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Stellung und Verpflichtetheit der Sunnah


Die Hadiithe haben prinzipiell eine Gemeinsamkeit mit dem Quraan, da beide Al-wahy الوحي, d. h. der Übermittlung von Allaah (ta’aala) entstammen.
Der wesentliche Unterschied zwischen beiden, dem Quraan und den Hadiithen, liegt darin, dass der Quraan ein über den Engel Dschibriil wörtlich überlieferter Wahy ist, für dessen Formulierung und Inhalt weder Dschibriil (‘alaihis-salaam) noch der Gesandte Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) irgendwelche Verantwortung tragen. Ihre Aufgabe lag ausschließlich darin, ihn an die Menschen so weiterzugeben, wie sie ihn empfangen hatten. Die Formulierung der Hadiithe wird dagegen dem Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) zugeschrieben. Für deren Inhalt trägt er jedoch nur dann keine Verantwortung, wenn die Hadiithe direkt Al-wahy und nicht seinem Idschtihaad, seiner eigenen Urteilsfindung, entstammten.
Zu bemerken ist dabei, dass Allaah (ta’aala) jeden Seiner Gesandten, somit auch den Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) in Diin-Angelegenheiten vor Irrtum schützt.

Wichtigste Unterschiede zwischen dem Quraan und der Sunnah

  • Sowohl der Wortlaut als auch der Inhalt und die Bedeutung des gesamten Quraan entstammen direkt dem Wahy des Schöpfers, Allaah (ta’aala), während nur der Inhalt der Sunnah dem Wahy von Allaah (ta’aala) entstammt. Der Wortlaut der Sunnah ist dagegen die eigene Formulierung des Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam).
  • Der Wahy des Quraan erfolgte ausschließlich durch die direkte Übermittlung
    über den Engel Dschibriil (‘alaihis-salaam), während der Wahy der Sunnah auf verschiedene Arten und Wege erfolgte, z. B. durch den Engel Dschibriil (‘alaihis-salaam), durch die Inspiration und Eingebung Allaahs oder durch den eigenen Idschtihaad des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam).
  • Sowohl der Inhalt als auch der Wortlaut des Quraan wurden sowohl schriftlich als auch mündlich ausschließlich durch eindeutig gesicherte Mutawaatir-Überlieferung tradiert, während der Inhalt und der Wortlaut der Sunnah im Vergleich dazu nur zum Teil durch eindeutig gesicherte Mutawaatir-Überlieferung tradiert wurden. Der größte Teil der Sunnah-Inhalte und -Texte wurde durch nicht eindeutig gesicherte Aahaad-Überlieferungen tradiert.
  • Die Rezitation von Teilen des Quraan im rituellen Gebet ist unabdingbar, während die Rezitation der Sunnah anstelle des Quraan das rituelle Gebet annulliert.
  • Die Rezitation des Quraan ist nur im Zustand der Tahaarah 1 erlaubt, während das Zitieren der Sunnah immer erlaubt ist, auch im Nicht-Tahaarah-Zustand.
  • Die Rezitation des Quraan muss wortwörtlich wie im Original erfolgen, während das Zitieren der Sunnah im Grunde sinngemäß erfolgen kann und darf.

Sowohl der Quraan als auch die Sunnah müssen von den Muslimen berücksichtigt und geachtet werden. Dazu fordert der Quraan in eindeutiger Weise auf:

يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُوٓاْ أَطِيعُواْ ٱللَّهَ وَأَطِيعُواْ ٱلرَّسُولَ وَأُوْلِي ٱلۡأَمۡرِ مِنكُمۡۖ فَإِن تَنَٰزَعۡتُمۡ فِي شَيۡءٖ فَرُدُّوهُ إِلَى ٱللَّهِ وَٱلرَّسُولِ إِن كُنتُمۡ تُؤۡمِنُونَ بِٱللَّهِ وَٱلۡيَوۡمِ ٱلۡأٓخِرِۚ ذَٰلِكَ خَيۡرٞ وَأَحۡسَنُ تَأۡوِيلًا ٥٩

Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Gehorcht Allaah und gehorcht dem Gesandten und den Verantwortlichen unter euch. Wenn ihr euch über eine Angelegenheit streitet, dann legt sie Allaah und seinem Gesandten vor, solltet ihr den Iimaan an Allaah und an den Jüngsten Tag verinnerlicht haben. Dies ist besser und hat einen besseren Abschluss. 2

Belege für die Verpflichtetheit der Sunnah

1. Der Iimaan an den Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) als den letzten Propheten und Gesandten
Der Quraan verpflichtet i. A. zum Iimaan an alle Gesandten Allaahs:

مَّا كَانَ ٱللَّهُ لِيَذَرَ ٱلۡمُؤۡمِنِينَ عَلَىٰ مَآ أَنتُمۡ عَلَيۡهِ حَتَّىٰ يَمِيزَ ٱلۡخَبِيثَ مِنَ ٱلطَّيِّبِۗ وَمَا كَانَ ٱللَّهُ لِيُطۡلِعَكُمۡ عَلَى ٱلۡغَيۡبِ وَلَٰكِنَّ ٱللَّهَ يَجۡتَبِي مِن رُّسُلِهِۦ مَن يَشَآءُۖ فَ‍َٔامِنُواْ بِٱللَّهِ وَرُسُلِهِۦۚ وَإِن تُؤۡمِنُواْ وَتَتَّقُواْ فَلَكُمۡ أَجۡرٌ عَظِيمٞ ١٧٩

Allaah gebührt es niemals, die Iimaan-Bekennenden 3 so zu lassen, wie ihr gegenwärtig seid, bis Er die Schlechten von den Guten auseinander trennt. Allaah gebührt es niemals, euch einen Einblick in das Verborgene zu gewähren. Doch Allaah erwählt von Seinen Gesandten aus, wen Er will. So verinnerlicht den Iimaan an Allaah und an Seine Gesandten! Wenn ihr den Iimaan verinnerlicht und euch ehrfürchtig erweist 4, so ist für euch übergroße Belohnung bestimmt. 5

Zur Verpflichtung zum Iimaan an den Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagt Allaah (ta’aala) im Quraan:

قُلۡ يَٰٓأَيُّهَا ٱلنَّاسُ إِنِّي رَسُولُ ٱللَّهِ إِلَيۡكُمۡ جَمِيعًا ٱلَّذِي لَهُۥ مُلۡكُ ٱلسَّمَٰوَٰتِ وَٱلۡأَرۡضِۖ لَآ إِلَٰهَ إِلَّا هُوَ يُحۡيِۦ وَيُمِيتُۖ فَ‍َٔامِنُواْ بِٱللَّهِ وَرَسُولِهِ ٱلنَّبِيِّ ٱلۡأُمِّيِّ ٱلَّذِي يُؤۡمِنُ بِٱللَّهِ وَكَلِمَٰتِهِۦ وَٱتَّبِعُوهُ لَعَلَّكُمۡ تَهۡتَدُونَ ١٥٨

Sag: ‚Ihr Menschen! Ich bin der Gesandte von Allaah zu euch allesamt, Demjenigen, Dem die Himmel und die Erde gehören. Es gibt keinen Gott außer Ihm. Er macht lebendig und lässt sterben. So verinnerlicht den Iimaan an Allaah und an Seinen Gesandten, den lese- und schreibunkundigen Propheten, denjenigen, der den Iimaan an Allaah und an Seine Worte verinnerlicht. Folgt ihm, damit ihr Rechtleitung findet.” 6

2.    Im Quraan gibt es zahlreiche Aayaat, die zum Befolgen des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) verpflichten: Zusätzlich zu der Aayah (4:59) sagt der Quraan weiter:

وَأَطِيعُواْ ٱللَّهَ وَأَطِيعُواْ ٱلرَّسُولَ وَٱحۡذَرُواْۚ فَإِن تَوَلَّيۡتُمۡ فَٱعۡلَمُوٓاْ أَنَّمَا عَلَىٰ رَسُولِنَا ٱلۡبَلَٰغُ ٱلۡمُبِينُ ٩٢

Gehorcht Allaah, gehorcht dem Gesandten und nehmt euch in Acht! Doch solltet ihr euch abwenden, so wisst, dass Unserem Gesandten nur das deutliche Verkünden obliegt. 7

مَّن يُطِعِ ٱلرَّسُولَ فَقَدۡ أَطَاعَ ٱللَّهَۖ وَمَن تَوَلَّىٰ فَمَآ أَرۡسَلۡنَٰكَ عَلَيۡهِمۡ حَفِيظٗا ٨٠

Wer dem Gesandten gehorcht, der hat bereits Allaah gehorcht. Doch wer sich abwendet, (siehe) Wir haben dich zu ihnen nicht als Aufseher entsandt. 8

مَّآ أَفَآءَ ٱللَّهُ عَلَىٰ رَسُولِهِۦ مِنۡ أَهۡلِ ٱلۡقُرَىٰ فَلِلَّهِ وَلِلرَّسُولِ وَلِذِي ٱلۡقُرۡبَىٰ وَٱلۡيَتَٰمَىٰ وَٱلۡمَسَٰكِينِ وَٱبۡنِ ٱلسَّبِيلِ كَيۡ لَا يَكُونَ دُولَةَۢ بَيۡنَ ٱلۡأَغۡنِيَآءِ مِنكُمۡۚ وَمَآ ءَاتَىٰكُمُ ٱلرَّسُولُ فَخُذُوهُ وَمَا نَهَىٰكُمۡ عَنۡهُ فَٱنتَهُواْۚ وَٱتَّقُواْ ٱللَّهَۖ إِنَّ ٱللَّهَ شَدِيدُ ٱلۡعِقَابِ ٧

Was Allaah Seinem Gesandten von den Bewohnern der Ortschaften zur Beute machte, ist für Allaahs (Sache), für den Gesandten, für die von der Verwandtschaft, für die Waisen, für die Armen und für den in Not geratenen Reisenden, damit das Vermögen nicht nur unter den Reichen von euch zirkuliere. Was der Gesandte euch gab, so nehmt es! Und was er euch verbot, so lasst davon ab! Und erweist euch ehrfürchtig 9 Allaah gegenüber! Allaah ist gewiss hart im Strafen. 10

Ÿفَلَا وَرَبِّكَ لَا يُؤۡمِنُونَ حَتَّىٰ يُحَكِّمُوكَ فِيمَا شَجَرَ بَيۡنَهُمۡ ثُمَّ لَا يَجِدُواْ فِيٓ أَنفُسِهِمۡ حَرَجٗا مِّمَّا قَضَيۡتَ وَيُسَلِّمُواْ تَسۡلِيمٗا ٦٥

Nein, bei deinem Herrn! Sie werden den Iimaan nicht verinnerlichen, bis sie dich über das richten lassen, was zwischen ihnen strittig ist, und dann innerlich keine Abneigung dem gegenüber empfinden, was du entschieden hast, und sich deiner (Entscheidung) widerspruchslos fügen. 11

3. In der Sunnah selbst wird diese Verpflichtung zur Beachtung der Sunnah-Inhalte wiederholt bestätigt. Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:

تَرَكْتُ فِيكُمْ أَمْرَيْنِ لَنْ تَضِلُّوا مَا تَمَسَّكْتُمْ بِهِمَا كِتَابَ اللَّهِ وَسُنَّةَ نَبِيِّهِ .

“Ich hinterlasse euch zwei Dinge, ihr werdet nicht irregehen, solange ihr euch daran haltet: Allaahs Schrift und die Sunnah Seines Propheten.” (Malik)

أَلَا إِنِّي أُوتِيتُ الْكِتَابَ وَمِثْلَهُ مَعَهُ .

“Mir wurde zuteil die Schrift (Allaahs) und Ihresgleichen mit ihr. (A)

(..) فَعَلَيْكُمْ بِسُنَّتِي وَسُنَّةِ الْخُلَفَاءِ الْمَهْدِيِّينَ الرَّاشِدِينَ تَمَسَّكُوا بِهَا .

“(…) So folgt meiner Sunnah und der Sunnah der rechtgeleiteten Nachfolger (Chaliifah) nach mir. Haltet euch daran fest!” (A)

يُوشِكُ الرَّجُلُ مُتَّكِئًا عَلَى أَرِيكَتِهِ يُحَدَّثُ بِحَدِيثٍ مِنْ حَدِيثِي فَيَقُولُ بَيْنَنَا وَبَيْنَكُمْ كِتَابُ اللَّهِ عَزَّ وَجَلَّ مَا وَجَدْنَا فِيهِ مِنْ حَلَالٍ اسْتَحْلَلْنَاهُ وَمَا وَجَدْنَا فِيهِ مِنْ حَرَامٍ حَرَّمْنَاهُ أَلَّا وَإِنَّ مَا حَرَّمَ رَسُولُ اللَّهِ صَلَّى اللَّه عَلَيْهِ وَسَلَّمَ مِثْلُ مَا حَرَّمَ اللَّهُ.

“Bald wird es einen Mann geben, der sich an seiner Lehne anlehnen wird. Wenn ihm ein Hadiith von meinen Hadiithen erzählt wird, so wird er sagen: ‚Unter uns und euch urteilt die Schrift Allaahs (‘az-za wa dschall: Des Erhabenen und Majestätischen), was wir darin erlaubt finden, erklären wir für erlaubt, und was wir darin verboten finden, erklären wir für verboten.’ Doch, was Allaahs Gesandter (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) für verboten erklärt, gleicht dem, was Allaah für verboten erklärt.” (I)

4. Durch den Idschmaa’ (Gelehrtenkonsens) ist die Ummah verpflichtet, die Sunnah zu befolgen. Denn der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) hat nur das verkündet, was Allaah (ta’aala) ihm geboten hat:

وَإِذَا لَمۡ تَأۡتِهِم بِ‍َٔايَةٖ قَالُواْ لَوۡلَا ٱجۡتَبَيۡتَهَاۚ قُلۡ إِنَّمَآ أَتَّبِعُ مَا يُوحَىٰٓ إِلَيَّ مِن رَّبِّيۚ هَٰذَا بَصَآئِرُ مِن رَّبِّكُمۡ وَهُدٗى وَرَحۡمَةٞ لِّقَوۡمٖ يُؤۡمِنُونَ ٢٠٣

Als du ihnen keine Quraan-Einheit 12 übermittelt hast, sagten sie: “Würdest du sie doch zusammenstellen.” Sag: ‚Ich folge nur dem, was mir von meinem Herrn an Mitteilung 13 zuteil wird.’ Dies ist (der Quraan) mit Erläuterungen von eurem Herrn, eine Rechtleitung und eine Gnade für Menschen, die den Iimaan verinnerlichen. 14

 

Notes:

  1. Tahaarah bezeichnet die rituelle Ganzkörperreinigung und die rituelle Gebetswaschung, mit denen rituelle Handlungen vollzogen werden, insbesondere das Verrichten des rituellen Gebets. Siehe dazu Band 4 der Islamologischen Enzyklopädie „Fiqhul-’ibaadaat“.
  2. Quraan (4:59)
  3. Ursprünglich: „Muءminiin“. Diese sind Menschen und Dschinn, die den Iimaan verinnerlichen.
  4. Ursprünglich: „tawqa-gemäß handelt, siehe Glossar.
  5. Quraan (3:179)
  6. Quraan (7:158)
  7. Quraan (5:92)
  8. Quraan (4:80)
  9. Ursprünglich: „taqwa-gemäß“, siehe Glossar.
  10. Quraan (59:7)
  11. Quraan (4:65)
  12. Ursprünglich: „Aayah“. Aayah ist u. a. die kleinste selbständige Einheit des Quraan.
  13. Ursprünglich: „Wahy“, siehe Glossar.
  14. Quraan (7:203)