al-wahy ist das Verbindungsglied zwischen der erlebbaren physischen Welt (‘aalamusch-schahaadah عالم الشهادة) und der verborgenen metaphysischen Welt (‘aalamul-ghaib عالم الغيب ).
Die physische Welt kann man mittels der Vernunft wahrnehmen, erkennen und deuten, um dann auf die metaphysische Welt zu schließen.
Nach islamischem Verständnis ist al-wahy die eigentliche Quelle der menschlichen Erkenntnis
über die verborgene metaphysische Welt, und dazu zählt insbesondere der Iimaan an Allaah (ta’aala), der uns durch Seine Gesandten bestätigt wird, da sie durch ihre Prophetenschaft ebenfalls eine Verbindung zwischen der verborgenen und der sichtbaren Welt durch al-wahy darstellen.
Linguistische Bedeutung von al-wahy
Ursprünglich bedeutet al-wahy “das schnelle Zeichen”, ein schnelles Zeichen im Sinne eines Hinweises wie das Zeichen, das der Prophet Zakariyya (‘alaihis-salaam) gab:
فَخَرَجَ عَلَىٰ قَوۡمِهِۦ مِنَ ٱلۡمِحۡرَابِ فَأَوۡحَىٰٓ إِلَيۡهِمۡ أَن سَبِّحُواْ بُكۡرَةٗ وَعَشِيّٗا ١١
Sogleich ging er heraus aus der Gebetsstätte zu seinen Leuten und gab ihnen zu verstehen: “Lobpreist (Allaah) morgens und abends!” 1
So wird al-wahy bei der Beschreibung schneller Dinge verwendet. Man sagt: “amrun wahyun مْرٌ وَحيٌ, d. h. eilige Angelegenheit”.
al-wahy ist auch ein Synonym von “al-kitaab الكتاب: das Buch bzw. die Schrift” und ebenfalls ein Synonym von “ar-risaalah الرسالة: der Brief, die Botschaft”.
al-wahy ist zudem alles, das man anderen mitteilt, und sie dies wahrnehmen und verstehen. Deshalb wird al-wahy linguistisch von vielen Arabisten erklärt als:
“Die schnelle, verborgene Mitteilung, die nur von demjenigen wahrgenommen wird, der damit gemeint ist.”
Unter diese Bedeutung von al-wahy fallen ebenfalls folgende spezifische Bedeutungen:
- al-wahy als natürliche Veranlagung und als Instinkt:
وَأَوۡحَىٰ رَبُّكَ إِلَى ٱلنَّحۡلِ أَنِ ٱتَّخِذِي مِنَ ٱلۡجِبَالِ بُيُوتٗا وَمِنَ ٱلشَّجَرِ وَمِمَّا يَعۡرِشُونَ ٦٨
Dein Herr ließ der Biene instinktiv zuteil werden: ‚Unterhalte Behausungen in Bergen, auf Bäumen und in manchen von dem, was sie errichten. 2
- al-wahy als Gedanke wie die Eingebung an die Mutter des Gesandten Muusa (‘alaihis-salaam):
وَأَوۡحَيۡنَآ إِلَىٰٓ أُمِّ مُوسَىٰٓ أَنۡ أَرۡضِعِيهِۖ فَإِذَا خِفۡتِ عَلَيۡهِ فَأَلۡقِيهِ فِي ٱلۡيَمِّ وَلَا تَخَافِي وَلَا تَحۡزَنِيٓۖ إِنَّا رَآدُّوهُ إِلَيۡكِ وَجَاعِلُوهُ مِنَ ٱلۡمُرۡسَلِينَ ٧
Wir gaben der Mutter von Muusa ein: “Stille ihn! Solltest du dich um ihn fürchten, dann lege ihn in den Fluss, fürchte dich nicht und sei nicht traurig! Wir werden ihn dir zurückbringen und werden ihn von den Gesandten machen!” 3
- al-wahy als Einflüstern des Satans:
وَلَا تَأۡكُلُواْ مِمَّا لَمۡ يُذۡكَرِ ٱسۡمُ ٱللَّهِ عَلَيۡهِ وَإِنَّهُۥ لَفِسۡقٞۗ وَإِنَّ ٱلشَّيَٰطِينَ لَيُوحُونَ إِلَىٰٓ أَوۡلِيَآئِهِمۡ لِيُجَٰدِلُوكُمۡۖ وَإِنۡ أَطَعۡتُمُوهُمۡ إِنَّكُمۡ لَمُشۡرِكُونَ ١٢١
Speist nicht von dem, auf das Allaahs Name (beim Schächten) nicht erwähnt wurde! Dies ist sicher eine Übertretung. Die Satane geben ihrer Gefolgschaft ein, damit sie mit euch disputieren. Solltet ihr auf sie hören, dann seid ihr zweifelsohne Polytheisten! 4
Fachspezifische Definition von al-wahy
Im Kontext der Islamologie wird al-wahy aus der Perspektive des Schöpfers folgendermaßen definiert:
“al-wahy ist Allaahs Mitteilung an den von Ihm auserwählten Menschen in einer für Menschen außergewöhnlichen schnellen und verborgenen Art.”
Andere Gelehrte haben al-wahy aus der Perspektive des betroffenen Menschen wie folgt definiert:
“al-wahy ist eine Erkenntnis, über welche die betroffene Person mit der Gewissheit verfügt, dass diese von Allaah (ta’aala) stammt, wobei diese mit einem vermittelnden Element wie eine Stimme oder ohne vermittelndes Element erfolgt.”
Im Quraan sagt Allaah (ta’aala) diesbezüglich:
وَمَا كَانَ لِبَشَرٍ أَن يُكَلِّمَهُ ٱللَّهُ إِلَّا وَحۡيًا أَوۡ مِن وَرَآيِٕ حِجَابٍ أَوۡ يُرۡسِلَ رَسُولٗا فَيُوحِيَ بِإِذۡنِهِۦ مَا يَشَآءُۚ إِنَّهُۥ عَلِيٌّ حَكِيمٞ ٥١
Es steht keinem Menschen zu, dass Allaah zu ihm spricht außer durch Eingebung 5 oder von hinter einem Sichtschutz oder Er entsendet einen Gesandten, dann übermittelt 6 Er mit Seiner Zustimmung, was Er will. Er ist gewiss allhöchst, allweise. 7
Aus dieser Aayah wird ersichtlich, dass es drei wahy-Arten gibt:
- Die Eingebung oder die Mitteilung über Dschibriil (‘alaihis-salaam), ohne dass der Gesandte ihn sieht. Man nennt dies auch an-nafthu fir-rau’ النفث في الروع. Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:
إِنَّ رَوْحَ الْقُدُسِ نَفَثَ فِي رُوعِيَ أَنَّ نَفْسًا لَنْ تَمُوتَ حَتَّى تَسْتَكْمِلَ أَجَلَهَا وَتَسْتَوْعِبَ رِزْقَهَا، فَأَجْمِلُوا فِي الطَّلَبِ وَلا يَحْمِلَنَّ أَحَدَكُمُ اسْتِبْطَاءُ الرِّزْقِ أَنْ يَطْلُبَهُ بِمَعْصِيَةٍ، فَإِنَّ اللَّهَ لا يُنَالُ مَا عِنْدَهُ إِلا بِطَاعَتِهِ.
“Der reine Geist Dschibriil hat mir eingeflößt (nafatha fi rau’i), dass kein Mensch sterben wird, bis er seine Zeit gelebt und die ihm bestimmten Gaben erhalten hat. So strebt diese Gaben auf schöne Art und Weise an. Ihre verzögerte Gewährung soll niemanden dazu verleiten, diese auf verbotene Weise zu erwerben, denn man kann das, was bei Allaah (ta’aala) ist, nur durch die Gehorsamkeit Ihm gegenüber erhalten.” (Abu-nu’aim in Hulyatul-auliyaaء)
- Das Sprechen von hinter einem Sichtschutz (min waraa-i hidschaab من وراء حجاب)
Dies bedeutet, dass Allaah (ta’aala) zum Menschen mit Worten spricht, die dieser vernimmt, ohne Allaah (ta’aala) zu sehen.
Dieser Sichtschutz bezieht sich natürlich auf die Worte und nicht auf das Wesen Allaahs, da dies ansonsten den erhabenen Attributen Allaahs widerspricht, denn Allaah (ta’aala) ist kein Körper. In diesem Sinne sprach Allaah (ta’aala) zu Muusa (‘alaihis-salaam) von hinter dem Baum als Sichtschutz für den Ort der Worte:
فَلَمَّآ أَتَىٰهَا نُودِيَ مِن شَٰطِيِٕ ٱلۡوَادِ ٱلۡأَيۡمَنِ فِي ٱلۡبُقۡعَةِ ٱلۡمُبَٰرَكَةِ مِنَ ٱلشَّجَرَةِ أَن يَٰمُوسَىٰٓ إِنِّيٓ أَنَا ٱللَّهُ رَبُّ ٱلۡعَٰلَمِينَ ٣٠
Als er es erreichte, wurde vom Ufer des rechten Tales in der vom Segen 8 erfüllten Landschaft aus dem Baum gerufen: “Muusa! Ich bin Allaah, Der Herr der Schöpfung. 9
- Das Sprechen zum auserwählten Propheten über den Engel Dschibriil (‘alaihis-salaam).
Dschibriil (‘alaihis-salaam) pflegte den Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) auf zwei Wege zu kontaktieren:
entweder indem er zu ihm kam begleitet mit einem Läuten wie das Läuten einer Glocke,
oder indem er die Gestalt eines Mannes annahm und zu ihm sprach. ‘Aaischah (radial-laahu ‘anha) sagte:
أَنَّ الْحَارِثَ بْنَ هِشَامٍ رَضِي اللَّهم عَنْهم سَأَلَ رَسُولَ اللَّهِ صَلَّى اللَّهم عَلَيْهِ وَسَلَّمَ فَقَالَ يَا رَسُولَ اللَّهِ كَيْفَ يَأْتِيكَ الْوَحْيُ فَقَالَ رَسُولُ اللَّهِ صَلَّى اللَّهم عَلَيْهِ وَسَلَّمَ أَحْيَانًا يَأْتِينِي مِثْلَ صَلْصَلَةِ الْجَرَسِ وَهُوَ أَشَدُّهُ عَلَيَّ فَيُفْصَمُ عَنِّي وَقَدْ وَعَيْتُ عَنْهُ مَا قَالَ وَأَحْيَانًا يَتَمَثَّلُ لِيَ الْمَلَكُ رَجُلًا فَيُكَلِّمُنِي فَأَعِي مَا يَقُولُ قَالَتْ عَائِشَةُ رَضِي اللَّهم عَنْهَا وَلَقَدْ رَأَيْتُهُ يَنْزِلُ عَلَيْهِ الْوَحْيُ فِي الْيَوْمِ الشَّدِيدِ الْبَرْدِ فَيَفْصِمُ عَنْهُ وَإِنَّ جَبِينَهُ لَيَتَفَصَّدُ عَرَقًا .
“Dass Al-haarith Bnu-hischaam Allaahs Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) fragte: “Wie wird dir der wahy zuteil?” Darauf antwortete der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam): “Manchmal kommt er wie das Läuten der Glocke, und dies ist das Härteste für mich, dann verlässt er mich, während ich aufgenommen habe, was er sagte. Und manchmal erscheint mir der Engel als ein Mann, der zu mir spricht und ich begreife, was er sagt.” ‘Aaischah sagte: “Ich habe ihn gesehen, als der wahy zu ihm an einem sehr kalten Tag kam, dann verließ er ihn, während von seiner Stirn der Schweiß floss.” (B)
Der Quraan wurde sowohl wörtlich als auch inhaltlich ausschließlich nach der ersten oben vom Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) erläuterten Art von wahy hinabgesandt:
نَزَلَ بِهِ ٱلرُّوحُ ٱلۡأَمِينُ ١٩٣ عَلَىٰ قَلۡبِكَ لِتَكُونَ مِنَ ٱلۡمُنذِرِينَ ١٩٤ بِلِسَانٍ عَرَبِيّٖ مُّبِينٖ ١٩٥
Mit ihm (dem Quraan) kam Dschibriil 10 herunter, (194) in dein Inneres hinein – damit du einer der Warner wirst – (195) in einer erläuternden arabischen Sprache. 11
قُلۡ مَن كَانَ عَدُوّٗا لِّـجِبۡرِيلَ فَإِنَّهُۥ نَزَّلَهُۥ عَلَىٰ قَلۡبِكَ بِإِذۡنِ ٱللَّهِ مُصَدِّقٗا لِّمَا بَيۡنَ يَدَيۡهِ وَهُدٗى وَبُشۡرَىٰ لِلۡمُؤۡمِنِينَ ٩٧
Sag: ‚Wer ein Feind von Dschibriil ist, (der soll es lassen), denn er war es zweifelsohne, der den Quraan auf dein Herz mit Zustimmung von Allaah nach und nach hinabsandte als Bestätigung dessen, was vor ihm war, als Rechtleitung und als frohe Botschaft für die Iimaan-Bekennenden 12. 13
Beide oben zitierten Aayaat widerlegen Aussagen, welche die Hinabsendung des Quraan (wahyul-quraan) als Inspiration bezeichnen und bestätigen dagegen, dass diese Hinabsendung ausschließlich durch den Engel Dschibriil (‘alaihis-salaam) an den Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) erfolgte, der das Hinabgesandte sofort auswendig lernte bzw. wusste und anschließend an die Menschen weitergab.
Notes:
- Quraan (19:11) ↩
- Quraan (16:68) ↩
- Quraan (28:7) ↩
- Quraan (6:121) ↩
- Ursprünglich: „wahy“. ↩
- Ursprünglich: „yuuhi“: „übermittelt wahy“. ↩
- Quraan (42:51) ↩
- Ursprünglich: „barakah“. ↩
- Quraan (28:30) ↩
- Ursprünglich: „ar-ruuhul-amiin“, wörtlich: der treue Geist, eine Bezeichnung für den Engel Dschibriil (’alaihis-salaam) ↩
- Quraan (26:193-195) ↩
- Ursprünglich: „muءminiin“. Es sind Menschen und Dschinn, die den Iimaan verinnerlichen. ↩
- Quraan (2:97) ↩