Die Schaafi’iten und Maalikiten lassen dies bei besonderen Fällen im Gegensatz zu den Hanafiten zu.
Beispiel:
وَإِن كُنتُم مَّرۡضَىٰٓ أَوۡ عَلَىٰ سَفَرٍ أَوۡ جَآءَ أَحَدٞ مِّنكُم مِّنَ ٱلۡغَآئِطِ أَوۡ لَٰمَسۡتُمُ ٱلنِّسَآءَ فَلَمۡ تَجِدُواْ مَآءٗ فَتَيَمَّمُواْ صَعِيدٗا طَيِّبٗا
(…) Wenn ihr krank oder auf Reisen seid, oder von der Notdurft kommt oder eure Frauen (intim) berührt habt und kein Wasser findet, dann sucht reine Erde auf … 14
Das arabische Verb “laamasaلامس ” bedeutet “die Frau berühren, sowohl im ursprünglich sprachlichen Sinne (haqiiqah) für die übliche Berührung, als auch im metaphorischen Sinne (madschaaz) für den Geschlechtsverkehr.” Beide Bedeutungen berücksichtigen die Schaafi’iten.
Die hanafitischen Gelehrten schließen die haqiiqah-Bedeutung hier aus, da die madschaaz-Bedeutung zur Geltung kommt, weil ein Dschunub 15 ebenfalls Tayammum vollziehen darf. Deshalb muss man nach ihrer Meinung nach einer üblichen Berührung seiner Ehefrau, die nicht mit Erregung begleitet ist, die Gebetswaschung nicht erneuern.
Notes:
- „ar-ruuhul-amiin“, ursprünglich wörtlich: „der treue Geist“, eine Bezeichnung für den Engel Dschibriil (’alaihis-salaam) ↩
- Quraan (26:192-195) ↩
- Beispiele für die Verletzung dieses Aspektes in den Übersetzungen der Bedeutungen des Quraan:
Bubenheim: „Und er ist ganz sicher eine Offenbarung des Herrn der Weltenbewohner; (193) mit dem der vertrauenswürdige Geist herabgekommen ist (194) auf dein Herz, damit du zu den Überbringern von Warnung gehörst, (195) in deutlicher arabischer Sprache.“
Max Henning (Ditib- und Hofmann-Ausgabe): „Und siehe, er (der Koran) ist eine Offenbarung des Herrn der Welten. (193) Hinab kam mit ihm der getreue Geist (194) Auf dein Herz, damit du einer der Warner seiest (195) In offenkundiger arabischer Zunge.“
Ahmad v. Denffer: „Und er ist bestimmt eine Herabsendung vom Herrn der Welten, (193) Damit ist der vertrauenswürdige Geist herabgekommen, (194) Auf dein Herz, damit du einer von den Warnern bist, (195) In klarer arabischer Sprache.“ ↩
- Ursprünglich: „ruuhul-qudus“: ursprünglich wörtlich „der Reine Geist“. ↩
- Quraan (16:101-102) ↩
-
Beispiele für die Verletzung dieses Aspektes in den Übersetzungen der Bedeutungen des Quraan:
Bubenheim: „Und wenn Wir einen Vers anstelle eines (anderen) Verses austauschen – und Allah weiß sehr wohl, was Er offenbart -, sagen sie: „Du ersinnst nur Lügen.” Aber nein! Die meisten von ihnen wissen nicht.(102) Sag: Offenbart hat ihn der Heilige Geist von deinem Herrn mit der Wahrheit, um diejenigen, die glauben, zu festigen, und als Rechtleitung und frohe Botschaft für die (Allah) Ergebenen.“
Max Henning (Ditib-Ausgabe): „Und wenn Wir ein Zeichen mit einem andern vertauschen – und Allah weiß am besten, was Er hinabsendet – sprechen sie: „Du bist nur ein Erdichter.“ Aber die meisten von ihnen sind ohne Einsicht. (102) Sprich: „Herabgesandt hat ihn der Heilige Geist von deinem Herrn in Wahrheit, um die Gläubigen mit ihm zu stärken, und als eine Leitung und Heilsbotschaft für die Muslime.“
Max Henning (Hofmann-Ausgabe): „Und wenn Wir einen Vers durch einen anderen ersetzen – und Allah weiß am besten, was Er hinabsendet -, sagen sie: „Du bist nur ein Erdichter.“ Aber die meisten von ihnen sind ohne Einsicht. (102) Sprich: „Der Geist der Heiligkeit hat ihn von deinem Herrn gebracht, in Wahrheit, um die Gläubigen damit zu stärken, und als eine Leitung und Heilsbotschaft für die Gottergebenen.“
Ahmad v. Denffer: „Und wenn Wir ein Zeichen an die Stelle eines Zeichens ausgewechselt haben – und Allah weiß am besten, was Er herabkommen lässt – sagen sie: ’Du denkst es dir aus’, – vielmehr wissen die meisten von ihnen nicht Bescheid. (102) Sag: Der heilige Geist hat es herabkommen lassen von meinem Herrn gemäß der Wahrheit, damit es diejenigen festigt, die glauben, und als Rechtleitung und als gute Kunde für die friedenmachend Ergebenen.“
Rassoul:: „”Und wenn Wir einen Vers an Stelle eines anderen bringen – und Allah weiß am besten, was Er offenbart -, sagen sie: “”Du bist nur ein Erdichter.”” Nein, aber die meisten von ihnen wissen es nicht.” “Sprich: “”Der Geist der Heiligkeit hat ihn (den Qur’an) von deinem
Herrn in Wahrheit herabgebracht, auf daß Er die festige, die da glauben, und (er hat den Qur’an) zu einer Führung und einer frohen Botschaft für die Gottergebenen (herabgebracht).”””“
Rudi Paret: „”Und wenn wir einen Vers anstelle eines anderen eintauschen – und Allah weiß (ja) am besten, was er (als Offenbarung) herabsendet -, sagen sie: “”Es ist ja eine (reine) Erfindung von dir.”” (Das ist nicht wahr.) Aber die meisten von ihnen wissen (es) nicht.” (102) Sag: Der heilige Geist hat ihn von deinem Herrn mit der Wahrheit herabgesandt, um diejenigen, die glauben, zu festigen, und als Rechtleitung und Frohbotschaft für die, die sich (Allah) ergeben haben (al-muslimiena).“ ↩
- Quraan (3:103). Man die Bedeutung auch so übertragen: „Haltet das Gelöbnis Allaah (ta’aala) gegenüber – allsamt …“ ↩
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In den meisten Übersetzungen der Bedeutungen des Quraan berücksichtigen die Übersetzer diesen fachspezifischen Aspekt jedoch nicht und verwenden habl in der ursprünglich sprachlichen Be-deutung, obwohl diese hier nicht gemeint sein kann und von den Gelehrten nicht so verstanden wird:
Bubenheim: „Und haltet alle fest am Seil Allahs und geht nicht auseinander!“
Henning (Ditib-Ausgabe): „Und haltet fest an Allahs Seil insgesamt, und zerfallt nicht“
Ahmad v. Denffer: „Und haltet euch fest am Bindeseil Allahs, allesamt, und zertrennt euch nicht,“
Rassoul: „Und haltet insgesamt an Allahs Seil fest, und zerfallet nicht,Henning (Hofmann-Ausgabe): „Und haltet allesamt an Allahs Seil fest, und zersplittert euch nicht“ ↩
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In den meisten Übersetzungen der Bedeutungen des Quraan berücksichtigen die Übersetzer diesen Aspekt jedoch nicht und verwenden tab-bat yadaah in der ursprünglich sprachlichen Bedeutung:
Bubenheim: „Zugrunde gehen sollen die Hände Abu Lahabs, und zugrunde gehen soll er (selbst)!“
Henning (Ditib-Ausgabe): „Verderben über die Hände Abu Lahabs und Verderben über ihn!“
Ahmad v. Denffer: „Verderben den Händen von Abu Lahab, und ihm Verderben!“
Rassoul: „Zugrunde gehen sollen die Hände Abu Lahabs! Und (auch er selbst) soll zugrunde gehen!“
Henning (Hofmann-Ausgabe): „Zugrundegehen sollen die Hände von Abu Lahab! Und er soll zugrunde gehen!“ ↩
- Quraan (111:1) ↩
- Quraan (17:29) ↩
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In den meisten Übersetzungen der Bedeutungen des Quraan berücksichtigen die Übersetzer diesen fachspezifischen Aspekt jedoch nicht und übersetzen die Aayah mit der ursprünglich sprachlichen Bedeutung, obwohl diese hier nicht gemeint sein kann und nicht so verstanden wird:
Bubenheim: „Und lasse deine Hand nicht an deinem Hals gefesselt sein, strecke sie aber auch nicht vollständig aus, sonst würdest du getadelt und (aller Mittel) entblößt dasitzen.“
Henning (Ditib-Ausgabe): „Und laß deine Hand nicht an deinen Hals gefesselt sein, und öffne sie nicht, so weit du vermagst, so dass du getadelt und verarmt dasitzest.“
Ahmad v. Denffer: „Und mache nicht deine Hand wie an deinen Nacken gefesselt und weite sie nicht jedesmal aus, und du sitzt dann da, getadelt, bloßgestellt.“
Rassoul: „Und laß deine Hand nicht an deinen Hals gefesselt sein, aber strecke sie auch nicht zu weit geöffnet aus, damit du nicht getadelt (und) zerschlagen niedersitzen mußt.“ ↩
- Quraan (5:89) ↩
- Quraan (5:6) ↩
- Dschunub ist eine Person in einem Zustand, in dem sie bestimmte rituelle Handlungen wie Gebet, Tawaaf nicht verrichten darf. In diesen Zustand kommt man durch Geschlechtsakt oder Samenerguss. ↩