Die unerlässlichen Bestandteile des Bay’-Vertrags umfassen nach der Mehrheit der Fiqh-Gelehrten drei Pflichtteile (Arkaan):
- Die Vertragsform (as–siighah الصيغة), d. h. die übereinstimmende Willenserklärung der Vertragsparteien.
- Die Vertragsparteien (al-‘aaqidaan العاقدان), d. h. der Verkäufer (al-baai’ البائع) und der Käufer (al-muschtariy
المشتري). - Das Vertragsobjekt (al-ma’quudu ‘alaih المعقود عليه), d. h. der Preis bzw. das Kapital (ath-thaman الثمن) und die verkaufte Sache bzw. das Kaufobjekt (al-muthamman المثمن).
Die Vertragsform (as–siighah الصيغة)
Die Vertragsform besteht aus dem Angebot (iidschaab إيجاب) und der Annahme des Angebots (qabuul قبول).
Die Vertragsform ist nach der Hanafitischen Fiqh-Schule der einzige unerlässliche Teil eines Bay’-Vertrags, obwohl es auch nach ihnen zu keinem Bay’-Vertrag ohne Vertragsparteien und ohne Vertragsobjekt kommen kann.
Folgende Aspekte müssen bei der Vertragsform beachtet werden:
- Die Vertragsform ist die Willenserklärung der Vertragsparteien zum Bay’-Vertrag, die durch das Angebot (iidschaab إيجاب) und die Annahme (qabuul قبول) verbal bzw. nonverbal geäußert wird.
Nach den Hanafiten stellt das Angebot/Iidschaab die erste Äußerung dar, unabhängig davon, ob sie vom Verkäufer oder vom Käufer erfolgt. Die zweite Äußerung ist dann die Annahme/Qabuul.
Nach der Mehrheit der Fiqh-Gelehrten erfolgt das Angebot/Iidschaab vom Verkäufer, während die Annahme/Qabuul die Äußerung des Käufers darstellt. Dabei spielt es keine Rolle, welche der beiden Erklärungen zuerst geäußert wird. - Die Vertragsform kann mit jedem Wortlaut erfolgen, der auf eindeutige Art und Weise die Übereinkunft beider Vertragspartner bestätigt und auf Kaufen und Verkaufen hinweist, wie z. B. die Aussage des Verkäufers: “Ich verkaufe Dir diese Ware für diesen Preis” und die freiwillig abgegebene Erklärung des Käufers: “Ich kaufe von Dir diese Ware für den angegebenen Preis” oder “Ich bin mit diesem Preis einverstanden”, etc.
- Eine Vertragsform, die in der Zukunftsform bzw. in Frageform geäußert wird, wie “ich werde kaufen bzw. verkaufen” bzw. “Verkaufst du es mir?”, bewirkt keinen gültigen Bay’-Vertrag.
- Im Allgemeinen gilt jedoch, dass je nach Land und Sitten (‘urf) die Vertragsform variieren kann. Deshalb gilt immer der Grundsatz, dass die verwendeten Ausdrücke für beide Vertragspartner auf sofortiges Abschließen eines Kaufvertrags hinweisen müssen, unabhängig davon, in welcher Form diese erfolgen.
- Nach der verbalen Äußerung der Willenerklärung gilt der Vertrag als abgeschlossen und bindend, d. h. keiner der beiden Vertragsparteien kann vom Kaufvertrag zurücktreten, wenn folgende Bedingungen erfüllt werden:
1. Das verbale Angebot und seine verbale Annahme müssen innerhalb der Vertragssitzung erfolgen und bis zum Ende dieser Sitzung gelten. Bei einem schriftlichen Angebot gilt als Vertragssitzung der Zeitraum, während dessen der Vertragspartner vom Angebot erfährt und seine Annahme bekundet.
Erfolgt die Annahme des Käufers außerhalb der Vertragssitzung oder besteht zwischen dem Angebot des Verkäufers und der konsekutiven Annahme des Käufers eine längere Zeitspanne, so dass von einem Desinteresse ausgegangen werden kann, dann gilt der Vertrag als gegenstandslos. Dabei orientiert sich die Zeitspanne nach der Verkehrssitte der jeweiligen Region (‘urf).
2. Die Annahme des Käufers muss mit dem Angebot des Verkäufers in Bezug auf die Bedeutung, die Gattung, die Art, das Attribut, die Anzahl, die Zahlungsfrist und die Lieferung übereinstimmen.
Verkauft eine Person ihre Ware z. B. für 100 €, und der Käufer nimmt nur einen Preis in Höhe von 50 € an, dann gilt der Vertrag als gegenstandslos.
3. Beide Vertragspartner müssen bis zur Äußerung beider Aspekte der Vertragsform, des Angebots und der Annahme, geschäftsfähig sein. Sollte der Anbieter z. B. vor der Annahme des Angebots bewusstlos werden, dann ist dieser Vertrag gegenstandslos.
4. Die Vertragsform darf nicht zeitlich befristet sein, wie z. B. “ich verkaufe dies für einen Monat”.
5. Die Vertragsform darf von keiner Bedingung abhängen, die dem Vertrag fremd ist, wie z. B. eine Person X verkauft ihre Ware erst dann, wenn eine andere Person Y wieder im Lande ist.
Die Zahlungsmodalität darf Bedingungen unterliegen. So können die Vertragsparteien vereinbaren, dass der Preis zu einem bestimmten Termin, z. B. zum Monatsbeginn oder zu einem späteren Zeitpunkt zu zahlen ist.
6. Beide Aspekte der Vertragsform dürfen nicht von einer einzigen Vertragspartei erfolgen. 1 - Die nonverbale Vertragsform kann schriftlich, durch bestimmte Gesten/ Zeichen oder durch einen stillschweigenden Tausch der Vertragsobjekte erfolgen. Nach der Mehrheit der Fiqh-Gelehrten gelten diese Möglichkeiten nur bei der Unfähigkeit, die Vertragsform verbal zu bekunden. Der stillschweigende Tausch der Vertragsobjekte darf nur in Bezug auf Vertragsobjekte erfolgen, die keinen großen Wert haben. Auch diesbezüglich ist die Verkehrssitte (‘urf) zu beachten.
Die Vertragsparteien (al-‘aaqidaan العاقدان)
Jede Vertragspartei, Käufer und Verkäufer, muss folgende Voraussetzungen erfüllen, um gültige Bay’-Verträge abschließen zu können:
- Sie muss unterscheidungsfähig (mumaiyiz مميز) sein
Damit sind Bay’-Verträge, die von unterscheidungsunfähigen Kindern geschlossen werden, ungültig. Nur die Hanbalitische Fiqh-Schule erlaubt Bay’ von solchen Kindern, wenn es sich um geringe Werte, wie z. B. Bonbons handelt.
Bay’-Verträge unterscheidungsfähiger Kinder werden von den Hanafitischen und Maalikitischen Fiqh-Schulen und manchen Hanbalitischen Gelehrten als scharii’ah-konform anerkannt. Sie werden aber nur nach Zustimmung der/des Erziehungsberechtigten (Waliy) bzw. des Vormundes wirksam.
Nach den Schaafi’iten und manchen Hanbalitischen Gelehrten sind solche Verträge immer und unter allen Umständen nichtig, da der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:
رُفِعَ الْقَلَمُ عَنْ ثَلَاثَةٍ: عَنِ النَّائِمِ حَتَّى يَسْتَيْقِظَ، وَعَنِ الصَّبِيِّ حَتَّى يَحْتَلِمَ، وَعَنِ الْمَجْنُونِ حَتَّى يَعْقِلَ.
Nicht belangt werden drei Menschentypen: der Schlafende, bis er wach wird, der Junge, bis er geschlechtsreif wird, und der geistig Behinderte, bis er verständig wird. (T, A, N, I, AH)
Nach diesen Fiqh-Gelehrten müssen beide Vertragspartner auf jeden Fall geschlechtsreif sein.
- Sie muss zurechnungsfähig (‘aaqil عاقل) sein
Damit sind nach allen Fiqh-Schulen Bay’-Verträge von geistig Behinderten und Bewusstlosen ungültig.
Bay’-Verträge, die von Personen abgeschlossen werden, die sich freiwillig in einen Zustand der Geistesbehinderung gebracht haben, indem sie sich betrinken oder andere Drogen konsumieren, gelten nach der Schaafi’itischen Fiqh-Schule auch dann, sollten diese Verträge ihnen schaden, da sie auch nach ihrer freiwilligen Verfehlung mündig und verantwortlich bleiben.
Die Hanbaliten betrachten solche Verträge als nichtig und ohne Konsequenzen, da das Einverständnis, als eine unabdingbare Bedingung eines vollgültigen Vertrages, bei einer betrunkenen Person nicht erkennbar ist.
Alle anderen Fiqh-Schulen betrachten solche Verträge als gültig, doch werden sie erst wirksam nach der Zustimmung dieser Person, wenn sie wieder bei Sinnen bzw. nüchtern ist.
- Sie muss geschäftsfähig (raschiid رشيد) sein
Die Vertragspartner müssen mündig sein und uneingeschränkt geschäftsfähig, d. h. sie müssen fähig sein, über ihr Vermögen frei zu verfügen. Damit gelten keine Bay’-Verträge von Entmündigten, deren Verfügungsrecht über ihr Vermögen aus welchen Gründen auch immer eingeschränkt wurde.
Sollte der Vormund einem Bay’-Vertrag eines Entmündigten zu-stimmen, dann gilt dieser Vertrag nach den Maalikiten und Hanbaliten. Imaam Abu-haniifah lehnt die Entmündigung eines geschlechtsreifen freien Menschen prinzipiell ab.
Im Quraan heißt es diesbezüglich:
وَٱبۡتَلُواْ ٱلۡيَتَٰمَىٰ حَتَّىٰٓ إِذَا بَلَغُواْ ٱلنِّكَاحَ فَإِنۡ ءَانَسۡتُم مِّنۡهُمۡ رُشۡدٗا فَٱدۡفَعُوٓاْ إِلَيۡهِمۡ أَمۡوَٰلَهُمۡۖ وَلَا تَأۡكُلُوهَآ إِسۡرَافٗا وَبِدَارًا أَن يَكۡبَرُواْۚ وَمَن كَانَ غَنِيّٗا فَلۡيَسۡتَعۡفِفۡۖ وَمَن كَانَ فَقِيرٗا فَلۡيَأۡكُلۡ بِٱلۡمَعۡرُوفِۚ فَإِذَا دَفَعۡتُمۡ إِلَيۡهِمۡ أَمۡوَٰلَهُمۡ فَأَشۡهِدُواْ عَلَيۡهِمۡۚ وَكَفَىٰ بِٱللَّهِ حَسِيبٗا ٦
Prüft die Waisen, bis sie das Heiratsalter erreicht haben. Wenn ihr bei ihnen vernünftiges Verhalten (ruschd) feststellt, dann übergebt ihnen ihr Vermögen; und verbraucht es nicht auf verschwenderische Art und nicht übereilt, bevor sie das Alter erreichen. Wer reich ist, so soll er verzichten, und wer arm ist, so soll er davon nach dem Üblichen nehmen. Und wenn ihr ihnen ihr Vermögen übergebt, dann zieht Zeugen dafür hinzu. Allaah genügt als Abrechnender. 2
Nach dieser Aayah trägt Allaah (ta’aala) dem Vormund bzw. Erziehungsberechtigten (Waliy) auf, diese Personen auf die Fähigkeit zum vernünftigen Umgang mit ihrem Vermögen für den eigenen Schutz zu überprüfen, wenn sie die Geschlechtsreife erreicht haben. Erst wenn man bei ihnen feststellt, dass sie reif geworden sind und mit ihrem Vermögen vernünftig umgehen können, überlässt man ihnen ihr rechtmäßiges Vermögen und überträgt ihnen auch das Verfügungsrecht darüber.
- Sie muss freiwillig und ohne Zwang (muchtaar مختار) handeln
Der Bay’-Vertrag muss von beiden Vertragsparteien, dem Käufer und dem Verkäufer, bzw. ihren Bevollmächtigten in gegenseitigem Einvernehmen und aus vollkommen freier Entscheidung heraus und ohne äußere Nötigung erfolgen.
يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُواْ لَا تَأۡكُلُوٓاْ أَمۡوَٰلَكُم بَيۡنَكُم بِٱلۡبَٰطِلِ إِلَّآ أَن تَكُونَ تِجَٰرَةً عَن تَرَاضٖ مِّنكُمۡۚ وَلَا تَقۡتُلُوٓاْ أَنفُسَكُمۡۚ إِنَّ ٱللَّهَ كَانَ بِكُمۡ رَحِيمٗا ٢٩
Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Eignet euch euer Vermögen untereinander nicht durch Falschheit an! Nicht verboten ist es, (es euch anzueignen) durch einen Handel, den ihr in gegenseitigem Einvernehmen abschließt. Auch begeht keinen Selbstmord! Gewiss, Allaah bleibt immer euch gegenüber allgnädig. 3
Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:
إِنَّمَا الْبَيْعُ عَنْ تَرَاضٍ.
Der Bay’ erfolgt ausschließlich im Einvernehmen. (I, Al-baihaqiy)
إِنَّ اللَّهَ وَضَعَ عَنْ أُمَّتِي الْخَطَأَ وَالنِّسْيَانَ وَمَا اسْتُكْرِهُوا عَلَيْهِ.
Gewiss, Allaah entlastete meine Gemeinschaft von (der Verantwortung für) das versehentlich oder durch Vergesslichkeit Vollzogene und für das, zu dem sie gezwungen werden. (I)
Grundsätzlich gilt, dass das Angebot des Verkäufers und die Annahme des Käufers im Normalfall einen Akt des gegenseitigen Einverständnisses darstellen, der eigentlich verborgen ist und nur durch diese äußere Handlung erkennbar wird.
Demnach ist jeglicher Handel mit einer unter Zwang stehenden Person gemäß der Scharii’ah nichtig und ohne Konsequenzen. Ihr Einverständnis wird in diesem Zusammenhang zu Recht angezweifelt, deshalb bleibt es auch im Falle eines formal korrekten Angebots resp. der Annahme gegenstandslos.
Ausnahme:
Sollte eine Person bei einer anderen Person verschuldet sein und Waren besitzen, deren Gegenwert dem der ausstehenden Schulden entspricht, sich aber weigern, diese Waren zu veräußern, um diese Schulden nicht zurückzahlen zu müssen, kann der Richter die verschuldete Person zum Verkauf dieser Waren zwingen, um die Schulden damit zu begleichen.
- Sie muss Eigentümer (maalik مالك) sein bzw. Bevollmächtigte des Eigentümers (wakiil وكيل)
Grundsätzlich sind alle Bay’-Verträge, die nicht von den Eigentümern bzw. ihren Bevollmächtigten geschlossen werden, unwirksam.
Nach den Hanafiten und Maalikiten und manchen Schaafi’iten kommen solche Verträge zwar zustande, ohne jedoch wirksam zu sein. Erst nach Zustimmung des Eigentümers sind sie nach der Scharii’ah wirksam und vollgültig. Diese Fiqh-Gelehrten belegen ihre Meinung mit folgendem Hadiith:
عَنْ عُرْوَةَ الْبَارِقِيِّ، أَنَّ رَسُولَ اللَّهِ صَلّى اللهُ عَليَهِ وَسَلّم بَعَثَ مَعَهُ بِدِينَارٍ يَشْتَرِي لَهُ أُضْحِيَّةً، وَقَالَ مَرَّةً: أَوْ شَاةً، فَاشْتَرَى لَهُ اثْنَتَيْنِ، فَبَاعَ وَاحِدَةً بِدِينَارٍ، وَأَتَاهُ بِالْأُخْرَى، فَدَعَا لَهُ بِالْبَرَكَةِ فِي بَيْعِهِ، فَكَانَ لَوِ اشْتَرَى التُّرَابَ لَرَبِحَ فِيهِ.
Über ‘Urwah Al-baariqiy wurde tradiert, dass der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) ihm eine Diinaar-Münze gab, um ein Opfertier (udhiyah) zu kaufen – einmal sagte er: “oder ein Schaf” – Dann kaufte er für ihn zwei Tiere. Ein Tier hat er anschließend für eine Dinaar-Münze weiterverkauft und das zweite Tier hat er ihm (dem Gesandten) gebracht. Daraufhin sprach der Gesandte für ihn Segensbittgebete für seinen Handel. So hat er immer Gewinne erzielt, selbst wenn er Erde gekauft hätte. (AH)
Die anderen Fiqh-Gelehrten bewerten diese Verträge als insgesamt nichtig, da der Gesandte Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:
لَا تَبِعْ مَا لَيْسَ عِنْدَكَ.
Verkaufe nicht, was nicht bei dir ist. (T, A, N, I, AH)
- Die Vertragsparteien müssen mindestens zwei verschiedene Parteien sein. Käufer und Verkäufer können sich nicht gleichzeitig durch eine Person vertreten lassen, da beide gegenläufige Interessen verfolgen. Der Verkäufer möchte für seine Ware den höchst möglichen Preis erzielen, während der Käufer die angebotene Ware zum möglichst niedrigen Preis erstehen will. Damit darf die gleiche Person nicht in der Eigenschaft als Bevollmächtigter für beide Vertragsparteien fungieren.
Ausgenommen davon sind folgende Fälle:
– Eltern, Vater bzw. Mutter in ihrer Eigenschaft als Waliy für das eigene Kind, können ihrem Kind etwas verkaufen, da bei ihnen im Normalfall aufgrund der Zuneigung zum eigenen Kind Betrugsabsicht (ghubn غبن) ausgeschlossen wird
– Der Richter kann in besonderen Fällen als juristische Einzelperson Waren gegen einen Sachwert untereinander austauschen.
- Beide Vertragsparteien dürfen bei allen Bay’-Verträgen, die visuelle Begutachtung erfordern, nicht blind sein. In einem solchen Fall lassen sie sich durch eine andere Person vertreten.
Manche Fiqh-Gelehrte betrachten den Kaufvertrag eines Blinden prinzipiell als ungültig.
Das Vertragsobjekt (al-ma’quudu ‘alaih المعقود عليه)
Das Verkaufsobjekt (al-ma’quudu ‘alaih المعقود عليه) besteht immer aus zwei Teilen, aus – dem Preis bzw. dem Kapital (ath-thamanالثمن ) und aus – der verkauften Sache bzw. dem Kaufobjekt (al-muthamman المثمن).
Der Preis bzw. das Kapital (ath-thaman الثمن)
Bezüglich des Kaufpreises, dem zweiten Teil des Kaufobjektes, gilt, dass der Verkaufswert der Ware für beide Vertragsparteien beim Vertragsschluss exakt bestimmt und bekannt sein muss.
Bei der Verletzung dieser oder einer der o. g. Bedingungen wird der Bay’-Vertrag ungültig, wenn man die Unklarheit nicht aufgrund der Verkehrssitte, des ‘Urf, beseitigen kann, wie z. B. wenn man die Währung nicht nennt, dann gilt die übliche Landeswährung.
Sollte der Kaufpreis kein Zahlungsmittel sein, dann muss er die gleichen Voraussetzungen wie die zum Verkauf angebotene Sache erfüllen.
Bei der Bestimmung des Kaufpreises können folgende Vereinbarungsformen unterschieden werden:
– Al-muraabahah المرابحة
Die klassische Form von Muraabahah wird definiert als “der Wiederverkauf einer Sache zum Selbstkostenpreis mit einem festgelegten Gewinn (Ribh ربح).”
Damit der Bay’-Vertrag von Al-muraabahah gültig wird, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- Der ursprüngliche Selbstkostenpreis muss dem Käufer bekannt sein.
- Der Gewinn muss ebenfalls bekannt sein.
- Die zum Verkauf angebotene Ware und der neu zu vereinbarende Verkaufspreis dürfen nicht zu den Riba-Gütern gleicher Gattung gehören, da beim Tausch solcher Güter prinzipiell die Mengengleichheit gilt. 4
Man darf z. B. kein Gold gegen eine größere Menge Gold und kein Silber gegen eine größere Menge Silber verkaufen. - Der ursprüngliche Selbstkostenpreis muss zu den durch Wiegen, Messen, Zählen etc. berechenbaren Sachen gehören, da der zu vereinbarende Verkaufspreis sich an diesem Selbstkostenpreis orientiert.
- Der erste Kaufvertrag muss scharii’ah-konform und gültig sein.
- Alle Mängel der angebotenen Ware wie eine Preisänderung auf dem Markt, eine Substanzänderung, etc. müssen offengelegt werden.Der Bay’-Vertrag gemäß Al-muraabahah ist ein Vertrag, der auf Vertrauen (Amaanah أمانة) basiert, da der Käufer dem Verkäufer bei der Benennung des ursprünglichen Selbstkostenpreises vertrauen muss. So muss der Verkäufer wahrhaftig sein und darf keinen Verrat und keine Täuschung begehen. Allaah (ta’aala) sagte im Quraan:
يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُواْ لَا تَخُونُواْ ٱللَّهَ وَٱلرَّسُولَ وَتَخُونُوٓاْ أَمَٰنَٰتِكُمۡ وَأَنتُمۡ تَعۡلَمُونَ ٢٧
Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Begeht keinen Verrat an Allaah und an dem Gesandten; auch begeht keinen Verrat mit den euch anvertrauten Dingen, während ihr es wisst. 5
Bei Feststellung einer Täuschung bzw. Übervorteilung bei der Benennung des ursprünglichen Selbstkostenpreises hat der Käufer die Wahl, dem Vertrag zuzustimmen oder ihn annullieren zu lassen.
Beim Bay’-Vertrag gemäß Al-muraabahah kann die Bezahlung des Gesamtpreises der Ware auch in Raten erfolgen.
– Al-muhaatatah bzw. Al-muwaada’ah المحاططة أو المواضعة
Dieser Vertragstyp gilt als die konträre Form zur Al-muraabahah.
Sie wird definiert als “der Wiederverkauf einer Sache unter deren Selbstkostenpreis”.
Hier liegt keine Gewinn- sondern eine Verlustvereinbarung vor. Es gelten die gleichen Bedingungen wie bei Al-muraabahah.
– At-tauliyah التولية
Unter At-tauliyah versteht man den “Wiederverkauf einer Ware zum Selbstkostenpreis”.
Hier gelten die gleichen Bedingungen wie bei Al-muraabahah und Al-muwaada’ah mit der Ausnahme, dass die Riba-Güter nach dieser Form ohne Weiteres ausgetauscht werden dürfen.
– Al-muschaarakah bzw. Al-ischraak المشاركة أو الإشراك
Unter diesem Bay’-Vertragstyp versteht man “die anteilig bestimmte Beteiligung einer weiteren natürlichen oder juristischen Person an einer bereits gekauften Sache”.
Man vereinbart z. B. die Übernahme eines gewissen Prozentsatzes des Kaufpreises für einen bestimmten Anteil an der bereits gekauften Sache.
Bei Al-muschaarakah gelten die gleichen Bedingungen wie bei At-tauliyah, da man einen Teil der gekauften Sache für einen entsprechenden Teil des Kaufpreises erwirbt.
Bei der Nicht-Benennung des Anteils der Beteiligung der jeweiligen Partner gilt in der Regel die Gleichheit ihrer Anteile mit den damit verbundenen Konsequenzen.
Die verkaufte Sache bzw. das Kaufobjekt (al-muthamman المثمن)
Für die Gültigkeit des Kaufvertrages ist Folgendes erforderlich:
– Die verkaufte Sache muss existent sein.
Demnach ist der Verkauf von (noch) nicht-existenten Sachen ungültig, wie z. B. der Verkauf der noch nicht eingebrachten Ernte oder unreifer Früchte vor der Ernte oder der Milch im Euter oder eines noch ungeborenen Jungtieres (Fohlen, Kalb) oder anderer fiktiver Werte.
Als Belegstelle wird der Hadiith von dem Sahaabiy Hakiim Bnu-hizaam (radial-laahu ‘anh) angeführt, der diesbezüglich dem Propheten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) folgende Frage stellte:
يَا رَسُولَ اللَّهِ يَأْتِينِي الرَّجُلُ فَيُرِيدُ مِنِّي الْبَيْعَ لَيْسَ عِنْدِي أَفَأَبْتَاعُهُ لَهُ مِنْ السُّوقِ فَقَالَ لَا تَبِعْ مَا لَيْسَ عِنْدَكَ
“Gesandter Allaahs! Gelegentlich kommt ein Kunde und möchte etwas von mir kaufen, das ich nicht (vorrätig) habe, darf ich es für ihn vom Markt kaufen?” Er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) antwortete: “Verkaufe nicht, was nicht bei dir ist”. (T, A, N, I, AH)
عَن جَابِرِ بْنِ عَبْدِ اللَّهِ، أَنّ النَّبِيَّ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ نَهَى عَنِ الْمُعَاوَمَةِ.
Über Dschaabir Bnu-‘abdil-laah wurde tradiert, dass der Prophet (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) das Verkaufen der Ernte von Baumfrüchten für zwei, drei und mehr Jahre im Voraus verbot. (T, A)
Weiterhin fällt diese Verkaufsart unter die Kategorie des aleatorischen Geschäftes [gharar غرر], da eine der vertragsschließenden Parteien mit einem nicht-kalkulierbaren Risiko belastet ist.
نَهَى رَسُولُ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ عَنْ بَيْعِ الْغَرَرِ.
Der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) untersagte das aleatorische Geschäft (bay’ul-gharar). (M)
Wenn die zum Verkauf angebotene Sache bei der Vertragssitzung nicht vorhanden ist, dann gilt je nach Situation Folgendes:
- Die Sache wurde vor der Vertragssitzung nicht besichtigt:
Die Mehrheit der Fiqh-Gelehrten erlaubt den Verkauf dieser Sache, wobei die Maalikiten und Hanafiten bei nicht spezifizierten Sachen dem Käufer ein Rückgaberecht einräumen.
Die Mehrheit der Schaafi’iten und manche Hanbaliten verbieten wegen gharar (Übervorteilung) den Verkauf bei der Vertragssitzung nicht anwesender Sachen, unabhängig davon, ob diese Sachen von dem Verkäufer spezifiziert wurden oder nicht.
Die Mehrheit der Hanbaliten und der Dhaahiriten lassen den Verkauf solcher Sachen mit allen Konsequenzen mit der Bedingung zu, wenn sie ausreichend wie bei dem Bay’-Vertrag von As-salam 6 spezifiziert worden sind. - Die Sache wurde vor der Vertragssitzung besichtigt:
Die Mehrheit der Fiqh-Gelehrten lässt den Bay’-Vertrag über solche Waren zu, wenn der Zeitraum zwischen ihrer Besichtigung und dem Abschluss des Vertrags nicht so lang ist, dass diese Ware in dieser Zeit verdirbt bzw. sich verändern kann.
Andere Fiqh-Gelehrte verbieten prinzipiell den Verkauf bei der Vertragssitzung abwesender Sachen. - Der Käufer ist blind:
Die Mehrheit der Fiqh-Gelehrten betrachtet den Kaufvertrag eines Blinden als gültig und wirksam, wenn die Ware vorher genau beschrieben und spezifiziert wurde.
Nach wenigen Fiqh-Gelehrten ist der Kaufvertrag eines Blinden prinzipiell ungültig, da eine blinde Person die Ware nicht besichtigen kann.
– Die verkaufte Sache muss an sich ein erlaubtes und ein nützliches Vermögen (maalun mutaqauwim مال متقوم) im Sinne der Scharii’ah darstellen.
Deshalb gilt der Verkauf von den Haraam- resp. Nadschis 7-Sachen wie der Verkauf von Drogen, Schweinefleisch oder Hunden als verboten und unwirksam.
عَن جَابِرِ بْنِ عَبْدِ اللَّهِ رَضِيَ اللَّهُ عَنْهُمَا أَنَّهُ سَمِعَ رَسُولَ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ يَقُولُ عَامَ الْفَتْحِ وَهُوَ بِمَكَّةَ إِنَّ اللَّهَ وَرَسُولَهُ حَرَّمَ بَيْعَ الْخَمْرِ وَالْمَيْتَةِ وَالْخِنْزِيرِ وَالْأَصْنَامِ فَقِيلَ يَا رَسُولَ اللَّهِ أَرَأَيْتَ شُحُومَ الْمَيْتَةِ فَإِنَّهَا يُطْلَى بِهَا السُّفُنُ وَيُدْهَنُ بِهَا الْجُلُودُ وَيَسْتَصْبِحُ بِهَا النَّاسُ فَقَالَ لَا هُوَ حَرَامٌ ثُمَّ قَالَ رَسُولُ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ عِنْدَ ذَلِكَ قَاتَلَ اللَّهُ الْيَهُودَ إِنَّ اللَّهَ لَمَّا حَرَّمَ شُحُومَهَا جَمَلُوهُ ثُمَّ بَاعُوهُ فَأَكَلُوا ثَمَنَهُ .
Über Dschaabir Bnu-‘abdil-laah (radial-laahu ‘anhuma) wurde berichtet, dass er dem Gesandten Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) im Jahr der Befreiung von Makkah in Makkah zuhörte, als er sagte: “Gewiss, Allaah und sein Gesandter haben den Verkauf von Chamr (Wein), von verendeten Tieren, vom Schwein und von Götzen für haraam erklärt!” Dann wurde gefragt: “Gesandter Allaahs! Wie steht es mit dem Fett verendeter Tiere, denn damit werden die Boote bestrichen, die Felle eingerieben, und die Menschen verwenden es für die Beleuchtung?” Er entgegnete: “Nein, es ist haraam!” Dann sagte der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam): “Nieder mit den Juden, denn als Allaah ihnen das Fett der Tiere verbot, haben sie es geschmolzen, verkauft und sich dessen Preis angeeignet.” (B, M)
Die verkaufte Sache muss auch einen gewissen Nutzen im Sinne der Scharii’ah und der Verkehrssitte (‘urf) repräsentieren. Deshalb gelten Insekten oder schädliche Tierarten, die keinen unmittelbaren Nutzen haben, als unzulässige Verkaufswaren.
Die Mehrheit der Fiqh-Gelehrten mit Ausnahme der Gelehrten der Hanafitischen und Maalikitischen Fiqh-Schulen betrachtet auch den Verkauf von Hunden für haraam, da der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:
إِنّ رَسُولَ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ نَهَى عَنْ ثَمَنِ الدَّمِ، وَثَمَنِ الْكَلْبِ، وَكَسْبِ الْبَغِيِّ، وَلَعَنَ الْوَاشِمَةَ وَالْمُسْتَوْشِمَةَ، وَآكِلَ الرِّبَا وَمُوكِلَهُ، وَلَعَنَ الْمُصَوِّرَ.
Der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) verbot den Preis für das Blut, den Preis für den Hund und die Einnahmen der Prostituierten, und er verfluchte die Tätowierende und die Tätowierte, den Riba-Nehmer und den Riba 8-Geber sowie den Bildhauer. (B, AH, Al-baihaqiy und Ibnu-hibbaan)
– Die verkaufte Sache muss so beschaffen sein, dass sie beim Vertragsschluss dem Käufer übergeben werden kann.
Dies bedeutet z. B., dass der Verkäufer seinen gestohlenen Wagen oder einen entflohenen Vogel nicht verkaufen darf, da er diese nach Abschluss des Bay’-Vertrags nicht liefern bzw. übergeben kann.
Das Verkaufsobjekt muss sich im Besitz des Verkäufers befinden bzw. er muss juristisch die Verfügungsgewalt darüber haben, wie der Waliy oder der Richter.
– Die verkaufte Sache muss bekannt sein.
Sowohl Art, Gattung, Wesen, Attribute, Menge, etc. müssen für beide Vertragsparteien exakt bekannt sein, um Missverständnisse und Streitigkeiten zu vermeiden. Deshalb darf z. B. keine Milch im Euter und keine ungeschorene Wolle verkauft werden.