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Fünfte Fiqh-Regel: al-’aadatu muhak-kamah, العادة محكمة „Die Sitte ist maßgebend“ bzw.„die Sitte ist zu berücksichtigen.“


Erläuterung der Fiqh-Regel

al-‘aadah العادة ist eine unbewusst wiederholte Handlung.
al-‘aadah ist ein Ausdruck für die Gewohnheit, die akzeptiert und von den meisten Menschen wiederholt vollzogen wird.
Wenn diese Gewohnheit nicht im Widerspruch zur Scharii’ah steht, dann wird sie berücksichtigt.

Beispiele:
– Definition von hirz حرز (sicherem Ort) bei Diebstahl
– Unterscheidung zwischen einer Bestechung und einem Geschenk
– Angebot und Annahme
– Rituelle Unreinheiten, deren kleine Mengen unbeachtet bleiben.

Manche Gelehrte unterscheiden zwischen al-‘aadah und al-‘urf العرف. Nach ihnen ist al-‘aadah die persönliche Gewohnheit, und al-‘urf ist die Sitte als öffentliche und gemeinschaftliche Tradition.
Eine Tradition bzw. Sitte bzw. Gewohnheit ist im Gegensatz zum idschmaa’ etwas, das von vielen Menschen und nicht nur von den mudschtahid-Gelehrten berücksichtigt und vollzogen wird. Es gibt Gewohnheiten, die körperlich bedingt sind und nicht bewusst gesteuert werden können.

Beispiel:
– Die Mindest- und Höchstdauer der Menstruation

  • Ursprung dieser Regel in der Sunnah
    Der Gesandte (sallal-laahu ‘alaihi wa sallam) sagte:

مَا رَأَى الْمُسْلِمُونَ حَسَنًا، فَهُوَ عِنْدَ اللَّهِ حَسَنٌ، وَمَا رَأَوْا سَيِّئًا، فَهُوَ عِنْدَ اللَّهِ سَيِّئٌ.

Was die Muslime für gut befinden, ist bei Allaah gut. Und was sie als schlecht bewerten, ist bei Allaah schlecht. (AH)

Unterregel dieser Hauptregel

  • in-nama tu’tabarul-‘aadatu idhattaradat au ghalabat, إنما تعتبر العادة إذا اطردت أو غلبت
    al-‘aadah wird nur berücksichtigt, wenn sie beständig ist oder sich öfters wiederholt.”
  • al-‘ibratu lil-ghaalibisch-schaai’i la lin-naadir, العبرة للغالب الشائع لا للنادر
    “Berücksichtigt wird das Weitverbreitete und nicht das Seltene.”
  • al-haqiiqatu tutraku bidalaalatil-‘aadah, الحقيقة تترك بدلالة العادة
    “Die Bedeutung im eigentlichen Sinne des Wortes wird zugunsten der durch die Sitte resultierenden Bedeutung ignoriert.”
  • isti’maalun-naasi hudschatun yadschibul-‘amalu biha, استعمال الناس حجة يجب العمل بها
    “Anwendungsart der Menschen ist ein Beleg, der zu berücksichtigen ist.”
  • al-kitaabu kal-chitaab, الكتاب كالخطاب
    “Das Schriftliche gilt genauso wie das Gesprochene.”
  • al-ischaartul-ma’huudatu lil-achrasi kal-bayaani bil-lisaan, الإشارة المعهودة للأخرس كالبيان باللسان
    “Das gewöhnliche Zeichen des Stummen gilt genauso wie die Erläuterung mit der Zunge.”
  • al-ma’ruufu ‘urfan kal-maschruuti schartan, المعروف عرفاً كالمشروط شرطاً
    “Das dem ‘urf nach Bekannte gilt wie eine vereinbarte Bedingung.”
  • at-ta’yinu bil-‘urfi kat-ta’yini bin-nass, التعيين بالعرف كالتعيين بالنص
    “Das Bestimmen durch al-‘urf gilt wie das durch die Scharii’ah-Texte.”
  • al-ma’ruufu bainat-tudsch-schaari kal-maschruuti bainahum, المعروف بين التجار كالمشروط بينهم
    “Das unter den Händlern Übliche gilt genauso wie eine vereinbarte Bedingung unter ihnen.”
  • la yunkaru taghyiirul ahkaami bitaghaiyuriz-zamaan, لا ينكر تغيير الأحكام بتغير الزمان
    “Nicht anzuprangern ist das Verändern von Geboten nach der Veränderung der Zeit.”