.
.

.

Die Schreibkultur im ersten Jahrhundert nach der Hidschrah


Mit dem Islam und seiner Aufforderung zum Streben nach Wissen kam die Wende in Bezug auf die Verbreitung der Schreib- und Lesekunst unter den Muslimen auf der arabischen Halbinsel. Folgende Faktoren haben zu dieser Wende geführt:

  • Die eindringliche Aufforderung zum Streben nach Wissen
    Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) hat die Muslime immer wieder eindringlich zum Streben nach Wissen aufgerufen. Er selbst hat die Muslime gelehrt und dabei eine vielfältige und erfolgreiche didaktische Methoden eingesetzt. Die Beherrschung der Lese- und Schreibkunst wurde von ihm so hoch eingestuft, dass er den polytheistischen Gefangenen aus der Schlacht von Badr das Angebot machte, sich freizukaufen bzw. ihre Freiheit wieder zu erlangen, wenn sie 10 muslimischen Kindern das Lesen und Schreiben lehrten. So haben sich bereits die ersten Muslime sowohl Männer und Jungen als auch Frauen und Mädchen bemüht, Schreiben und Lesen zu erlernen. Von der Sahaabiyyah Asch-schifaa’ Bintu-‘abdil-laah الشفاء بنت عبد الله ist in Bezug auf das Erlernen des Lesens und Schreibens bei Frauen folgender Hadiith überliefert:

دَخَلَ عَلَيَّ رَسُولُ اللَّهِ صَلى اللهُ عَليهِ وَسَلَّم وَأَنَا عِنْدَ حَفْصَةَ، فَقَالَ لِي: أَلَا تُعَلِّمِينَ هَذِهِ رُقْيَةَ النَّمْلَةِ كَمَا عَلَّمْتِيهَا الْكِتَابَةَ.

“Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) trat bei mir ein, während ich bei Hafsah war, und sagte mir: “Willst du ihr nicht die Behandlung von An-namlah 1 beibringen, wie du ihr das Schreiben beigebracht hast?” (A, AH)

Die neuen Moscheen neben der Prophetenmoschee in Al-madiinah entwickelten sich in dieser Zeit zu Zentren, in denen nicht nur gebetet, sondern auch das Lesen und Schreiben gelehrt und gelernt wurde. Zusätzlich zu den Moscheen gab es bereits Schulen sog. “Kataatiib كتاتيب“, an denen die Kinder Lesen und Schreiben lernten.

  • Die Verschriftlichung des Quraan
    Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) hatte 40 namentlich bekannte Schreiber, die in seiner Anwesenheit die nach und nach hinabgesandten Teile des Quraan niedergeschrieben haben. Dazu zählen die ersten vier Kalifen Abu-bakr, ‘Umar, ‘Uthmaan und ‘Aliy, Ubai Bnu-ka’b, Zaid Bnu-thaabit, Mu’aadh Bnu-dschabal, Abaan Bnu-sa’iid Bnul-‘aasأبان بن سعيد بن العاص , Arqam Bnul-arqam, Thaabit Bnu-qais, Handhalah Bnur-rabii’, Chaalid Bnu- sa’iid, Chaalid Bnul-waliid, Az-zubair Bnul-‘auwaam und Mu’aawiyah Bnu-abi-sufyaan.
    Da der Quraan immer wieder zum Lernen aufgefordert hat, haben sich viele Muslime bemüht, sich Wissen anzueignen und insbesondere Wissen über den Quraan. Von dem Sahaabiy Abud-dardaa’ أبوالدرداء (gest. 32/652) (radial-laahu ‘anh) wurde überliefert, dass er in der großen Moschee von Damaskus mehr als 1.600 Quraan-Schüler hatte, die er in Gruppen zu jeweils 10 Schülern einteilte. Für jede Gruppe bestimmte er einen Leiter, der sie unterwies und ihre Fehler korrigierte, während Abud-dardaa’ alle vom Mihraab 2 aus beobachtete. 3
    Der Taabi’iy Ad-dah-haak Bnu-muzaahim الضحاك بن مزاحم (gest. 105/723) hatte sogar mehr als 3.000 Schüler, die er unentgeltlich unterrichtete. Wegen der weiten Entfernungen zwischen den verschiedenen Lerngruppen pflegte er den Weg zu seinen Schülern auf dem Rücken seines Esels zurückzulegen.
  • Die Staatsgesetze und -verträge
    Nicht nur der Quraan wurde damals schriftlich aufgezeichnet, sondern auch Verträge des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) mit den Nichtmuslimen, wichtige Abkommen und Gesetze. Historisch überliefert ist z. B. “die Charta von Al-madiinah: Sahiifatul-madiinah صحيفة المدينة“, eine erste schriftliche Verfassung des Stadtstaates Al-madiinah, in dem die Rechte und Pflichten die verschiedenen Bevölkerungs-gruppen festgelegt sind. Auch “der Vertrag von Al-hudaibiyah صلح الحديبية” im Jahre 6 nach der Hidschrah (627 nach Christus) wurde schriftlich fixiert. Bekannt sind auch die schriftlichen Abkommen zwischen dem Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) und den arabischen christlichen Stämmen in Nadschraan.
    Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) hat zudem Anweisungen für seine Statthalter schriftlich verfassen lassen, wie z. B. seine sechs-seitige Schrift für seinen Statthalter in Nadschraan ‘Amr Bnu-hazm Al-ansaariy عمرو بن حزم الأنصاري gerichtet an die Bewohner des Jemen; seine Schrift an die Banu-zuhair und seine Schrift über die Pflichtabgabe des Vermögens (die Zakaah) für den Sahaabiy Al-‘alaa’ Al-hadramiy العلاء الحضرمي .
    Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) ließ außerdem mehr als 280 Briefe verfassen, die er mit seinem Stempel versehen an die Könige von Persien und von Ägypten, an den byzantinischen Kaiser in Damaskus, an die arabischen Fürsten, an Juden, an Christen und an die arabischen Stämme auf der arabischen Halbinsel verschickte. 4 Er hatte sogar schon Schreiber für Fremdsprachen wie Zaid Bnu-thaabit (radial-laahu ‘anh).
    Trotz der vielen o. g. Beispiele der Verschriftlichung von Dokumenten, Verträgen und Abkommen wurden Hadiithe in der Zeit nach der Hidschrah und bis zum Tode des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) nur selten schriftlich festgehalten. Dafür sind folgende Beispiele überliefert:
    Imaam Al-buchaariy und Imaam At-tirmidhiy überlieferten, dass der große Sahaabiy Sa’d Bnu-‘ubaadah (gest. 15/636) über eine Schrift mit Hadiithen verfügte, aus der sein Sohn gewöhnlich zitierte.
    Der Sahaabiy Samurah Bnu-dschundub سمرة بن جندب (gest. 60/580) sammelte Hadiithe in einer großen Schrift und vererbte diese an seinen Sohn Sulaimaan, der aus dieser tradierte. 5
    Der Sahaabiy ‘Abdul-laah Bnu-‘amr Bnul-‘aas عبد الله بن عمرو بن العاص (gest. 65/685) (radial-laahu ‘anh) hat viele Hadiithe aufgeschrieben. Seine Schrift wurde bekannt unter dem Namen “assahiifatussaadiqah الصحيفة الصادقة: das wahrhaftige Schriftblatt”. Sie umfasste nach der Aussage von Imaam Ibnul-athiir إبن الأثير in seinem Werk “usdul-ghaabah” über 1.000 Hadiithe.
    Dieses Schriftstück ist ein wichtiger Beleg dafür, dass der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) bereits zu seiner Lebzeit erlaubte, Hadiithe aufzuschreiben.
    ‘Amr Bnu-schu’aib عمرو بن شعيب (gest. 120/738), der Enkel von ‘Abdul-laah Bnu-‘amr, hat viele der Hadiithe von “assahiifatussaadiqah” später über seinen Vater über seinen Großvater überliefert, die mehrheitlich im Musnad-Werk von Imaam Ahmad Bnu-hanbal (436 Hadiithe), in den Sunan-Werken von Abu-daawuud, An-nasaaiy, Ibnu-maadschah und At-tirmidhiy zu finden sind. 6
    – Auch جابر بن عبد الله الأنصاري Dschaabir Bnu-‘abdil-laah Al-ansaariy (16/ 606 – 78/697) (radial-laahu ‘anh) hatte ein Schriftblatt “Sahiifah” mit Hadiithen. Von diesem Blatt hat der Taabi’iy Qataadah Bnu-di’aamah As-saduusiy بن دِعَامة السدوسي قتادة (gest. 118/736) überliefert.
    – Der Sahaabiy Ibnu-‘abbaas (radial-laahu ‘anh) (3/619 – 68/688) zählte zu den hervorragenden Gelehrten in allen Disziplinen und hinterließ nach seinem Tod viele Bücher und Schriften.


Notes:

  1. An-namlah ist eine Bezeichnung für eine Krankheit.
  2. Die Stelle, an der der Imaam beim Gemeinschaftsgebet in Moschee steht und das Gebet leitet.
  3. Siehe dazu das Buch „ghaayatun-nihaayah fi tabaqaatil-qur-raa’ غاية النهاية في طبقات القراء“ von dem Gelehrten Muhammad Bnul-dschazariy محمد بن الجزري.
  4. Imaam Muhammad Bnu-tuuluun Ad-dimaschqiy (gest. 953/1546) verfasste ein Werk ”i’laamus-saailiin ’an kutubi saiyidil-mursaliin إعلام السائلين عن كتب سيد المرسلين”, in dem er 49 Schriften und Briefe des Gesandten (sallal-laahu ’alaihi wa sallam) auflistete.
  5. Siehe dazu “tahdhiibut-tahdhiib تهذيب التهذيب” von dem Gelehrten Ibnu-hadschar.
  6. Siehe “tahdhiibut-tahdhiib تهذيب التهذيب” von dem Gelehrten Ibnu-hadschar, und „al-muhaddithulfaasil bainar-raawi wal-waa‘i المحدث الفاصل بين الراوي والواعي“ von Al-hasan Ar-raamahurmuziy الحسن الرَّامَهُرْمُزِيّ.