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Warum erbt die Frau weniger als der Mann?


Das islamische Erbsystem gehört zu den Themen, die von den Anti-Muslimen und Islamophoben bevorzugt als Beweis für die angebliche Frauenfeindlichkeit des Islam angeführt wird. Bei objektiver Betrachtung stellt man schnell fest, dass die Argumente dieser “Kritiker” auf komplexer Unkenntnis der Materie fußen. Sie verkennen, dass das Erben im Islam in ein in sich abgerundetes Gesellschaftssystem eingebettet und untrennbar mit finanziellen Pflichten und Rechten sowie mit dem Verwandtschaftsverhältnis verbunden ist. Eine isolierte Betrachtung einzelner Teilbereiche führt zwangsläufig zu falschen Schlussfolgerungen.
Vor der wissenschaftlichen Darstellung des Themas werden vorab die gängigen Vorurteile entkräftet.
Der Islam berücksichtigt bei den Erbregelungen die finanziellen Verpflichtungen der Erben gegenüber der Familie und der Gesellschaft. Diese besonderen Pflichten und Rechte werden zur besseren Übersicht hier tabellarisch aufgeführt:

Männer Frauen
Zahlen die Brautgabe an die Braut. Erhalten die Brautgabe vom Mann.
Sind allein unterhaltspflichtig. Sind nicht unterhaltspflichtig.
Sie müssen ihr gesamtes Vermögen mit Frau, Kindern und Familie teilen. Sie müssen ihr Vermögen nicht teilen und verfügen alleine darüber.
Sie müssen ihr gesamtes Einkommen mit Frau, Kindern und Familie teilen. Sie müssen ihr Einkommen nicht teilen und verfügen alleine darüber.
Sie müssen ihren Erbschaftsanteil mit Frau, Kindern und Familie teilen. Sie müssen ihren Erbanteil nicht teilen und verfügen alleine darüber.
Sie sind zur Beteiligung an der Entrichtung der Diyyah 1 verpflichtet. Sie sind nicht zur Beteiligung an der Entrichtung der Diyyah verpflichtet.

Daraus ist ersichtlich, dass nach den islamischen Regeln die Männer in finanzieller Hinsicht die Gebenden und die Frauen die Nehmenden sind.

Dieses finanzielle Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau wird bei der Zuteilung der Erbanteile berücksichtigt und teilweise ausgeglichen. In allen Fällen, wo es keine finanzielle Mehrbelastung für den Mann gibt, erhält die Frau ihre Erbanteile aufgrund ihrer Verwandtschaftsnähe zum Verstorbenen und nicht aufgrund ihres Geschlechts. So erben Schwestern und Brüder mütterlicherseits zu gleichen Anteilen und in anderen Fällen erben Frauen sogar mehr als die männlichen Verwandten.

Der Islam berücksichtigt bei der Verteilung der Erbschaft auch den gesellschaftlichen Status der erbenden Generation. So erben Kinder, die ihre Zukunft noch aufbauen müssen, mehr als die Eltern, die ihren sozialen Status bereits etabliert haben.

Vereinfachte tabellarische Darstellung der Verteilung der Erbanteile:

Mann Frau Erbfall
Anteil Hälfte des Anteils des Mannes 5 Fälle
Anteil Gleicher Anteil wie der Mann 11 Fälle
Anteil Größerer Anteil als der Mann 10 Fälle
nichts Anteil 4 Fälle

– Fälle, in denen die Frau die Hälfte der Erbanteile eines Mannes erbt: Die Tochter mit ihren Brüdern, die Sohnestochter mit dem Sohnessohn, die Mutter mit dem Vater beim Fehlen von Kindern, die Vollschwester mit den Vollbrüdern und die Halbschwester väterlicherseits mit ihren Brüdern.

– Fälle, in denen die Frau gleiche Erbanteile wie ein Mann erbt:
Die Eltern, wenn ein Sohn vorhanden ist; die Geschwister mütterlicher-seits; die Schwestern mit den Geschwistern mütterlicherseits; die Toch-ter mit dem Vatersvollbruder; der Vater mit der Großmutter mütter-licherseits und dem Sohnessohn; die Schwestern mütterlicherseits mit dem Vollbruder, wenn Mutter und Ehemann vorhanden sind; eine Tochter als Alleinerbin und der Sohn als Alleinerbe; eine Mutter als Alleinerbin und der Vater als Alleinerbe; eine Vollschwester bzw. Vollbruder und ein Ehemann; eine Halbschwester mütterlicherseits und ein Vollbruder, wenn eine Mutter und ein Ehemann vorhanden sind; auch Verwandte, die weder Quoten- noch ‘Asabah-Erben sind (Dhawuul-arhaam ذوو الأرحام) erben zu gleichen Anteilen.

– Fälle, in denen die Frauen mehr als Männer erben:
Die Tochter mit dem Ehemann; zwei Töchter mit dem Ehemann; die Tochter mit den Vatersvollbrüdern; zwei Töchter mit einem Ehemann, Vater und Mutter erben mehr als zwei Söhne mit gleicher Konstellation; zwei Vollschwestern mit einem Ehemann und Mutter erben mehr als zwei Vollbrüder mit gleicher Konstellation; zwei Halbschwestern väterlicherseits mit einem Ehemann und Mutter erben mehr als zwei Halbbrüder väterlicherseits mit gleicher Konstellation; eine Tochter mit einem Ehemann, Vater und Mutter erbt mehr als ein Sohn mit gleicher Konstellation; eine Vollschwester mit einem Ehemann und einer Mutter erbt mehr als ein Vollbruder mit gleicher Konstellation; zwei Halbschwestern mütterlicherseits mit einer Ehefrau, einer Mutter und zwei Vollbrüdern; eine Halbschwester mütterlicherseits mit einem Ehemann und zwei Vollbrüdern; eine Mutter mit einer Großmutter mütterlicherseits und einer Großmutter väterlicherseits erbt mehr als ein Vater mit gleicher Konstellation; etc.

– Fällen, in denen die Frau erbt und gleichrangige Männer nicht erben:
Die Sohnestochter mit einem Ehemann, einer Mutter, einem Vater und einer Tochter erbt ein Sechstel des Nachlasses, während der Sohnessohn bei gleicher Konstellation nichts erhält, da er ‘Asabah ist, und für ihn nichts übrig bleibt.
Eine Halbschwester väterlicherseits mit einer Vollschwester und einem Ehemann erbt ein Sechstel des Nachlasses, während ein Halbbruder väterlicherseits an ihrer Stelle nichts erhält, weil für ihn als ‘Asabah nichts übrig bleibt.
Die Großmutter mütterlicherseits erbt, während der Großvater mütterlicherseits nichts erhält.
Die Urgroßmutter mütterlicherseits erbt, während der Vater der Großmutter mütterlicherseits nichts erhält.

Notes:

  1. Diyyah ist eine materielle Ersatz­leistung, die nach einer fahrlässigen Tötung durch ein Familien­mitglied, von den Männern der Großfamilie väterlicherseits an die Hinter­bliebenen des Opfers entrichtet wird.