Begriffsbestimmung und Stellung
Al-wasiyyah الوصية bedeutet linguistisch “jemanden anweisen, etwas zu tun” bzw. “ein Vermögen bestimmten Personen zu vermachen”.
Als Terminus technicus ist Al-wasiyyah “eine Gabe von Vermögen bzw. Nutzungs- oder Verfügungsrechten, die erst nach dem Tod erfolgt.” bzw. “eine Verfügung bzw. Gabe, die nach dem Tod erfolgt.”
Im Deutschen geben die Begriffe: “letztwillige Verfügung”, “Testament” oder “Vermächtnis” den Inhalt von Al-wasiyyah wieder.
Damit stellen testamentarische Verfügungen eine Möglichkeit der Besitzübergabe dar, die erst nach
dem Tode des Legators erfolgt, während Schenkungen zu Lebzeiten des Vermachenden stattfinden.
In der Frühphase der Botschaft des Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) waren testamentarische Verfügungen gegenüber den Eltern und Nahverwandten eine Pflichthandlung (Waadschib).
كُتِبَ عَلَيۡكُمۡ إِذَا حَضَرَ أَحَدَكُمُ ٱلۡمَوۡتُ إِن تَرَكَ خَيۡرًا ٱلۡوَصِيَّةُ لِلۡوَٰلِدَيۡنِ وَٱلۡأَقۡرَبِينَ بِٱلۡمَعۡرُوفِۖ حَقًّا عَلَى ٱلۡمُتَّقِينَ ١٨٠
Euch wurde geboten – wenn der Tod bei einem von euch zugegen wird, wenn er Gut hinterlässt, das Vermächtnis für die Eltern und die Nahverwandten nach dem Üblichen; es ist eine Pflicht für die Ehrfürchtigen. 1
يُوصِيكُمُ ٱللَّهُ فِيٓ أَوۡلَٰدِكُمۡۖ لِلذَّكَرِ مِثۡلُ حَظِّ ٱلۡأُنثَيَيۡنِۚ فَإِن كُنَّ نِسَآءٗ فَوۡقَ ٱثۡنَتَيۡنِ فَلَهُنَّ ثُلُثَا مَا تَرَكَۖ وَإِن كَانَتۡ وَٰحِدَةٗ فَلَهَا ٱلنِّصۡفُۚ وَلِأَبَوَيۡهِ لِكُلِّ وَٰحِدٖ مِّنۡهُمَا ٱلسُّدُسُ مِمَّا تَرَكَ إِن كَانَ لَهُۥ وَلَدٞۚ فَإِن لَّمۡ يَكُن لَّهُۥ وَلَدٞ وَوَرِثَهُۥٓ أَبَوَاهُ فَلِأُمِّهِ ٱلثُّلُثُۚ فَإِن كَانَ لَهُۥٓ إِخۡوَةٞ فَلِأُمِّهِ ٱلسُّدُسُۚ مِنۢ بَعۡدِ وَصِيَّةٖ يُوصِي بِهَآ أَوۡ دَيۡنٍۗ ءَابَآؤُكُمۡ وَأَبۡنَآؤُكُمۡ لَا تَدۡرُونَ أَيُّهُمۡ أَقۡرَبُ لَكُمۡ نَفۡعٗاۚ فَرِيضَةٗ مِّنَ ٱللَّهِۗ إِنَّ ٱللَّهَ كَانَ عَلِيمًا حَكِيمٗا ١١ ۞وَلَكُمۡ نِصۡفُ مَا تَرَكَ أَزۡوَٰجُكُمۡ إِن لَّمۡ يَكُن لَّهُنَّ وَلَدٞۚ فَإِن كَانَ لَهُنَّ وَلَدٞ فَلَكُمُ ٱلرُّبُعُ مِمَّا تَرَكۡنَۚ مِنۢ بَعۡدِ وَصِيَّةٖ يُوصِينَ بِهَآ أَوۡ دَيۡنٖۚ وَلَهُنَّ ٱلرُّبُعُ مِمَّا تَرَكۡتُمۡ إِن لَّمۡ يَكُن لَّكُمۡ وَلَدٞۚ فَإِن كَانَ لَكُمۡ وَلَدٞ فَلَهُنَّ ٱلثُّمُنُ مِمَّا تَرَكۡتُمۚ مِّنۢ بَعۡدِ وَصِيَّةٖ تُوصُونَ بِهَآ أَوۡ دَيۡنٖۗ وَإِن كَانَ رَجُلٞ يُورَثُ كَلَٰلَةً أَوِ ٱمۡرَأَةٞ وَلَهُۥٓ أَخٌ أَوۡ أُخۡتٞ فَلِكُلِّ وَٰحِدٖ مِّنۡهُمَا ٱلسُّدُسُۚ فَإِن كَانُوٓاْ أَكۡثَرَ مِن ذَٰلِكَ فَهُمۡ شُرَكَآءُ فِي ٱلثُّلُثِۚ مِنۢ بَعۡدِ وَصِيَّةٖ يُوصَىٰ بِهَآ أَوۡ دَيۡنٍ غَيۡرَ مُضَآرّٖۚ وَصِيَّةٗ مِّنَ ٱللَّهِۗ وَٱللَّهُ عَلِيمٌ حَلِيمٞ ١٢
Allaah gebietet euch hinsichtlich eurer Kinder, dem Kind männlichen Geschlechts das Gleiche (an Erbteilen) zu geben wie zwei Kindern weiblichen Geschlechts. Sollten sie zwei Töchter und mehr sein, so bekommen sie Zweidrittel dessen, was man hinterlassen hat. Sollte es sich nur um eine einzige Tochter handeln, so bekommt sie die Hälfte. Für seine Eltern, jedes Elternteil bekommt ein Sechstel dessen, was man hinterlassen hat, wenn man Kinder hat. Wenn man jedoch keine Kinder hat und (nur) seine Eltern ihn beerben, dann bekommt seine Mutter das Drittel. Wenn er Geschwister hat, dann bekommt seine Mutter das Sechstel nach (der Vollstreckung) des Testaments, das man hinterlegt hat, und nach (der Begleichung) der Schulden. – Eure Eltern und eure Kinder, ihr wisst nicht, welche von ihnen euch am ehesten nützen. – Dies ist ein Gebot von Allaah. Gewiss, Allaah bleibt allwissend, allweise. (12) Ihr bekommt die Hälfte dessen, was eure Ehefrauen hinterlassen haben, wenn sie keine Kinder haben. Doch sollten sie Kinder haben, dann bekommt ihr das Viertel von dem, was sie hinterlassen haben, nach (der Vollstreckung) des Testaments, das sie hinterlegt haben, und nach (der Begleichung) der Schulden. Die Ehefrauen bekommen das Viertel von dem, was ihr hinterlassen habt, wenn ihr keine Kinder habt. Solltet ihr aber Kinder haben, dann bekommen sie das Achtel von dem, was ihr hinterlassen habt, nach (der Vollstreckung) des Testaments, das ihr hinterlegt habt, und nach (der Begleichung) der Schulden. Sollte (der Verstorbene) ein Mann gewesen sein, der als eltern- und kinderlos 2 beerbt wird – oder eine Frau, und er (oder sie) (mütterlicherseits) einen Bruder oder eine Schwester haben, dann bekommt jeder von ihnen das Sechstel. Sollten sie jedoch mehr als das vorher Erwähnte sein, dann sind sie Partner im Drittel. (Dies erfolgt erst) nach (der Vollstreckung) des Testaments, das ihr hinterlegt habt, und nach (der Begleichung) der Schulden, ohne (die Erbberechtigten) zu schädigen. Dies ist ein Gebot von Allaah. Allaah ist allwissend, allnachsichtig. 3
Später wurde diese Pflichthandlung durch die Aayaat der Erbschaftsregelung abrogiert. Vom ursprünglichen Gebot wurde danach nur noch die Vorgabe berücksichtigt, dass letztwillige Verfügungen nicht das Drittel der Erbschaft übersteigen dürfen.
كَانَ النَّبِيُّ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ يَعُودُنِي وَأَنَا مَرِيضٌ بِمَكَّةَ فَقُلْتُ لِي مَالٌ أُوصِي بِمَالِي كُلِّهِ قَالَ لَا قُلْتُ فَالشَّطْرِ قَالَ لَا قُلْتُ فَالثُّلُثِ قَالَ الثُّلُثُ وَالثُّلُثُ كَثِيرٌ أَنْ تَدَعَ وَرَثَتَكَ أَغْنِيَاءَ خَيْرٌ مِنْ أَنْ تَدَعَهُمْ عَالَةً يَتَكَفَّفُونَ النَّاسَ فِي أَيْدِيهِمْ وَمَهْمَا أَنْفَقْتَ فَهُوَ لَكَ صَدَقَةٌ حَتَّى اللُّقْمَةَ تَرْفَعُهَا فِي فِي امْرَأَتِكَ.
Als der Prophet (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) mich besuchte, während ich in Makkah krank war, stellte ich die Frage: “Ich habe Vermögen, soll ich mein gesamtes Vermögen vermachen?” Er antwortete: “Nein!” Dann sagte ich: “Wie wäre es mit der Hälfte?” Er erwiderte: “Nein!” Dann fragte ich: “Dann ein Drittel?” Er sagte: “Vermache ein Drittel, und das Drittel ist viel! Denn dass du deine Erben als Reiche hinterläßt, ist besser als, dass du sie als Arme hinterläßt, die bei anderen Menschen betteln, um ihre Bedürfnisse zu decken. Alles, was du für andere ausgibst, wird für dich als Spende gezählt, sogar ein Häppchen, das du deiner Frau in den Mund gibst.” (B, M, T, N, AH)
Sollte ein Vermächtnis das Drittel übersteigen, so gilt diese Handlung als eine Soll-Nicht-Handlung (Makruuh). Diese Verfügung wird nur dann wirksam, wenn die erbberechtigten Personen ihre ausdrückliche Zu-stimmung dazu geben.
Eine Spende (Sadaqah) zu Lebzeiten übertrifft jedoch bezüglich des Lohnes grundsätzlich den einer testamentarischen Verfügung.
Testamentarische Verfügungen werden im Allgemeinen als eine Soll-Handlung bewertet. Sie können aber je nach Situation auch als eine Muss- (Waadschib), Kann- (Mubaah) und Soll-Nicht- (Makruuh) bzw. Darf-Nicht-Handlung (Haraam) eingestuft werden:
– Eine testamentarische Verfügung stellt eine Muss-Handlung dar, wenn der Testamentator noch Pflichten Allaah (ta’aala) gegenüber zu erfüllen hat, wie Zakah, Kaffaarah, etc. Ebenso ist ein Testament zur Rückgabe von anvertrautem Gut bzw. zur Begleichung von nicht doku-mentierten Schulden eine Muss-Handlung.
Auch in nicht-islamischen Gesellschaften stellen Testamente eine Muss-Handlung dar, um z. B. die islam-konforme Verteilung der Hinter-lassenschaft oder die Art der eigenen Bestattung zu bestimmen, da sonst islam-widrige Folgen wie z. B. die Einäscherung auf Wunsch nicht-muslimischer Nahverwandter nicht auszuschließen sind.
– Testamentarische Verfügungen, die Freunde oder Vermögende berücksichtigen, sind erlaubt. Sollte der Testator damit die Absicht verfolgen, sie zu islam-konformen Handlungen zu bewegen, dann gelten die Verfügungen gar als Soll-Handlung.
– Testamentarische Verfügungen stellen eine Soll-Nicht-Handlung dar, wenn der Legator selbst über geringe finanzielle Mittel verfügt und die Erben ebenfalls bedürftig und auf dieses Geld angewiesen sind.
– Testamentarische Verfügungen über Handlungen, deren Ausführung durch die Scharii’ah für haraam erklärt wurden, wie z. B. Verfügungen über Einnahme von Zinsgeldern oder Verfügungen, die dazu führen, dass Erbberechtigte weniger als das ihnen Zustehende erhalten, sind verboten. 4