In der Frage, ob im Quraan Wörter, Begriffe und Namen nicht-arabischer Herkunft vorkommen oder nicht, sind die muslimischen Gelehrten verschiedener Meinung:
- Die Mehrheit der Gelehrten darunter Imaam Asch-schaafi’iy (150/767 – 204/820), Imaam Muhammad Bnu-dschariir At–tabariy (gest. 310/ 922), Imaan Abu-bakr Al-baaqil-laaniy (gest. 403/1012), Imaam Abu-‘ubaidah (gest. 209/824) und Imaam Ibnu-faaris (gest. 395/1004) vertreten die Meinung, dass der Quraan keinerlei nicht-arabische Wörter enthält.
Sie interpretieren die von Ibnu-‘abbaas (radial-laahu ‘anh) tradierte Aussage, dass manche Wörter im Quraan persischer, äthiopischer oder sonstiger Abstammung seien, als eine Art Übereinstimmung unter den Sprachen in dem Sinne, dass diese Wörter ursprünglich zu all diesen erwähnten Sprachen gehören und die gleiche Bedeutung haben.
وَلَوۡ جَعَلۡنَٰهُ قُرۡءَانًا أَعۡجَمِيّٗا لَّقَالُواْ لَوۡلَا فُصِّلَتۡ ءَايَٰتُهُۥٓۖ ءَا۬عۡجَمِيّٞ وَعَرَبِيّٞۗ قُلۡ هُوَ لِلَّذِينَ ءَامَنُواْ هُدٗى وَشِفَآءٞۚ وَٱلَّذِينَ لَا يُؤۡمِنُونَ فِيٓ ءَاذَانِهِمۡ وَقۡرٞ وَهُوَ عَلَيۡهِمۡ عَمًىۚ أُوْلَٰٓئِكَ يُنَادَوۡنَ مِن مَّكَانِۢ بَعِيدٖ ٤٤
Hätten Wir ihn zu einem nicht arabischen Quraan gemacht, hätten sie gesagt: ‚Würden seine Worte doch verdeutlicht – ein Nichtarabischer für Araber?’ Sag: ‚Er ist für diejenigen, die den Iimaan verinnerlichten, Rechtleitung und Heilung.’ Doch diejenigen, die den Iimaan nicht verinnerlichen, in ihren Ohren ist Schwerhörigkeit, und er ist für sie eine Blindheit. Diese werden von einem fernen Ort gerufen. 1
Andere Gelehrte wie Imaam Ibnu-‘atiyyah Al-andalusiy (gest. 542/ 1147) haben diese o. g. Aussage von Ibnu-‘abbaas so interpretiert, dass die arabischen Stämme aufgrund ihres Umgangs mit anderen Völkern einige wenige Wörter übernommen, arabisiert und als Lehnworte im Arabischen integriert haben (wie z. B. “fenestra” aus dem Lateinischen als “Fenster” ins Deutsche übernommen wurde). Diese arabisierten Wörter wurden dann als rein arabische Begriffe in der Alltagssprache und der Dichtung verwendet und waren im Nachhinein nicht mehr von Begriffen arabischer Abstammung zu unterscheiden und wurden im Quraan als solche verwendet.
Andere Gelehrte haben die o. g. Aussage so interpretiert, dass die arabische Sprache so komplex und vielschichtig ist, dass auch großartige Gelehrte und Kenner des Arabischen wie Ibnu-‘abbaas (radial-laahu ‘anh) sie nicht umfassend kennen konnten (z. B. kannte Ibnu-‘abbaas nicht die Bedeutung des Wortes “faatir“). Aus diesem Grund kam es zu dieser Fehlinterpretation, dass diese Wörter nicht-arabischer Abstammung seien. Imaam Asch-schaafi’iy hat diese Aussage durch seine Bemerkung in seinem Buch Ar-risaalah bestätigt, dass “die Sprache nur ein Prophet umfassend kennen kann”.
- Andere Gelehrte vertreten die Meinung, dass im Quraan auch nicht-arabische Begriffe und Wörter vorkommen. Sie sind der Ansicht, dass die Verwendung von einigen wenigen nicht-arabischen Wörtern und Namen, den arabischen Charakter des Quraan in keiner Weise beeinträchtigt. (So wie die Verwendung von nicht-deutschen Wörtern in einem deutschen Gedicht weder den deutschen Charakter dieser Dichtung beeinträchtigt, noch gegen seine Bezeichnung als “deutsches” Gedicht spricht). Ein Beleg für diese Auffassung ist die Verwendung nicht-arabischer Namen im Quraan, wie z.B. Ibraahiim, Nuuh, Muusa, etc.’
Imaam As-suyuutiy als ein Vertreter dieser Meinung argumentiert damit, dass es im Quraan zwangsläufig Hinweise auf andere Sprachen geben muss, da der Quraan auf das Wissen der früheren und der späteren Gemeinschaften hinweist. Weiterhin sei es nur logisch, dass im Quraan auch nicht-arabische Wörter verwendet werden, da der Gesandte Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) zu allen Menschen entsandt wurde.
Der große Gelehrte Abu-‘ubaid Al-qaasim Bnu-salaam (gest. 224/839) äußerte sich dazu wie folgt: “Ich persönlich stimme beiden Meinungen zu. Denn diese Wörter sind nicht-arabischer Herkunft, wie dies die Fiqh-Gelehrten betonen; doch die Araber haben sie verwendet und damit arabisiert, so dass diese nicht mehr nicht-arabisch waren, sondern arabisch wurden. Dann wurde der Quraan hinabgesandt, nachdem diese Wörter Teil des Arabischen geworden sind. Wer nun behauptet, dass diese Wörter arabisch seien, ist wahrhaftig, und wer behauptet, dass sie nicht-arabisch seien, ist ebenfalls wahrhaftig.” 2
Diese Meinung vertreten ebenfalls andere große Gelehrte wie Imaam Ibnul-dschauziy (510/1116 – 597/1201) und Imaam Abu-mansuur Al-dschawaaliqiy (465/1073 – 540/1145).
Beispiele von Wörtern nicht-arabischer Abstammung im Quraan:
Imaam As-suyuutiy sammelte 120 nicht-arabische Wörter im Quraan, was für viele Gelehrte als übertrieben gilt, da sie bei vielen dieser Wörter arabische Wurzeln nachweisen konnten.
– أباريق abaariiq (56:18): persisch; Bedeutung: Langsames Gießen vom Wasser bzw. der Wasserweg.
– الأرائك al-araaik (18:31): äthiopisch; Bedeutung: die Liegen.
– إستبرق istabraq (55:54): persisch; Bedeutung: Brokat.
– أسفار asfaar (62:5): aramäisch bzw. nabatäisch, Bedeutung: Bücher.
– أكواب akwaab (43:71): nabatäisch, Bedeutung: Gläser.
– إلّا il-la (9:8): nabatäisch, Bedeutung: ein Name Gottes.
– الجبت al-dschibt (4:51): äthiopisch; Bedeutung: Satan bzw. Magier.
– جهنم dschahannam (2:206): persisch bzw. hebräisch; Bedeutung: das Feuer, Gehenna.
– سندس sundus (18:31): persisch; Bedeutung: Seide.
– فردوس firdaus (18:107): byzantinisch bzw. nabatäisch; Bedeutung: Garten, Paradies.
– القيّوم al-qaiyuum (2:255): aramäisch; Bedeutung: derjenige, der nicht schläft.
– لينة liinah (59:5): hebräisch; Bedeutung: die zarte Palme.
– أسباط asbaat (7:160): hebräisch; Bedeutung: Stämme.
– مسك misk (83:26): persisch; Bedeutung: Moschus.