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Ereignisse unter Orhan (724-763/1324-1362)


Orhan, der Sohn Osmans I., führte ab 724/1324 den inneren Umbildungsprozess seines Vaters fort. Er begann mit der systematischen Festigung seiner Herrschaft durch die Einnahme von Bursa (735/1335) und Iznik (733/1333), und machte Bursa zur ersten wirklichen osmanischen Hauptstadt.

Unter Orhan gab es (726/1326-761/1360) folgende Heeresstruktur:

a.) zum Islam konvertierte, homogene Truppe aus griechisch- u. slawischstämmigen mittelschweren u. leichten Reitertruppen (Stürmer/akinci), unbesoldet;

b.) eigene turkmenische Stammeskrieger (Ghazi), meist besoldet, manche Timar-Inhaber;

c.) irreguläre leichte Reitertruppen (“Verrückte” / Deli), unbesoldet;

d.) reguläre Fußtruppen (Yaya), teils christlichstämmig, ansässig, Land-Inhaber, Steuer-Befreite, besoldet;

e.) reguläre Reitertruppen (Müsellem), teils christlichstämmig, ansässig, Landinhaber, Steuer-Befreite, besoldet.

Die wesentlichen Veränderungen unter Orhan führten zu den wirklichen Gebietserweiterungen: durch die ersten bedeutsamen Städte konnten reguläre Truppen unterhalten werden, Sold konnte aus Steuern und Abgaben gezogen werden. Das Land hingegen wurde – nach spätem byzantinischem und seldschukischem Vorbild – in Lehen eingeteilt und als Pfründe (timar) an verdiente Reiterführer gegeben, die Sipahi. Dadurch versorgte sich ein Großteil der Truppen aus diesen Pfründen und belastete die Staatskasse nicht. Zu den traditionellen Ghazi-Kämpfern der turkmenischen Emire traten jetzt vermehrt auch die unabhängigen Einzelkämpfer und Glücksritter (Deli), die sich durch persönlichen Einsatz bewähren und zu Timar-Inhabern aufsteigen wollten.

Charakteristisch für Orhans Zeit ist der innovative Ansatz, Truppen von außerhalb zu gewinnen, sie aber deutlich von den alteingesessenen Emiren zu trennen, und zugleich eigene Haustruppen (damals noch einheimische Krieger) aufzubauen. Hier tritt ein weiteres Element der Osmanen zutage: niemals in der Hand einer einzigen Gruppe zu viel Macht ansammeln zu lassen, sondern mit verschiedenen Gruppen als “Gegengewichten” zu arbeiten.

Die Fußtruppen wurden meist in Städten eingesetzt (Garnisonen) und hemmten die berühmte Schnelligkeit der osmanischen Heere nicht.

Stadt und Kultur unter Orhan

In Bursa wurde eine wichtige Grundlage der osmanischen Herrschaft gesetzt: Orhan (und auch viele spätere osmanische Herrscher) verbündete sich mit den ansässigen Handwerker- und Verwaltungsverbänden, die mit ihren Mitgliedern bald nach der Einnahme in die Stadt strömten, meist als Flüchtlinge vor den diversen mongolischen Eroberungswellen. Aus diesen hochqualifizierten Personenkreisen und ihren Gilden entstanden nun mit dem jungen Emirat verbundene Kreise, die neben Steuern auch praktische Unterstützung im Aufbau der Städte leisteten.

Ebenso wie die ersten arabischen Statthalter in Syrien und Ägypten im ersten Jahrhundert der Hidschrah war auch Orhan zur Überzeugung gekommen, dass die schon vorhandene byzantinische Verwaltung in der ersten Phase der Herrschaft unbedingt erhalten werden musste. Zugleich wurden die aus dem seldschukischen Bereich bekannten abbasidisch-persischen Amtsstrukturen eingeführt, und innerhalb weniger Jahre konnte sich die Herrschaft Orhans auf eine finanziell und verwaltungstechnisch gut gestützte Herrschaft verlassen. Auch ermöglichte erst die Stadtstruktur, der sesshafte Bereich, die Herausbildung einer wirklichen Armee. Deren Besoldung war eben an das Vorhandensein einer größeren Stadt wie Bursa gebunden. So gesehen beginnt hier der eigentliche Aufstieg der Osmanen.

Die religiöse Ausrichtung jener Zeit war geprägt von turkmenischen Stammesbräuchen, verbunden mit eher heterodoxen Praktiken und Ansichten. Bedeutende Gelehrte waren vor der Zeit von Bayezid I. kaum mit dem osmanischen Gebiet verbunden. Vielmehr bildeten die in der Region Anatoliens umherziehenden Derwisch-Gruppen die Hauptquelle islamisch-religiöser Wissensvermittlung der einfachen Bevölkerung.

Gebietserweiterungen unter Orhan

Nach einem klaren Sieg über eine größere byzantinische Armee bei Maltepe (Pelekanon) im Jahr 727/1329 konnte Orhan zwischen 732/1332 und 738/1338 die noch verbliebenen wichtigen byzantinischen Städte in Nordwestanatolien – Iznik, Izmir (Smyrna) und Üsküdar (Skopje) einnehmen. Wie Ibn-battuutah bezeugt, der sich 731-32/1331-32 in Anatolien aufhielt, war Orhan zu dieser Zeit der mächtigste aller turkmenischen Emire geworden.

Nachdem er die byzantinischen Gegner ausgeschaltet hatte, wandte er sich folgerichtig den noch verbliebenen bedeutenden rivalisierenden turkmenischen Fürstentümern zu, die ihm in Nordwestanatolien noch entgegenstanden: durch geschicktes Eingreifen in innere Streitigkeiten konnte er 746/1345 das Emirat von Qarasi annektieren. Dadurch konnte er einen großen Küstenabschnitt kontrollieren und so über den Seeweg auch das Söldnermonopol von Aydin brechen. Im Kampf um den byzantinischen Thron hatte nämlich bis 746/1345 Johannes Kantakouzenos immer auf turkmenische Söldner aus Aydin zurückgegriffen; nun übernahmen die Osmanen unter Orhan diese Rolle und konnten so ohne Schwierigkeiten auf den europäischen Teil des byzantinischen Restreiches gelangen – formal, um gegen dortige Gegner der Kantakouzenos zu kämpfen, aber in Wirklichkeit, um dortige Expansionsmöglichkeiten auszuloten. Nach dem Tod des Umur Beg, des Emirs von Aydin, fiel Orhan auch dieses Emirat zu und er kontrollierte daher ganz Westanatolien unangefochten.

Ein besonderer Schachzug des Orhan war die Besetzung von Gallipoli (Gelibolu), wohin die Söldnerheere der Turkmenen für Byzanz zum europäischen Teil des Reiches übersetzten; hier errichtete Orhans Sohn Süleyman Pascha 755/1354 – gegen den heftigen Protest von Johannes Kantakouzenos – eine befestigte Garnison, um künftig in Eigenregie Eroberungen durchzuführen (also byzantinisches Gebiet zu annektieren). Von hier aus begannen die ersten Gebietserweiterungen im europäischen byzantinischen Gebiet, die erhebliche Beuteerträge und einen starken militärischen Ruf hervorbrachten, aber durch den Tod von Orhan 761/1360 kurzfristig unterbrochen wurden.