Prof. Dr. Subhii As–saalih (1343/1925 – 1407/1986), ein renommierter Professor für Islam-Studien und arabische Sprache an der Fakultät für Humanwissenschaft an der Universität Beirut/Libanon, analysierte in seinem Werk “‘uluumul-hadiith wa mus-talahuh علوم الحديث ومصطلحه ” die Einstellung und die Vorgehensweise der Orientalisten im Umgang mit den Hadiithen und mit der Hadiith-Wissenschaft. Er schrieb dazu auf den Seiten 33-36:
“Das bedeutete, dass wir nicht bis zur Zeit des Chaliifah ‘Umar Bnu-‘abdil-‘aziiz warten müssen, bis wir zum ersten Mal – wie es oft verbreitet wird – von etwas hören, was Verschriftlichung bzw. Versuch zur Verschriftlichung der Hadiithe heißt. Auch brauchen wir nicht bis zu unserer Gegenwart zu warten, um anzuerkennen, dass die Verschriftlichung der Hadiithe doch früh begann, in Nachahmung mancher Orientalisten wie Goldziher 1 und Sprenger 2, da unsere Bücher, unsere Überlieferungen und unsere historischen Dokumente keinen Zweifel zulassen, dass die Hadiithe mit Gewissheit zur Zeit des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) verschriftlicht wurden, und nicht erst zu Beginn des zweiten Jahrhunderts nach der Hidschrah, wie diese beiden o. g. Orientalisten uns vorhalten. Diese Fakten belegen zusätzlich dazu die Wahrhaftigkeit aller Ereignisse, Aussagen, Biographien und Handlungen, die in den Makellosen und Mittelmäßigen Hadiithen (Sahiih und Hasan-Hadiithe) in allen Sunnah-Büchern und nicht nur in manchen von ihnen, wie Dozy 3 glaubt, enthalten sind.
Diese Orientalisten haben sich nicht die Mühe gemacht, die Belege und Beweise zum Nachweis der Verschriftlichung der Sunnah zu sammeln, um uns, unserer Literatur und unserer Scharii’ah einen Gefallen zu tun, sondern weil sie damit andere Ziele verfolgten und andere Aufgaben zu erfüllen hatten, denen sie ihre Dienste widmeten.
Was Goldziher betrifft, so widmete er der Verschriftlichung der Hadiithe ein eigenes Unterkapitel in seiner Forschungsreihe “Muhammedanische Studien”, deren zweiter Band ins Französische übersetzt wurde. In diesem Unterkapitel (S. 241 – 250) brachte er viele Beweise zur Verschriftlichung der Hadiithe zu Beginn des zweiten Jahrhunderts nach der Hidschrah, nachdem er im ersten Unterkapitel des gleichen Buches (S.10-12) mehrere Überlieferungen erwähnt hatte, die auf manche der Schriften hingewiesen haben, welche zur Zeit des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) niedergeschrieben wurden. Doch er umrahmte diese Überlieferungen mit vielen Verdächtigungen und Zweifeln an ihrer Authentizität. Damit verfolgte er zwei Ziele: Das Erste ist die Schwächung des Vertrauens in das Auswendig-Lernen der Sunnah und in ihre Einprägung im Gedächtnis, da die Muslime sich im zweiten Jahrhundert nach der Hidschrah auf die Verschriftlichung verlassen haben; und das Zweite ist, die Sunnah insgesamt als erfunden und als erdichtet durch deren Niederschreiber zu bezeichnen, die davon nur solches sammelten, was mit ihren eigenen Empfindungen übereinstimmte und was ihre Meinungen und Einstellungen im Leben wiedergibt. Deshalb haben wir viel über die schriftlichen Belege aus der Zeit des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) gesprochen, um dem Leser die vertrauenswürdigen historischen Dokumente zur Verfügung zu stellen, welche den Beginn der Verschriftlichung der Hadiithe zu Lebzeiten des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) belegen und gleichzeitig deren lückenlose Tradierung durch zuverlässiges Auswendig-Lernen bestätigen.
Sprenger versuchte in seinem Werk “Das Traditionswesen bei den Arabern”, die falsche Behauptung zurückzuweisen, dass die Sunnah ausschließlich durch orale Überlieferung tradiert und sammelte viele Belege über die Verschriftlichung der Hadiithe. Doch behauptet er, dass das Ernst-Nehmen dieser Verschriftlichung erst mit dem Beginn des zweiten Jahrhundert nach der Hidschrah begann und nicht bereits zur Zeit des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam). Sein Ziel hat sich in nichts von dem von Goldziher unterschieden.
Was Dozy betrifft, so mag er mit seiner mäßigen Meinung viele unserer Gelehrten und die Durchschnittswissenden unter uns täuschen, da er einen großen Teil der prophetischen Sunnah als authentisch anerkannt hat, die auswendig gelernt wurde und dann in den Büchern in einer äußerst präzisen Art und mit unvergleichlicher Sorgfalt niedergeschrieben wurde. Doch – wie er sagte – ihn wunderte das nicht, da dies “die Natur der Dinge” sei, dass sich viel von Erfundenem und von Erlogenem in die Hadiith-Werke eingeschlichen hat, sogar in viele der vertrauenswürdigen Sahiih-Überlieferungen, die über jeden Zweifel erhaben sind – “denn mindestens die Hälfte des Sahiih-Werks von Al-buchaariy verdient nach übertreibenden Hadiith-Kritikern, so bezeichnet zu werden” – obwohl diese Überlieferungen viele Sachen beinhalten, von denen ein wahrhaftiger Muslim sich wünschen würde, dass sie dort nicht vorkämen. Das Ziel dieses Orientalisten war sicherlich nicht die reine Wissenschaftlichkeit und die objektive Forschung, als er dazu neigte, die Authentizität dieses großen Teils der Sunnah anzuerkennen, sondern er pflegte zuerst und zuletzt über die eigenständigen in der Sunnah enthaltenen Ansichten bezüglich des Universums, des Lebens und des Menschen nachzudenken. Das waren Ansichten, die aufgrund ihrer Eigenständigkeit vor Kritik und Kränkung nicht gefeit waren, da sie nicht dem “außerordentlich cleveren” westlichen Geist entsprungen waren und nicht das westliche Leben wiedergaben, das keiner Einschränkung unterlag.”
Wir sind nicht angewiesen auf die Orientalisten, um etwas zu verifizieren, das mit der Geschichte unserer Kultur zu tun hat – wir werden alles mit Vorsicht genießen, was sie über unsere Kultur dokumentieren. Wir haben nicht auf ihre Anerkennung der Verschriftlichung der Hadiithe gewartet, und ihre Ziele, die sie mit dieser Anerkennung verbunden haben, sind uns nicht verborgen geblieben. Uns ist es ziemlich egal, ob sie diese anerkennen oder verleugnen, denn der Hausherr kennt sein Zuhause am besten. Unsere vertrauenswürdigen und zuverlässigen Werke belegen die Existenz von Schriften über die Hadiithe zur Zeit des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam), und wer weiß, vielleicht sind diese Schriften, die in den Musnad-Werken enthalten sind, ebenfalls in den Hadiith-Manuskripten zu finden, die weltweit in den Bibliotheken verstreut sind, wie beispielsweise die Sahiifah-Schrift von ‘Abdul-laah Bnu-‘amr Bnul-‘aas und die Sahiifah-Schrift von Abu-hurairah, die Ham-maam tradierte, die im Musnad von Imaam Ahmad Bnu-hanbal nachweisbar enthalten sind.”
Goldziher und andere Orientalisten nach ihm behaupteten außerdem, dass die widersprüchlichen Aussagen zur Verschriftlichung der Sunnah nur den Kampf der beiden Schulen von Al-hadiith und Ar-raiy (Ahlul-hadiith أهل الحديث und Ahlur-raiy أهل الرأي) widerspiegeln würden, da die Ahlul-hadiith für die Verschriftlichung gewesen seien, um diese für ihre Argumente zu verwenden, während die Ahlur-raiy dagegen waren, weil sie diese Hadiithe zurückweisen und nicht als Belege anerkennen wollten.
Diese Behauptung ist sehr schnell und einfach zu widerlegen, da nachweislich viele Anhänger der Ar-raiy-Schule für die Verschriftlichung der Hadiithe waren, wie Ham-maad Bnu-salamah حماد بن سلمة, Al-laith Bnu-sa’d الليث بن سعد, Zaaidah Bnu-qudaamah زائدة بن قدامة und Yahya Bnul-laimaan يحيى بن الليمان, und viele Anhänger der Hadiith-Schule gegen die Verschriftlichung der Sunnah waren, wie Ibnu-‘ulaiyah إبن علية, Huschaim Bnu-baschiir هشيم بن بشير und ‘Aasim Bnu-dumrah عاصم بن ضمرة.
Notes:
- Ignaz Goldziher, Ungar (1850 – 1921), Orientalist, hat Zeit seines Lebens in Budapest gewirkt, sein Haus bezeichnete er als einen “Tempel des gottgläubigen messianischen Judentums”. ↩
- Sprenger, Aloys, (03.09.1813 Nassereith (Ti.) – 19.12.1893 Heidelberg), Mediziner und Orientalist. Lebte ab 1843 in Indien, wo er sich große Verdienste um die Erhaltung des islam. Kulturerbes und die Sprache Urdu (heute pakistan. Nationalsprache) erwarb. Ab 1858 Univ.-Prof. f. oriental. Sprachen in Bern. ↩
- Dozy Reinhard Pieter Anne, Niederländer (21.02.1820 – 29.04.1883), war Orientalist und Arabischer Philologe. ↩