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Ar-radaa’ wal-hadaanah أحكام الرضاع والحضانة Das Stillen, die Michverwandtschaft und die Sorgepflicht


Das Stillen

Die Mehrheit der Fiqh-Gelehrten leiteten aus dem Quraan und aus der Sunnah die religiöse Verpflichtung der Mutter ab, ihr Baby selbst zu stillen, und vertraten diesbezüglich die Meinung, dass Mütter dies am Jüngsten Tag vor Allaah (ta’aala) verantworten werden.
Der in der vorislamischen Zeit weit verbreitete Brauch, die Babys durch Ammen stillen zu lassen, wurde vom Islam unter Berücksichtigung besonderer Bestimmungen weiterhin erlaubt, um das Kind vor möglichen Schäden zu schützen, wenn seine Mutter nicht selbst stillen kann.
In der Frage, ob die Kindsmutter bei Verweigerung des Stillens richter-lich dazu verpflichtet werden kann, besteht kein Konsens der Fiqh-Schulen, sondern es gibt zwei entgegengesetzte Meinungen.
Konsens besteht bei allen Gelehrten darin, dass die Mütter mit einem Imperativ zum Stillen aufgefordert werden. Differenzen bestehen jedoch bei der Einstufung dieser imperativen Aufforderung zum Stillen als eine Muss- oder als eine Soll-Handlung.

Diese Einstufung resuliert unterschiedliche Konsequenzen:

  • Ist das Stillen eine Muss-Handlung, dann kann die Mutter es nicht verweigern, solange sie physisch und psychisch hierzu imstande ist.
  • Ist das Stillen eine Soll-Handlung, dann benötigt der Ehemann für das Stillen des eigenen Kindes die Zustimmung der Kindsmutter. Die Mutter kann dann im Normalfall das Stillen verweigern, auch wenn sie dazu imstande wäre.

Die Hanafiitische, die Schaafi’iitische sowie die Hanbaliitische Schule vertreten die Ansicht, dass das Stillen für die Mutter eine Soll-Handlung darstellt und führen ihre Belege aus dem Quran an:

وَٱلۡوَٰلِدَٰتُ يُرۡضِعۡنَ أَوۡلَٰدَهُنَّ حَوۡلَيۡنِ كَامِلَيۡنِۖ لِمَنۡ أَرَادَ أَن يُتِمَّ ٱلرَّضَاعَةَۚ وَعَلَى ٱلۡمَوۡلُودِ لَهُۥ رِزۡقُهُنَّ وَكِسۡوَتُهُنَّ بِٱلۡمَعۡرُوفِۚ لَا تُكَلَّفُ نَفۡسٌ إِلَّا وُسۡعَهَاۚ لَا تُضَآرَّ وَٰلِدَةُۢ بِوَلَدِهَا وَلَا مَوۡلُودٞ لَّهُۥ بِوَلَدِهِۦۚ وَعَلَى ٱلۡوَارِثِ مِثۡلُ ذَٰلِكَۗ فَإِنۡ أَرَادَا فِصَالًا عَن تَرَاضٖ مِّنۡهُمَا وَتَشَاوُرٖ فَلَا جُنَاحَ عَلَيۡهِمَاۗ وَإِنۡ أَرَدتُّمۡ أَن تَسۡتَرۡضِعُوٓاْ أَوۡلَٰدَكُمۡ فَلَا جُنَاحَ عَلَيۡكُمۡ إِذَا سَلَّمۡتُم مَّآ ءَاتَيۡتُم بِٱلۡمَعۡرُوفِۗ وَٱتَّقُواْ ٱللَّهَ وَٱعۡلَمُوٓاْ أَنَّ ٱللَّهَ بِمَا تَعۡمَلُونَ بَصِيرٞ ٢٣٣

Die Gebärenden stillen ihre Geborenen zwei volle Jahre für denjenigen, der die Stillzeit vollständig durchführen will. Demjenigen, dem geboren wurde, obliegt ihre Versorgung und ihr Bekleiden nach dem Üblichen. Einer Seele wird nicht auferlegt außer, was sie vermag. Weder einer Gebärenden darf wegen ihres Geborenen Schaden zugefügt werden, noch demjenigen, dem geboren wurde, wegen seines Gebore-nen; und dem Erben obliegt Gleiches wie dies. Sollten beide sich zum Abstillen in gegenseitigem Einvernehmen und nach Beratung ent-schließen, dann ist es für beide keine Verfehlung. Wenn ihr eure Kinder (durch andere) stillen lassen wollt, dann ist es keine Verfehlung für euch, wenn ihr das gebt, was ihr vereinbart habt, nach dem Üblichen. Erweist euch ehrfürchtig Allaah gegenüber und wisst, dass Allaah gewiss dessen, was ihr tut, allsehend ist. 1

وَإِن تَعَاسَرۡتُمۡ فَسَتُرۡضِعُ لَهُۥٓ أُخۡرَىٰ

Solltet ihr Schwierigkeiten miteinander haben, so wird für ihn eine andere stillen. 2

فَإِنۡ أَرۡضَعۡنَ لَكُمۡ فَ‍َٔاتُوهُنَّ أُجُورَهُنَّ وَ

Sollten sie für euch stillen, dann gebt ihnen ihren Lohn. 3

Die zweite Aayah “Solltet ihr Schwierigkeiten miteinander haben, so wird für ihn eine andere stillen” unterstreicht den Soll-Charakter des Stillens am deutlichsten. Wäre das Stillen eine Muss-Handlung, d. h. hätte die Mutter die Pflicht das Kind zu stillen, gäbe es nicht die Option, das Kind einer Amme zu überlassen. Auch der erste Teil dieser Aayah unterstreicht die Kategorisierung des Stillens als Soll-Handlung: “Sollten sie für euch stillen, dann gebt ihnen ihren Lohn”. Wäre die Frau verpflichtet ihr Kind zu stillen, gäbe es keinen Lohn für diese Leistung, da eine Pflichtleistung nicht vergütet wird. Aus diesen Gründen darf ein Mann seine Ehefrau nicht verpflichten, das eigene Kind zu stillen. Wenn allerdings keine Amme verfügbar ist oder das Kind sich in einer Notlage befindet, dann ist die Kindsmutter zum Stillen verpflichtet.
Die Maalikiitische Schule interpretiert die gleichen Aussagen in den o. g. Aayaat als eine Muss-Handlung für die Frau 4. Sie vertritt die Ansicht, dass die Frau nach der ersten Aayah verpflichtet ist, ihr Kind zu stillen und dass sie diese Verpflichtung nicht ohne triftige Gründe vernach-lässigen darf. Die zweite Aayah interpretieren sie unter Berücksichtigung des Hinabsendungsanlasses dahin, dass hier die Vergütung für eine Frau angesprochen wird, welche unwiderrufbar dreimal geschieden wurde. Diese endgültig Geschiedene hat für ihre Still-Leistung Anspruch auf Vergütung, da sie keinen Unterhaltsanspruch mehr hat; im Unterschied zur widerrufbar Geschiedenen, die keine Vergütung erhält, weil sie An-spruch auf Unterhalt hat, der auch die Leistung des Stillens abdeckt.
Auch die erste Aayah “Weder einer Gebärenden darf wegen ihres Geborenen Schaden zugefügt werden, noch demjenigen, dem geboren wurde, wegen seines Geborenen” wurde im Kontext der unwiderrufbar geschiedenen Frau hinabgesandt. Das Verbot der Schädigung steht hier im Kontext der Scheidung und gilt sowohl für den Vater (sollte er der Mutter verbieten, ihr Kind zu stillen), als auch für die Mutter (sollte sie das Stillen verweigern, um dem Geschiedenen Probleme zu machen).
Alle Fiqh-Gelehrten sind der Meinung, dass die Mutter keine Vergütung für das Stillen während der Ehe oder in der Eheauflösungsfrist einer widerrufbaren Ehescheidung erhält, da dies durch die Unterhaltsver-pflichtung des Mannes bereits abgegolten ist. Die unwiderrufbar Geschiedene und die Witwe haben jedoch Anspruch auf Vergütung des Stillens des eigenen Kindes, da sie keinen Unterhaltsanspruch mehr haben. Dieser Anspruch erlischt, wenn das Kind zwei Jahre alt wird.
Der Vater ist verpflichtet, sämtliche Kosten zu übernehmen, die im Zusammenhang mit der Erziehung und Betreuung des Kindes anfallen. Darunter fallen die Kosten für das Stillen, die Betreuung des Kindes in der Hadaanah-Zeit 5 (Personal- und Sachkosten), die Versorgung mit Lebens-mitteln, Kleidung und Hygieneartikeln sowie die Unterkunft.

Notes:

  1. Quraan (2:233)
  2. Quraan (65:6)
  3. Quraan (65:6)
  4. Die Maalikiten erkennen eine Ausnahme nur für Frauen mit einem besonders angesehenen sozialen Status an. Diese kann der Richter nicht zum Stillen verpflichten, wenn das Kind anders gestillt werden kann.
  5. Siehe dazu Punkt Sorgepflicht