.
.

.

Dritte Fiqh-Regel:al-maschaq-qatu tadschlibut-taisiir, المشقة تجلب التيسير


“Erschwernis bringt Erleichterung”, bzw.
“Mühevolles zieht Entlastung nach sich.”

Erläuterung der Fiqh-Regel

Eine außergewöhnliche Belastung, die man nicht in beständiger Weise ertragen kann, oder die zu Schaden für Leib und Leben führt, wird von der Scharii’ah berücksichtigt und als Grund für die Erleichterung herangeführt.
Die normale Anstrengung (wegen des rituellen Gebets, des rituellen Fastens, etc.) soll man jedoch ertragen, da es im Leben nicht anders geht. Wenn diese Anstrengung sich jedoch über Gebühr entwickelt, dann wird sie ebenfalls berücksichtigt.

  • Ursprung dieser Regel im Quraan
    Allaah (ta’aala) sagte:

يُرِيدُ ٱللَّهُ بِكُمُ ٱلۡيُسۡرَ وَلَا يُرِيدُ بِكُمُ ٱلۡعُسۡرَ

Allaah will für euch Erleichterung; und Er will für euch keine Erschwernis! 1

هُوَ ٱجۡتَبَىٰكُمۡ وَمَا جَعَلَ عَلَيۡكُمۡ فِي ٱلدِّينِ مِنۡ حَرَجٖۚ

Er erwählte euch und erlegte euch keine Unannehmlichkeit im Islam 2 auf. 3

مَا يُرِيدُ ٱللَّهُ لِيَجۡعَلَ عَلَيۡكُم مِّنۡ حَرَجٖ

Allaah will euch nichts Unangenehmes gebieten. 4

يُرِيدُ ٱللَّهُ أَن يُخَفِّفَ عَنكُمۡۚ

Allaah will es euch erleichtern. 5

  • Ursprung dieser Regel in der Sunnah
    Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:

فَإِنَّمَا بُعِثْتُمْ مُيَسِّرِينَ وَلَمْ تُبْعَثُوا مُعَسِّرِينَ.

Ihr seid doch nur als Erleichternde und nicht als Erschwerende entsandt! (B, M)

إِنَّ دِينَ اللَّهِ عَزَّ وَجَلَّ فِي يُسْرٍ.

Die von Allaah gebotene Lebensweise ist eine Erleichterung! (AH)

  • Anwendungsbereiche dieser Regel
    Diese Fiqh-Regel wird wie alle anderen Fiqh-Regeln in allen Fiqh-Bereichen angewandt, z. B. bei den rituellen Handlungen (‘ibaadaat), bei Fehlern wegen Vergesslichkeit, etc.

Die Erleichterungsgründe

Es gibt sieben Gründe für Erleichterungen bei den rituellen Handlungen:

  • Das Reisen
    (Erlaubt auf der Reise u. a.: Verkürzen des rituellen Gebets, Aussetzen des rituellen Fastens, Streichen über die Ledersocken (chuff), Unterlassung des Freitagsgebets, Verzehr des Fleisches vom Verendeten in der Not, Zusammenlegen von zwei rituellen Gebeten, Sunnah-Gebete beim Reiten/Fahren, Tayammum).
  • Die Krankheit
    (Erlaubt: Tayammum, Sitzen bzw. Liegen im rituellen Gebet, Sitzen bei der Predigt im Freitagsgebet, Zusammenlegen von zwei rituellen Gebeten, Unterlassung der Gemeinschaftsgebete und des Freitagsgebets, Aussetzen des rituellen Fastens, Verlassen des i’tikaaf-Ortes, Vertretung bei Haddsch und Steinigung der dschamaraat (ramiy), Behandlung mit ritueller Unreinheit (nadschaasah), Entblößen der ‘aurah vor dem Arzt).
  • Der Zwang
    – Erlaubt: Trinken von chamr, Sprechen von kufr-Bekenntnissen
    – Verboten: Töten und zina.
  • Die Vergesslichkeit
    (z. B. man wird nicht belangt für das Beenden des rituellen Gebets und das Sprechen danach, weil man dachte, man sei fertig mit dem Gebet).
  • Das Unwissen
    (z. B. man wird nicht belangt für das Essen beim rituellen Gebet oder während des rituellen Fastens oder für das Sprechen beim rituellen Gebet aus Unwissenheit etc.)
  • Erschwernis bei der Vermeidung von Unzulässigem
    (Erlaubt: Verrichtung des rituellen Gebets mit Blut aus Wunden, Mückenstichen, etc.)
  • Die Nicht-Eignung
    – Kinder gehören nicht zu den mukallaf.
    – Frauen sind befreit vom Freitagsgebet, vom Gemeinschaftsgebet, von der Teilnahme an Kampfhandlungen, von der Entrichtung der Verteidigungsabgabe (dschizyah) und von der Leistung der materiellen Entschädigung für den versehentlichen Totschlag (diyyah),
    – Für Frauen ist das Tragen von Seide und Gold erlaubt.
    – Unfreie hatten nicht die gleichen Verpflichtungen wie Freie.
    – Erlaubnis zum Sehen des anderen Geschlechts zwecks Ehe, Lehren, Zeugnis, Vertragsabschluß, etc.
    – Erlaubnis der Scheidung beim Scheitern der Ehe

    – Nicht-Belangen von mudschtahid bei einem Fehler, etc.

    Die Erschwernistypen

    Es gibt zwei Erschwernistypen:

  • Eine gewöhnliche Erschwernis und Anstrengung bei der Verrichtung einer rituellen Handlung (wie Kälte bei der rituellen Gebetswaschung und bei der rituellen Ganzkörperwaschung, längere Fastenzeit im heißen Sommer, längeres Reisen bei der Haddsch-Pilgerfahrt, Schmerzen bei einer Strafe, etc.). Dieser Typ begünstigt keine Erleichterung.
  • Eine von einer rituellen Handlung unabhängige Anstrengung bzw. Erschwernis
    Dieser Typ hat verschiedene Stufen:
    – Sehr große Erschwernis, bei der begründete Gefahr für Leib und Leben besteht. Diese führt zweifelsohne zur Erleichterung.
    – Kleine unbedeutende Erschwernis (wie kleine Wunden/geschnittener Finger, Kopfschmerzen, etc.). Diese wird nicht berücksichtigt.

    – Mittelmäßige Erschwernis (wie starke Zahnschmerzen, etc.). Diese orientiert sich an den oberen beiden Stufen, wenn sie näher zu der sehr großen Erschwernis liegt, wird sie berücksichtigt, ansonsten nicht.

    Die Erleichterungstypen

    Diese umfasst sechs verschiedene Typen:

  • Erleichterung durch Aussetzen der rituellen Handlung (wie die Nicht-Verpflichtung zum Freitagsgebet für Reisende, …)
  • Erleichterung durch Ersetzen der rituellen Handlung (wie Vollzug von Tayammum anstelle der rituellen Gebetswaschung und Ganzkörper-waschung)
  • Erleichterung durch Verminderung der rituellen Handlung (wie Verkürzen des rituellen Gebets)
  • Erleichterung durch Vorschieben der rituellen Handlung (dscham’uttaqdiim bei der Reise und bei Regen)
  • Erleichterung durch ruchsah (z. B.: das Fleisch des Verendeten wird mubaah für den in Not geratenen Menschen)Erleichterung durch Verschieben der rituellen Handlung (dscham’utta’chiir bei der Reise und bei Regen)

    Unterregeln dieser Fiqh-Regel

  • idha daaqal-amrut-tasa’, إذا ضاق الأمر اتسع
    Wenn etwas eng wird, dann wird es ausgeweitet/erweitert”, bzw.
    “mit schwierigen Dingen geht man großzügig um.”
    Beispiele:
    – Vermeidung der rituellen Unreinheit (nadschaasah), welche an den Beinen der Fliege haftet, ist keine Pflicht.
    – Wenn die Frau ihren waliy bzw. mahram auf der Reise verliert, dann darf sie einen anderen Mann auswählen und zum waliy benennen.
  • idhat-tasa’al-amru daaq, إذا اتسع الأمر ضاق
    Wenn etwas sich ausweitet/erweitert, wird es enger gemacht”, bzw.
    “Ausgeweitete Dinge werden eingeschränkt.”
    Beispiel:
    Viele Bewegungen im rituellen Gebet lassen es ungültig werden.
  • kul-lu ma tadschaawaza ‘an had-dihi in’akasa ila didih, كل ما تجاوز عن حده انعكس إلى ضده
    Alles, das die eigenen Grenzen überschritten hat, wandelt sich in dessen Gegenteil um.”
    Diese Regel stellt eine Zusammenfassung der o. g. Unterregeln dar.
  • ad-daruuraatu tubiihul mahdhuraat, الضرورات تبيح المحظورات
    Die daruurah-Nöte machen das Verbotene mubaah“, bzw.
    “Nöte heben Verbote auf” bzw.
    “Not bricht Gebot.”
    daruuraat ist Plural von daruurah ضرورة.
    daruurah ist eine Notlage, bei welcher der Mensch begründete Gefahr sieht für sein Leben, seinen Körper, seine Ehre/Würde, seinen Verstand oder für seinen Besitz.
    Man bemerkt, dass eine islamkonforme Notlage zustande kommt, wenn die Unerlässlichen (ad-daruriyaat) ernsthaft bedroht werden.
    In dieser Situation darf man Verbotenes begehen oder Muss-Handlungen unterlassen bzw. verschieben.
    Viele der Gelehrten erlauben jedoch unter keinen Umständen “Verinnerlichung von kufr“, “Mord” oder “zina für den Mann.”
  • ad-daruuraatu tuqad-daru bi qadariha, الضرورات تقدر بقدرها
    daruurah-Nöte werden entsprechend der Schwere der Not berücksichtigt.”
    Beispiel:
    Wer gezwungen wird, Fleisch von einem verendeten Tier zu essen, isst nur soviel, dass er nicht verhungert, usw.
  • al-idtiraaru la yubtilu haq-qal-ghair, الاضطرار لا يبطل حق الغير
    Die daruurah-Not annulliert das Recht anderer Menschen nicht.”
    Beispiel:
    Man muss das ersetzen, das man wegen der daruurah-Not verbraucht bzw. beschädigt hat, es sei denn, man stand unter Zwang, dann ist derjenige zu belangen, der den Zwang ausübte.
  • al-haadschatu tunzalu manzilatad-daruurah, ‘aam-matun kanat am chaas-sah, الحاجة تنزل منزلة الضرورة، عامة كانت أو خاصة
    Die haadschah-Not wird der daruurah-Not gleichgestellt, sei sie öffentlicher oder privater Natur.”

    Bemerkung:

    Die daruurah-Not führt zum Tod, während die haadschah-Not zur sehr großen Erschwernis führt, ohne das Leben zu gefährden.

     

Notes:

  1. Quraan (2:185)
  2. Ursprünglich: „diin“.
  3. Quraan (22:78)
  4. Quraan (5:6)
  5. Quraan (4:28)