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Bedeutung der Sieben Ahruf


Ahruf أحرف ist der Plural von Harf حرف.
Harf ist ein Polysem und hat im Arabischen viele Bedeutungen: “Ende einer Sache”, “Rand”, “Art bzw. Richtung”, “ein Buchstabe”, “Sprache” “Dialekt”, “die Partikel”, etc.

Der Ausdruck “Sieben Ahruf” hat jedoch nicht die Bedeutung von “sieben verschiedenen Sprachen”, sondern die Bedeutung von sieben verschiedenen Mundarten und Rezitationsarten.

Über die exakte Bedeutung der “Sieben Ahruf” vertreten die Quraan-Gelehrten sehr unterschiedliche Meinungen, insbesondere folgende:

1. Eine große Gruppe der Gelehrten vertritt die Meinung, dass die sieben Ahruf sieben verschiedene arabische Mundarten (Quraisch قريش , Hudhail هذيل , Tamiim تميم , Hawaazin هوازن , Thaqiif ثقيف , Kinaanah كنانة und ِAl-yaman اليمن ) darstellen. Ihrer Meinung nach berücksichtigte der Quraan die unterschiedlichen Ausdrücke der verschiedenen arabischen Stämme, welche die gleiche Bedeutung haben (z. B.: das Verb “kommen” hat die gleiche Bedeutung wie halumm هَلُمّ, ta’aal تَعال, aqbil أقبِل). Mehrere Hadiithe belegen diese Meinung. Doch diese Meinung wird kritisiert, weil im Quraan auch Ausdrücke vorkommen, die zu anderen Mundarten gehören als zu den o. g. sieben Mundarten (z. B. saamiduun سامدون in der Aayah 53:61 ist eine Mundart von Himyar حمير, ba’laa بعلا in “37:125” ist eine Mundart von Azd أًزْد, fabaa-u فباءو in “2:90” ist eine Mundart von Dschurhum جرهم).

2. Ein Teil der Gelehrten wie Muhammad Al-muqri’ محمد المقرئ (gest. 231/846) vertritt die Meinung, dass die Zahl sieben hier ein Polysem ist und keine erkennbare Bedeutung hat.

3. Manche Gelehrte wie Al-qaadi ‘Iyaad القاضي عياض vertreten die Meinung, dass die Zahl sieben nur ein Symbol für die Vollkommenheit ist, was in der arabischen Sprache üblich ist. Um die Vollkommenheit und die Vielheit auszudrücken, verwendet man 7 bei den Einern, 70 bei den Zehnern und 700 bei den Hundertern, wobei die Zahl an sich nicht gemeint wird. Diese Meinung ist ziemlich schwach, da aus den Hadiithen mit Dschibriil (‘alaihis-salaam) klar vorgeht, dass hier eindeutig die Zahl sieben an sich gemeint ist.

4. Ein kleiner Teil der Gelehrten vertritt die Meinung, dass die sieben Ahruf sieben verschiedene Qira-aat/Rezitationsarten für die quraanischen Begriffe darstellen.
Diese Meinung ist nicht gesichert und kann nicht bestätigt werden, da nur wenige Ausdrücke des Quraan wirklich nach sieben verschiedenen Rezitationsarten rezitiert werden.

5. Manche Gelehrte vertraten die Meinung, dass die Sieben Ahruf sieben verschiedene Aussprachen des Quraan (wie bei den Tadschwiid-Regeln 1: idghaam und idh-haar, tafchiim und tarqiiq, imaalah und ischbaa’, madd und qasr, taschdiid und tachfiif und talyiin) seien. Diese Meinung wird zurückgewiesen, da es mehr als diese sieben Aussprachmöglichkeiten gibt.

6. Ein großer Teil der Gelehrten vertritt die Meinung von Imaam Abul-fadl Ar-raaziy (gest. 454/1062) 2. Nach ihm können die sprachlichen Ausdrücke nur sieben Unterscheidungsmerkmale erfahren:

Unterscheidung hinsichtlich der Nomen:

Diese Unterscheidung erfolgt in Bezug auf den Singular, die Zweierform, den Plural, das Maskulinum und das Femininum.

Beispiel:

وَٱلَّذِينَ هُمۡ لِأَمَٰنَٰتِهِمۡ وَعَهۡدِهِمۡ رَٰعُونَ ٨

Ebenso diejenigen, die das ihnen Anvertraute und ihre Abmachungen wahren, 3

Der Rezitator Ibnu-kathiir hat es in der Singularform li amaanatihim لأمانتهم rezitiert, während alle anderen Rezitatoren es li amaanaatihim لأماناتهم in der Pluralform rezitiert haben.

Unterscheidung hinsichtlich der Konjugation (Beugung bzw. Abwandlung der Verben):

Diese Unterscheidung erfolgt in Bezug auf die Flexion der Verben in Präsens-, Vergangenheits- und Imperativform usw.

Beispiel:

فَقَالُواْ رَبَّنَا بَٰعِدۡ بَيۡنَ أَسۡفَارِنَا وَظَلَمُوٓاْ أَنفُسَهُمۡ فَجَعَلۡنَٰهُمۡ أَحَادِيثَ وَمَزَّقۡنَٰهُمۡ كُلَّ مُمَزَّقٍۚ إِنَّ فِي ذَٰلِكَ لَأٓيَٰتٖ لِّكُلِّ صَبَّارٖ شَكُورٖ ١٩

Sie sagten: “Unser Herr! Lass große Entfernungen zwischen unseren Reisezielen sein! Sie begingen Unrecht, so machten Wir sie zum Objekt von Erzählungen und ließen sie in vielen kleinen Gruppen auseinandergehen. Darin sind gewiss Zeichen für jeden wirklich dankbaren Duldsamen. 4

Die Rezitatoren Ibnu-kathiir, Abu-‘amr und Hischaam rezitierten das erste Verb in der Aayah als ba’-‘id بَعِّدْ, während Ya’quub es als baa’ada بَاعَدَ und die anderen als baa’id بَاعِدْ) rezitierten.

Unterscheidung hinsichtlich der syntaktischen und grammatikalischen Analyse:

Beispiel 1:

فَتَلَقَّىٰٓ ءَادَمُ مِن رَّبِّهِۦ كَلِمَٰتٖ فَتَابَ عَلَيۡهِۚ إِنَّهُۥ هُوَ ٱلتَّوَّابُ ٱلرَّحِيمُ ٣٧

Dann empfing Aadam Worte von seinem Herrn, so vergab Er ihm. Er ist Der Allvergebende, Der Allgnädige! 5

Der Rezitator Ibnu-kathiir hat es als “fatalaqqa aadama آدمَ mirab-bihi kalimaatun كلماتٌ” rezitiert, während alle anderen es wie oben als (aadamu آدمُ kalimaatin كلماتٍ) rezitierten.

Beispiel 2:

وَأَشۡهِدُوٓاْ إِذَا تَبَايَعۡتُمۡۚ وَلَا يُضَآرَّ كَاتِبٞ وَلَا شَهِيدٞۚ

Und lasst es bezeugen, wenn ihr miteinander Handel treibt. Weder ein Schriftführer noch ein Zeuge dürfen geschädigt werden. 6

Alle Rezitatoren außer Abu-dscha’far rezitierten als “wala yudaar-ra ولا يضارَّ (la an-naahiyah لا الناهية/ das Verb ist madschzuum مجزوم und die fathah َالفتحة auf dem r ist idghaam mithlain إدغام مثلين)”.
Abu-dscha’far rezitierte es als “yudaar يضارْ ” und Ibnu-muhaisin rezitierte es als nicht Mutawaatir-Rezitation als “yudaar-ru ولا يضارُّ” (la an-naafiyah لا النافية ist grammatikalisch ohne Wirkung).

Beispiel 3:

ذَٰلِكَ جَزَيۡنَٰهُم بِمَا كَفَرُواْۖ وَهَلۡ نُجَٰزِيٓ إِلَّا ٱلۡكَفُورَ ١٧

Dies vergalten Wir ihnen für das, was sie leugneten. Wir vergelten es so nur dem äußersten Leugner?(!) 7

Die Rezitatoren Abu-dscha’far, Naafi’, Ibnu-kathiir, Abu-‘amr, Ibnu-‘aamir und Schu’bah rezitierten es als “wahal
yudschaaza يُجازَى il-lal-kafuuru الكفورُ“, während die anderen es als “wahal nudschaazi نُجازي il-lal-kafuura الكفورَ” rezitierten.

Unterscheidung durch Hinzufügung bzw. Weglassen von Wörtern bzw. Buchstaben

Beispiel:

لِيَأۡكُلُواْ مِن ثَمَرِهِۦ وَمَا عَمِلَتۡهُ أَيۡدِيهِمۡۚ أَفَلَا يَشۡكُرُونَ ٣٥

(…) damit sie von deren Früchten essen, die sie nicht eigenhändig machten. Wollen sie sich nicht dankbar erweisen?(!) 8

Die Rezitatoren Schu’bah, Hamzah, Al-kisaaiy und Chalaf rezitierten es als “wa ma ‘amilat aidihim وما عملت أيديهم“, während die anderen es wie oben als “wa ma ‘amilathu aidihim” rezitierten.

Unterscheidung durch Voranstellen oder Zurückstellen

Beispiel:

وَجَآءَتۡ سَكۡرَةُ ٱلۡمَوۡتِ بِٱلۡحَقِّۖ ذَٰلِكَ مَا كُنتَ مِنۡهُ تَحِيدُ ١٩

wadschaa-at sakratul-mauti bil-haq-qi dhaalika ma kunta minhu tahiid

Dann kommt die Benommenheit des Sterbens wahrheitsgemäß. Dies ist es, wogegen du abgeneigt warst. 9

Es wurde von Abu-bakr (radial-laahu ‘anh) als “wadschaa-at sakratul haq-qi bil-mauti سكرة الحق بالموت” rezitiert.

Unterscheidung durch Umwandlung eines Wortes in ein neues Wort

Beispiel:

يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُوٓاْ إِن جَآءَكُمۡ فَاسِقُۢ بِنَبَإٖ فَتَبَيَّنُوٓاْ أَن تُصِيبُواْ قَوۡمَۢا بِجَهَٰلَةٖ فَتُصۡبِحُواْ عَلَىٰ مَا فَعَلۡتُمۡ نَٰدِمِينَ ٦

Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Wenn euch ein Übertreter 10 eine Nachricht übermittelt, so vergewissert euch, damit ihr keine Menschen durch Unwissen verletzt und dann für das reuig werdet, was ihr getan habt. 11

Die Rezitatoren Hamzah, Al-kisaaiy und Chalaf rezitierten es anders als die anderen Rezitatoren als fatathab-batu فتثبتوا anstelle von fatabay-yanu فَتَبَيَّنُوا.

Beispiel:

إِن كَانَتۡ إِلَّا صَيۡحَةٗ وَٰحِدَةٗ فَإِذَا هُمۡ خَٰمِدُونَ ٢٩

Es war nur ein einziger Schrei, sogleich waren sie erloschen. 12

Es wurde als “illa ziq-qiyatan waahidatan إلا زقيةً واحدة anstelle von ila saihatan waahidatan إِلَّا صَيْحَةً وَاحِدَةً” rezitiert.

Unterscheidung durch unterschiedliche Dialekte und Aussprachen

Beispiel:

هَلۡ أَتَىٰكَ حَدِيثُ مُوسَىٰٓ ١٥

Wurde dir die Mitteilung über Muusa zuteil?(!) 13

Die Rezitatoren Hamzah, Al-kisaaiy und Chalaf rezitierten es als muusee موسى anstelle von muusa wie bei den anderen Rezitatoren.

Ich persönlich präferiere diese Meinung von Imaam Abul-fadl Ar-raaziy, weil sie dem Inhalt der Hadiithe in Bezug auf die Sieben Ahruf gerecht wird und ebenfalls unterstreicht, dass die Sieben Ahruf noch vorhanden sind und in den jeweiligen Rezitationsarten wiedergegeben werden.

Notes:

  1. Tadschwiid bedeutet sprachlich „etwas gut tun“. Fachspezifisch bedeutet es die arabischen Buch-staben von der jeweils vorgesehenen Stelle im Mund auszusprechen und dabei deren korrekte Eigen­schaften zu berücksichtigen. Tadschwiid muss direkt von einem Lehrer gelernt werden.
  2. Der Gelehrte Muhammad ’Abdul-’adhiim Az-zarqaaniy محمد عبد العظيم الزرقاني vertrat in seinem Buch manaahilul-’irfaan fi ’uluumil-quraan مناهل العرفان في علوم القرآن die Meinung, dass diese Meinung ebenfalls in modifizierter Form von den Gelehrten Ibnu-qutaibah ابن قتيبة , Ibnul-dschazariy ابن الجزري und Ibnut-taiyib ابن الطيب vertreten wurde.
  3. Quraan (23:8)
  4. Quraan (34:19)
  5. Quraan (2:37)
  6. Quraan (2:282)
  7. Quraan (34:17)
  8. Quraan (36:35)
  9. Quraan (50:19)
  10. Ursprünglich: faasiq. faasiq sind Menschen (Muslime oder Kaafir), die bewusst Allaahs Gebote verletzen.
  11. Quraan (49:6)
  12. Quraan (36:29)
  13. Quraan (79:15)