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Vierte Fiqh-Regel: ad-dararu yuzaal, الضرر يزال „Schaden ist zu beseitigen!“


Erläuterung der Fiqh-Regel

Diese Regel belegt, dass die Gesandten Allaahs nur entsandt wurden, um jede Schlechtigkeit (mafsadah) sowohl im Diesseits als auch im Jenseits zu beseitigen. Denn wer den Menschen Schaden zufügt, handelt gegen den Sinn der Scharii’ah.
Und sollte sich Schaden ereignen, dann darf er nur so beseitigt werden, dass danach kein größerer Schaden entsteht.

  • Ursprung dieser Regel aus der Sunnah
    Der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:

لا ضرر ولا ضرار.

“Weder Schaden noch Schädigung sind erlaubt!” (I, Maalik, Al-baihaqiy, Ad-daaraqutniy)

Dieser Hadiith belegt, dass der Scharii’ah-Geber keinerlei Art von Schädlichkeiten duldet, weder die, welche anderen Menschen zugefügt wird, noch die, welche man sich selbst zufügt, noch die Vergeltung von Schädlichkeiten mit Schädlichkeiten.
Beispiele:
– Wenn eine Ware nachgewiesenermaßen mangelhaft war, dann muss sie vom Händler zurückgenommen werden.
– Zulassung von kaffaarah
– Entmündigung des Schwachsinnigen

  • Verwendungsbereich dieser Regel
    Diese Fiqh-Regel wird in allen Fiqh-Bereichen verwendet, auch im Da’wah-Bereich.

Unterregel dieser Hauptregel

  • la darara wa la diraar, لا ضرر ولا ضرار
    “Keinen Schaden (zufügen) und nicht mit Schaden (vergelten).”
    Das bedeutet: weder anderen Menschen schaden, noch den Schaden mit weiterem Schaden vergelten.
    Beispiele:
    – Man darf den Besitz eines anderen Menschen nicht demolieren, weil dieser den eigenen Besitz demoliert hat.
    – Bei qisaas-Vergeltung gibt es eine Ausnahme, da keine besseren Möglichkeiten bestehen, um Mord und schwere Verbrechen zu unterbinden. Dies dient in erster Linie zur Abschreckung.
  • addararu yud-fa’u biqadril-imkaan, الضرر يدفع بقدر الإمكان
    “Der Schaden ist nach Kräften abzuwehren.”
    Beispiel:
    Entmündigung von gefährdeten Personen, um vorhersehbaren Schaden gegen sich selbst vorzubeugen.
  • addararu la yuzaalu bimithlih, الضرر لا يزال بمثله
    “Der Schaden wird nicht mit Ähnlichem beseitigt.”
    Beispiel:
    Ein Armer bzw. Bedürftiger darf nicht mit Steuerzahlungen belastet werden, um einem anderen Bedürftigen zu helfen.
  • addararul-aschad-du yuzaalu biddararil-achaff, الضرر الأشد يزال بالضرر الأخف
    “Der größere Schaden wird mit kleinerem Schaden beseitigt.”
    Diese Regel gilt als Ausnahme von der Haupt-Regel.
    Beispiele:
    – Verpflichtung der vermögenden Personen, Bedürftigen bzw. Armen zu helfen.
    – Ein Diamant wird nicht unter den Partnern geteilt durch Zerschneiden, sondern sein Verkaufserlös wird geteilt.
  • yuchtaaru ahwanusch-scharrain, يختار أهون الشرين
    “Gewählt wird das kleinere Übel.”
  • idha ta’aarada mafsadataani ruu’iya a’dhamuhuma dararan birtikaabi achaf-fihima, إذا تعارض مفسدتان روعي أعظمهما ضرراً بارتكاب أخفهما
    “Sollten zwei Schlechtigkeiten (mafsadah) sich entgegengesetzt stehen, wird der größer Schädlichen durch das Begehen der Kleineren Rechnung getragen.”
    Beispiele:
    – der Leib der verstorbenen Mutter wird aufgeschnitten, um das lebende Kind herauszunehmen.
    – Schweigen zu einer Schlechtigkeit (mafsadah), wenn die Kritik zu einer größeren Schlechtigkeit (mafsadah) führt.
  • yutaham-maluddararul-chaas li-daf’i dararin ‘aam, يتحمل الضرر الخاص لدفع ضرر عام
    “Der private Schaden ist zu ertragen, um Schaden von der Gemeinschaft abzuwehren.”
    Beispiele:
    – Bestrafung des Mörders, um weitere Morde abzuwehren.
    – Berufsverbot für den schlechten Arzt, um weitere Kranke vor ihm zu schützen.
  • dar-ul-mafaasidi aula min dschalbil-masaalih, درء المفاسد أولى من جلب المصالح
    “Abwehr vom Schlechten hat Vorrang vor dem Vollbringen von Nützlichem.”
    Beispiele:
    – Verbot von Horten
    – Zulassung der Entmündigung von betroffenen Personen
  • idha ta’aaradal-maani’u wal-muqtadi yuqad-damul-maani’, إذا تعارض المانع والمقتضي يقدم المانع
    “Sollten sich das Hindernis und die Erfordernis entgegengesetzt stehen, wird das Hindernis berücksichtigt.”
    Beispiele:
    – Der Partner wird daran gehindert, seinen Besitzanteil der gemeinsamen Firma zu veräußern, wenn dies Schaden für den Partner bringt.
    – Das Geständnis des Todkranken bei Freunden oder bei Erbberechtigten verschuldet zu sein, wird ohne Beleg nicht berücksichtigt.
  • al-qadiimu yutraku ‘ala qidamih, القديم يترك على قدمه
    “Das Alte bleibt so, wie es war.”
    Beispiel:
    Der alte Zugang eines Hauses durch ein anderes Haus bleibt erhalten.
  • addararu la yakuunu qadiiman, الضرر لا يكون قديماً
    “Der Schaden wird durch das Altsein nicht geschützt.”
    Diese Unterregel ist eine Einschränkung der 10. Unterregel.
    Beispiel:
    Der Zugang eines Hauses, durch ein anderes Haus wird geschlossen, wenn es Schaden hervorbringt.
  • addaruuraatu tubihul mahduuraat, الضرورات تبيح المحظورات
    “Die daruurah-Nöte machen das Verbotene mubaah.”
    Diese Unterregel gilt nur dann, wenn das Verbotene geringer geschätzt als die daruurah-Not ist.
    Beispiele:
    – Mord und Unzucht (zina) dürfen unter Zwang nicht begangen werden.
    – Ein Toter darf nicht ausgegraben werden, um ihn mit kafan (Leichentücher) zu bestatten, jedoch darf er ausgegraben werden, um rituell gewaschen oder um in Richtung der Qiblah neu bestattet zu werden