Die Hanafiten unterscheiden fünf Typen von Eheverträgen:
- Der verbindliche scharii’ah-konforme Ehevertrag (sahiihun laazim صحيح لازم): Ein Ehevertrag, der über sämtliche unerlässliche Bestandteile (Arkaan أركان), sämtliche Bedingungen, die seine scharii’ah-konformen Folgen bewirken (Schuruutus–sih–hah شروط الصحة, sämtliche Bedingungen seiner Wirksamkeit (Schuruutun-nafaadh شروط النفاذ) und sämtliche Bedingungen der Verbindlichkeit (Schuruutul-luzuum شروط اللزوم) verfügt.
Dieser Vertrag zieht nach sich alle scharii’ah-konformen Folgen, wie die Erlaubnis der islam-konformen Intimitäten 1 zwischen den Ehepartnern; die Verpflichtung des Ehemannes zum Geschlechtsverkehr, wenn seine Ehefrau ihn dazu auffordert, und umgekehrt; die Verpflichtung zur gerechten Behandlung der Ehefrauen bei der Mehrehe; die Verpflichtung zur Entrichtung der Brautgabe (Sadaaq) an die Ehefrau; die Erlaubnis der Betrachtung und Berührung des gesamten Körpers des Ehepartners 2; die Unterhalts- und Versorgungspflicht des Ehemannes gegenüber der Ehefrau und den Kindern 3; die Entstehung des absoluten Eheverbots durch die Verschwägerung; die Entstehung der blutverwandtschaftlichen Abstammung der Kinder in Bezug auf beide Eltern mit allen diesbezüglichen scharii’ah-mäßigen Folgen; die Entstehung des Erbschaftsrechts unter den Ehepartnern und die Verpflichtung zum guten und gütigen Umgang. - Unverbindlicher scharii’ah-konformer Ehevertrag (sahiihun ghairu laazim صحيح غير لازم): Ein Ehevertrag, der über sämtliche Arkaan und sämtliche Sih–hah- und Nafaadh-Bedingungen verfügt, aber eine oder mehrere Luzuum-Bedingungen nicht erfüllt. Dieser Ehevertrag hat den gleichen Status wie der verbindliche scharii’ah-konforme Ehevertrag mit der Ausnahme, dass hier beide Ehepartner das Recht auf Annullierung des Ehevertrags haben.
- Unwirksamer scharii’ah-konformer Ehevertrag (mauquuf موقوف ): Ein Vertrag, der über sämtliche Arkaan und Sih–hah-Bedingungen verfügt, aber eine oder mehrere Nafaadh-Bedingungen nicht erfüllt. Dieser Ehevertrag zieht erst nach seiner Genehmigung durch die Person, von der dies abhängt, alle o. g. scharii’ah-konformen Folgen nach sich. Vor seiner Genehmigung hat er den Status eines Faasid-Vertrags.
- Nicht scharii’ah-konformer aber -tauglicher Ehevertrag (faasid فاسد ): Ein Ehevertrag, der nur nach der hanafiitischen Fiqh-Schule definiert wird und über sämtliche Arkaan verfügt, aber eine oder mehrere Sih–hah-Bedingungen nicht erfüllt. Dazu gehören die Eheschließung ohne Trau-zeugen, die Zeitehe, die Eheschließung mit mehr als vier Frauen, die Eheschließung mit einer Frau und deren Schwester oder Tante mütter-licher- oder väterlicherseits, die Eheschließung mit einer Verheirateten und die Eheschließung mit einer Person aus dem Kreis der Mahaarim.
Ein derartiger Ehevertrag hat vor dem Ehevollzug durch den Ge-schlechtsverkehr keinerlei scharii’ah-mäßige Folge und muss sofort annulliert werden. Sollte es jedoch zum Geschlechtverkehr unter den vermeintlichen Ehepartnern gekommen sein, dann gilt diese Handlung als schwere Sünde, wird aber nicht als Zina-Handlung sanktioniert und zieht folgende Konsequenzen nach sich: die Ehefrau erhält Anspruch auf die Brautgabe; die blutverwandtschaftliche Abstammung vom Vater gilt als nachgewiesen; die Ehefrau hat die Pflicht zur Einhaltung der Eheauflösungsfrist (‘Iddah) nach der Annullierung des Vertrags und die Verschwägerung mit ihren dazugehörigen Folgen kommt zustande. Es entsteht jedoch kein Recht auf Unterhalt und Erbschaft. - Nichtiger Ehevertrag (baatil باطل): Ein Ehevertrag, der nach der hanafiitischen Fiqh-Schule einen Rukn nicht erfüllt. Dazu gehört die Eheschließung mit einer Futurform (ich werde dich heiraten), mit einer Frau aus dem Kreis der Mahaarim oder mit einer Verheirateten oder die Eheschließung einer Muslimah mit einem Nicht-Muslim bzw. eines Muslims mit einer Nicht-Muslimah, die weder Christin noch Jüdin ist.
Dieser Ehevertrag bewirkt keinerlei scharii’ah-mäßigen Folgen und gilt als nichtig. So entsteht für die vermeintlichen Ehepartner kein gegenseitiger Erbanspruch; nach der Annullierung der Ehe hat die Frau keine Eheauflösungsfrist (‘Iddah) einzuhalten; die Kinder werden nur der mütterlichen Linie zugeordnet und die Vaterschaft des vermeintlichen Vaters wird nicht anerkannt. Damit haben diese Kinder und ihr vermeintlicher Vater keinen gegenseitigen Erbanspruch. Keine Schwägerschaft wird begründet und es besteht weder Anspruch auf Brautgabe noch auf Unterhalt.
Die Maalikiten unterscheiden nur vier Typen von Eheverträgen, denn sie unterscheiden nicht zwischen einem Fassid- und Baatil-Ehevertrag. Nach ihnen, sowie nach den Schaafi’iten und den Hanbaliten ist ein Baatil- bzw. Fassid-Ehevertrag ein Ehevertrag, der entweder einen Rukn oder eine seiner Sih–hah-Bedingungen nicht erfüllt.
Die Schaafi’iten und Hanbaliten unterscheiden nur drei Typen von Eheverträgen, denn sie unterscheiden wie die Maalikiten nicht zwischen einem Fassid- und Baatil-Ehevertrag und sie kennen den so genannten Mauquuf-Ehevertrag nicht.
Exkurs:
Zur Frage der Ermahnung und Züchtigung der Frau
ٱلرِّجَالُ قَوَّٰمُونَ عَلَى ٱلنِّسَآءِ بِمَا فَضَّلَ ٱللَّهُ بَعۡضَهُمۡ عَلَىٰ بَعۡضٖ وَبِمَآ أَنفَقُواْ مِنۡ أَمۡوَٰلِهِمۡۚ فَٱلصَّٰلِحَٰتُ قَٰنِتَٰتٌ حَٰفِظَٰتٞ لِّلۡغَيۡبِ بِمَا حَفِظَ ٱللَّهُۚ وَٱلَّٰتِي تَخَافُونَ نُشُوزَهُنَّ فَعِظُوهُنَّ وَٱهۡجُرُوهُنَّ فِي ٱلۡمَضَاجِعِ وَٱضۡرِبُوهُنَّۖ فَإِنۡ أَطَعۡنَكُمۡ فَلَا تَبۡغُواْ عَلَيۡهِنَّ سَبِيلًاۗ إِنَّ ٱللَّهَ كَانَ عَلِيّٗا كَبِيرٗا ٣٤
ar-ridschaalu qauwaamuuna عalan-nisaa-i bima fad–dalal-laahu baعdahum عala baعdin wabima anfaqu min amwaalihim fas–saalihaatu qaanitaatun haafidhaatun lil-ghaibi bima hafidhal-laahu wal-laati tachaa-fuuna nuschuuzahun-na faعidhuuhun-na wah-dschuruuhun-na fil-madaadschiعi wadribuuhun-na fa-in ataعnakum fala tabghuعalaihin-na sabiila. in-nal-laaha kaana عaliy-yan kabiira.
“Die Ehemänner tragen den Ehefrauen gegenüber Verantwortung deshalb, da Allaah den einen den anderen gegenüber mehr Eignung dafür gab, und deshalb, weil sie von ihrem Vermögen ausgeben. Die gut handelnden Frauen sind (Allaah gegenüber) ergeben und bewahren das vom Verborgenen (zwischen ihnen und ihren Ehemännern), was Allaah zu bewahren auferlegt hat. Diejenigen Ehefrauen, deren mutwillige Verweigerung euch ersichtlich wird, diese sollt ihr (zunächst) ermahnen, dann in den Ehebetten meiden und (erst danach) einen leichten Klaps geben! Sollten sie wieder auf euch hören, dann unternehmt nichts mehr gegen sie! Gewiss, Allaah bleibt immer erhaben, unermesslich.” 4
Diese Aayah ist die einzige Aayah im Quraan, die im Rahmen einer Konfliktlösung von Eheproblemen die Züchtigung empfiehlt.
Da diese Aayah von manchen muslimischen Männern und vor allem von den Islam-Gegnern dazu mißbraucht wird, ein Recht auf Züchtigung der Frau oder deren Diskriminierung im Islam abzuleiten, ist es notwendig, sie umfassend islamologisch-wissenschaftlich zu untersuchen und ihre scharii’ah-konforme Bedeutung in ihrem Gesamtkontext darzustellen.
Diese Aayah behandelt folgende vier Aspekte:
– Gründe, welche den Ehemännern die bessere Eignung zur Gesamtverantwortung in der Familie zuschreiben.
– Eigenschaften tugendhafter Ehefrauen
– Empfehlungen zur Konfliktlösung ehelicher Probleme
– Betonung göttlicher Attribute
Diese Aayah steht nicht allein, sondern muss im Kontext ihrer vorher-gehenden (32, 33) und der nachfolgenden Aayaat (35) betrachtet werden, der gesamte Text in diesem Zusammenhang lautet:
وَلَا تَتَمَنَّوۡاْ مَا فَضَّلَ ٱللَّهُ بِهِۦ بَعۡضَكُمۡ عَلَىٰ بَعۡضٖۚ لِّلرِّجَالِ نَصِيبٞ مِّمَّا ٱكۡتَسَبُواْۖ وَلِلنِّسَآءِ نَصِيبٞ مِّمَّا ٱكۡتَسَبۡنَۚ وَسَۡٔلُواْ ٱللَّهَ مِن فَضۡلِهِۦٓۚ إِنَّ ٱللَّهَ كَانَ بِكُلِّ شَيۡءٍ عَلِيمٗا ٣٢ وَلِكُلّٖ جَعَلۡنَا مَوَٰلِيَ مِمَّا تَرَكَ ٱلۡوَٰلِدَانِ وَٱلۡأَقۡرَبُونَۚ وَٱلَّذِينَ عَقَدَتۡ أَيۡمَٰنُكُمۡ فََٔاتُوهُمۡ نَصِيبَهُمۡۚ إِنَّ ٱللَّهَ كَانَ عَلَىٰ كُلِّ شَيۡءٖ شَهِيدًا ٣٣ ٱلرِّجَالُ قَوَّٰمُونَ عَلَى ٱلنِّسَآءِ بِمَا فَضَّلَ ٱللَّهُ بَعۡضَهُمۡ عَلَىٰ بَعۡضٖ وَبِمَآ أَنفَقُواْ مِنۡ أَمۡوَٰلِهِمۡۚ فَٱلصَّٰلِحَٰتُ قَٰنِتَٰتٌ حَٰفِظَٰتٞ لِّلۡغَيۡبِ بِمَا حَفِظَ ٱللَّهُۚ وَٱلَّٰتِي تَخَافُونَ نُشُوزَهُنَّ فَعِظُوهُنَّ وَٱهۡجُرُوهُنَّ فِي ٱلۡمَضَاجِعِ وَٱضۡرِبُوهُنَّۖ فَإِنۡ أَطَعۡنَكُمۡ فَلَا تَبۡغُواْ عَلَيۡهِنَّ سَبِيلًاۗ إِنَّ ٱللَّهَ كَانَ عَلِيّٗا كَبِيرٗا ٣٤ وَإِنۡ خِفۡتُمۡ شِقَاقَ بَيۡنِهِمَا فَٱبۡعَثُواْ حَكَمٗا مِّنۡ أَهۡلِهِۦ وَحَكَمٗا مِّنۡ أَهۡلِهَآ إِن يُرِيدَآ إِصۡلَٰحٗا يُوَفِّقِ ٱللَّهُ بَيۡنَهُمَآۗ إِنَّ ٱللَّهَ كَانَ عَلِيمًا خَبِيرٗا ٣٥
“Wünscht euch nicht das, womit Allaah den einen von euch vor den anderen ausgezeichnet hat! Die Männer haben Anteil an dem, was sie sich erworben haben, und die Frauen haben Anteil an dem, was sie sich erworben haben. Bittet Allaah um etwas von Seiner Gunst! Gewiss, Allaah bleibt immer über alles allwissend. (33) Für jeden (von euch) haben Wir Erbberechtigte bestimmt für das, was die Eltern und die Verwandten hinterlassen haben 5. Gebt denjenigen, mit denen ihr einen Vertrag geschlossen habt, ihren Anteil! Gewiss, Allaah bleibt immer über alles Zeuge. (34) Die Ehemänner tragen den Ehefrauen gegenüber Verantwortung deshalb, da Allaah den einen den anderen gegenüber mehr Eignung dafür gab, und deshalb, weil sie von ihrem Vermögen ausgeben. Die gut handelnden Frauen sind (Allaah gegenüber) ergeben und bewahren das vom Verborgenen (zwischen ihnen und ihren Ehemännern), was Allaah zu bewahren auferlegt hat. Diejenigen Ehefrauen, deren mutwillige Verweigerung euch ersichtlich wird, diese sollt ihr (zunächst) ermahnen, dann in den Ehebetten meiden und (erst danach) einen leichten Klaps geben! Sollten sie wieder auf euch hören, dann unternehmt nichts mehr gegen sie! Gewiss, Allaah bleibt immer erhaben, unermesslich. (35) Wenn ihr Streitigkeit zwischen ihnen (den Eheleuten) fürchtet, dann schaltet einen Schiedsmann von seinen Angehörigen und einen Schiedsmann von ihren Angehörigen ein. Wenn beide Versöhnung wollen, wird Allaah beide erfolgreich sein lassen. Allaah bleibt immer allwissend, allkundig!”
Die wichtigsten Themen im Kontext dieser Aayah:
– Unterschiedlichkeit aber Gleichwertigkeit von Frauen und Männern
– Allaahs Gerechtigkeit gegenüber Frauen und Männern
– Allaah (ta’aala) gewährt Seine Gunst jedem Menschen, der darum bittet, Frauen und Männern.
– Frauen und Männer, als Eltern oder Ehepartner haben festgelegte Erbanteile, sie erben und werden beerbt. Damit erhielten Frauen zum ersten Mal einen Erbanspruch.
– Konfliktlösungsvorschläge innerhalb der Familie durch die Ehepartner selbst und durch externe Hilfe.
Die Hinabsendungsanlässe der o. g. Aayaat:
– Der Gelehrte Ibnu-hayyan Al-andalusiy schrieb dazu in seinem Quraan-Kommentar “al-bahrul-muhiit“: Qataadah und As-suddiy berichteten: “Wünscht euch nicht das, womit Allaah den einen von euch vor den anderen ausgezeichnet hat!” wurde hinabgesandt, weil als “للذكر مثل حظ الأنثيين, Allaah gebietet euch hinsichtlich eurer Kinder, dem Kind männlichen Geschlechts das Gleiche (an Erbteilen) zu geben wie zwei Kindern weiblichen Geschlechts. (4:11)” hinabgesandt wurde, die Männer sagten: “Wir hoffen, dass wir mehr Lohn als die Frauen erhalten, wie im Falle der Erbschaft.” Und die Frauen entgegneten: “Wir hoffen, dass auf uns nur die Hälfte der Last für Verfehlungen im Vergleich zu den Männern zukommt, wie bei der Erbschaft.” ‘Ikrimah sagte: “Die Frauen sagten noch: “Wir wünschen, wir würden zum Kampf verpflichtet, damit wir den gleichen Lohn wie die Männer erhalten.” Und Mudschaahid fügte hinzu: “Dies wurde von Ummu-salamah 6 überliefert und weil sie sagte: “Wir erben nur die Hälfte.” Auch wurde von ihr überliefert, dass sie sagte: “Wären wir doch Männer gewesen!”
– Als eine Frau zum Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) kam, um ihren Mann anzuzeigen, da er sie geohrfeigt hatte, ordnete der Gesandte die Vergeltung 7 an. Daraufhin wurde die Aayah “Die Ehemänner tragen den Ehefrauen gegenüber Verantwortung deshalb, da Allaah den einen den anderen gegenüber mehr Eignung dafür gab, und deshalb, weil sie von ihrem Vermögen ausgeben. (4:34)” hinabgesandt.
Betrachtung der Imperativform in den Aayaat:
In den Aayaat kommen verschiedene Imperativformen vor: “Wünscht euch nicht das..” (1); “Gebt denjenigen, mit denen ihr einen Vertrag geschlossen habt, ihren Anteil!” (2); “diese sollt ihr (zunächst) ermahnen, dann in den Ehebetten meiden und (erst danach) einen leichten Klaps geben!” (3); und “dann schaltet einen Schiedsmann von seinen Angehörigen und einen Schiedsmann von ihren Angehörigen ein”. (4)
Gemäß den Regeln von Usuulul-fiqh und der arabischen Sprache zieht der erste Imperativ eine “Darf- bzw. Soll-Nicht-Handlung (Nahi نهي bzw. Karaahah كراهة )” nach sich, die dritte und vierte Form zieht eine “Soll-Handlung (Nadb ندب)” nach sich und nur die zweite Imperativ-Form zieht eine “Muss-Handlung (Wudschuub وجوب )” nach sich und ist damit verpflichtend. Somit sind die Aussagen in (3) nur eine Empfehlung, die bei Nicht-Erfüllung nicht sanktioniert werden.
Angesichts der im Westen weitverbreiteten Negativdarstellung dieser Aayah stellt sich die Frage, ob Muslime die religiöse Pflicht haben, die Empfehlungen in den Aayaat 4:34 und 4:35 durchzuführen? Die Antwort hierauf ist eindeutig: NEIN! Denn gemäß den Regeln von Usuulul-fiqh liegt hier kein verpflichtender Imperativ vor, sondern eine unverbindliche und nicht allgemeingültige Empfehlung, die nur dort angewendet werden soll, wo sie zum angestrebten Ziel führen kann, nämlich zur Versöhnung der Ehepartner und zur Minimierung ihrer Probleme. Dieses Verständnis eines gewaltfreien Krisenmanagements zeigt auch die Sunnah, denn der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) hat bei Konflikten mit seinen Ehefrauen niemals geschlagen. Daraus ergibt sich die zweite Frage, ob heutzutage Züchtigung im europäischen Kulturkreis zur Lösung von Konflikten führen bzw. bei der Erziehung nützlich sein kann? Die Antwort auch hierauf ist eindeutig: NEIN!
Begründung:
Zur Zeit des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) war der moderate Einsatz körperlicher Gewalt (wie Klaps-Geben, Rütteln, Schlagen) als Erziehungsmethode in allen Gesellschaften der Welt üblich. In vielen Kulturkreisen wird dies bis heute als angemessen und normal empfunden und praktiziert. Erst seit einigen Jahrzehnten hat im europäischen Kulturkreis, bedingt durch verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen, ein Umdenken bei diesem Thema eingesetzt. Körperliche Gewalt ist hier mittlerweile gesellschaftlich geächtet und als Erziehungsmethode in der Familie und den Bildungs- und Erziehungseinrichtungen gesetzlich verboten. Die meisten Menschen in Europa lehnen diese Erziehungs- und Konfliktlösungsvariante inzwischen ab, weil sie sie als Verletzung der Menschenwürde werten. Doch trotz dieser positiven Entwicklung gibt es auch in Europa in allen Gesellschaftsschichten noch immer Fälle von Gewalt in der Familie und sogar in manchen Institutionen. 8
Der Quraan als Botschaft für alle Menschen, alle Zeiten und alle Kulturkreise thematisiert erstmals dieses Vorgehen und setzt klare Grenzen. Da diese Konfliktlösungsmethode damals weder verpönt noch ungewöhnlich war, gab es bei der Hinabsendung dieser Aayah weder Widerspruch noch kritische Rückfragen oder Erläuterungsbedarf seitens der Muslime. Auch Kulturen, in denen “Züchtigung bzw. Schlagen” als Erziehungsmethode bis heute zur gesellschaftlichen Norm gehört, hatten und haben kein Problem mit der bislang gängigen Interpretation des Verbs “daraba” in der ausschließlichen Bedeutung von “Schlagen”. In diesen Gesellschaften war und ist es völlig normal, dass der Quran auch diese Erziehungsvariante vorschlägt. Das Verb “daraba” hat jedoch noch viele andere Bedeutungen:
– Prägen von Gleichnissen, bzw. von Münzen: “Und ER prägte uns ein Gleichnis (wa daraba lana mathalan
وضرب لنا مثلا) und vergaß seine Erschaffung, ER sagte: “Wer belebt denn die Knochen, während sie etwas Verwestes sind?” (36:78)
– Umherziehen, reisen: “Und wenn ihr durch das Land umherzieht (darabtum fil-ard ضربتم في الأرض), ist es für euch keine Verfehlung, wenn ihr das rituelle Gebet verkürzt.” (4:101)
– Errichtung von Schallschutz: “Dann richteten WIR auf ihre Ohren (etwas Abtrennendes) (fadarabna ‘ala adhaanihim فضربنا على آذانهم) in der Höhle ein, für abgezählte Jahre.” (18:11)
– etwas abwenden, etwas fernhalten: “Lassen WIR von euch etwa die Ermahnung abwenden (afa nadribu ‘ankumudh-dhikra saf-han أفنضرب عنكم الذكر صفحاً), weil ihr maßlose Leute wart?!” (43:5)
– abtrennen: “so schlagt (sie) auf die Nacken (fadribu fauqal-a’naaq فاضربوا فوق الأعناق) und schlagt ihnen jeden Finger ab!” (8:12)
– etwas über etwas ziehen: “und dass sie ihre Chumur 9 bis über ihre Dschuyuub 10 ziehen (wal yadribna bi-chumuurihin-na ‘ala dschiyuubihin-na وليضربن بخمرهن على جيوبهن)” (24:31)
– schlagen, auf etwas hauen: “Und gewiss, bereits ließen WIR Muusa Worte zuteil werden: “Brich nachts auf mit Meinen Dienern, dann schlage (fadrib lahum فاضرب لهم) ihnen einen getrockneten Weg ins Meer!” (20:77)
– erfassen, überziehen: “Und sie wurden von Demütigung und Elend erfasst (wa duribat ‘alaihimudh-dhillatu wal maskanatu وضربت عليهم الذلة والمسكنة)” (2:61)
– errichten: “Dann wurde zwischen ihnen eine Trennmauer errichtet (fa duriba bainahum bisuurin فضرب بينهم بسور), die eine Tür hat, in deren Innenseite Gnade ist, während es außerhalb Peinigung gibt.” (57:13)
– Andere Bedeutungen von daraba sind: “darabal-dschurhu ضرب الجرح” die Wunde schmerzt, “darabal-‘aqrabu
ضرب العقرب” der Skorpion hat gebissen, “darabal-qalbuضرب القلب ” das Herz schlägt, “darabahu bil-baliyah ضربه بالبلية” man hat jemandem eine Schwierigkeit bereitet, “darabal-madschda ضرب المجد” man suchte nach Ruhm, “darabatit–tairu ضربت الطير” die Vögel sind weggeflogen, “daraba ‘ala yadihi ضرب على يده” an etwas hindern bzw. jemandem die (Geschäfts-)Fähigkeit aberkennen, “darabal-fahlun-naaqata ضرب الفحل الناقة” das Kamelmännchen hat das Kamelweibchen bestiegen, und “daraba akbaadal-ibil ضرب أكباد الإبل” die Kamele reiten, etc.
Soziologisch betrachtet ist die Thematisierung von Gewalt keineswegs der Beweis für die Rückständigkeit einer Kultur, sondern Zeichen von Progressivität und Aufgeschlossenheit. Es ist deshalb positiv hervorzuheben, dass der Quraan die “Züchtigung in der Familie”, welche damals zur gesellschaftlichen Norm gehörte, offen anspricht, das Thema gesellschaftlich problematisiert und aus der Normalität herausholt. Die islamische Kultur sieht auf der Grundlage des Quraan erstmals Einschränkungen bei dieser Art der Konfliktlösung vor. Man beginnt mit dem Gespräch, also mit der Ermahnung, und danach folgt die Trennung im Bett, womit ein “Schlagen im Affekt” ausgeschlossen wird. Durch die Bedeutungseinschränkung des Wortes wurde zudem der Anwendung von “daraba” als “Schlagen” klare Grenzen gesetzt. Unter “daraba” wird hier nur die Berührung mit dem Siwak 11 verstanden. Somit wird Misshandlung unterbunden (s. a. Erläuterung des Tafsiir von Ibnu-‘abbaas).
Weiters ist zu beachten, dass diese Aayah explizit die Vorgehensweise im Ausnahmezustand einer schweren Ehekrise beschreibt und keine generelle Handlungsanweisung für das eheliche Miteinander ist. Im ehelichen Alltag darf ein Ehemann seine Ehefrau weder im Bett meiden, noch getrennt von ihr leben; auch darf er sie weder beleidigen, noch demütigen oder gar misshandeln, denn nach quraanischem Verständnis sind Liebe und Barmherzigkeit Grundlage der ehelichen Partnerschaft und nicht Gewalt und Unterdrückung.
Im europäisch-westlichen Kulturkreis erleben wir heutzutage eine neue Situation, in der die bisherige eingeengte Interpretation des Verbs “daraba” nicht mehr zielführend, sondern eher kontraproduktiv ist. Wenn hier im Westen mit dieser Aayah eine soziale Gruppe angesprochen wird, für die diese Methode als Problemlösung nicht mehr in Betracht kommt, die “Klaps geben” an sich mittlerweile als ein Problem betrachtet und es prinzipiell verurteilt, dann widerspricht die Interpretation von “daraba” in der alleinigen Bedeutung von “Klaps geben” klar dem beabsichtigen Ziel. Denn diese Aayah will zur Problemlösung anleiten und keinesfalls eine Gewalteskalation provozieren. Die Intention dieser Aayah ist die Mediation und Deeskalation, damit die vorhandene Ehekrise nicht bis zur Scheidung eskaliert und deshalb sind hierfür andere mögliche Interpretationen zu suchen.
Zu beachten ist zudem, dass es außer dieser Aayah zum Thema Umgang der Ehepartner miteinander in Konfliktsituationen noch weitere Aayaat gibt und auch die Sunnah des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam), die zu befolgen ebenfalls zu den Pflichten der Muslime gehört. Die Sunnah ist für Muslime die praktische Umsetzung des Quraan im Alltag und deshalb das anzustrebende Ideal im alltäglichen Verhalten. In Bezug auf den allgemeinen Umgang der Geschlechter miteinander, in der Ehe und vor allem bei Ehekrisen zeigen uns sowohl die Sunnah als auch die anderen Aayaat sehr deutlich den – schon damals – gewünschten Trend zum Gewaltverzicht und zur Konfliktlösung durch andere Mittel. Der Islam will die Muslime dazu erziehen, Gewalt im Allgemeinen und gegen Ehefrauen im Besonderen zu vermeiden, denn Gewalt in der Ehe widerspricht eindeutig dem Ehe-Bild im Islam:
وَمِنۡ ءَايَٰتِهِۦٓ أَنۡ خَلَقَ لَكُم مِّنۡ أَنفُسِكُمۡ أَزۡوَٰجٗا لِّتَسۡكُنُوٓاْ إِلَيۡهَا وَجَعَلَ بَيۡنَكُم مَّوَدَّةٗ وَرَحۡمَةًۚ إِنَّ فِي ذَٰلِكَ لَأٓيَٰتٖ لِّقَوۡمٖ يَتَفَكَّرُونَ ٢١
“Ebenso zu Seinen Zeichen zählt, dass Er für euch von eurem Wesen Paarteile erschuf, damit ihr bei ihnen Geborgenheit findet. Er setzte zwischen euch Liebe und Barmherzigkeit. Darin sind gewiss Zeichen für Menschen, die nachdenken.” 12
يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُواْ لَا يَحِلُّ لَكُمۡ أَن تَرِثُواْ ٱلنِّسَآءَ كَرۡهٗاۖ وَلَا تَعۡضُلُوهُنَّ لِتَذۡهَبُواْ بِبَعۡضِ مَآ ءَاتَيۡتُمُوهُنَّ إِلَّآ أَن يَأۡتِينَ بِفَٰحِشَةٖ مُّبَيِّنَةٖۚ وَعَاشِرُوهُنَّ بِٱلۡمَعۡرُوفِۚ فَإِن كَرِهۡتُمُوهُنَّ فَعَسَىٰٓ أَن تَكۡرَهُواْ شَيۡٔٗا وَيَجۡعَلَ ٱللَّهُ فِيهِ خَيۡرٗا كَثِيرٗا ١٩
“Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Für euch ist es nicht erlaubt, die Frauen durch Zwang zu beerben und ihnen (die Wiederheirat) zu verbieten, um ihnen einen Teil von dem wegzunehmen, was ihr ihnen gegeben habt, es sei denn, sie begehen nachgewiesen eine unzüchtige Handlung. Verkehrt mit ihnen nach dem Üblichen! Solltet ihr gegen sie Abneigung empfinden, dann kann es sein, dass ihr einer Sache gegenüber Abneigung empfindet, in die Allaah jedoch viel Gutes für euch gelegt hat.” 13
‘Aischah (radial-laahu ‘anha), Ehefrau des Gesandten überlieferte, dass er in seinem Leben niemals ein Kind oder eine Frau geschlagen hat. Für die Muslime bedeutet dies somit, dass bei richtigem Befolgen der Sunnah das “Schlagen” ausgeschlossen ist.
مَا ضَرَبَ رَسُولُ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ خَادِمًا وَلَا امْرَأَةً وَلَا ضَرَبَ بِيَدِهِ شَيْئًا
“Der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) hat weder einen Diener noch eine Frau noch etwas mit seiner Hand geschlagen.” (M, I, AH, A)
Folgende Hadiithe belegen eindeutig, dass der Gesandte Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) die muslimische Gesellschaft schrittweise in Richtung gewaltfreie Gesellschaft erziehen wollte. Er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:
خِيَارُكُمْ خِيَارُكُمْ لِنِسَائِهِمْ.
“Die besten unter euch sind diejenigen, die den besten Umgang mit ihren Frauen pflegen.” (I, T, AH)
أمَا يَسْتَحيي أَحَدُكُمْ أنْ يَضْرِبَ امَرأَتَهُ كَمَايَضْرِبَ العَبْدَ، يَضْرِبُهَا أَوَّلَ النَّهَارِ ثُمَّ يُضَاجِعُهَا آَخِرَه، أَمَا يَسْتَحيي.
“Schämt sich etwa der eine von euch dafür nicht, dass er seine Frau wie einen Sklaven schlägt? Er schlägt sie am Beginn des Tages, dann schläft er mit ihr an dessen Ende, schämt er sich etwa nicht?” (‘Abdur-raz-zaq und Al-baihaqi)
سَأَلَهُ رَجُلٌ مَا حَقُّ الْمَرْأَةِ عَلَى الزَّوْجِ قَالَ تُطْعِمُهَا إِذَا طَعِمْتَ وَتَكْسُوهَا إِذَا اكْتَسَيْتَ وَلَا تَضْرِبْ الْوَجْهَ وَلَا تُقَبِّحْ وَلَاتَهْجُرْ إِلَّا فِي الْبَيْتِ.
“Ein Mann fragte ihn (den Gesandten): Welches Recht hat die Frau beim Mann? Er (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte: “Du speist sie, wenn du speist, du kaufst ihr Kleider, wenn du für dich Kleider kaufst, du schlägst sie nicht ins Gesicht, du beschimpfst sie nicht und wenn du dich (von ihr für eine Weile) abwendest, dann (tue es) nur Zuhause.” (AH, und Al-baihaqi)
لَا تَضْرِبُوا إِمَاءَ اللَّهِ فَجَاءَ عُمَرُ إِلَى رَسُولِ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ فَقَالَ ذَئِرْنَ النِّسَاءُ عَلَى أَزْوَاجِهِنَّ فَرَخَّصَ فِي ضَرْبِهِنَّ فَأَطَافَ بِآلِ رَسُولِ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ نِسَاءٌ كَثِيرٌ يَشْكُونَ أَزْوَاجَهُنَّ فَقَالَ النَّبِيُّ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ لَقَدْ طَافَ بِآلِ مُحَمَّدٍ نِسَاءٌ كَثِيرٌ يَشْكُونَ أَزْوَاجَهُنَّ لَيْسَ أُولَئِكَ بِخِيَارِكُمْ.
“Schlagt nicht Allaahs Anbeterinnen! Dann kam ‘Umar (radial-laahu ‘anh) zum Gesandten Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) und sagte: “Allaahs Gesandter! Die Frauen lehnen sich gegen ihre Männer auf? Dann ließ er zu, dass ihnen ein Klaps gegeben wird. Dann kamen zur Familie des Gesandten Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) viele Frauen, die sich über ihre Männer beklagten, dann sagte der Prophet (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam): Viele Frauen kamen zur Familie Muhammads, die sich über ihre Männer beklagten. Diese (Männer) sind nicht die Besten unter euch!” (A, AH)
Aus diesem Hadiith und unter Berücksichtigung des Hinabsendungsanlasses der Aayah kann man ableiten, dass der Gesandte auch nach Hinabsendung der Aayah (4:34) Darb im Sinne von “Klaps geben” allgemein verboten hat. Infolge damals vorhandener kultureller Strukturen gab es später in Ausnahmefällen wieder die Erlaubnis dazu. Grund hierfür war auch die soziale Stellung der Frau vor dem Islam bei Arabern und anderen.
Die Gewaltfreiheit in der Familie, die der Gesandte etablieren wollte, bedeutete eine gesamtgesellschaftliche Umerziehung, die Änderung etablierter Traditionen und einen Wandel des Rollenverständnisses von Mann und Frau. Dies alles konnte damals nicht sofort und komplett von der Masse umgesetzt werden, da derartige soziologische Umbrüche bekanntlich längerer Zeitspannen bedürfen. Unterstrichen wird dies auch durch die Hadiith-Berichte über das aus heutiger Sicht eher unsensible Verhalten “der zu befreienden Frauen”.
Der Gefährte und Schüler des Gesandten Ibnu-‘abbaas (radial-laahu ‘anh) erläuterte in seinem Tafsiir “fadribuhun-na, wendet gegen sie Darb an” als “mit dem Siwak (Hölzchen zum Zähneputzen) berühren bzw. schubsen”. Damit bestätigte er die bereits vom Gesandten beabsichtigte Bedeutungsverengung des Begriffs und die schon damals angestrebte gesellschaftliche Entwicklung zur Gewaltfreiheit in Ehe und Familie.
Ein weiterer Beweis für die scharii’ah-gemäße Autorisierung zu einer alternativen gewaltfreien Interpretation des Verbs “daraba” ist das o. a. vorbildhafte Verhalten des Gesandten, als er einen ernsthaften Streit mit seinen Frauen hatte. In dieser Krise hat er seine Frauen weder geschlagen, noch beschimpft oder gar bedroht, sondern er hat sich von ihnen getrennt und die Ehewohnungen für einen ganzen Monat verlassen. Damit die Verwandten der Frauen aus Solidarität mit dem Gesandten nicht gegen sie aufgebracht werden und weitere Konflikte entstehen, hat er deren Familien nicht über die Trennung informiert. Diese Vorgehensweise des Gesandten zeigt sehr deutlich, dass “daraba” nicht zwangsläufig zur Gewalt führt, sondern auch die Bedeutung von “verlassen, sich trennen” haben kann. Denn sein Verlassen des Hauses kann nur als “daraba” angesehen werden und nicht als “quasi verschärfte” Hadschr, weil die Aayah explizit von Hadschr in den Ehebetten spricht und nicht außerhalb. Auch in anderen Fällen erlaubte der Gesandte Hadschr nur in der gemeinsamen Wohnung, d. h. beide Ehepartner bleiben in der gemeinsamen Wohnung, jedoch ohne Intimitäten. Somit zeigt uns die Sunnah klar eine gewaltfreie Alternative zur bisherigen Interpretation. Die folgende Aayah (4:35) unterstreicht nochmals die positive Absicht der Empfehlungen in (4:34), nämlich die Versöhnung mit der Ehefrau und nicht deren Demütigung.
Fazit:
Aus den Aayaat kann kein verbrieftes Recht des Ehemannes auf die Züchtigung der Ehefrau abgeleitet werden. Vielmehr muss ein Muslim entsprechend der Sunnah des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) den gütigsten und besten Umgang mit seiner Ehefrau pflegen. In einer Ehekrise soll man wie folgt vorgehen:
1. Ermahnung: Der betroffene Ehepartner soll seinen Ehepartner ermahnen und ihm die negativen Folgen des falschen Verhaltens sowie die positiven Folgen für die Ehe erläutern, wenn dieses Verhalten korrigiert wird.
2. Trennung im Ehebett: Diese Trennung darf nicht leichtfertig praktiziert werden, sondern erst nach wiederholter erfolgloser Ermahnung. Sie erfolgt zunächst in der Ehewohnung.
3. Verlassen der Ehewohnung: Sollte auch die Trennung im Ehebett keine Änderung herbeiführen, kann man nach dem Vorbild des Gesandten die gemeinsame Wohnung für eine Weile verlassen, ohne dabei seine Pflichten in Bezug auf Unterhalt und Versorgung der Familie zu verletzen.
4. Mediation: Wenn auch durch diese Maßnahme die Krise nicht beendet wird, bleibt als vorletzter Schritt die Einschaltung von Schiedsrichtern. Beim Scheitern der Mediation bleibt nur noch die Scheidung als letzter Ausweg.
Notes:
- Aus den Aayaat (23:1,5-6) und (2:222-223) sowie aus der Sunnah haben die islamischen Fiqh-Gelehrten das absolute Verbot des Analverkehrs und das Verbot des Geschlechtsverkehrs während der Periode und der Wochenbettzeit abgeleitet. ↩
- Nach den Hanafiten darf man den Leichnam des verstorbenen Ehepartners weder berühren noch betrachten. ↩
- Siehe dazu (2:233) und (65:6-7) ↩
- Quraan (4:34) ↩
- Eine andere Bedeutung könnte lauten: „Für jeden Menschen bestimmten Wir Erbberechtigte für das, was er hinterließ: die Eltern und die Nahverwandten.“ ↩
- Ummu-salamah (radial-laahu ’anha) war eine Ehefrau des Gesandten (sallal-laahu ’alaihi wa sallam). ↩
- Da nach allgemeiner quranischer Aussage Ehemänner und -frauen gleich sind: „Und ihnen (den Ehefrauen) steht (den Ehemännern gegenüber) Gleiches zu, wie es ihnen obliegt nach dem Gebilligten, und den Ehemännern steht ihnen gegenüber eine Zusätzlichkeit zu.“ (2:228) ↩
- „Jede fünfte Frau (ist) von Gewalt durch einen nahen männlichen Angehörigen betroffen. Im Jahr 2006 haben 3.143 Frauen und Kinder in 25 autonomen österreich. Frauenhäusern und –notwoh-nungen Zuflucht gefunden. 7.235 Wegweisungen gegen Gewalttäter hat die österreich. Exekutive 2006 ausgesprochen (BH:I 2006). Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, So. 25.10.09, (http://www.aoef.at/aktuell/10j/Gewalt%20an%20Frauen-%20Zahlen%20und%20Daten.pdf ) ↩
- Kopfbedeckung ↩
- Ausschnitte der Kleidung ↩
- Siwak ist ein Hölzchen zum Zähneputzen, so groß wie ein Bleistift. ↩
- Quraan (30:21) ↩
- Quraan (4:19) ↩