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arkaanul-hukm أركان الحكم Elementare Teile eines Scharii’ah-Gebots


Ein Scharii’ah-Gebot hat drei elementare Teile:

al-haakim الحاكم (Geber der Scharii’ah-Gebote)

al-mahkuumu ‘alaihi المحكوم عليه (Der Verpflichtete zum Vollziehen des Scharii’ah-Gebots)

al-mahkuumu bihi المحكوم به (Das Gebotene bzw. das Scharii’ah-Gebot)

al-haakim  الحاكم (Geber der Scharii’ah-Gebote)

al-haakim ist einzig und allein Allaah (ta’aala). Er ist der Scharii’ah-Geber unabhängig davon, ob die von Ihm gebotenen Scharii’ah-Normen durch wahy oder durch idschtihaad be- bzw. erkannt wurden.

Die Gelehrten sind einig darüber, dass die menschliche Vernunft Vieles vom Guten (wie Gerechtigkeit, Güte, Solidarität, Wissen, etc.), das mit der menschlichen Veranlagung und mit dem Attribut der Vollkommen-heit konform ist, und Vieles vom Bösen (wie Unrecht, Geiz, Mord, Tot-schlag, Unwissen, etc.), das gegen die menschliche Veranlagung verstößt und Mangelhaftigkeit ausdrückt, erkennen kann. Sie sind jedoch uneins darüber, wie man die Scharii’ah-Gebote bzw. hukmul-laah feststellen kann, die diesseitige bzw. jenseitige Konsequenzen (Belohnung bzw. Vergeltung) nach sich ziehen. Diesbezüglich werden folgende drei Meinungen vertreten:

  • Die Mu’taziliten, Anhänger des Gelehrten Waasil Bnu-‘ataa’ واصل بن عطاء (gest. 131/749) und des Gelehrten ‘Amr Bnu-‘ubaid عمرو بن عبيد (gest. 144/761), sehen ausschließlich die Vernunft als die Quelle, durch die der Mensch Gut und Böse auch ohne Scharii’ah feststellen kann, da Allaah (ta’aala) ihrer Meinung nach verpflichtet sei, Gut und Böse zu berücksichtigen. Nach ihnen sind die Dinge in drei unterschiedliche Kategorien einzuteilen:
    – Dinge, in denen das Gute immanent ist und deshalb von Allaah (ta’aala) geboten werden müssen. Diese guten Dinge müssen die Menschen beachten und sie werden dafür belohnt, auch dann, sollten sie die Scharii’ah nicht gekannt haben.
    – Dinge, in denen das Böse immanent ist und deshalb von Allaah (ta’aala) verboten werden müssen. Diese bösen Dinge müssen die Menschen vermeiden und sie werden für ihre Nicht-Vermeidung belangt, auch dann, sollten sie die Scharii’ah nicht gekannt haben.
    – Dinge, die zwischen Gut und Böse schwanken. Diese können geboten bzw. verboten werden. Sollten sie von Allaah (ta’aala) geboten bzw. verboten werden, dann werden sie deshalb gut bzw. böse.
    Damit ist nach den Mu’taziliten alles gut, was die Vernunft für gut befindet; und es ist von Allaah (ta’aala) geboten. Was die Vernunft als böse einstuft, ist böse und damit von Allaah (ta’aala) verboten. Nach ihnen werden alle Menschen von Allaah (ta’aala) zur Rechenschaft gezogen, da sie dazu verpflichtet sind, das zu befolgen, was die Vernunft erkennt und gebietet, unabhängig davon, ob sie Propheten bzw. Gesandte Allaahs hatten oder nicht.
  • Die Gelehrten der Maaturiidiyyah-Schule, Anhänger des Gelehrten Abu-mansuur Al-maaturiidiy, sehen wie die Mu’taziliten die Vernunft als die Quelle zur Erkennung vom Gut und Böse und vertreten die gleiche Einteilung bezüglich der Dinge. Doch ihrer Meinung nach müssen die Scharii’ah-Gebote nicht der Wahrnehmung der Vernunft entsprechen, da diese eingeschränkt und fehlbar ist. Nach ihnen werden die Menschen erst nach dem Bekanntwerden der Scharii’ah verpflichtet und können erst danach für ihre Handlungen belohnt oder belangt werden.
  • Die Gelehrten der Aschaa’irah-Schule, Anhänger des Gelehrten Abul-hasan Al-asch’ariy أبو الحسن الأشعري, sehen nur die Scharii’ah als die Quelle, aus der das Gute und das Böse in Bezug auf Handlungen des Mukallaf erkannt und abgeleitet werden. Gut und Böse ist ihrer Meinung nach nicht immanent in den Dingen. Sie bestätigen jedoch, dass Vieles vom Guten, das die Scharii’ah für gut befindet, auch durch die Vernunft als gut erkannt werden kann, und dass Vieles vom Bösen, das die Scharii’ah für böse erklärt hat, durch die Vernunft als böse bestätigt werden kann. Doch es existieren auch viele Scharii’ah-Gebote, die durch die Vernunft alleine, ohne Berücksichtigung der Scharii’ah, nicht erkannt werden können; z. B. ist es gut am letzten Tag von Ramadaan zu fasten, aber es ist schlecht am ersten Tag des Ramadaan-Festes das rituelle Fasten zu vollziehen.
    Außerdem widerspricht die Abrogation (an-nas-ch) der Ansicht der Mu’taziliten, da die Scharii’ah manche Dinge zu einer bestimmten Zeit erlaubte, aber später verboten hat, d. h., wäre das Gute bzw. das Böse immanent und gemäß der Vernunft erkennbar, dürfte es sich mit der Zeit nicht verändern.
    Die Ansicht der Aschaa’irah-Gelehrten hat im Gegenteil zu den Mu’taziliten zur Folge, dass ohne Propheten bzw. Gesandte Allaahs, die die Scharii’ah verkünden, keine Hingabe Allaah (ta’aala) gegenüber möglich ist. Das bedeutet: ohne Scharii’ah gäbe es keinerlei Verpflichtung Allaah (ta’aala) gegenüber. Sie belegen ihre Meinung mit folgender Aayah:

وَمَا كُنَّا مُعَذِّبِينَ حَتَّىٰ نَبۡعَثَ رَسُولٗا

Peinigen werden Wir auch nie, bis Wir einen Gesandten entsandt haben. 1

Dies hat auch zur Folge, dass Menschen, die von der Botschaft eines Gesandten nicht erreicht werden, keine Rechenschaft für Handlungen ablegen müssen, die der Scharii’ah zuwiderlaufen, da diese Handlungen erst nach dem Bekanntwerden der Scharii’ah verantwortet werden.

al-mahkuumu ‘alaihi المحكوم عليه
(Der Verpflichtete zum Vollziehen des Scharii’ah-Gebots)

Da das Scharii’ah-Gebot als “Allaahs Wort” definiert wird, bedeutet dies, dass sowohl das Gebieten als auch das Verbieten als Teile des Takliifi-Gebots ohne Beginn da sind, obwohl es “damals zur Zeit ihres Daseins” weder Verpflichtete (Mukallaf) zur Durchführung der Gebote, noch Verpflichtete zur Beachtung der Verbote gab. Deshalb vertreten die Aschaa’irah die Meinung, dass das Nicht-Existente zur Einhaltung von Geboten und Verboten in dem Sinne verpflichtet werden kann, dass es, wenn es in der Zukunft existiert und zum Mukallaf wird, diese Gebote einzuhalten hat.

Beispiel:

Die Muslime waren und sind verpflichtet, die Gebote des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) zu befolgen schon seit der Zeit, als sie noch nicht existiert haben.

A) Voraussetzungen eines Mukallaf

al-mahkuumu ‘alaihi المحكوم عليه ist jeder Mensch, auf dessen Handlungen sich die Scharii’ah-Gebote beziehen. Er heißt al-mukallaf.

Ein Mensch ist dann Mukallaf,

  • wenn er die Scharii’ah-Belege begreifen kann, d. h. wenn er geschlechtsreif und zurechnungsfähig ist, und
  • wenn er die Eignung (al-ahliyyah الأهلية) besitzt, Rechte zu haben und Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Eignung ist mit dem Lebendig-Sein des Menschen gesichert.

B)  Typen von al-ahliyyah  الأهلية

Die Eignung (al-ahliyyah  الأهلية) wird in zwei Typen eingeteilt:

  • ahliyatul-wudschuub أهلية الوجوب (die Eignung zu den Rechten):
    Diese ahliyyah besitzt jeder Mensch von der embryonalen Zeit bis zu seinem Tod. In der embryonalen Zeit ist sie unvollständig, denn ein Embryo hat zwar Rechte, aber keine Pflichten unter der Bedingung, dass er lebend geboren wird. Zu seinen Rechten gehören das Recht auf Erbschaft, das Recht auf Bedacht-Werden im Testament, das Recht auf Abstammung, etc. Nach der Geburt wird diese ahliyyah für jeden Menschen vollständig, danach hat er Rechte und erfüllt Pflichten, die allerdings zunächst von seinem Vormund stellvertretend für ihn übernommen werden, wie z. B. die Entrichtung der Zakaah und Zakaatul-fitr.
  • ahliyatul-adaa’ أهلية الأداء (die Eignung zu den Pflichten)
    Unter ahliyatul-adaa’ versteht man die Eignung des Menschen, Handlungen und Aussagen zu tätigen, die er verantworten kann. Ihr Merkmal ist die Zurechnungsfähigkeit.
    Ab der Entwicklungsphase der Unterscheidungsfähigkeit bis zur Geschlechtsreife verfügt jeder Mensch über eine unvollständige ahliyatul-adaa’. Seine rituelle Handlungen (ibaadaat) wie Beten, Fasten, usw. werden von ihm angenommen, obgleich er dazu nicht verpflichtet ist.
    Ab der Zeit der Geschlechtsreife verfügt jeder Zurechnungsfähige über eine vollständige ahliyatul-adaa’. Die Geschlechtsreife beginnt nach der Mehrheit der Usuul-Gelehrten entweder nach dem ersten Samenerguss bzw. nach der ersten Menstruation oder mit dem Vollenden des 15. Lebensjahres.
    Kinder unter sieben Jahren verfügen nur über die vollständige ahliyatul-wudschuub, jedoch über keinerlei ahliyatul-adaa’. So bleiben z. B. Verträge, die sie eingehen, nichtig und wirkungslos. Sie verantworten auch nur finanzielle Schäden, die von ihrem Vormund zu leisten sind.

C) Einschränkung von al-ahliyyah

al-ahliyyah kann durch verschiedene Aspekte und Handlungen (awaarid عوارض) aufgehoben oder eingeschränkt werden. Diese Aspekte und Handlungen werden eingeteilt in:

  • Erzwungene (awaarid samaawiyyah عوارض سماوية) Einschränkungen:
    Darunter versteht man die Geistesgestörtheit (al-dschunuun الجنون), die Kindheit (assighar الصغر), die Schwachsinnigkeit (al-atah العته), das Vergessen (an-nisyaan النسيان), das Schlafen (an-naum النوم), die Bewusstlosigkeit (al-ighmaa’ الإغماء), die Sklaverei (ar-riq الرق), die Krankheit (al-marad المرض), die Menstruation (al-haid الحيض), das Wochenbett (an-nifaas النفاس) und den Tod (al-maut الموت).
  • Erworbene (awaarid muktasabah عوارض مكتسبة) Einschränkungen :
    Darunter versteht man das Unwissen (al-dschahl الجهل), die Trunkenheit (as-sukr السكر), as-safah السفه (der nicht Scharii’ah- bzw. nicht vernunftsgemäße Umgang mit dem eigenen Vermögen trotz der Zurechnungsfähigkeit), al-hazl الهزل (die Unernsthaftigkeit im Gesprochenen), die Verfehlung (al-chataa’ الخطأ), der Zwang (al-ikraah الإكراه), das Verschulden (ad-dain الدين).

D) Beispiele von Nicht-Mukallaf

  • al-ghaafil الغافل (weiblich al-ghaafilah) ist derjenige, der nicht begreift, was ihm gesagt wird (z. B.: der Verwirrte, der Schlafende, der Betrunkene, der Geistesabwesende, etc.).
    Er verfügt weder über die Fähigkeit zum Begreifen, noch über eine Wahlmöglichkeit oder über Zugeneigtheit zur Handlung. Er gilt in dieser Situation deshalb als Nicht-Mukallaf.
    Wenn er in diesem Zustand etwas beschädigt, so ist er ersatzpflichtig, aber nicht weil er als Mukallaf gilt, sondern weil er die Beschädigung verursacht hat.
  • al-muldschaa’ المُلجأ (weiblich al-muldscha-ah) ist derjenige, der zwar über die Fähigkeit zum Begreifen, aber nicht über eine Wahlmöglichkeit und nicht über Zugeneigtheit zur Handlung verfügt.
    Er gilt als Nicht-Mukallaf (z. B.: jemand wird vom Dach gestoßen und fällt auf einen Menschen und tötet ihn).
  • al-mukrah المكره (weiblich al-mukrahah) ist derjenige, der zwar über die Fähigkeit zum Begreifen und über eine Wahlmöglichkeit, aber nicht über die Zugeneigtheit zur Handlung verfügt. Er gilt ebenfalls als Nicht-Mukallaf.
    Doch nur in dem Fall, wenn jemand dazu gezwungen wird, einen anderen zu töten, und er dies vollzieht, sündigt er nach Meinung aller Usuul-Gelehrten, weil er einen Gleichwertigen tötete und sich selbst als höherwertig einstufte und verschonte, und nicht weil er als Mukallaf gilt.

    al-mahkuumu bihi المحكوم به
    (das Gebotene bzw. die Scharii’ah-Gebote)

    Die Usuul-Gelehrten sind sich darüber einig, dass die Nicht-Muslime (kaafiruun) zu den Angesprochenen hinsichtlich der Aqiidah und der Scharii’ah gehören, da der Gesandte Allaahs (sallal-laahu alaihi wa sallam) zu allen Menschen entsandt wurde.
    Die Usuul-Gelehrten sind sich jedoch nicht einig darüber, ob die kaafi-ruun am Jüngsten Tag für die Nicht-Einhaltung der spezifischen Scharii’ah-Gebote zusätzlich zur Rechenschaft gezogen werden. Die Mehrheit der Gelehrten vertritt die Meinung, dass sie zusätzlich zu ihrem kufr auch Rechenschaft dafür ablegen werden. Sie belegen ihre Meinung mit folgender Aayah:

    مَا سَلَكَكُمۡ فِي سَقَرَ ٤٢ قَالُواْ لَمۡ نَكُ مِنَ ٱلۡمُصَلِّينَ ٤٣ وَلَمۡ نَكُ نُطۡعِمُ ٱلۡمِسۡكِينَ ٤٤ وَكُنَّا نَخُوضُ مَعَ ٱلۡخَآئِضِينَ ٤٥ وَكُنَّا نُكَذِّبُ بِيَوۡمِ ٱلدِّينِ ٤٦ حَتَّىٰٓ أَتَىٰنَا ٱلۡيَقِينُ ٤٧

    “Was brachte euch in die Hölle hinein?” (43) Sie sagten: “Wir pflegten nicht von den des rituellen Gebets Verrichtenden zu sein, (44) nicht den Bedürftigen zu speisen, (45) mit den des Sinnlosen Schwätzenden Sinnloses zu schwätzen, (46) und den Tag der Abrechnung 2 abzuleugnen, (47) bis zu uns die Gewissheit kam.” 3

Diese Aayaat belegen die o. g. Meinung, denn damit wird bestätigt, dass die kaafiruun zusätzlich zum kufr, den sie in (74:46) bekunden, für die Nicht-Einhaltung der Scharii’ah-Gebote zur Rechenschaft gezogen werden.
Deshalb muss ein kaafir eine Kaffaarah leisten, wenn er in Al-haramm jagt oder einen Meineid leistet.

 

Notes:

  1. Quraan (17:15)
  2. Ursprünglich: „diin“.
  3. Quraan (74:42-47)