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Einteilung der Scharii’ah-Gebote


al-ahkaamusch-schar’iyyah الأحكام الشرعية (Singular al-hukmusch-schar’iy), die Scharii’ah-Gebote werden je nach Bezug unterschiedlich eingeteilt. Die wichtigsten Einteilungskategorien lauten:

– Einteilung hinsichtlich “des Handelns des Mukallaf” oder “der Festlegung von etwas als Voraussetzung, Bedingung oder Hindernis für etwas anderes” wird unterschieden zwischen:
al-hukmut-takliifiy الحكم التكليفي: den Takliifi-Geboten und
al-hukmul-wad‘iy الحكم الوضعي: den Wad‘i-Geboten.

– Einteilung hinsichtlich “der Verrichtungszeit einer ‘ibaadah عبادة, d. h. hinsichtlich der Verrichtung ritueller Handlungen, in der für sie bestimmten Zeit oder nach dieser Zeit” wird unterschieden zwischen:
al-adaa’ الأداء: den innerhalb ihrer Zeit vollzogenen Geboten,
al-qadaa’ القضاء: den nachgeholten Geboten, und al-i’aadah الإعادة: den wiederholten Geboten.

– Einteilung hinsichtlich des “Gebotenen (al-ma’muru bihi المأمور به)” wird unterschieden zwischen:
al-mu’aiyan المعين: den genau bestimmten Geboten und
al-muchaiyar المخيير: den wählbaren Geboten.

– Einteilung hinsichtlich “der Zeit der Erfüllung des Scharii’ah-Gebots” wird unterschieden zwischen:
al-mudaiyaq المضيق: den eng bemessenen Geboten und
al-muwassa’ الموسع: den weit bzw. großzügig bemessenen Geboten.

– Einteilung hinsichtlich “des Gebotsempfängers (al-ma’muur المأمور)” wird unterschieden zwischen:
al-waadschibul-‘ainiy الواجب العيني: den individuellen Muss-Geboten und
al-waadschibul-kifaaiy الواجب الكفائي: den gemeinschaftlichen Muss-Geboten.

– Einteilung hinsichtlich “der Konformität des Scharii’ah-Gebots mit dem Scharii’ah-Beleg (daliil) oder nicht” wird unterschieden zwischen:
ar-ruchsah الرخصة: den Ausnahme-Geboten und
al-‘aziimah العزيمة: den Regel-Geboten.

Einteilung der Gebote hinsichtlich des Handelns des Mukallaf

Hinsichtlich “des Handelns des nach der Scharii’ah mündigen Menschen” oder “der Festlegung von etwas als Voraussetzung, Bedingung oder Hindernis für etwas anderes” wird unterschieden zwischen den Takliifi- und Wad‘i-Geboten.

Die Takliifi-Gebote

takliif تكليف bezeichnet linguistisch “Verpflichtung zu etwas bzw. Belastung mit mühevollen Handlungen”.
Fachspezifisch bezeichnet ein Takliifi-Gebot
Worte des Scharii’ah-Gebers, die sich auf die Handlungen des Mukallaf in der iqtidaa’- oder tachyiir-Form beziehen“,

oder eingedeutscht:
Worte des Scharii’ah-Gebers, die sich auf die Handlungen des nach der Scharii’ah mündigen Menschen in einer gebietenden, verbietenden oder fakultativen Form bezieht.

Die Takliifi-Gebote werden nach der Mehrheit der Usuul-Gelehrten (nach der Schule von al-mutakallimuun) in fünf Kategorien eingeteilt:

al-iidschaab الإيجاب (die Muss-Kategorie)
al-iidschaab bezeichnet die nachdrückliche, aus Allaahs Worten sich ergebende, an den Mukallaf gerichtete Aufforderung zur Durchführung, mit dem Verbot der Unterlassung.
Jede Handlung in der Kategorie von al-iidschaab heißt al-waadschib الواجب (Adjektiv: waadschib واجب).

Beispiele: das Gebieten des rituellen Pflichtgebets, die Entrichtung der Zakaah, das Fasten im Ramadaan, etc.

an-nadb الندب (die Soll-Kategorie)
an-nadb bezeichnet die nicht nachdrückliche, aus Allaahs Worten sich ergebende, an den Mukallaf gerichtete Aufforderung zur Durchführung, mit der Erlaubnis der Unterlassung.

Jede Handlung in der Kategorie von an-nadb heißt al-manduub المندوب (Adjektiv: manduub مندوب).

Beispiele: das Gebieten des Adduha-Gebets, die Begrüßung mit as-salaamu ‘alaikum, das Spenden, etc.

al-karaahah الكراهة (die Soll-Nicht-Kategorie)
al-karaahah bezeichnet die nicht nachdrückliche, aus Allaahs Worten sich ergebende, an den Mukallaf gerichtete Aufforderung zur Unterlassung, mit der Erlaubnis der Durchführung.

Jede Handlung in der Kategorie von al-karaahah heißt al-makruuh المكروه (Adjektiv: makruuh مكروه).

Beispiele: die Aufforderung zur Unterlassung des Trinkens im Stehen, die Aufforderung zur Unterlassung des Sitzens in der Moschee vor dem Moschee-Begrüßungsgebet, etc.

at-tahriim التحريم (die Darf-Nicht-Kategorie)
at-tahriim bezeichnet die nachdrückliche, aus Allaahs Worten sich ergebende, an den Mukallaf gerichtete Aufforderung zur Unterlassung, mit dem Verbot der Durchführung.

Jede Handlung in der Kategorie von at-tahriim heißt al-haraam الحرام (Adjektiv: haraam حرام).

Beispiele: das Verbot der Unzucht (zina), das Verbot von Bankzinsen (riba), das Verbot von übler Nachrede (ghiibah), etc.

Diese o. g. vier Kategorien (al-iidschaab, an-nadb, al-karaahah und at-tahriim) resultieren von der iqtidaa’-Form.

al-ibaahah الإباحة (die Kann-Kategorie)
al-ibaahah bezeichnet Allaahs Worte, das weder eine Aufforderung zur Durchführung noch zur Unterlassung beinhaltet, sondern die Wahl dem Mukallaf überlassen hat.

Jede Handlung in der Kategorie von al-ibaahah heißt al-mubaah المباح (Adjektiv: mubaah مباح).

Beispiele: Essen und Trinken von unterschiedlichen erlaubten Nahrungsmitteln zur Ernährung im Normalfall, das Tragen von Kleidung verschiedener Stile, Farben und Materialien, etc.

al-ibaahah ist die einzige Kategorie, die aus der tachyiir-Form resultiert.

Belohnung bzw. Sanktionierung der Takliifi-Gebote

al-waadschib الواجب bzw. al-fard الفرض
al-waadschib bzw. al-fard ist eine Handlung, deren Durchführung belohnt und deren bewusste bzw. vorsätzliche Unterlassung sanktioniert wird.

Nur die Gelehrten der Schule von al-fuqahaa’ (die Hanafitische Fiqh-Schule) unterscheiden zwischen al-waadschib und al-fard. Nach ihrer Schule werden beide wie folgt definiert:

al-fard ist jede Handlung, deren Verpflichtung durch einen eindeutig (der Tradierung und der Bedeutung nach) gesicherten Beleg (daliilun qat‘iy دليل قطعي) nachgewiesen wird, wie z. B. durch eindeutige Aayaat oder eindeutige Mutawaatir-Hadiithe.

Beispiel: die Quraan-Rezitation im rituellen Gebet abgeleitet von der Aayah (73:20):

فَٱقۡرَءُواْ مَا تَيَسَّرَ مِنَ ٱلۡقُرۡءَانِۚ

So rezitiert das vom Quraan, wozu ihr imstande seid.

Diesen Typ nennen die Hanafiten al-fardul-i’tiqaadiy الفرض الاعتقادي, d. h. eine eindeutige Muss-Handlung, deren Leugnung zum Abfall vom Islam (kufr) führt.

al-waadschib ist eine Handlung, deren Verpflichtung durch einen nicht eindeutig (der Tradierung oder der Bedeutung nach) gesicherten Beleg (daliilun dhanniy دليل ظني) nachgewiesen wird, wie z. B. durch Aahaad-Hadiithe und Al-qiyaas.

Beispiel: Rezitation von Al-faatihah im Gebet abgeleitet vom Hadiith

لَا صَلَاةَ لِمَنْ لَمْ يَقْرَأْ بِفَاتِحَةِ الْكِتَابِ.

Kein rituelles Gebet gilt für denjenigen, der die erste Suurah des Quraan (al-faatihah) nicht rezitiert. (B, M, T, A, N, I, AH)

Die Leugnung dieser nicht eindeutigen Muss-Handlungen führt nicht zum Abfall vom Islam. Sie stellt jedoch eine schwere Verfehlung (ithm und fisq) dar.

al-manduub المندوب
al-manduub ist eine Handlung, deren Durchführung belohnt und deren Unterlassung nicht sanktioniert wird.

al-haraam الحرام bzw. al-makruuhu tahriiman المكروه تحريماً
al-haraam bzw. al-makruuhu tahriiman ist eine Handlung, deren Durchführung sanktioniert und deren Unterlassung belohnt wird.

Nur die Gelehrten der Schule von al-fuqahaa’ (die Hanafitische Fiqh-Schule) verwenden den Begriff al-makruuh tahriman.

Sie unterscheiden zwischen diesem Begriff und dem Begriff al-haraam und definieren beide Begriffe wie folgt:

al-haraam ist eine Handlung, deren Verbot durch einen eindeutig (der Tradierung und der Bedeutung nach) gesicherten Beleg (daliilun qat‘iy دليل قطعي) nachgewiesen wird, wie z. B. durch eindeutige Aayaat oder eindeutige Mutawaatir-Hadiithe.

Beispiel: das Weinverbot durch den Quraan.

Die bewusste Erklärung dieser eindeutigen Darf-Nicht-Handlungen zu erlaubten Handlungen (halaal), d. h. ihre Leugnung als haraam-Handlungen, führt zum Abfall vom Islam.

al-makruuhu tahriiman ist eine Handlung, deren Verbot durch einen nicht eindeutig (der Tradierung oder der Bedeutung nach) gesicherten Beleg (daliilun dhanniy دليل ظني) nachgewiesen wird, wie z. B. durch Aahaad-Hadiithe und Al-qiyaas.

Beispiel: das Verbot des Tragens von Seide und Gold für die Männer durch den Hadiith:

الْحَرِيرُ وَالذَّهَبُ حَرَامٌ عَلَى ذُكُورِ أُمَّتِي، وَحِلٌّ لِإِنَاثِهِمْ.

Die Seide und das Gold sind haraam für die Männer meiner Gemeinschaft, aber halaal für ihre Frauen. (AH)

Die bewusste Erklärung dieser nicht eindeutigen Darf-Nicht-Handlungen zu erlaubten Handlungen (halaal), d. h. ihre Leugnung als haraam-Handlungen, führt nicht zum Abfall vom Islam. Sie stellt jedoch eine schwere Verfehlung (ithm und fisq) dar.

al-makruuh المكروه
al-makruuh ist eine Handlung, deren Unterlassung belohnt und deren Durchführung nicht sanktioniert wird.

Die Hanafiten nennen diesen Typ al-makruuhu tanziihan المكروه تنزيهاً.

al-mubaah المباح
al-mubaah ist eine Handlung, deren Durchführung nicht belohnt und deren Unterlassung nicht sanktioniert wird.

Belohnungs- bzw. Sanktionierungs-Skala der Takliifi-Gebote

Typ des Takliifi-Gebots Tun Unterlassung Leugnung
al-fard الفرض + kufr
al-waadschib الواجب + ithm/fisq
al-manduub المندوب + fisq
al-mubaah المباح
al-makruuh المكروه bzw.al-makruuhu tanziihan
المكروه تنزيهاً
+ fisq
al-makruuhu tahriiman
المكروه تحريماً
+ ithm/fisq
al-haraam الحرام + kufr

 

Aus dieser Tabelle kann man ableiten, dass man nur für das Vollziehen von al-fard-, al-waadschib– und al-manduub-Handlungen und für das Unterlassen von al-makruuh-, al-makruuhutanziihan-, al-makruuhutahriiman– und al-haraam-Handlungen belohnt wird.

Nur in diesen Bereichen sollte ein Muslim bzw. eine Muslimah seine bzw. ihre Energie, Zeit und verfügbaren Mittel einsetzen. Alles andere hat entweder negative Folgen oder ist eine sinnlose Vergeudung von Zeit und Energie.

Die wad‘i-Gebote

wad‘i ist ein Adjektiv von al-wad. Das Verb wada’a وضعَ bedeutet linguistisch “etwas festlegen, etwas setzen, etwas aufstellen, regeln”.
Diese Gebote wurden als wad‘i-Gebote bezeichnet, da Allaah (ta’aala) sie als Zeichen und Merkmale für die Takliifi-Gebote festlegte.

Fachspezifisch bezeichnen die wad‘i-Gebote:
Allaahs Worte, die etwas als sabab, schart, maani’, sahiih oder faasid gelten lassen“, bzw.

Worte des Scharii’ah-Gebers, die sich auf die Handlungen des Mukallaf in der wad‘-Form beziehen“, bzw. eingedeutscht:

Worte des Scharii’ah-Gebers, das sich auf die Handlungen des nach der Scharii’ah mündigen Menschen bezieht in einer Form der Festsetzung von Voraussetzungen, Bedingungen, Hindernissen und Konformität mit der Scharii’ah“.

Typen der wad‘i-Gebote

  • as-sabab السبب

    Linguistisch ist as-sabab alles, was zum Erstrebten führt, wie z. B. die Straße oder das Seil.
    Fachspezifisch ist as-sabab “ein Charakteristikum (wasf وصف), das eindeutig (dhaahir ظاهر), beständig (mundabit منضبط) und das Scharii’ah-Gebot offenlegend 1 ist (ohne es zu beeinflussen oder selbständig zustande zu bringen) (mu’ar-rifun lil-hukm معرف للحكم)”.
    Eine andere Definition lautet:

السبب ما يلزم من وجوده الوجود ومن عدمه العدم.

as-sabab ist das, dessen Anwesenheit das mit ihm zusammenhängende Scharii’ah-Gebot nach sich zieht, während dessen Abwesenheit dieses Scharii’ah-Gebot annulliert.

Beispiel:
die Reise im Ramadaan als sabab zum Aussetzen des rituellen Fastens.

Für die Mehrheit der Usuul-Gelehrten ist as-sabab ein Synonym für al-‘illah (siehe dazu Al-qiyaas).

Es gibt verschiedene Typen von as-sabab:

    • sabab, der von der Handlung eines Mukallaf nicht abhängt (z. B.: der Sonnenuntergang als sabab zum Brechen des rituellen Pflichtfastens).
    • sabab, der von der Handlung des Mukallaf abhängt (z. B.: die Reise als sabab zum Aussetzen des Pflichtfastens im Ramadaan).
    • asch-schart الشرط

      Linguistisch ist asch-schart “ein Zeichen”, “ein Merkmal”, “eine Abhängigkeit von etwas von etwas anderem, wobei beides sich in der Zukunft ereignet, wie die Abhängigkeit der Gültigkeit des rituellen Gebets vom Zustandekommen ihrer Bedingungen, wobei beides sich in der Zukunft ereignet”.
      Fachspezifisch ist asch-schart

      ما يلزم من عدمه العدم، ولا يلزم من وجوده وجود ولا عدم، لذاته، ويكون خارجاً عن حقيقة المشروط.

      “das, dessen Abwesenheit das mit ihm zusammenhängende Scharii’ah-Gebot annulliert, während seine Anwesenheit an sich keinerlei Auswirkung weder auf das Zustandekommen, noch auf die Annullierung dieses Scharii’ah-Gebots hat, und es ist kein Teil 2 der zu erfolgenden Handlung.

      Beispiele:

      al-wuduu’, die rituelle Gebetswaschung, ist ein schart für die Gültigkeit des rituellen Gebets. Wenn al-wuduu’ nicht vollzogen wird, darf kein rituelles Gebet verrichtet werden. Sollte man jedoch al-wuduu’ vollziehen, bedeutet dies nicht, dass man anschließend das rituelle Gebet verrichten muss.

      – Entrichten der Zakaah wird zur Pflicht, wenn ein Mondjahr vergeht (schart) und die Zakaah-Erhebungsgrenze (sabab) erreicht wird. Hier wird ersichtlich, dass asch-schart alleine nicht ausreicht, das Entrichten der Zakaah zur Pflicht werden zu lassen. Erst mit as-sabab kommt diese Verpflichtung zustande.
      In diesem Beispiel ist asch-schart ergänzend für as-sabab.

      Es gibt verschiedene Typen von asch-schart:

      schartun schar’iy شرط شرعي, d. h. scharii’ah-gemäße Bedingung: Es bezeichnet die vom Scharii’ah-Geber festgelegten Bedingungen, wie al-wuduu’ als schart für das rituelle Gebet.

      – schartun dscha’liy شرط جعلي, d. h. mukallaf-gemäße Bedingung: Es bezeichnet die vom Mukallaf festgelegten Bedingungen, wie die Bedingungen im Kaufvertrag.

    • al-maani’ المانع

      Linguistisch bezeichnet al-maani’ “die Trennung zwischen zwei Dingen” bzw. “das Hindernis”.
      Fachspezifisch ist al-maani’
      “ein Charakteristikum (wasf وصف), das existent (wudschuudiy وجودي) 3 eindeutig (dhaahir ظاهر), beständig (mundabit منضبط) und das Gegenteil des Scharii’ah-Gebots offenlegend 4 (mu’ar-rifun linaqiidil-hukmمعرف لنقيض  الحكم)” ist.Eine andere Definition lautet:

      المانع ما يلزم من وجوده العدم، ولا يلزم من عدمه وجود ولاعدم.

      al-maani’ ist das, dessen Anwesenheit das mit ihm zusammenhängende Scharii’ah-Gebot annulliert, während seine Abwesenheit keine Auswirkung weder auf das Zustandekommen, noch auf die Annullierung dieses Scharii’ah-Gebots hat.

      Beispiel:
      al-haid الحيض, die Menstruation ist ein maani’ zur gültigen Verrichtung des rituellen Gebets.

      Es gibt verschiedene Typen von al-maani’:

      al-maani’u lil-hukm المانع للحكم, das Hindernis des Scharii’ah-Gebots: Es verhindert das Zustandekommen des Scharii’ah-Gebots trotz vorhandenem sabab, wie beim o. g. Beispiel von al-haid.

      al-maani’u lis-sabab المانع للسبب: das Hindernis vom sabab: Es verhindert den sabab selbst, wie z. B. im Falle der Verschuldung und der Zakaahpflicht. Die Schulden lassen keine Zakaah-Erhebungsgrenze (nisaab) zustande kommen und damit keine Verpflichtung zur Zakaah-Zahlung.

    • assihhah الصحة (assahiih الصحيح)

      Linguistisch ist assihhah “das Gegenteil von der Krankheit (al-marad المرض)”.
      Fachspezifisch bezeichnet assihhah
      “die Übereinstimmung einer Handlung, die über zwei entgegengesetzte Durchführungsmöglichkeiten (richtig, falsch) verfügt, mit der Scharii’ah”.

      Beispiel: das ordnungsgemäße Verrichten des rituellen Gebets ist sahiih, da es mit den Scharii’ah-Modalitäten konform ist.

      Überall, wo assihhah festgestellt wird, zieht sie sämtliche Konsequen-zen nach sich, die mit deren Scharii’ah-Gebot zusammenhängen (z. B.: ein sahiih-Kaufvertrag folgert Eigentum für den Käufer und Preis für den Verkäufer).

    • al-fasaad الفساد bzw. al-butlaan البطلان

      (al-faasid الفاسد bzw. al-baatil الباطل)

      Linguistisch ist al-fasaad bzw. al-butlaan “das Gegenteil von assihhah“.
      Fachspezifisch bezeichnet al-fasaad bzw. al-butlaan “die Nicht-Übereinstimmung einer Handlung, die über zwei entgegengesetzte Durchführungsmöglichkeit (richtig, falsch) verfügt, mit der Scharii’ah”.

      Wenn ein Vertrag oder eine ‘ibaadah als faasid bzw. als baatil gelten, so sind sie nach der Mehrheit der Usuul-Gelehrten nichtig und bewirken keine Konsequenzen.

      Nur die hanafitischen Gelehrten unterscheiden zwischen al-faasid und al-baatil:

      –  al-baatil bezeichnet alles, bei dem weder Ursprung noch Spezifikation von der Scharii’ah gedeckt sind, wie z. B. der Verkauf von noch nicht geborenen Tieren.

      Bei den Baatil-Verträgen kommt zum Beispiel kein Eigentum zustande.

      al-faasid bezeichnet alles, dessen Ursprung zwar von der Scharii’ah gedeckt, jedoch aufgrund der Spezifikation zurückgewiesen wird, wie z. B. der Verkauf von einem Gramm Gold gegen zwei Gramm Gold. Bei den faasid-Verträgen kommt zum Beispiel Eigentum zustande begleitet mit der Sünde.

Einteilung hinsichtlich der Verrichtungszeit ritueller Handlungen

Hinsichtlich der Verrichtung einer ‘ibaadah عبادة, d. h. einer rituellen Handlung, in der für sie bestimmten Zeit oder nach dieser Zeit” wird unterschieden zwischen al-adaa’ الأداء, den innerhalb ihrer Zeit vollzogenen Geboten, al-qadaa’ القضاء, den nachgeholten Geboten, und al-i’aadah الإعادة, den wiederholten Geboten.

Eine ‘ibaadah-Handlung verfügt entweder über eine für ihre Verrichtung bestimmte Zeit oder nicht:

    • Wenn sie nicht über eine für ihre Verrichtung bestimmte Zeit verfügt, so wird sie weder mit adaa’ noch als qadaa’ beschrieben.

 

Danach spielt es keine Rolle, ob sie zu verrichten ist:

    • aus gegebenem Anlass
      Beispiele:
      tahiyatul-masdschid تحية المسجد: das rituelle Begrüßungsgebet für die Moschee nach ihrem Betreten, sudschuudut-tilaswahسجود التلاوة, die rituelle Niederwerfung während der Quraan-Rezitation.
    • oder nicht aus gegebenem Anlass
      Beispiele:
      adh-dhikr الذكر, Bittgebete sowie freiwillige rituelle Gebete.
  • Wenn sie über eine für ihre Verrichtung bestimmte Zeit verfügt, so gibt es vier Möglichkeiten:
    • ta’dschiil تعجيل (wörtlich Beeilung)
      Die rituelle Handlung wird erlaubter Weise vor der für ihre Verrichtung bestimmten Zeit verrichtet.
      Beispiele:
      Entrichtung der Zakaah nach dem Erreichen der Zakaah-Erhebungsgrenze (nisaab), jedoch vor Vollendung eines Mondjahres;
      Entrichtung von Zakaatul-fitr zum Beginn von Ramadaan.
    • adaa’ أداء (wörtlich Vollziehen)
      Die rituelle Handlung oder ein Teil von ihr wird in der für ihre Verrichtung bestimmten Zeit vollzogen, ohne in dieser Zeit zuvor auf ungültige Art vollzogen geworden zu sein.
      Beispiele:
      Man verrichtet die rituellen Gebete zu ihren vorgeschriebenen Zeiten.
      Man verrichtet vom Mittagsgebet, kurz vor Ablauf der Gebetszeit, nur eine Rak’ah in der Gebetszeit und die restlichen drei Rak’ah in der Gebetszeit vom Nachmittagsgebet, so gilt das Mittagsgebet als adaa’ vollzogen. Wenn man jedoch weniger als eine Rak’ah in der Gebetszeit des Mittagsgebets verrichtet, dann gilt das Gebet als qadaa’.
    • i’aadah إعادة (wörtlich Wiederholung)
      Die rituelle Handlung wird in der für ihre Verrichtung bestimmten Zeit verrichtet, wobei sie in dieser Zeit zuvor auf ungültige Art vollzogen wurde.
      Beispiel:
      Man verrichtete das rituelle Mittagsgebet in der Zeit des Mittagsgebets. Im Nachhinein stellt man fest, dass man beim Gebet keine Gebetswaschung hatte. Dann vollzieht man die fehlende Gebetswaschung und wiederholt das Mittagsgebet noch in der Mittagszeit. Dieses Gebet wird dann als i’aadah bezeichnet.
    • qadaa’ قضاء (wörtlich Nachholen)
      Die rituelle Handlung wird nach der für ihre Verrichtung bestimmten Zeit verrichtet.

 

Es spielt dabei keine Rolle, ob man diese rituelle ‘ibaadah-Handlung:

  • bewusst nicht zu ihrer Zeit verrichtete, z. B. wenn man bewusst die Gebete nicht zu ihren Zeiten verrichtet; hier sündigt man;
  • nicht zu ihrer Zeit verrichtete, weil man dies nicht konnte, z. B. wenn man das Morgengebet verpasste, weil man es verschlafen hat und trotz Vorsorge nicht wach wurde; hier sündigt man nicht;
  • nicht zu ihrer Zeit verrichtete, weil man dies nicht wollte, obwohl es möglich war, z. B. wenn man auf Reisen im Ramadaan nicht fasten wollte, obwohl man es konnte, da es die Erlaubnis zum Aussetzen dieses Fastens gibt;
  • nicht zu ihrer Zeit verrichtete, weil man sie aus der Scharii’ah heraus nicht verrichten durfte, wie das rituelle Fasten für menstruierende Frauen.

Gleiche Regeln gelten für Sunnah-Handlungen, die nachgeholt werden.

Einteilung hinsichtlich des “Gebotenen”

Hinsichtlich des “Gebotenen” (al-ma’muru bihi المأمور به) unterscheiden die Usuul-Gelehrten zwischen zwei Typen: dem genau bestimmten Gebot (al-mu’aiyan المعين) und dem wählbaren Gebot (al-muchaiyar المخيير).

  • al-waadschibul-mu’aiyan الواجب المعين
    (die bestimmte Waadschib-Handlung)
    Dieser Typ umfasst alle Handlungen, die der Mukallaf genau wie geboten ohne Wahlmöglichkeiten vollziehen muss.
    Beispiel:
    das Verrichten der fünfmaligen rituellen Pflichtgebete.
  • al-waadschibul-muchaiyar الواجب المخيير
    (die wählbare Waadschib-Handlung)
    Dieser Typ von al-waadschib umfasst Handlungen, bei deren Durchführung der Mukallaf über mehrere Wahlmöglichkeiten verfügt.
    Beispiel:
    kaffaarah 5 bei Meineid

لَا يُؤَاخِذُكُمُ ٱللَّهُ بِٱللَّغۡوِ فِيٓ أَيۡمَٰنِكُمۡ وَلَٰكِن يُؤَاخِذُكُم بِمَا عَقَّدتُّمُ ٱلۡأَيۡمَٰنَۖ فَكَفَّٰرَتُهُۥٓ إِطۡعَامُ عَشَرَةِ مَسَٰكِينَ مِنۡ أَوۡسَطِ مَا تُطۡعِمُونَ أَهۡلِيكُمۡ أَوۡ كِسۡوَتُهُمۡ أَوۡ تَحۡرِيرُ رَقَبَةٖۖ فَمَن لَّمۡ يَجِدۡ فَصِيَامُ ثَلَٰثَةِ أَيَّامٖۚ ذَٰلِكَ كَفَّٰرَةُ أَيۡمَٰنِكُمۡ إِذَا حَلَفۡتُمۡۚ وَٱحۡفَظُوٓاْ أَيۡمَٰنَكُمۡۚ كَذَٰلِكَ يُبَيِّنُ ٱللَّهُ لَكُمۡ ءَايَٰتِهِۦ لَعَلَّكُمۡ تَشۡكُرُونَ ٨٩

Allaah belangt euch nicht für Unbedachtes in euren Eiden. Doch Er belangt euch für Eide, die ihr mit Bedacht geschworen habt (und nicht einhaltet). Die Wiedergutmachung 6 dafür ist die Speisung von zehn Bedürftigen in jenem Maß, wie ihr die Eurigen im Durchschnitt speist, ihre Bekleidung oder die Befreiung eines Unfreien. Wer es aber nicht leisten kann, hat drei Tage zu fasten. Dies ist die Wiedergutmachung1 für eure Eide, wenn ihr sie geschworen habt (und nicht einhaltet). Beachtet eure Eide! Solcherart verdeutlicht Allaah euch Seine Worte 7, damit ihr euch dankbar erweist. 8

Aus der Aayah ist ersichtlich, dass man zunächst zwischen drei Möglichkeiten wählen kann:
die Speisung von zehn Bedürftigen oder
die Bekleidung von zehn Bedürftigen oder
die Befreiung eines Unfreien.

Nur wenn man keine der o. g. Möglichkeiten leisten kann, hat man als kaffaarah drei Tage zu fasten.

Dieser waadschib-Typ wird wiederum in zwei Typen eingeteilt:
– Handlungen mit Möglichkeiten, aus denen der Mukallaf eine Möglichkeit wählen kann, aber auch alle anderen Möglichkeiten durchführen darf.
Beispiel: Beim Meineid kann der Betroffene alle drei Möglichkeiten vollziehen und wird dafür entsprechend mehr belohnt.
– Handlungen mit Möglichkeiten, aus denen der Mukallaf nur eine Möglichkeit wählen darf.
Beispiel: die Ummah kann unter den geeigneten Muslimen nur einen als den Erst-Verantwortlichen (Chaliifah, Präsident, etc.) wählen.

al-hukmul-murattab الحكم المرتب (die geordneten Scharii’ah-Gebote)

murattab مرتب bedeutet linguistisch geordnet.
Es gibt Handlungen, bei denen verschiedene Möglichkeiten zugelassen sind, die jedoch der Reihe nach durchgeführt werden müssen, wenn ihre Durchführbarkeit gegeben ist.
Die Möglichkeit, die an erster Stelle kommt, muss zuerst durchgeführt werden. Sollte ihre Durchführbarkeit nicht gegeben sind, dann geht man zur zweiten Möglichkeit über, usw. Dieses Scharii’ah-Gebot heißt al-hukmul-murattab.

Beispiel:
Die kaffaarah für das Brechen des rituellen Fastens (iftaar إفطار) im Ramadaan durch den Geschlechtsverkehr beinhaltet drei geordnete Möglichkeiten:

– Freilassung eines Sklaven oder

– zweimonatiges ununterbrochenes rituelles Fasten oder

– Speisung von 60 Bedürftigen

جَاءَ رَجُلٌ إِلَى رَسُولِ اللَّهِ صَلَّى اللَّه عَلَيْهِ وَسَلَّمَ فَقَالَ: هَلَكْتُ. فَقَالَ: وَمَا ذَاكَ؟ قَالَ: وَقَعْتُ بِأَهْلِي فِي رَمَضَانَ. قَالَ: تَجِدُ رَقَبَةً؟ قَالَ: لَا. قَالَ: فَهَلْ تَسْتَطِيعُ أَنْ تَصُومَ شَهْرَيْنِ مُتَتَابِعَيْنِ؟ قَالَ: لَا. قَالَ: فَتَسْتَطِيعُ أَنْ تُطْعِمَ سِتِّينَ مِسْكِينًا؟ قَالَ: لَا. قَالَ: فَجَاءَ رَجُلٌ مِنَ الْأَنْصَارِ بِعَرَقٍ، وَالْعَرَقُ الْمِكْتَلُ فِيهِ تَمْرٌ. فَقَالَ: اذْهَبْ بِهَذَا فَتَصَدَّقْ بِهِ. قَالَ: عَلَى أَحْوَجَ مِنَّا يَا رَسُولَ اللَّهِ؟ وَالَّذِي بَعَثَكَ بِالْحَقِّ مَا بَيْنَ لَابَتَيْهَا أَهْلُ بَيْتٍ أَحْوَجُ مِنَّا. قَالَ: اذْهَبْ فَأَطْعِمْهُ أَهْلَكَ.

Ein Mann ist zum Allaahs Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) gekommen und sagte: “Ich bin verloren!” Daraufhin fragte er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam): “Wodurch?” Der Mann sagte: “Ich habe mit meiner Frau im Ramadaan (während der Fastenzeit) Beischlaf gehabt.” Er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) fragte: “Kannst du einen Sklaven befreien?” Der Mann antwortete: “Nein!” Er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) fragte: “Kannst du ganze zwei aufeinander folgende Monate fasten?” Er sagte: “Nein!” Er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) fragte dann: “Kannst du 60 Arme speisen?” Er erwiderte: “Nein!” Dann kam ein Mann von den Ansaar mit einer Schale voller Datteln, dann sagte er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam): “Nimm diese und verteile sie an die Armen.” Er fragte: “An Leute, die es nötiger haben als wir, Gesandter Allaahs? Bei Dem, Der dich mit der Wahrheit entsandte! Es gibt in dieser (Stadt) keine Familie, die es nötiger hat als wir.” Da sagte er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam): “Geh und speise damit deine Familie.” (B, M)

Die Usuul-Gelehrten unterscheiden bei al-hukmul-murattab drei Typen:

– Ein Typ, bei dem die Durchführung aller vorhandenen Möglichkeiten gleichzeitig verboten (haraam) ist.
Beispiel: das Verzehren von geschächtetem und von nicht geschächtetem Fleisch.

– Ein Typ, bei dem die Durchführung aller vorhandenen Möglichkeiten gleichzeitig möglich (mubaah) ist.
Beispiel: das Vollziehen von Tayammum und Wuduu’ nacheinander.

– Ein Typ, bei dem die Durchführung aller vorhandenen Möglichkeiten gleichzeitig eine Sunnah-Handlung darstellt.
Beispiel: Vollziehen aller kaffaarah-Möglichkeiten für den, der im Ramadaan sein rituelles Fasten durch Geschlechtsverkehr annullierte.

al-haraamul-mu’aiyan الحرام المعين und al-haraamul-muchaiyarالحرام المخير

Parallel zu al-waadschibul-m’aiyan und zu al-waadschibul-muchaiyar wird in der Haraam-Kategorie unterschieden zwischen zwei Typen:

– al-haraamul-mu’aiyan الحرام المعين (die bestimmte Haraam-Handlung)
Beispiel: Unzucht, Diebstahl, etc.

– al-haraamul-muchaiyar الحرام المخير (die wählbare Haraam-Handlung)
Beispiel: Man sagt einem anderen: “Du darfst entweder keinen Fisch oder keine Eier essen”. Diese Aufforderung wird erfüllt, wenn man sich eines der beiden enthält.

Einteilung hinsichtlich der Erfüllungszeit des Scharii’ah-Gebots

Die Usuul-Gelehrten haben die Scharii’ah-Gebote hinsichtlich der Zeit ihrer Erfüllung in zwei Typen, in mudaiyaq und muwassa’, eingeteilt:

  • al-mudaiyaq المضيق (das eng bemessene Scharii’ah-Gebot)
    Wenn die für die Scharii’ah-Handlung bestimmte Zeit identisch ist mit der Zeit, die für die Durchführung dieser Scharii’ah-Handlung benötigt wird, dann wird dieses Scharii’ah-Gebot al-waadschibul-mudaiyaq الواجب المضيق genannt.
    Beispiel:
    Die Zeit für das rituelle Fasten im Ramadaan ist identisch mit der Zeit, die für die Durchführung dieses rituellen Fastens benötigt wird, so dass in dieser Zeit kein anderes rituelles Fasten durchgeführt werden kann.
  • al-muwassa’ الموسع (das weit bzw. großzügig bemessene Scharii’ah-Gebot)
    Wenn die für die Scharii’ah-Handlung bestimmte Zeit länger ist als die Zeit, die für die Durchführung dieser Scharii’ah-Handlung benötigt wird, dann wird dieses Scharii’ah-Gebot al-waadschibul-muwassa’الواجب الموسع genannt.
    Bei al-waadschibul-muwassa’ muss die Scharii’ah-Handlung nicht zu Beginn ihrer Zeit verrichtet werden, sondern sie kann innerhalb dieser Zeit verschoben werden, ohne vorher für diese Verschiebung die Absicht fassen zu müssen.
    Beispiel:
    Die Zeit zur Verrichtung eines Pflichtgebets ist länger als die für die Verrichtung benötigte Zeit, so dass man in der vorgesehenen Zeit das Pflichtgebet und andere rituelle Gebete verrichten kann. Man kann dann das Gebet entweder zu Beginn, in der Mitte oder kurz vor dem Ende der Zeit verrichten, und alles gilt dann al adaa’, d. h. zu seiner Zeit verrichtet.

al-waadschibul-muwassa’ wird wiederum in zwei Gruppen eingeteilt:

al-waadschibul-muwassa’ mit einer bestimmten Zeit, wie bei dem Beispiel mit den Gebeten.

al-waadschibul-muwassa’, für das keine bestimmte Zeit angegeben wird, aber zu Lebzeiten verrichtet werden muss.

Beispiele:
Die Zeit für die Haddsch-Pilgerfahrt, Nachholen (qadaa’) von versäumten rituellen Gebeten und von Fastentagen.
Man kann die Zeit der Durchführung dieser Scharii’ah-Handlung nach Belieben wählen, es sei denn, man geht mit größerer Wahrscheinlichkeit davon aus, dass man diese Handlung versäumen wird (z. B.: wegen Krankheit oder Altersschwäche, …), dann darf man deren Vollzug nicht aufschieben, sonst sündigt man.

Bemerkung:

Wenn die für die Durchführung der Scharii’ah-Handlung bestimmte Zeit kürzer ist als die Zeit, die für die Durchführung dieser Handlung benötigt wird, dann liegt dieses im Bereich von al-muhaal
المحال (al-muhaal bedeutet wörtlich: das Unmögliche).

Bei al-muhaal vertreten die Usuul-Gelehrten zwei Ansichten:

– Eine Gruppe erkennt die Existenz von al-muhaal an.

al-dschumhuur, d. h. die Mehrheit der Gelehrten erkennt die Existenz von al-muhaal nicht an, es sei denn im Bereich von qadaa’ (wie z. B., wenn die Menstruation knapp vor dem Verstreichen der Gebetszeit eines rituellen Pflichtgebets endet. Die Frau ist in diesem Fall verpflichtet, das Gebet zu verrichten, doch die Zeit reicht nicht aus, die rituelle Vollwaschung und dieses rituelle Gebet zu vollziehen, so wird das Gebet als qadaa’ verrichtet).

Einteilung hinsichtlich des Empfänger des Scharii’ah-Gebots

Die Usuul-Gelehrten teilen die Scharii’ah-Gebote hinsichtlich ihres Empfängers in zwei Typen ein, in al-waadschibul-‘ainiy الواجب العيني bzw. waadschibun ‘alat-ta’yiin واجب على التعيين und al-waadschibul-kifaaiy الواجب الكفائي bzw. waadschibun ‘alal-kifaayah واجب على الكفاية:

  • al-waadschibul-‘ainiy bzw. waadschibun ‘alat-ta’yiin (das individuelle Waadschib-Gebot)
    Dieser Waadschib-Typ muss von jedem Mukallaf persönlich vollzogen werden (wie das Verrichten der rituellen Pflichtgebete, das Vollziehen des rituellen Fastens im Ramadaan, das Vollziehen der Haddsch-Pilgerfahrt, die Entrichtung der Zakaah, etc.).
    Bei diesem Waadschib-Typ ist keine Vertretung zulässig.
    Nach al-mutakallimuun mit Ausnahme der Maalikiten ist die Vertretung bei der Haddsch-Pilgerfahrt als Ausnahme zulässig.
    al-waadschibul-‘ainiy kann auch nur für einen einzigen Menschen gelten, z. B. die Besonderheiten des Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam), wie seine Verpflichtung zum tahadschud-Gebet und zum duha-Gebet, usw.
  • al-waadschibul-kifaaiy bzw. waadschibun ‘alal-kifaayah (das gemeinschaftliche Waadschib-Gebot)
    al-waadschibul-kifaaiy umfasst alle waadschib-Typen, die als Handlungen vollzogen werden, ohne dafür bestimmte Empfänger zu nennen. Hierbei steht im Vordergrund die Umsetzung der Handlung und nicht der Empfänger.
    Beispiele:
    Das Verrichten des rituellen Totengebets, das Gebieten des Billigen und das Abraten vom Missbilligten, das Ausüben von Berufen, die für die Gesellschaft notwendig sind.
    Wenn einige Muslime al-waadschibul-kifaaiy erfüllen, wird damit den Gebotsanforderungen genügt. Die anderen Muslime werden damit von der Vollziehung dieses Gebots entlastet.
    Wenn ein Mukallaf mit der Erfüllung eines Gebots von al-waadschibul-kifaaiy begonnen hat, muss er es komplett bis zum Ende durchführen.
    Sollte al-waadschibul-kifaaiy von keinem Mukallaf vollzogen werden, sündigen alle Muslime, die Mukallaf sind.
    Analog zu al-waadschibul-‘ainiy und al-waadschibul-kifaaiy gibt es in der Sunnah sunnatul-‘ain سنة العين (wie das duha-Gebet, Sunnah-Handlungen bei al-wuduu’, ..) und sunnatul-kifaayah سنة الكفاية (wie al-adhaan, Begrüßung mit as-salaamu ‘alaikum, udhiyah/Opfertier, ..).

Einteilung hinsichtlich der Konformität mit dem Scharii’ah-Beleg

Die Usuul-Gelehrten teilen die Scharii’ah-Gebote hinsichtlich der “Konformität oder Nicht-Konformität mit deren Scharii’ah-Beleg (daliil)” in ruchsah رخصة und ‘aziimah عزيمة ein:

  • ar-ruchsah الرخصة

    Linguistisch bezeichnet ar-ruchsah “die Erlaubnis nach einem Verbot”.
    Fachspezifisch ist ar-ruchsah
    “ein feststehendes Scharii’ah-Gebot, das vom Scharii’ah-Beleg (daliil) des regulären Scharii’ah-Gebots aufgrund eines entschuldbaren Anlasses abweicht.”

    Eine andere Definition lautet:
    ar-ruchsah ist ein aufgrund eines entschuldbaren Anlasses in Richtung Erleichterung verändertes Scharii’ah-Gebot trotz der Erfüllung der Voraussetzungen (sabab bzw. asbaab) des regulären Scharii’ah-Gebots”.
    ar-ruchsah muss mit einem Scharii’ah-Beleg belegt werden, sonst darf man nicht gegen den Scharii’ah-Beleg des regulären Scharii’ah-Gebots handeln.

    Beispiele:
    – Das Verkürzen der rituellen Gebete (Mittags- und Nachmittagsgebet) von vier auf zwei Rak’ah auf Reisen.
    Der Scharii’ah-Beleg des regulären Scharii’ah-Gebots schreibt das Verrichten dieser rituellen Gebete nach Anbruch ihrer Zeit, d. h. nach dem Vorliegen ihres sabab, komplett vor, so weicht das Verkürzen dieser rituellen Gebete auf der Reise wegen der großen Anstrengung auf Reisen (maschaq-qatus-safar مشقة السفر) als entschuldbarer Anlass von diesem Scharii’ah-Beleg ab. Trotz des Vorliegens des sabab für die Verrichtung dieser Gebete, werden sie verkürzt verrichtet.
    Diese ruchsah wird durch mehrere Scharii’ah-Belege vom Quraan und von der Sunnah belegt und deshalb wird es als feststehend bezeichnet.
    – Das Essen vom Fleisch verendeter Tiere für den in Not geratenen Menschen, der sonst nichts zum Essen findet.

Typen von ar-ruchsah:

ar-ruchsatul-waadschibah الرخصة الواجبة
Es ist ein ruchsah-Gebot, das man beim Vorliegen seines Anlasses erfüllen muss.

Beispiel:
Der Verzehr von verbotenen Speisen auf der Reise, wenn man am Verhungern ist und nichts anderes zum Essen findet. Hier isst man das Verbotene, weil der Erhalt des Lebens ein höherrangiges Gebot ist, als die Beachtung der Ernährungsgebote.

ar-ruchsatul-manduubah الرخصة المندوبة
Es ist ein ruchsah-Gebot, dessen Erfüllung manduub ist.

Beispiel:
Das Verkürzen der rituellen Gebete (Mittags-, Nachmittags-, und Nachtgebet) auf der Reise.

–  ar-ruchsatul-mubaahah الرخصة المباحة
Es ist ein ruchsah-Gebot, dessen Erfüllung mubaah ist.

Beispiele:
Die Vermietung von Immobilien, as-salam السَّلَم beim Verkauf (d. h. etwas verkaufen, das genau spezifiziert wird, jedoch mit der Vereinbarung, es erst nach einer bestimmten Frist an den Käufer zu
übergeben).

  • al-‘aziimah العزيمة

    Linguistisch bezeichnet al-‘aziimah “die Entschlossenheit und Duldsamkeit und das Gebot”.
    Fachspezifisch ist al-‘aziimah
    “ein feststehendes Scharii’ah-Gebot, das unverändert blieb oder in Richtung Erschwernis verändert wurde”.

    Beispiele:
    – Das Gebot der täglichen rituellen Gebete wurde nicht verändert.
    – Das Jagdverbot während des ihraam bei der Haddsch- oder der ‘Umrah-Pilgerfahrt. Vorher war die Jagd während des ihraam erlaubt.

Notes:

  1. Diese Eigenschaft des Charakteristikums in der Definition von as-sabab spiegelt das Verständnis von ahlus-sunnah wal-dschamaa’ah. Nach Ansicht der Philosophen wird al-hukm dagegen direkt durch die eigene Wirkung von as-sabab beeinflusst und verursacht, deshalb ist as-sabab nach ihnen mu-ath-thirun fil-hukm مؤثر في الحكم und nicht mu’ar-rifun lil-hukm معرف للحكم. Die Mu’taziliten vertreten wie die Philosophen die Ansicht, dass al-hukm durch die eigene Wirkung von as-sabab beeinflusst und verursacht wird, jedoch fügen sie hinzu, dass Allaah (ta’aala) as-sabab diese Wirkung verliehen hat.
  2. Damit ist asch-schart anders als ar-rukn الركن, das zu den Pflichtteilen des Gebots gehört.
  3. Dies ist im Gegensatz zum Charakteristikum von as-sabab, das nicht immer existent sein muss [z. B.: Verträge eines Schwach­sinnigen werden nicht anerkannt, da seine Zurechnungsfähigkeit nicht existent ist].
  4. D. h., es zeigt das Scharii’ah-Gebot auf, ohne dieses zu beeinflussen.
  5. kaffaarah ist die Wiedergutmachung, die Sühnebuße, die Tilgung einer Verfehlung.
  6. Ursprünglich: „kaffaarah كفارة“.
  7. Ursprünglich: „aayaat“. Es ist Plural von Aayah. Aayah ist hier wahrscheinlich Zeichen, kann aber auch als die „kleinste selbständige Einheit des Quraan“ sein.
  8. Quraan (5:89)