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Semantik des Quraan / an-naasich und al-mansuuch الناسخ والمنسوخ (das Abrogierende und das Abrogierte)


Begriffsbestimmung von an-nas-ch النسخ

Linguistisch hat an-nas-ch im Arabischen zwei Bedeutungen:

  • al-izaalah الإزالة: Die Beseitigung bzw. das Verwischen
    Diese Beseitigung kann entweder mit einem Ersatz erfolgen (z. B. das Licht beseitigt den Schatten, d. h. das Licht hat die Stelle des Schattens eingenommen), oder ohne einen Ersatz erfolgen (z. B. der Wind beseitigt bzw. verwischt die Spuren, d. h. ohne ihre Stelle einzunehmen, danach vergehen sowohl der Wind als auch die Spuren) und diese Bedeutung hat an-nas-ch in der Aayah (2:106):

مَا نَنسَخۡ مِنۡ ءَايَةٍ أَوۡ نُنسِهَا نَأۡتِ بِخَيۡرٖ مِّنۡهَآ أَوۡ مِثۡلِهَآۗ أَلَمۡ تَعۡلَمۡ أَنَّ ٱللَّهَ عَلَىٰ كُلِّ شَيۡءٖ قَدِيرٌ ١٠٦

Jede Aayah, die Wir aufheben (mit nas-ch belegen) oder vergessen lassen, ersetzen Wir durch etwas Besseres als sie oder durch Gleichwertiges. Weißt du etwa nicht, dass Allaah über alles allmächtig ist (!)

  • an-naql النقل: Das Abschreiben
    Diese Bedeutung hat an-nas-ch in der Aayah (45:29):

هَٰذَا كِتَٰبُنَا يَنطِقُ عَلَيۡكُم بِٱلۡحَقِّۚ إِنَّا كُنَّا نَسۡتَنسِخُ مَا كُنتُمۡ تَعۡمَلُونَ ٢٩

Dies ist Unsere Schrift, sie sagt gegen euch wahrheitsgemäß aus. Wir ließen das abschreiben, was ihr zu tun pflegtet.

Fachspezifisch ist an-nas-ch “das Aufheben eines Scharii’ah-Gebots vom Scharii’ah-Geber durch einen später folgenden Scharii’ah-Beleg”.

Erläuterung der Definition:

– “Das Aufheben (…) vom Scharii’ah-Geber” bedeutet die Ungültigkeit von an-nas-ch durch andere Quellen als den Quraan und die Sunnah, z. B. die Abrogation darf nicht durch al-idschmaa’ (Konsens der mudschtahid-Gelehrten), al-qiyaas (Analogieschluss) oder Sonstiges erfolgen.

– “Scharii’ah-Gebot” beinhaltet sowohl die Abrogation einer früheren Scharii’ah durch eine später erfolgende Scharii’ah oder die Abrogation von Scharii’ah-Geboten innerhalb der gleichen Scharii’ah durch später folgende Gebote. Damit kommt an-nas-ch beispielsweise in Bezug auf Traditionen oder Gebräuche nicht vor.

– “später folgenden Scharii’ah-Beleg” bedeutet, dass die Abrogation sich durch einen Beleg eines Scharii’ah-Gebots ereignet, die später erfolgt ist, nachdem das erste Gebot erlassen und umgesetzt worden war.

Vernunfts- und scharii’ah-gemäße Begründung von an-nas-ch

Allaah (ta’aala) kann etwas gebieten, wann Er will, und für die Zeit, die Er will. Und wenn Er ein Gebot abrogiert, dann tut Er dies nicht aufgrund eines neuen Wissens, sondern mit dem unveränderten uns nicht vorher bekannten Wissen, dass dieses Gebot nur für eine bestimmte Zeit zu gelten hat. Auch der Quraan und die Sunnah weisen eindeutig auf Abrogation hin. Imaam As-suyuutiy zählt 19 abrogierte Aayaat. Andere Ge-lehrte wie Subhi As-saalih erkennen nur 10 abrogierte Aayaat an, da ohne Scharii’ah-Beleg keine Aussage über nas-ch getätigt werden darf:

وَإِذَا بَدَّلۡنَآ ءَايَةٗ مَّكَانَ ءَايَةٖ وَٱللَّهُ أَعۡلَمُ بِمَا يُنَزِّلُ قَالُوٓاْ إِنَّمَآ أَنتَ مُفۡتَرِۢۚ بَلۡ أَكۡثَرُهُمۡ لَا يَعۡلَمُونَ ١٠١

Wenn Wir ein Wort anstelle eines anderen Wortes austauschen – und Allaah weiß besser, was Er hinabsendet – sagen sie: “Du bist doch nur ein Erdichter!” Nein, sondern die meisten von ihnen wissen es nicht. 1

مَا نَنسَخۡ مِنۡ ءَايَةٍ أَوۡ نُنسِهَا نَأۡتِ بِخَيۡرٖ مِّنۡهَآ أَوۡ مِثۡلِهَآۗ أَلَمۡ تَعۡلَمۡ أَنَّ ٱللَّهَ عَلَىٰ كُلِّ شَيۡءٖ قَدِيرٌ ١٠٦

Jede Aayah, die Wir aufheben oder vergessen lassen, ersetzen Wir durch etwas Besseres als sie oder durch Gleichwertiges. Weißt du etwa nicht, dass Allaah über alles allmächtig ist (!) 2

يَا أَيُّهَا النَّاسُ ‏إِنِّي قَدْ كُنْتُ أَذِنْتُ لَكُمْ فِي ‏الِاسْتِمْتَاعِ ‏مِنْ النِّسَاءِ وَإِنَّ اللَّهَ قَدْ حَرَّمَ ذَلِكَ إِلَى يَوْمِ الْقِيَامَةِ فَمَنْ كَانَ عِنْدَهُ مِنْهُنَّ شَيْءٌ فَلْيُخَلِّ سَبِيلَهُ وَلَا تَأْخُذُوا مِمَّا آتَيْتُمُوهُنَّ شَيْئًا.

Ihr Menschen! Ich habe euch vorher die Mut’ah mit Frauen erlaubt. Allaah hat es bis zum Jüngsten Tag verboten. Wer von euch so eine hat, dann soll er sie entlassen; und nehmt ihnen nichts weg von dem, das ihr ihnen gegeben habt. (M, I, AH)

Die Bedingungen von an-nas-ch

– Das Abrogierte muss ein Scharii’ah-Gebot sein.

– Das Abrogierende muss nach dem Abrogierten erfolgen und von ihm getrennt sein.

– Die scharii’ah-konforme Abrogation erfolgt ausschließlich durch den Scharii’ah-Geber und nicht durch die Vernunft oder den idschmaa’ oder den qiyaas.

– Das Abrogierende darf nicht zeitlich befristet oder bedingt sein.

– Das Abrogierte muss der Abrogation unterliegen können (keine Abrogation für das notwendige bzw. axiomatische Wissen oder al-achbaar).

al-chaas gilt als abrogierend und kann al-‘aam abrogieren, wenn al-‘aam bereits umgesetzt wurde, sonst bleibt es als chaas, da al-chaas vor der Umsetzung von al-‘aam erläutert werden muss, um nicht mit einer Klärung trotz dringendem Erläuterungsbedarf in Verzug (ta’chiirul-bayaani ‘an waqtil-haadschah تأخير البيان عن وقت الحاجة) zu geraten.

– Die scharii’ah-konforme Abrogation muss zu Lebzeiten des Gesandten Muhammad (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) erfolgt sein, weil sie weder durch idschmaa’, noch durch qiyaas, noch durch die Vernunft zustande kommen kann.

Feststellung von an-nas-ch

Die Abrogation kann durch verschiedene Wege festgestellt werden, u. a.:

– durch idschmaa’ der Gelehrten,

– durch Hinweise in der Sunnah, dass etwas abrogiert wurde,

– durch Widerspruch zweier Scharii’ah-Belege, wobei einer von ihnen zeitlich später erfolgte, dabei spielt die Anordnung in den Suren keine Rolle.

Die Abrogation wird u. a. nicht angenommen, wenn

– ein Tradent sagt, dass etwas abrogiert wurde, da es nicht sicher ist, ob diese Beurteilung seinem idschtihaad entstammt;

– ein Scharii’ah-Gebot ausschließlich aufgrund seiner Anordnung in der Suurah, da es später erfolgt, als aufhebend/naasich ناسخ bewertet wird;

– aufgrund des späteren Bekenntnisses des Tradenten zum Islam abgeleitet wird, dass die von ihm überlieferten Aussagen sich später ereigneten.

Unterschiede zwischen an-nas-ch النسخ und at-tachsiis التخصيص

Die wichtigsten Unterschiede zwischen beiden Begriffen lauten:

  • Da at-tachsiis “die Einschränkung von al-‘aam durch die Aussonderung mancher seiner Glieder” ist, existiert al-‘aam (das sprachlich alles Umfassende) nach der Einschränkung durch at-tachsiis im übertragenen Sinne als alles umfassend (‘aam) weiter. Ein Scharii’ah-Gebot, die durch an-nas-ch abrogiert wird, existiert aus unserer Perspektive jedoch nur vor der Abrogation für immer. Nach Allaahs Wissen galt es nur für eine bestimmte Zeit. Nach der Abrogation existiert dieses Gebot zwar weiter, doch das Handeln danach wird verboten.
  • Die durch at-tachsiis aus al-‘aam ausgesonderten Glieder gehörten von vornherein nicht zu al-‘aam, im Gegensatz zu dem, was durch an-nas-ch abrogiert wurde, denn dies war gewollt und hat sich ereignet.
  • at-tachsiis kann nichts aussondern, das nur eine Einzelperson betrifft, während dies bei an-nas-ch möglich ist; z. B. die abrogierten Handlungen, die den Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) betrafen.
  • Nach an-nas-ch kann der Beleg des aufgehobenen Scharii’ah-Gebots nicht mehr oder nur teilweise verwendet werden, während at-tachsiis dies bei al-‘aam nicht bewirkt.
  • an-nas-ch darf nur mit dem Quraan und der Sunnah begründet werden, während at-tachsiis mit den Sinnen, der Vernunft und anderen Wegen begründet werden, z. B. in (46:25) erfolgt at-tachsiis mit den Sinnen:

تُدَمِّرُ كُلَّ شَيۡءِۢ بِأَمۡرِ رَبِّهَا فَأَصۡبَحُواْ لَا يُرَىٰٓ إِلَّا مَسَٰكِنُهُمۡۚ كَذَٰلِكَ نَجۡزِي ٱلۡقَوۡمَ ٱلۡمُجۡرِمِينَ ٢٥

Er vernichtet alles, mit der Anweisung seines HERRN. Dann wurden sie so, dass nichts anderes als ihre Wohnstätten gesehen wird. Und solcherart vergelten WIR den schwer verfehlenden Leuten.

  • an-nas-ch kann nur mit einem später folgenden Beleg des aufhebenden Gebots begründet werden, während at-tachsiis sowohl durch frühere als auch durch gleichzeitige oder spätere Belege begründet werden kann.
  • an-nas-ch erfolgt nicht bei al-achbaar الأخبار (Aussagen, denen genau ein Wahrheitswert “wahr bzw. falsch” zugeordnet wird), während at-tachsiis sowohl bei achbaar als auch bei Nicht-achbaar erfolgen kann.

Abrogationstypen in Bezug auf einen oder keinen Ersatz

In Bezug auf einen oder keinen Ersatz wird an-nas-ch eingeteilt in zwei unterschiedliche Typen:

A) Abrogation ohne Ersatz

Der Scharii’ah-Geber abrogiert ein vorhandenes Scharii’ah-Gebot ohne ein neues Scharii’ah-Gebot als Ersatz für das Abrogierte zu gebieten.

Beispiel:

يَٰٓأَيُّهَا ٱلَّذِينَ ءَامَنُوٓاْ إِذَا نَٰجَيۡتُمُ ٱلرَّسُولَ فَقَدِّمُواْ بَيۡنَ يَدَيۡ نَجۡوَىٰكُمۡ صَدَقَةٗۚ ذَٰلِكَ خَيۡرٞ لَّكُمۡ وَأَطۡهَرُۚ فَإِن لَّمۡ تَجِدُواْ فَإِنَّ ٱللَّهَ غَفُورٞ رَّحِيمٌ ١٢

Ihr, die den Iimaan verinnerlicht habt! Wenn ihr euch mit dem Gesandten vertraulich unterhalten wollt, so gebt vor eurer vertraulichen Unterredung eine Spende! Dies ist besser für euch und reiner. Wenn ihr es nicht leisten könnt, so ist Allaah gewiss allvergebend, allgnädig. 3

Das Scharii’ah-Gebot dieser Aayah wurde ohne Ersatz aufgehoben.

B) Abrogation mit Ersatz

Der Scharii’ah-Geber abrogiert ein vorhandenes Scharii’ah-Gebot durch ein neues Scharii’ah-Gebot. Dieses neue Scharii’ah-Gebot kann im Vergleich zum aufgehobenen Scharii’ah-Gebot leichter, gleichwertig oder schwerer sein.

– Abrogation durch leichtere Scharii’ah-Gebote

Beispiel:

وَٱلَّذِينَ يُتَوَفَّوۡنَ مِنكُمۡ وَيَذَرُونَ أَزۡوَٰجٗا وَصِيَّةٗ لِّأَزۡوَٰجِهِم مَّتَٰعًا إِلَى ٱلۡحَوۡلِ غَيۡرَ إِخۡرَاجٖۚ فَإِنۡ خَرَجۡنَ فَلَا جُنَاحَ عَلَيۡكُمۡ فِي مَا فَعَلۡنَ فِيٓ أَنفُسِهِنَّ مِن مَّعۡرُوفٖۗ وَٱللَّهُ عَزِيزٌ حَكِيمٞ ٢٤٠

Denjenigen von euch, die sterben und Witwen hinterlassen, (ist auferlegt) für ihre Frauen ein Vermächtnis mit einjähriger Versorgung und Wohnrecht. Wenn sie (die Wohnung) verlassen, dann ist es für euch keine Verfehlung in dem, was sie mit sich selbst nach dem Üblichen machen. 4

Die Scharii’ah-Norm in dieser Aayah wurde mit nas-ch belegt durch:

وَٱلَّذِينَ يُتَوَفَّوۡنَ مِنكُمۡ وَيَذَرُونَ أَزۡوَٰجٗا يَتَرَبَّصۡنَ بِأَنفُسِهِنَّ أَرۡبَعَةَ أَشۡهُرٖ وَعَشۡرٗاۖ فَإِذَا بَلَغۡنَ أَجَلَهُنَّ فَلَا جُنَاحَ عَلَيۡكُمۡ فِيمَا فَعَلۡنَ فِيٓ أَنفُسِهِنَّ بِٱلۡمَعۡرُوفِۗ وَٱللَّهُ بِمَا تَعۡمَلُونَ خَبِيرٞ ٢٣٤

Diejenigen von euch, die sterben und Witwen hinterlassen, diese warten mit sich vier Monate und zehn Tage ab. Wenn sie ihre Wartezeit beendet haben, dann ist es für euch keine Verfehlung in dem, was sie mit sich selbst machen, nach dem Üblichen. Allaah ist dessen, was ihr tut, allkundig. 5

– Abrogation durch gleichwertige Scharii’ah-Gebote

Beispiel:
Die qiblah (Richtung des rituellen Gebets) wurde von Al-masdschidul-aqsa in Al-quds nach Al-ka’bah in Makkah verlegt.

قَدۡ نَرَىٰ تَقَلُّبَ وَجۡهِكَ فِي ٱلسَّمَآءِۖ فَلَنُوَلِّيَنَّكَ قِبۡلَةٗ تَرۡضَىٰهَاۚ فَوَلِّ وَجۡهَكَ شَطۡرَ ٱلۡمَسۡجِدِ ٱلۡحَرَامِۚ وَحَيۡثُ مَا كُنتُمۡ فَوَلُّواْ وُجُوهَكُمۡ شَطۡرَهُۥۗ

Bereits sehen Wir das Schweifen deines Gesichts himmelwärts. So werden Wir dich eine Gebetsrichtung einnehmen lassen, an der du Wohlgefallen findest! So wende dich mit dem Gesicht in Richtung der Ka’bah 6! Allerorts, wo ihr seid, wendet euch mit dem Gesicht in seine Richtung! 7

– Abrogation durch schwerere Scharii’ah-Gebote

Beispiel:
Die Wahl zwischen dem rituellen Fasten und dem Nicht-Fasten wurde abrogiert durch die Verpflichtung zum rituellen Fasten.

أَيَّامٗا مَّعۡدُودَٰتٖۚ فَمَن كَانَ مِنكُم مَّرِيضًا أَوۡ عَلَىٰ سَفَرٖ فَعِدَّةٞ مِّنۡ أَيَّامٍ أُخَرَۚ وَعَلَى ٱلَّذِينَ يُطِيقُونَهُۥ فِدۡيَةٞ طَعَامُ مِسۡكِينٖۖ فَمَن تَطَوَّعَ خَيۡرٗا فَهُوَ خَيۡرٞ لَّهُۥۚ وَأَن تَصُومُواْ خَيۡرٞ لَّكُمۡ إِن كُنتُمۡ تَعۡلَمُونَ ١٨٤

Es sind abgezählte Tage. Wer jedoch von euch krank oder auf Reisen war, so (holt er nach die) gleiche Anzahl an anderen Tagen. Für diejenigen, denen es schwer fällt, ist dessen Ersatz die Speisung eines Bedürftigen. Wer mehr Gutes freiwillig gibt, so ist dies besser für ihn. Wenn ihr fastet, ist es besser für euch, würdet ihr es nur wissen. 8

Das Scharii’ah-Gebot in dieser Aayah wurde abrogiert durch:

فَمَن شَهِدَ مِنكُمُ ٱلشَّهۡرَ فَلۡيَصُمۡهُۖ

Wer von euch diesen Monat erlebt, so soll er darin fasten! 9

Abrogationstypen in Bezug auf Quraan und Sunnah

Die Gelehrten sind sich über folgende Abrogationstypen einig:
Abrogation von Aayaat mittels Aayaat, Abrogation von Mutawaatir-Sunnah mittels Mutawaatir-Sunnah, Abrogation von Ahaad-Sunnah mittels Ahaad- oder Mutawaatir-Sunnah 10. Die Mehrheit von ihnen akzeptiert im Gegensatz zu Imaam Asch-schaafi’iy Abrogation von Aayaat mittels Mutawaatir-Sunnah und Mutawaatir-Sunnah mittels Aayaat.

Beispiel für Abrogation einer Aayah mittels der Sunnah 11:

كُتِبَ عَلَيۡكُمۡ إِذَا حَضَرَ أَحَدَكُمُ ٱلۡمَوۡتُ إِن تَرَكَ خَيۡرًا ٱلۡوَصِيَّةُ لِلۡوَٰلِدَيۡنِ وَٱلۡأَقۡرَبِينَ بِٱلۡمَعۡرُوفِۖ حَقًّا عَلَى ٱلۡمُتَّقِينَ ١٨٠

Euch wurde geboten – wenn der Tod bei einem von euch zugegen wird, wenn er Gut hinterlässt, das Vermächtnis für die Eltern und die Nahverwandten nach dem Üblichen; es ist eine Pflicht für die Ehrfürchtigen. 12

Die Sunnah abrogierte die hier erwähnte Pflicht zum Vermächtnis für Erben mit Pflichtanteilen. Darunter fallen die Eltern.

Beispiel für die Abrogation der Sunnah kraft einer Aayah ist die Abrogation des Einnehmens der Richtung von Al-quds beim rituellen Gebet:

قَدۡ نَرَىٰ تَقَلُّبَ وَجۡهِكَ فِي ٱلسَّمَآءِۖ فَلَنُوَلِّيَنَّكَ قِبۡلَةٗ تَرۡضَىٰهَاۚ فَوَلِّ وَجۡهَكَ شَطۡرَ ٱلۡمَسۡجِدِ ٱلۡحَرَامِۚ

Bereits sehen Wir das Schweifen deines Gesichts himmelwärts. So werden Wir dich eine Gebetsrichtung einnehmen lassen, an der du Wohlgefallen findest! So wende dich mit dem Gesicht in Richtung der Ka’bah! 13

Die Abrogationstypen im Quraan

Im Quraan kommen drei Abrogationstypen vor:

  • Abrogation des Scharii’ah-Gebots unter Beibehaltung der Rezitation
    Dieser Typ ist sehr verbreitet und hat viele Beispiele im Quraan.

فَمَن كَانَ مِنكُم مَّرِيضًا أَوۡ عَلَىٰ سَفَرٖ فَعِدَّةٞ مِّنۡ أَيَّامٍ أُخَرَۚ وَعَلَى ٱلَّذِينَ يُطِيقُونَهُۥ فِدۡيَةٞ طَعَامُ مِسۡكِينٖۖ

Wer jedoch von euch krank oder auf Reisen war, so (holt er nach die) gleiche Anzahl an anderen Tagen. Für diejenigen, denen es schwer fällt, ist dessen Ersatz die Speisung eines Bedürftigen. 14

Diese Aayah wurde mittels folgender Aayah abrogiert:

فَمَن شَهِدَ مِنكُمُ ٱلشَّهۡرَ فَلۡيَصُمۡهُۖ وَمَن كَانَ مَرِيضًا أَوۡ عَلَىٰ سَفَرٖ فَعِدَّةٞ مِّنۡ أَيَّامٍ أُخَرَۗ

Wer von euch diesen Monat (Ramadaan) erlebt, so soll er darin fasten! Wer krank oder auf Reisen war, (fastet) an anderen Tagen die gleiche Anzahl. 15

  • Abrogation des Scharii’ah-Gebots und der Rezitation

عن عائشة رضي الله عنها قالت: ‏كَانَ فِيمَا أُنْزِلَ مِنْ الْقُرْآنِ عَشْرُ رَضَعَاتٍ مَعْلُومَاتٍ يُحَرِّمْنَ ثُمَّ نُسِخْنَ بِخَمْسٍ مَعْلُومَاتٍ فَتُوُفِّيَ رَسُولُ اللَّهِ ‏صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ وَهُنَّ فِيمَا يُقْرَأُ مِنْ الْقُرْآنِ.

Über ‘Aaischah (radial-laahu ‘anh): “Es gehörte zum Hinabgesandten vom Quraan: zehnmaliges bewusstes Stillen bewirkt Ehehindernis. Danach wurden diese mit fünfmaligem bewussten Stillen aufgehoben, dann starb der Gesandte Allaahs (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam), während diese zu dem gehörten, was vom Quraan rezitiert wurde.” (M)

Diese Nicht-Mutawaatir-Aussage bedeutet, dass dieses Gebot kurz vor dem Tod des Gesandten (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) abrogiert wurde und manche Muslime davon keine Kenntnis hatten. Doch dieser Abrogationstyp ist sehr umstritten, da der Quraan nur mutawaatir ist.

  • Abrogation der Rezitation unter Beibehaltung des Scharii’ah-Gebots
    ‘Umar Bnul-chattaab und Ubai Bnu-ka’b (radial-laahu ‘anhuma) haben tradiert: “Es gehörte zu dem, was vom Quraan hinabgesandt wurde: الشيخ والشيخة إذا زنيا فارجموهما ألبتة نكالاً من الله والله عزيز حكيم, der verheiratete Mann und die verheiratete Frau wenn beide außerehelichen Geschlechtsverkehr (zina) begehen, dann steinigt sie bis zum Tode als Peinigung von Allaah. Und Allaah ist allwürdig, allweise.” (I)Man stellt fest, dass die Rezitation dieser Sätze im Quraan nicht vorkommt, doch das darin enthaltene Scharii’ah-Gebot ist Teil der festgelegten Huduud-Strafen nach allen Fiqh-Schulen erhalten geblieben. Doch dieser Abrogationstyp ist wie der vorherige Typ sehr umstritten.

Sinn der Abrogation

– Entwicklung der Scharii’ah gemäß der Entwicklung der Da’wah und der Situation der Menschen.

– Schaffung von Erleichterung für die muslimische Gemeinschaft durch Abrogation von schweren Scharii’ah-Geboten.

– Berücksichtigung der Interessen der Menschen durch Aktualisierung der Scharii’ah-Gebote.

– Prüfung für die Menschen, ob sie sich gegenüber den veränderten Scharii’ah-Geboten hingeben oder widersetzen.

Wichtigste Werke zu an-nas-ch

Die meisten Werke heißen an-naasich wal-mansuuch und stammen u. a. von den Gelehrten:
Qataadah As-saduusiy (60/680 – 117/735), Al-qaasim Bnu-salaam (150/ 767 – 224/839), Abu-daawuud (202/ 817 – 275/889), Abu-dscha’far An-nahhaas (gest. 338/949), Ibnul-anbaariy (272/885 – 328/940), Makkiy Bnu-abi-taalib (355/966 – 437/1046), Ibnul-‘arabiy (gest. 543/ 1148), Ibnul-dschauziy (gest. 597/1201).

Notes:

  1. Quraan (16:101)
  2. Quraan (2:106)
  3. Quraan (58:12)
  4. Quraan (2:240)
  5. Quraan (2:234)
  6. Ursprünglich: „Al-masdschidul-haraam“: Name des Moschee-Gebäudekomplexes um die Ka’bah in Makkah
  7. Quraan (2:144)
  8. Quraan (2:184)
  9. Quraan (2:185)
  10. Ahaad-Sunnah kann nach Mehrheit der Gelehrten gemäß der Vernunft auch die Mutawaatir-Sunnah abrogieren, da die ewige Gültigkeit einer Scharii’ah-Norm nur höchstwahrscheinlich (dhanniy) bleibt. Doch dieser Abrogationstyp hat sich in der Scharii’ah nicht ereignet.
  11. Die Abrogation von Aayaat durch Aahaad-Hadiithe ist nach der Mehrheit der Gelehrten nach der Vernunft möglich, aber sie hat sich in der Scharii’ah nicht ereignet.
  12. Quraan (2:180)
  13. Quraan (2:144)
  14. Quraan (2:184)
  15. Quraan (2:185)