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Fiqh-Regeln mit einem meist übergeordneten Charakter


  • al-idschtihaadu la yanqudul-idschtihaad, الاجتهاد لا ينقض الاجتهاد
    “Der (neue) idschtihaad annulliert nicht den (alten) idschtihaad.”
    Diese Regel bedeutet, dass Handlungen und Gebote, die durch den idschtihaad abgeleitet werden, nicht für nichtig erklärt werden können, wenn durch einen neuen idschtihaad neue Handlungen und Gebote resultiert werden.
    Man muss die alten Handlungen nicht nach dem neuen idschtihaad wiederholen oder nachholen, sondern ausschließlich die neuen Handlungen werden nach dem neuen idschtihaad ausgerichtet.
    Der große Sahaabiy und zweite Chaliifah ‘Umar Bnul-chattaab (radial-laahu ‘anh) sagte, nachdem er seinen idschtihaad änderte:
    “Jenes war nach unserem alten Urteil, und dieses wird nach unserem neuen Urteil.”
    Beispiele:
    – Wenn man die Qiblah-Richtung durch idschtihaad bestimmte und in ihre Richtung betete und danach eine andere Richtung durch neuen idschtihaad feststellte, dann wiederholt man nicht sein rituelles Gebet.
    – Wenn der Richter ein Urteil fällte und danach sein Urteil nach neuem idschtihaad änderte, dann bleibt sein altes Urteil in Kraft für diejenigen, die davon betroffen waren. Nur bei neuen Angelegenheiten urteilt er nach dem neuen idschtihaad.
    – Sollte man zwei Töpfe haben und durch idschtihaad feststellen, dass ein Topf rituell unrein (nadschis) ist, und danach seinen idschtihaad ändert und den zweiten Topf als nadschis bewertet, dann darf man keinen von beiden Töpfen benutzen.
    Bemerkung:
    Das Urteil des Richters wird annulliert, wenn es einem eindeutigen Scharii’ah-Text (nass) oder idschmaa’ oder offenkundigen qiyaas (qiyaas-dschaliy قياس جلي) widerspricht.
  • al-ithaaru bil-qurubaati makruuh, الإيثار بالقربات مكروه
    “Die Bevorzugung anderer bei Dingen, die der qurbah dienen, ist eine Soll-Nicht-Handlung (makruuh).”
    al-qurbah القربة ist jede Handlung, mit der man die Nähe zu Allaah (ta’aala) sucht. Die Bevorzugung anderer vor der eigenen Person ist im Islam eine Tugend im Bereich persönlicher und diesseitiger Angelegenheiten.
    Beispiele:
    – Es ist makruuh (eine Soll-Nicht-Handlung), jemandem sein Wasser für die rituelle Gebetswaschung oder die erste Reihe im rituellen Gebet zu überlassen. Grund dieser Haltung ist, dass die qurbah Ehrfurcht vor Allaah (ta’aala) ausdrückt, und mit deren Unterlassung durch Bevorzugung anderer man das Gegenteil ausdrückt.
    – Es ist makruuh z. B. bei der gemeinsamen Quraan-Rezitation, dass man andere vorlässt, wenn man an der Reihe ist.
  • idha dschtama’al halaalu wal-haraamu ghullibal-haraam, إذا اجتمع الحلال والحرام غلب الحرام
    “Sollten sich Halaal und Haraam zusammenfinden, dann obsiegt Haraam.”
    Wenn zwei Scharii’ah-Belege vorhanden sind, wobei der eine etwas für haraam und der andere das Gleiche für mubaah erklärt, dann wird es für haraam erklärt.
    Beispiele:
    – Ein Hadiith erlaubt Intimitäten mit der Ehefrau ab dem Bauchnabel, wenn sie ihre Periode hat, und ein anderer Hadiith erlaubt alles außer dem Geschlechtsakt, so handelt man vorsichtshalber nach dem ersten Hadiith.
    – Wenn Halaal-Fleisch mit Nicht-Halaal-Fleisch vermischt wird, dann darf man nichts von diesem Fleisch genießen.
    – Sollte man in einem Vertrag zwei Sachen verkaufen, wobei eine davon haraam ist, dann gilt der Vertrag nach Meinung vieler Gelehrten nur für die Sache, die halaal war.
  • dhikru ba’di ma la yatadschaz-za’ kadhikri kullihi, ذكر بعض ما لا يتجزأ كذكر كله
    “Die Erwähnung eines Teils dessen, das nicht geteilt werden kann, ist gleichwertig wie seine komplette Erwähnung.”
    Beispiel:
    Wenn man im Testament verfügt, für jemanden die Kosten für eine halbe Haddsch-Reise zu übernehmen, dann werden die kompletten Kosten übernommen.
  • as-su-aalu mu’aadun fil-dschawaab, السؤال معاد في الجواب
    “Die Frage ist in der Antwort enthalten.”
    Beispiel:
    Man beantwortet eine Frage nur mit “ja” oder “nein”, so gilt die Frage als Teil seiner Antwort.
  • ma haruma achdhuhu haruma i’taa-uh, ما حرم أخذه حرم إعطاؤه
    “Die Weitergabe von Sachen, deren Ein- bzw. Annahme haraam ist, ist ebenfalls haraam.”
    Beispiel:
    Es ist haraam, Riba oder Bestechung zu nehmen und zu geben, etc.
  • ma haruma fi’luhu haruma talabuh, ما حرم فعله حرم طلبه
    “Die Aufforderung anderer zum Vollziehen von Handlungen, deren Vollzug für die eigene Person haraam ist, ist haraam.”
    Ausnahme ist, dass man verlangt, den lügenden Gegner zum Schwur aufzufordern.
    Beispiel:
    Mord ist haraam und die Aufforderung dazu ist auch haraam.
  • ma thabata ‘ala chilaafil-qiyaasi la yuqaasu ‘alaih, ما ثبت على خلاف القياس لا يقاس عليه
    “Was als Gegenteil von qiyaas gilt, dient nicht als Grundlage für einen neuen qiyaas.”
    Beispiel:
    Die ruchsah und die Ausnahmeregelungen können nicht als asl beim qiyaas dienen.
  • mani sta’dschalasch-schai-a qabla awaanihi ‘uuqiba bi-hirmaanihi, من استعجل الشىْ قبل أوانه عوقب بحرمانه
    “Wer über etwas vor der dafür vorgesehenen Zeit verfügen will, wird mit seiner vollständigen Vorenthaltung bestraft.”
    Beispiel:
    Wenn ein Erbberechtigter seinen Erblasser tötet, um früher über seine Hinterlassenschaft zu verfügen, wird er vollständig enterbt.
  • at-taabi’u taabi’, التابع تابع
    “Das Abhängige folgt.”
    Diese Fiqh-Regel bedeutet, dass etwas, dessen Existenz von etwas anderem abhängt, diesem in seinem Scharii’ah-Gebot folgt.
    Beispiel:
    Ein trächtiges Weibchen wird nicht getrennt vom Ungeborenen verkauft.
    Das Abhängige fällt mit dem Wegfallen dessen weg, dem es folgt.
    Beispiel:
    Ein versäumtes rituelles Gebet in der Zeit, als man sich im Koma befand, wird ohne Sunnah-Gebete nachgeholt, weil mit dem Wegfall des Pflichtgebets, auch das dazugehörige Sunnah-Gebet wegfällt.
    Bei dem, was folgt, wird das akzeptiert, was bei anderen in der Regel abgelehnt wird
    Beispiel:
    Ein Muslim im dschanaabah-Zustand (Zustand nach Samenerguß bzw. Geschlechtsakt) kann sich auf dem Vorplatz einer Moschee aufhalten, während er die Moschee nicht betreten darf.
    Das, was folgt, darf nicht vor dem erfolgen, dem es folgt (z. B. der Mitbeter darf nicht vor dem Imaam stehen).
  • al-huduudu tasqutu bisch-schubuhaat, الحدود تسقط بالشبهات
    “Die festgelegten Strafen (huduud) fallen mit dem Zweifel (an der Schuld) weg.”
    Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:

ادْرَءُوا الْحُدُودَ بِالشُّبُهَاتِ.

Wehrt die festgelegten Strafen (huduud) mit dem Zweifel (an der Schuld) ab. (Musnad von Abu-haniifah, Al-baihaqiy)

ادْرَءُوا الْحُدُودَ مَا اسْتَطَعْتُمْ (..) فَإِنَّ الإِمَامَ لأَنْ يُخْطِئَ فِي الْعَفْوِ، خَيْرٌ لَهُ مِنْ أَنْ يُخْطِئَ فِي الْعُقُوبَةِ.

Wehrt die festgelegten Strafen (huduud) nach Kräften ab (..), denn, dass der Zuständige einen Fehler beim Straferlass macht, ist besser für ihn als, wenn er einen Fehler bei der Strafe macht. (T, Ad-daaraqutniy, Al-baihaqiy)

Beispiel:
Ein Dieb wird mit der hadd-Strafe nicht bestraft, wenn er behauptet, dass das Gestohlene ihm gehört.

 

  • i’maalul-kalaami aula min ihmaalih, إعمال الكلام أولى من إهماله
    “Die Beachtung des Gesprochenen hat Vorrang vor seiner Nicht-Beachtung.”
    Beispiel:
    Wenn man eine waqf-Stiftung für seine Kinder gründet, während man nur Enkelkinder hat, dann lässt man die Enkelkinder davon profitieren.

 

  • al-charaachu biddamaan, الخراج بالضمان
    “Die Haftung vergilt die Ausbeute.”
    Diese Regel ist ein Hadiith von den Imaamen Asch-schaafi’iy, Ahmad, Abu-daawuud, At-tirmidhiy, An-nasaaiy und Ibnu-maadschah.
    Beispiel:
    Wenn man etwas mit Fehlern verkauft, dann darf man für die Verwendungszeit nichts verlangen, wenn man es zurückgeben möchte.
  • al-churuuchu minal-chilaafi mustahabb, الخروج من الخلاف مستحب
    “Die Berücksichtigung gegenteiliger Fiqh-Meinungen ist eine Soll-Handlung.”
    Beispiele:
    – Für die Schaafi’iten und Hanafiten ist es eine Soll-Handlung, die Körperglieder bei den rituellen Waschungen zu reiben, um damit die Fiqh-Meinung von Imaam Maalik zu berücksichtigen.
    – Die Ordnung der versäumten rituellen Gebete, wenn sie nachgeholt werden.
    – Benetzung des gesamten Kopfes bei der rituellen Gebetswaschung
    – Fassung der gleichen Absicht wie der Imaam beim rituellen Gebet.Man muss bei der Umsetzung dieser Regel darauf achten, dass durch die Berücksichtigung anderer Fiqh-Meinungen keine nachgewiesene Sunnah unterlassen wird und keine neue Meinungsverschiedenheit entsteht.
    Beispiel:
    Man berücksichtigt nicht die Meinung von Imaam Abu-haniifah beim Verrichten des Witr-Gebets, in dem man es wie das Abendgebet verrichtet, da es in der Sunnah nachgewiesen ist, dass der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte: “لا تشبهوا الوتر بالمغرب, Verrichtet nicht das Witr-Gebet wie das Abendgebet.”
  • yughtafaru fil-wasaaili ma la yughtafaru fil-maqaasid, يغتفر في الوسائل ما لا يغتفر في المقاصد
    “Es wird bei den Mitteln vergeben, was nicht bei den Zielen vergeben wird.”
    Beispiele:
    – Man darf vor dem Freitagsgebet mit der Reise beginnen, obwohl man damit dieses Gebet unterlässt.
    – Man muss die Absicht beim rituellen Gebet fassen, was für die rituelle Gebetswaschung nach manchen Gelehrten nicht gilt.
    – Als Ausnahme zur Regel darf man keinen Knoblauch mit der Absicht essen, um vom Freitagsgebet fernzubleiben.