.
.

.

Die Sorgepflicht (Al-hadaanah الحضانة)


Begriffsbestimmung

Linguistisch leitet sich Al-hadaanah von Al-hidn الحضن “die Seite” ab. Damit wird auch sprachlich symbolisiert, dass man das zu betreuende Kind an seine Seite nimmt.
Fachspezifisch wird Hadaanah definiert als “die Kindeserziehung durch die obsorgeverpflichtete Person”.
Diese Fürsorge und Betreuung des Kindes ist eine Muss-Handlung der obsorgepflichtigen Person und dauert bis zum siebten Lebensjahr, da das Kind bis zu diesem Alter intensiver körperlicher Betreuung bedarf. In dieser Zeit hat der Vater finanziell und materiell für den gesamten Unterhalt des Kindes Sorge zu tragen. Die weitere Personensorge nach dem siebten Lebensjahr bezeichnen manche Gelehrte als Kafalah كفالة.

Die obsorgepflichtigen Personen

  • In einer funktionierende Ehe haben beide Eltern die Pflicht für ihre Kinder zu sorgen.
  • Liegt eine Eheauflösung durch Ehescheidung oder Tod des Ehepartners vor, hat die Mutter als Bestgeeignete die Sorgepflicht für das Kind bis zur Vollendung seines siebten Lebensjahres. Nach Vollendung des siebten Lebensjahres darf das Kind selbst entscheiden, bei welchem Elternteil es leben möchte.
  • Bei Fehlen bzw. Ungeeignetsein der Mutter als sorgepflichtige Person hat die Großmutter des Kindes mütterlicherseits die Sorgepflicht, da sie die Mutter beerbt; danach folgt die Großmutter des Kindes väterlicherseits. Die Maalikiten ordnen die Großmutter des Kindes väter-licherseits erst nach der Schwester der Mutter und der Tante der Mutter väterlicherseits ein. Die Hanbaliten ordnen den Vater, gefolgt von seiner Mutter und seiner Großmutter, nach der Großmutter mütter-licherseits ein. Dann folgt der Großvater väterlicherseits und dann folgt seine Mutter.
  • Danach folgt die Vollschwester des Kindes, dann die Schwester des Kindes mütterlicherseits und danach die Schwester des Kindes väter-licherseits. Die Schaafi’iten ordnen die Schwester des Kindes väter-licherseits vor der Schwester mütterlicherseits ein.
  • Dann folgt die Vollschwester der Mutter, dann die Schwester der Mutter mütterlicherseits und dann die Schwester der Mutter väter-licherseits. Die Schaafi’iten ordnen die Schwestern der Mutter väter-licherseits vor den Schwestern der Mutter mütterlicherseits ein.
  • Dann folgt die Tochter der Schwester des Kindes, dann die Tochter des Bruders des Kindes. Die Maalikiten und Hanbaliten ordnen die Schwester des Vaters vor der Tochter des Bruders des Kindes ein.
  • Dann folgt die Schwester des Vaters des Kindes, dann die Schwester des Großvaters des Kindes väterlicherseits.
  • Sollten keine der o. g. weiblichen Personen vorhanden sein, geht die Sorgepflicht der Reihe nach auf die männlichen Erbberechtigten des Kindes über: zuerst auf den Vater, dann auf den Großvater väterlicher-seits in aufsteigender Linie, dann auf die Brüder des Kindes, dann auf ihre Söhne in absteigender Linie, dann auf die Onkel väterlicherseits, dann auf ihre Söhne usw., wobei die Mädchen nur männlichen Mahaarim überlassen werden dürfen.
  • Sollten keine männlichen Erbberechtigten des Kindes vorhanden sein, dann geht die Sorgepflicht auf die Kognaten über: zuerst auf den Bruder des Kindes mütterlicherseits, dann auf seinen Sohn, dann auf den Bruder des Vaters mütterlicherseits, dann auf den Onkel des Kindes mütterlicherseits, dann auf den Bruder der Mutter mütterlicherseits.

Voraussetzungen der sorgepflichtigen Personen

Die Sorgepflichtigen müssen folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Geschlechtsreife und Zurechnungsfähigkeit
  • Unbescholtenheit und Vertrauenswürdigkeit
  • Freiheit von ansteckenden und unheilbaren Krankheiten 1 sowie von körperlicher Beeinträchtigung
  • der Wohnsitz muss fest und am gleichen Ort wie vom Kind sein.
  • Zugehörigkeit zum Islam (nur bei Schaafi’iten und Hanbaliten). Sollte die sorgepflichtige Person ein Mann sein, muss er nach den Hanafiten ebenfalls Muslim sein.
  • Die sorgepflichtige Frau darf nicht mit einem Mann verheiratet sein, der nicht zu den Mahaarim des Kindes zählt.
  • Sollte die Frau stillen können, muss sie das Kind stillen, sonst verliert sie nach den Schaafi’iten und Hanbaliten die Fürsorge.
  • Der männliche Sorgepflichtige muss zu den Mahaarim des Kindes zählen und in seinem Haushalt muss eine weibliche Person sein, die das Kind betreut.

Allgemeine Aspekte

  • Stehen mehrere Sorgepflichtige der gleichen Kategorie zur Verfügung (z. B. mehrere Schwestern und Brüder), werden die weiblichen Verwandten den männlichen vorgezogen.
  • Stehen mehrere Personen derselben Kategorie als Sorgepflichtige zur Verfügung und sind alle desselben Geschlechts (z. B. nur Brüder bzw. nur Schwestern), dann entscheidet unter ihnen das Los. Die Hanafiten ziehen die gesunde frömmere und dann die ältere Person vor.
  • Die sorgepflichtige Person wird für die Fürsorge nicht entlohnt. Für die Arbeit im Rahmen der Fürsorge wie Kochen und Putzen steht ihr jedoch ein Lohn zu.
  • Sollte der Vater nicht in der Lage sein, die Kosten für die Arbeit im Rahmen der Fürsorge zu leisten, wird die weibliche geeignete Person richterlich zur Fürsorge verpflichtet, wobei die anfallenden Kosten als Darlehen an den Vater betrachtet werden, welches er ihr zurückzu-zahlen hat, sobald er dazu im Stande ist.
  • Das Kind darf nicht daran gehindert werden, Kontakt zu seinem Vater zu halten. Beispielsweise darf die Mutter mit dem Kind nicht in ein anderes Land ziehen, so dass es vom Vater getrennt wird, es sei denn mit Zustimmung des Vaters.
  • Nach den Hanafiten darf die sorgepflichtige Person das Kind seinem Vater nicht länger als eine Woche vorenthalten. Die Maalikiten und Schaafi’iten verlangen sogar die Möglichkeit der täglichen Kontakt-aufnahme.
  • Nach Erreichen des siebten Lebensjahres kann das unterscheidungs-fähige Kind nach den Schaafi’iten und Hanbaliten wählen, ob es bei der Mutter bleibt oder zu seinem Vater geht. Vorausgesetzt beide Eltern sind dazu in der Lage und besitzen die Fähigkeit dazu. Sollte das Kind seinen Vater wählen, behält die Mutter weiterhin das Recht, es bei Krankheit zu pflegen. Kein Kind darf daran gehindert werden, seine Mutter zu besuchen und den Kontakt zu ihr zu pflegen.
    Die Hanafiten und Maalikiten lassen das Kind nach diesem Alter nicht wählen, sondern bestimmen die Zeit der Sorgepflicht bis zum Erreichen der Geschlechtsreife bzw. bis zur Heirat dieses Kindes.

 

Notes:

  1. Früher war hier Tuber­kulose gemeint, heute kommen auch Krankheiten, wie Aids in Betracht.