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Zweite Fiqh-Regel: al-yaqiinu la yuzaalu bisch-schakk اليقين لا يزال بالشك


“Spekulatives annulliert Unwiderrufbares nicht” bzw.
“Unbelegtes beeinträchtigt das Belegte nicht” bzw.
“Gesicherte Gewissheit wird durch Spekulation nicht widerrufen.”

Erläuterung der Regel

Sollten sich Eventualitäten, Zweifel, Bedenken, Spekulationen oder Vermutungen (schakk) über etwas ergeben, nachdem dies sich als unbestreitbare bzw. unerschütterbare Gewissheit bestätigt hat, dann beeinträchtigen diese das Gewisse und Unbestreitbare in keiner Weise.

  • Ursprung dieser Regel aus dem Quraan
    Allaah (ta’aala) sagte im Quraan:

وَمَا يَتَّبِعُ أَكۡثَرُهُمۡ إِلَّا ظَنًّاۚ إِنَّ ٱلظَّنَّ لَا يُغۡنِي مِنَ ٱلۡحَقِّ شَيۡ‍ًٔاۚ إِنَّ ٱللَّهَ عَلِيمُۢ بِمَا يَفۡعَلُونَ ٣٦

Nichts folgen die meisten von ihnen außer einer Spekulation. Doch das Spekulieren ersetzt nichts von der Wahrheit. Gewiss, Allaah ist allwissend über das, was sie tun. 1

  • Ursprung dieser Regel aus der Sunnah
    Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:

إِذَا وَجَدَ أَحَدُكُمْ فِي بَطْنِهِ شَيْئًا فَأَشْكَلَ عَلَيْهِ أَخَرَجَ مِنْهُ شَيْءٌ أَمْ لَا فَلَا يَخْرُجَنَّ مِنَ الْمَسْجِدِ حَتَّى يَسْمَعَ صَوْتًا أَوْ يَجِدَ رِيحًا.

“Sollte jemand von euch in seinem Bauch etwas verspüren und danach Zweifel haben, ob es entwichen ist oder nicht, dann soll er die Moschee nicht verlassen, bis er ein Geräusch hörte oder etwas roch.” (M)

إِذَا شَكَّ أَحَدُكُمْ فِي صَلَاتِهِ فَلَمْ يَدْرِ كَمْ صَلَّى ثَلَاثًا أَمْ أَرْبَعًا فَلْيَطْرَحِ الشَّكَّ وَلْيَبْنِ عَلَى مَا اسْتَيْقَنَ.

“Sollte jemand von euch im Gebet Zweifel haben und sich nicht sicher sein, ob er drei oder vier Rak’ah verrichtete, dann soll er den Zweifel beiseite lassen und auf das aufbauen, worin er sich sicher ist.” (M)

  • Anwendungsbereiche dieser Regel
    Diese Regel hat einen übergeordneten Charakter und wird wie alle anderen Regeln in allen Fiqh-Bereichen angewandt, z. B. wenn ein Darlehen, ein Urteil, ein Scharii’ah-Gebot oder ein Vertrag sich durch einen definitiven Beleg (qat‘iy) bestätigen lassen, dann gelten sie, und der Betroffene hat sich daran zu halten.

Unterregeln dieser Fiqh-Regel

  • al-aslu baqaa-u ma kaana ‘ala ma kaan, الأصل بقاء ما كان على ما كان
    “Die Regel ist, dass alles so bleibt, wie es war”; bzw.
    “was war, bleibt, wie es war.”
    Diese Regel drückt al-istishaab الاستصحاب aus, das bedeutet, dass eine Angelegenheit oder ein Zustand den bisherigen Status behält, solange nichts Neues hinzukam, dass diesen verändert.
    Beispiele:
    – Verheiratete bleiben verheiratet, solange kein sicherer Beleg für die Scheidung oder die Nichtig-Erklärung dieser Ehe vorliegt.
    – Ein Vermisster gilt als lebend, solange sein Tod nicht gewiss festgestellt oder er durch ein Gerichtsurteil für tot erklärt wurde.
    – Wenn man sich sicher war, dass man seine rituelle Gebetswaschung vollzogen hat, und dann Zweifel darüber hatte, ob seine rituelle Gebetswaschung noch gilt, dann geht man davon aus, dass diese Gebetswaschung noch gilt.
  • ma thabata bi-yaqiinin la yartafi’u illa bi-yaqiin, ما ثبت بيقين لا يرتفع إلا بيقين
    “Was sich auf gesicherte Gewissheit stützt, wird nur durch gesicherte Gewissheit aufgehoben”, bzw.
    “nur Gesichertes annulliert Gesichertes.”
  • ma thabata bi-zamaanin yuhkamu bi-baqaaihi ma lam yudschadu daliilun ‘ala chilaafihi, ما
    ثبت بزمان يحكم ببقائه ما لم يوجد دليل على خلافه
    “Was zu einer Zeit feststand, dessen Fortbestand wird angenommen, solange es keinen Beleg für das Gegenteil gibt”, bzw.
    “was fortbestand, besteht, bis sein Gegenteil steht.”
    Diese Regel ist identisch mit der vorherigen Regel.
  • al-aslu fil-umuuril-‘aaridatil-‘adam, الأصل في الأمور العارضة العدم
    Die Regel bei den gewohntheitswidrigen Dingen ist, dass es sie nicht gibt”; bzw.
    “das Ungewöhnliche wird ignoriert.”
    Diese Regel besagt, dass alles, was dem Ursprung oder dem Üblichen widerspricht, ohne festen Beleg nicht beachtet und zurückgewiesen wird.
    Beispiele:
    – Wenn man einen Vertrag gegen eine Person geltend macht, der von dieser Person bestritten wird, dann gilt dieser Vertrag ohne festen Beleg nicht.
    – Wenn man etwas kauft und später Mängel geltend machen will, dann gilt es ohne Beweis nicht, da die Regel “die Fehlerfreiheit des Verkauften” ist.
    – Wenn Erbberechtigte behaupten, dass der Erblasser sein Testament als Geistesgestörter verfasste, um es für ungültig erklären zu lassen, dann müssen sie diese Behauptung beweisen, da die Geistesgestörtheit beim Menschen nicht die Regel ist.
  • al-aslu baraa-atudh-dhimmah, الأصل براءة الذمة
    Die Regel ist die Unbelastung bzw. die Nicht-Verpflichtung”; bzw.
    “der Mensch ist eigentlich frei von Verpflichtungen.”
    Diese Regel besagt, dass der Mensch unbelastet und frei von jeglicher Verschuldung und Verpflichtung geboren wird. Dass der Mensch zu irgendwelchen Handlungen verpflichtet ist, muss erst belegt werden.
    Beispiel:
    Jemand behauptet ohne Beleg, dass eine andere Person Schulden bei ihm habe, seine Behauptung wird zurückgewiesen.
  • al-aslu idaafatul-haadithi ila aqrabi auqaatih, الأصل إضافة الحادث إلى أقرب أوقاته
    Die Regel ist, dass ein Ereignis auf seine nächstliegende Zeit zurückzuführen ist.”
    Beispiele:
    – Man kaufte etwas und macht an der Ware Mängel geltend, die vom Verkäufer bestritten werden, dann gelten die Mängel für die Zeit nach der Lieferung, es sei denn, sie könnten sich naturgemäß innerhalb dieser Zeit nicht ereignen.
    – Man stellt Samen auf seiner Kleidung fest, dann vollzieht man die rituelle Ganzwaschung und wiederholt seine rituellen Gebete für die Zeit nach dem letzten Schlaf.
  • man tayaq-qanal-fi’la wa schakka fil-qaliili au-il-kathiiri ‘amila ‘alal-qaliili li-an-nahul-mutayaqqan, من تيقن الفعل وشك في القليل أو الكثير عمل على القليل لأنه المتيقن
    “Wer sich der Durchführung einer Handlung sicher war, aber Zweifel über deren vollständigen Vollzog hegte, geht von der unvollständigen Durchführung aus (und ergänzt sie dementsprechend), da diese das Gewisse darstellt.”
    Beispiele:
    – Man hegt Zweifel, ob man drei oder vier Rak’ah verrichtete, dann geht man von drei Rak’ah aus und verrichtet sein Gebet dementsprechend.
    – Man hegt Zweifel, ob man einen unabdingbaren Pflichtteil (rukn) beim rituellen Gebet vergessen hat, dann wiederholt man das Gebet.
  • al-halaalu ma lam yadullad-daliilu ‘ala tahriimihi, الحلال ما لم يَـدُلَّ الدليل على تحريمه
    Halaal ist alles, dessen Zugehörigkeit zum Haraam vom Beleg nicht bewiesen wurde”; bzw.
    halaal ist, was nicht haraam ist.”
    Diese Meinung wird durch den Quraan und die Sunnah belegt:

    يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُواْ لَا تَسۡ‍َٔلُواْ عَنۡ أَشۡيَآءَ إِن تُبۡدَ لَكُمۡ تَسُؤۡكُمۡ وَإِن تَسۡ‍َٔلُواْ عَنۡهَا حِينَ يُنَزَّلُ ٱلۡقُرۡءَانُ تُبۡدَ لَكُمۡ عَفَا ٱللَّهُ عَنۡهَاۗ وَٱللَّهُ غَفُورٌ حَلِيمٞ ١٠١

    Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Fragt nicht nach Dingen, die, wenn sie euch verdeutlicht würden, euch unangenehm wären. Doch wenn ihr danach fragt, während der Quraan hinabgesandt wird, werden sie euch verdeutlicht. Allaah hat sie euch vergeben. Allaah ist allvergebend, allnachsichtig. 2

    إنَّ اللهَ حدَّ حدُوداً فَلا تَعْتَدوهَا، وفَرَضَ أشْياءَ فَلا تُضَيِعُوها، وَحَرَّمَ أشيَاءَ فَلا تَنتَهِكُوها، وَسَكَتَ عَن أشيَاءٍ رَحْمَةً بِكُمْ غَيرَ نَسيَانِ فَلا تَبْحَثوا عَنْها.

    Allaah hat Grenzen gesetzt, so überschreitet sie nicht! Auch hat Er Dinge vorgeschrieben, so vernachlässigt sie nicht! Und Er hat Dinge für haraam erklärt, so verletzt sie nicht! Auch ließ Er manche Dinge unerwähnt bleiben aus Gnade euch gegenüber, ohne dass Er sie vergessen hätte, so forscht nicht nach ihnen! (Ad-daaraqutniy)

    Diese Aussagen sind Aufforderungen an die Muslime, sich das Leben nicht schwer zu machen und Regelungen für jede Angelegenheit unmittelbar von Allaah (ta’aala) bzw. von Seinem Gesandten zu erfragen, weil danach Ihre Verpflichtungen nur anwachsen werden. Deswegen sagte der Prophet (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam):

    دَعُونِي مَا تَرَكْتُكُمْ إِنَّمَا هَلَكَ مَنْ كَانَ قَبْلَكُمْ بِسُؤَالِهِمْ وَاخْتِلَافِهِمْ عَلَى أَنْبِيَائِهِمْ فَإِذَا نَهَيْتُكُمْ عَنْ شَيْءٍ فَاجْتَنِبُوهُ وَإِذَا أَمَرْتُكُمْ بِأَمْرٍ فَأْتُوا مِنْهُ مَا اسْتَطَعْتُمْ.

    Lasst mich, solange ich euch lasse! Denn diejenigen vor euch sind nur aufgrund ihrer Fragerei und Streitigkeiten mit ihren Propheten untergegangen. Wenn ich euch etwas verbiete, dann meidet es, und wenn ich euch etwas gebiete, dann vollzieht davon, was ihr könnt. (B, M)

    Auch folgende Überlieferung des Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) bestätigt diese Auffassung:

    الْحَلَالُ مَا أَحَلَّ اللَّهُ فِي كِتَابِهِ وَالْحَرَامُ مَا حَرَّمَ اللَّهُ فِي كِتَابِهِ وَمَا سَكَتَ عَنْهُ فَهُوَ مِمَّا عَفَا عَنْهُ.

    Halaal ist das, was Allaah in Seiner Schrift für halaal erklärte; und Haraam ist das, was Allaah in Seiner Schrift für haraam erklärte; und das, was Er unerwähnt bleiben ließ, ist von dem, was Er vergab.” (T, I)

    مَا أَحَلَّ اللَّهُ فِي كِتَابِهِ فهو حَلَالٌ، وَمَا حَرَّمَ اللَّهُ فِي كِتَابِهِ فهو حَرَامٌ. وَمَا سَكَتَ عَنْهُ فَهُوَ عَفوٌ، فَاقبَلوا مِنَ اللهِ عَافِيَتَهُ، فَإنَّ اللهَ لمْ يَكُنْ لِيَنْسى شَيئاً. ثُمَ تَلا: وَمَا كَانَ رَبُّكَ نَسِيًّا.

    Was Allaah in seiner Schrift für halaal erklärte, ist halaal; und was Er für haraam erklärte, ist haraam; und was Er unerwähnt bleiben ließ, ist eine Nachsichtigkeit. So nehmt von Allaah Seine Nachsicht an, denn gewiss Allaah würde nichts vergessen. Dann rezitierte er: “وَمَا كَانَ رَبُّكَ نَسِيًّا, und dein Herr vergisst nie” 3. (Al-bazzaar und Al-haakim)

  • al-aslu fil-ibdaa’it-tahriim, الأصل في الابضاع التحريم
    Die Regel ist, dass das Intim-Sein mit einer Frau haraam ist”, bzw.
    “Sexualität ist eigentlich haraam.”
    Beispiele:
    – Sollten beispielsweise bei einer Frau, die man heiraten möchte, zwei Aspekte vorhanden sein, einmal, dass man sie heiraten darf, und einmal, dass man sie nicht heiraten darf, dann überwiegt das Verbot.
    – Unbekannte Milch-, Halb-, oder Vollschwestern innerhalb einer abzählbaren Gruppe lässt die Ehe mit allen Frauen in dieser haraam werden.
  • al-aslu fil-kalaamil-haqiiqah, الأصل في الكلام الحقيقة
    Die Regel ist, dass man die Wörter im sprachlich ursprünglichen (und nicht im übertragenen) Sinne versteht”, bzw.
    “Die Wörter sind zuerst im sprachlich ursprünglichen Sinne zu verstehen.”
    Beispiele:
    – Man schwört, dass man nichts kaufen oder verkaufen wird. Man verletzt seinen Eid nicht, wenn man eine andere Person zu dieser Handlung bevollmächtigt.
    – Wenn man eine Stiftung (waqf) für seine Kinder hinterlässt, dann profitieren davon nicht die Enkelkinder.
  • la ‘ibrata lid-dalaalah fi muqaabilit-tasriih, لا عبرة للدلالة في مقابل التصريح
    Die Deutung ist wertlos gegenüber der offenkundigen Aussage”, bzw.
    “der Hinweis wird zugunsten einer Erklärung ignoriert.”
    Beispiel:
    Wenn der Käufer die Ware festhalten darf, deutet dies auf die Zustimmung des Verkäufers zur Übergabe der Ware hin. Wenn jedoch der Verkäufer den Preis für die Ware vor deren Übergabe verlangt, dann gilt sein Stillschweigen am Anfang nicht als Zustimmung.
  • la yunsabu ila saakitin qaul, wa laakin-nas-sukuuta fi ma’ridil-haadschati ila bayaanin bayaan, لا ينسب إلى ساكت قول، ولكن السكوت في معرض الحاجة إلى بيان بيان
    Dem Schweigenden werden keine Aussagen zugeschrieben. Doch das Schweigen beim Bedarf einer Erläuterung ist eine Erläuterung.”
    Dies gilt so, da das Nichts-Sagen gewiss ist, während die Deutung im Schweigen wahrscheinlich (dhanniy) bleibt, solange diese Deutung nicht durch Indizien belegt werden kann.
    Beispiele:
    – Das Schweigen der Ehefrau zur Impotenz ihres Manns wird nicht als Zustimmung gewertet.
    – Das Schweigen der Jungfrau bei der Zustimmung zur Ehe, wird als Zustimmung gewertet.
  • la ‘ibrata bit-tawah-hum, لا عبرة بالتوهم
    Das weniger Wahrscheinliche (wahm) ist wertlos”, bzw.
    “Vermutungen werden nicht berücksichtigt”, bzw.
    “die Illusion ist belanglos.”
    Beispiel:
    Man will die Verteilung der Hinterlassenschaft eines Verstorbenen hindern und gibt ohne Belege an, dass dieser Verstorbene an einem anderen Ort einen Erben habe und deshalb die Verteilung seiner Hinterlassenschaft zu unterbinden sei, bis dieser Erbe auftaucht. Diese Forderung wird zurückgewiesen.
  • la hudsch-dschata ma’al-ihtimaalin-naaschi-i ‘an daliil, لا حجة مع الاحتمال الناشئ عن دليل
    Kein Beleg gilt nach dem Vorliegen einer belegbaren Gegenvermutung.”
    Wenn ein Beleg eine belegbare Wahrscheinlichkeit zulässt, die diesen Beleg annullieren oder beeinträchtigen kann, dann wird dieser Beleg nicht mehr beachtet.
    Beispiel:
    Das Zeugnis des Ehepartners zugunsten seines Ehepartners ist nicht zulässig, da die Verwandtschaft ein objektives Zeugnis entscheidend beeinträchtigt.
  • al-mumtani’u ‘aadatan kal-mumtani’i haqiiqatan, الممتنع عادة كالممتنع حقيقة
    Das der Gewohnheit nach Unmögliche gleicht dem der Vernunft nach Unmöglichen.”
    Dies gilt, da das gewöhnlich Unmögliche in der Regel eine mu’dschizah (Wunder) darstellt und nur von Propheten vollbracht werden kann.
    Beispiele:
    – Ein Gleichaltriger behauptet, er sei der Sohn eines ebenfalls Gleichaltrigen; diese Behauptung wird zurückgewiesen.
    – Ein armer Mensch behauptet, dass ein Reicher bei ihm viele Schulden habe; diese Behauptung wird zurückgewiesen.
  • la ‘ibrata bidhdhannil-baiyini chata-uh, لا عبرة بالظن البين خطؤه
    Die offenkundig falsche Höchstwahrscheinlichkeit ist wertlos”, bzw.
    “eine belegt falsche Höchstwahrscheinlichkeit ist nicht zu beachten.”
    Obwohl adhdhann (die Wahrnehmung des mehr Wahrscheinlicheren) im Fiqh die Regel ist, wird es wertlos, wenn es sich als falsch erweist.
    Beispiel:
    Jemand zahlt einer anderen Person Geld in dem Glauben, dass dies eine Teilrückzahlung seiner Schulden sei. Später stellt man fest, dass man die gesamten Schulden bereits vorher zurückgezahlt hat, dann hat man Recht auf Rückerstattung seines Geldes.

    Ausnahmen dieser Fiqh-Regel

    Imaam Ibnul-qaas ابن القاص zählte 11 Ausnahmen bei dieser Hauptregel auf. Diese sind:

    • Man hat Zweifel, ob die Frist für die Benetzung über den Ledersocken (chuff) abgelaufen ist oder nicht? Hier gilt die Frist als abgelaufen.
    • Man hat Zweifel, ob man mit der chuff-Benetzung am Aufenthaltsort oder auf der Reise angefangen hat? Hier gilt die Frist als abgelaufen.
    • Ein Reisender hat Zweifel, ob er die Absicht für den Aufenthalt fasste oder nicht? Er darf die ruchsah (Ausnahmeregeln für die Reisenden) nicht mehr anwenden.
    • Ein Reisender hat Zweifel, ob er an seinem Aufenthaltsort ankam oder nicht? Er darf die ruchsah nicht mehr anwenden.
    • Wenn ein Reisender hinter jemandem betet, von dem er nicht weiß, ob er reisend ist oder nicht, darf er das rituelle Gebet nicht verkürzen.
    • Ein Tier urinierte in eine große Wassermenge. Wenn das Wasser sich verändert (Farbe, Geruch oder Geschmack), dann ist es rituell unrein
      (nadschis), auch wenn man nicht genau weiß, ob die Veränderung vom Urin verursacht wurde oder nicht.
    • Die Frau im istihaadah-Zustand muss die rituelle Ganzkörperwaschung vor jedem rituellen Gebet vollziehen, wenn sie Zweifel hat, ob die Blutung aufgehört hat oder nicht.
    • Nach Tayammum sah man etwas, bei dem man sich nicht sicher ist, ob es Wasser oder eine Fata Morgana ist, dann wird sein Tayammum damit ungültig.
    • Man verletzt auf der Jagd ein Tier und verliert es aus den Augen. Findet man das Tier später tot auf, dann darf man dessen Fleisch nicht verzehren.
    • Ein Kleidungsstück wird von ritueller Unreinheit (nadschaasah) getroffen und man weiß nicht an welcher Stelle, so muss man die komplette Kleidung waschen.
    • Die Frau im istihaadah-Zustand und Kranke mit pathologischem Harnfluss, wenn sich bei ihnen Zweifel ereignet, ob sie noch Flüssiges verlieren oder nicht und danach beteten, gilt ihr Gebet nicht.

    Imaam An-nawawiy und Imaam As-subkiy fügten noch sieben weitere Ausnahmen hinzu:

    • Menschen, die sich nicht sicher sind, ob die Zeit für das Freitagsgebet vorbei ist oder nicht. Diese verrichten kein Freitags- sondern das Mittagsgebet.
    • Man hat Zweifel bei der rituellen Gebetswaschung, ob man den Kopf benetzte oder nicht? Dann gilt seine rituelle Gebetswaschung.
    • Man hat Zweifel nach dem Ende des rituellen Gebets, ob man drei oder vier Rak’ah betete, dann gilt das rituelle Gebet als richtig verrichtet.
    • Eine Katze trinkt vom Wasser, dieses bleibt rituell rein (taahir) trotz des Zweifels, ob sie eine rituelle Unreinheit (nadschaasah) mit dem Mund berührt hat oder nicht.
    • Man hat Zweifel bei versäumten rituellen Handlungen, ob man diese nachgeholt hat oder nicht? Dann muss man sie nicht nachholen.
    • Man hat Zweifel nach dem rituellen Fasten eines Tages von einer kaffaarah, ob man die Absicht gefasst hat oder nicht? Dies beeinträchtigt das rituelle Fasten als kaffaarah nicht.
    • Man sieht Samen im Bett oder an der Kleidung, welche nur von ihm benutzt wird, ohne sich daran zu erinnern, dass diese von ihm stammen könnten. Dann vollzieht man gegen die Regel die rituelle Ganzkörperwaschung.

    Die Zweifelstypen

  • Zweifel eine haraam-Angelegenheit betreffend
    Wenn man in einem Land lebt, wo die Muslime eine Minderheit sind, dann darf man nicht vom “normalen” Fleisch essen, wenn man nicht weiß, ob es islamkonform von einem Muslim oder Juden oder Christen geschächtet wurde. Wenn man sich jedoch in einem mehrheitlich von Muslimen bewohnten Land befindet, dann isst man vom Fleisch, weil es höchstwahrscheinlich ist, dass es geschächtet ist.
  • Zweifel eine mubaah-Angelegenheit betreffend
    Man findet Wasser, das verändert ist, ohne zu wissen, ob es durch eine rituelle Unreinheit (nadschaasah) oder durch lange Aufbewahrung ver¬ändert wurde, so darf man es bei den rituellen Waschungen (tahaarah) verwenden.
  • Zweifel, dessen Ursprung unbekannt ist
    Der Umgang mit demjenigen, dessen Vermögen mehrheitlich aus Haraam-Mitteln besteht, ist erlaubt, da er auch über Halaal-Mittel ver¬fügt und man sich Haraam nicht sicher ist. Doch dieser Umgang bleibt eine makruuh-Handlung.

    Bemerkung:

    Die Fiqh-Gelehrten unterscheiden eigentlich nicht zwischen schakk (Indifferenz bzw. Wahrnehmung von Gleichwertigkeit ohne Präferieren) und dhann (Wahrnehmung des mehr Wahrscheinlicheren).

Notes:

  1. Qurann (10:36)
  2. Quran (5:101)
  3. Quraan (19:64)